Therion
Therion
Interview
15 Jahre im schnelllebigen Musikbusiness der heutigen Zeit erfolgreich zu überstehen und dabei sogar noch ganz nebenbei einen eigenen Stil zu kreieren, gelingt nicht vielen Bands. Therion haben diese Aufgabe gemeistert. Angefangen bei normalem Death Metal steigerte man sich über die Jahre, ganz besonders mit dem phänomenalen 96er-Werk "Theli", zu einem großen Symphonie-Gothic-Klassik-Metal-Act, der es sogar schaffte, seit eben diesem Album mit fast allen folgenden in den Charts zu landen. So hatte ich das Glück, Therion-Mastermind Christopher Johnsson zu seinem Bandgeburtstag gratulieren zu können und mit ihm etwas über diese außergewöhnliche Karriere und über das in Kürze erscheinende, erste Livealbum der Bandgeschichte, "Live In Midgard", plaudern zu dürfen.
Wenn du jetzt nach 15 Jahren auf deine Karriere zurückschaust, was, würdest du sagen, waren die schönsten, die außergewöhnlichsten, die seltsamsten Momente in dieser Zeit? Hast du jemals daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
Der seltsamste Moment ist ganz einfach erklärt. Als wir „Theli“ aufnahmen, waren wir uns sicher, dass dieses Album ein totaler Flop wird. Wir dachten, wir werden danach von der Plattenfirma fallen gelassen und können nicht touren. Dann haben wir aber so viele CDs wie nie verkauft und waren drei Mal auf Tour. Wir hatten uns schon mit dem Gedanken begnügt, Therion bald ad acta legen zu müssen. Aber vorher wollten wir noch mit „Theli“ das Album einspielen, auf das wir Lust hatten. Aber plötzlich kaufte auf einmal jeder unsere CD und wir waren etabliert. Das war schon seltsam, ironisch und gleichzeitig auch sehr schön. Wäre das nach unseren Erwartungen gelaufen, hätten wir die Band wohl hingeschmissen. Nach „Vovin“ und der dazugehörigen Tour war ich auch etwas unzufrieden. Es gab keine richtige Band mehr, nur noch angestellte Musiker. Ich wollte nicht wirklich alles sein lassen, aber manchmal wuchs mir die Arbeit doch über den Kopf. Mit dem jetzigen Line-Up, den Niemann-Brüdern an Gitarre und Bass und Sami Karppinen am Schlagzeug, ist Therion viel stabiler. Früher hatten wir noch dazu immer Ärger mit den Plattenfirmen. Bei jedem Album mussten wir das Label wechseln. Das hat sich erst mit unserer Unterschrift bei Nuclear Blast geändert. Außergewöhnliche Momente gab es eigentlich nur wenige. Die Aufnahmen zu Theli könnte man dazu zählen, denn wir arbeiteten zum ersten Mal mit einem Chor zusammen. Bei „Vovin“ war dann zum ersten Mal ein Orchester mit von der Partie. Diese Erweiterung haben wir bisher bei jedem Album beibehalten und jedesmal neue Instrumente hinzugefügt. Der außergewöhnlichste Moment waren aber wohl die Aufnahmen zu „Secret Of The Runes“, denn dort haben wir alles selbst in unserem eigenen Studio aufgenommen und produziert. Es war kein Dirigent anwesend. Wir arbeiteten alleine mit Orchester und Chor.
Wie hat 1987 eigentlich alles angefangen?
Am Anfang habe ich Bass gespielt und mit ein paar Leuten durch die Gegend gejammt. Wir hatten keine richtige Band. Ich hatte vorher schon mal probiert, einige andere Bands zu gründen. Da ist aber nie wirklich etwas draus geworden. Ich konnte mein Instrument kaum spielen, die anderen noch weniger. Dann habe ich in der Schule einen Drummer kennengelernt, der von Metal eigentlich gar nicht so begeistert war. Mit ihm zusammen und einem Typen, der mit mir immer gejammt hat, formten wir dann die Band Blitzkrieg. Wir waren große Metallica-Fans. Daher auch der Name, der von einem Coversong auf der B-Seite der „Creeping Death“-Single entlehnt ist. Als erstes Stück haben wir dann sofort „Am I Evil“ gecovert. So hat es angefangen. Wir wurden besser an unseren Instrumenten und haben uns dann mehr in Richtung Death Metal bewegt. Dann haben wir uns für ein paar Monate getrennt, ich wechselte an die Gitarre und wir fingen unter dem Namen Therion neu an. In Deutschland gab es nämlich noch eine andere Band, die Blitzkrieg hieß, weswegen wir auf den Namen keinen Bock mehr hatten. Therion lag dann auf der Hand, weil Celtic Frost eine unserer Lieblingsbands war. Also haben wir den Namen von ihrem Album „To Mega Therion“ geklaut.
In welche verschiedenen Phasen würdest du die Entwicklung von Therion einteilen?
Hmm…die erste Phase ist natürlich die Anfangsphase, in der wir viel rumprobiert und mit verschiedenen Stilen herumgedoktert haben. Einige Leute haben gesagt, dass wir viele Elemente verwendet hätten, die damals für den Death Metal total fremd waren. Auf dem zweiten Album haben wir angefangen, mit Keyboards, weiblichem Gesang und einigen cleanen männlichen Vocals zu experimentieren. Das gab es damals noch nicht in dieser Musik. So würde ich die ersten beiden Alben („Of Darkness“ – 1991, „Beyond Sanctum“ – 1992, Anm. d. Verf.) als eine Phase bezeichnen. Die zweite Phase umfasst in meinen Augen dann das dritte („Ho Drakon Ho Megas“ – 1993) und das vierte Album („Lepaca Kliffoth“ – 1995). „Theli“ kann man da sogar auch noch mit hinein nehmen. Ich wusste genau, was wir musikalisch erreichen wollten, aber wir hatten nur geringe Möglichkeiten dies durchzusetzen. Wir wollten im Prinzip das machen, was Celtic Frost auf „Into The Pandemonium“ schon geschafft haben. Wir wollten viele Einflüsse mischen, z.B. durch die Verarbeitung der Einflüsse von Progressive Rock-Bands aus den 70ern, die Celtic Frost auch hatten. Mit „Vovin“ (1998, Anm. d. Verf.) startete dann die dritte Phase. Jetzt hatten wir Erfolg. Jetzt konnten wir auf ein großes Budget zurückgreifen. Ich musste nicht mehr darum kämpfen, das, was ich im Kopf hatte, auch verwirklichen zu können.
Wird es aber nicht auch immer schwerer, deine Ideen zu verwirklichen, weil diese ständig wachsen? Ich denke da jetzt auch gerade an den Livesektor.
Nun, mit Liveauftritten hatten wir ja seit „Theli“ schon immer Probleme. Wir haben uns somit daran gewöhnt. Es ist aber auch gleichzeitig eine Herausforderung. Es macht mehr Spaß, anders zu sein. Ein großer Unterschied zwischen Therion und anderen Bands ist z.B., dass wir keinen wirklichen Leadsänger auf der Bühne haben, der mit dem Publikum kommunizeirt. Bei uns ist es eher ein bizarres Metaloper-Musical auf der Bühne. Ich mag das, weil es anders ist, auch wenn es schwieriger ist.
Lass uns mal ein wenig über „Live In Midgard“, das erste Livealbum eurer Bandgeschichte, reden. Wer hatte die Idee, es zu eurem 15. Geburtstag zu veröffentlichen?
Das war meine eigene Idee. Der Plan, einen Livemitschnitt zu veröffentlichen, existiert aber schon etwas länger. Schau dir mal andere Bands an, die es so lange gibt wie uns und die eine ähnliche Anzahl an Alben vorweisen können. Diese haben alle schon mindestens ein solches Album draußen. Eigentlich hatten wir schon auf der ersten „Theli“-Tour ein Livealbum mitgeschnitten. Aber für eine Veröffentlichung hat es sich einfach nicht gut genug angehört. Damals haben wir noch ziemlich viel gesoffen, bevor wir auf die Bühne sind. Das war alles immer ziemlich chaotisch. Noch dazu waren wir nicht der Headliner dieser Tour, weswegen wir nie einen richtigen Soundcheck bekamen. Bei der Tour zu „Vovin“ hatten wir nur angestellte Musiker dabei, was ein Livealbum aufgrund eines fehlenden, richtigen Line-Ups auch unmöglich gemacht hat. Bei „Deggial“ hatten wir dann endlich eine stabile Besetzung, die aber noch zu frisch, zu uneingespielt für eine Konzertveröffentlichung war. Deswegen denke ich, dass es eine gute Entscheidung war, bis jetzt mit einem Liverelease zu warten. So konnten sich auch alle gegenseitig musikalisch besser kennenlernen.
Habt ihr im Nachhinein noch viel an den Songs mit Overdubs u.ä. bearbeiten müssen? Ich persönlich finde, dass der Sound davon keine großen Spuren aufweist, da alles recht natürlich klingt.
Gegen bis zur Unkenntlichkeit überarbeitete Livealben bin ich ziemlich allergisch. Es gab sogar schon Konzertmitschnitte auf CD, auf denen Songs drauf waren, die während der Tour kein einziges Mal gespielt worden sind. Das ist dann immer ziemlich enttäuschend. Unser Ziel war es, 100%ige Liveatmosphäre zu erzeugen. Um das vollends zu erreichen, musst du aber jedes einzelne Konzert der Tour aufnehmen, wie es z.B. Manowar bei ihrem letzten Livealbum gemacht haben. Dazu hatten wir aber nicht die Möglichkeit. Wir konnten nur einige Gigs mitschneiden. Dann stehst du immer vor einer schweren Entscheidung. Es gibt Abende, bei denen die Version des Songs fehlerfrei gespielt worden ist, das Publikum aber sehr steif war. Andersherum gibt es Abende, bei denen sich kleine Fehler eingeschlichen haben, der Song aber aufgrund einer fantastischen Menge ohne Ende gerockt hat. Welche Version soll man dann nehmen? In manchen Fällen haben wir die rockende Version bevorzugt und die kleinen Verspieler drauf gelassen. War der Fehler aber etwas zu offensichtlich, haben wir das ganze im Studio etwas nachbearbeitet. Im schlimmsten Fall mussten wir auch wenige Overdubs verwenden. Das hielt sich aber, auch im Vergleich zu anderen Livealben, wirklich in Grenzen, da unsere Grundidee war, auf diese gänzlich verzichten zu wollen. Es wäre peinlich, das nicht zuzugeben. Wir posen viel auf der Bühne, rennen herum. Das schlägt sich natürlich im Spiel nieder. Außerdem ist es auch total unnötig, wenn sich ein Livealbum wie eine Studioaufnahme anhört. Dann können die Leute nämlich auch genausogut das reguläre Album hören und brauchen den Konzertmitschnitt nicht. Ich würde sagen, dass der Sound auf „Live In Midgard“ irgendwo zwischen einem sehr guten Bootleg und einem normalen Livealbum liegt. Es muss im Endeffekt unserem Livesound gerecht werden und das haben wir, denke ich, ganz gut hinbekommen.
Dem kann ich nur zustimmen. Wie sieht es denn mit den Plänen für den Nachfolger zu „Secret Of The Runes“ aus? Gibt es da schon etwas Konkretes? Etwa wieder ein Konzept wie auf „Secret…“?
Was die Texte angeht, können wir noch gar nichts sagen. Aber um die 15 Songs haben wir schon geschrieben. Kristian (Niemann – Gitarrist, Anm. d. Verf.) hat auch zum ersten Mal ein paar Sachen eingebracht. Ich habe den anderen schon immer in den Arsch getreten und gesagt: „Schreibt Lieder!“ Aber anfangs ist es natürlich hart, sich in die gesamte Atmosphäre Therions hineinzudenken. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass wir vermeiden wollen, exakt genauso wie auf dem Vorgänger zu klingen. Jetzt dürften die anderen sich aber den Therion-Spirit einverleibt haben und steuern auch kräftig zum Songwriting bei. Wir haben also schon einiges in der Hand, aber auch noch viel Arbeit vor uns.
Arbeit ist ein gutes Stichwort. Vor fünf Jahren hast du mal einen klassischen Soundtrack für einen Film geschrieben. Bist du immer noch in solche Projekte involviert oder bist du mit deinen Gedanken nur noch voll und ganz bei Therion?
Im Moment habe ich Kontakt mit einem Kerl aus Australien, der auch Filme macht. Sein neuestes, geplantes Projekt heißt „Demons In The Head“ und ist ein Vampirfilm. Wir haben bisher einige Gespräche geführt, ob ich nicht am Soundtrack mitarbeiten könnte. Er ist großer Therion-Fan und kam deswegen auf die Idee. Das liegt aber wirklich noch in ferner Zukunft. Es wäre sehr cool, wenn das klappen würde. Unsere Ideen für diese Sache sind ziemlich ähnlich. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass es sich nicht um einen Film in der Größenordnung von Hollywood handelt, die Sache aber immer noch groß genug ist, um in den Kinos zu laufen. Im Moment liegt jedoch nichts dergleichen an.
Dann kann man sein 15-jähriges Bandjubiläum ja in vollen Zügen genießen. Was ist denn eigentlich für das 20. geplant? Zum 10. kam „A’arab Zaraq (Lucid Dreaming)“ in die Läden, jetzt „Live In Midgard“. Was folgt in fünf Jahren?
Puuh, keine Ahnung. Selbstmord im Fernsehen?! (lacht) Nein, erntshaft, dazu kann ich jetzt noch gar nichts sagen. Uns wird es mit Sicherheit noch geben. Im Moment läuft alles wunderbar und macht großen Spaß. Das Line-Up funktioniert bestens, uns gehen die Ideen nicht aus, wir haben unser eigenes Studio gebaut. Wir haben also viele Möglichkeiten, die andere Bands nicht haben, ein Album auszuarbeiten. Wir können uns so viel Zeit lassen, wie wir wollen. Wir können Ideen ändern, Sachen neu aufnehmen, so oft wir wollen. Deswegen freuen wir uns auch so darauf, das neue Album einzuspielen. Natürlich hat der Tonträgermarkt schon bessere Zeiten gesehen, aber wir haben immer noch sehr gute Verkaufszahlen. Unser Plattenlabel ist glücklich. Es gibt also nichts, was uns Sorgen bereiten sollte. Alles ist positiv.
Ein besseres Schlußwort kann man sich doch gar nicht wünschen. Gibt es noch etwas, was du unbedingt loswerden willst?
Klar. Ich freue mich schon wieder sehr darauf, in Deutschland zu spielen und war diesen Sommer sogar drei Mal in Deutschland im Urlaub, weil es irgendwie mein zweites Heimatland ist. Ich habe sogar schon ein wenig Deutsch gelernt. Vielleicht kann ich ja in Zukunft, alle Interviews auf Deutsch führen. (lacht)
Das hört man natürlich gerne! 🙂 Ich bedanke mich für das ausführliche Beantworten meiner Fragen. Bis zum nächsten Gastspiel in deinem zweiten Heimatland und weiterhin genausoviel Erfolg in der Zukunft und beim lernen der Deutschen Sprache wünsche ich. (Und jetzt ist mir doch fast der Hörer aus der Hand gefallen, denn das Folgende sprach Herr Johnsson in sehr gut verständlichem Deutsch!)
Dir natürlich auch vielen Dank und wir sehen uns auf der nächsten Tour!
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