The Pineapple Thief
The Pineapple Thief

Interview

Wer acht Jahre im Underground verbringt, um dann mit einem so eindrucksvollen Major-Debüt wie “Tightly Unwound“ aufzuwarten, muss einerseits viel Geduld, aber auch viel Leidenschaft haben. Bruce Soord von THE PINEAPPLE THIEF vereint diese Qualitäten wie kein zweiter und besitzt das Talent, sowohl hochwertige Alben zu schreiben als auch über Musik zu reden wie ein Wasserfall. Von Ersterem kann man sich seit Mai dieses Jahres überzeugen, von Letzterem in folgendem Interview.

The Pineapple ThiefHallo Bruce! Erst einmal gratuliere ich Dir/Euch zum neuen Album “Tightly Unwound”! Ich bin sicher, andere Magazine haben Euch auch ein sehr positives Feedback gegeben, aber wie zufrieden bist Du selbst mit der Platte und den Reaktionen darauf?

Danke – Die Kritiken, die ich gelesen habe, waren alle sehr positiv, was natürlich schön ist. Aber das hat mich auch an die Gefahr erinnert, die mit Kritiken verbunden ist. Ich habe ziemlich viel Widersprüchliches gelesen; ein ziemlich großes Musikmagazin hier in England hielt “Different World“ für das absolute Highlight der Platte (das Lied ist auch mein persönlicher Favorit), aber im nächsten Magazin wurde das gleiche Stück als „überlang und abschweifend“ bezeichnet. Wem glaube ich eher? Keins von beiden ist die alleingültige Wahrheit! Ich habe keine Ahnung, wo THE PINEAPPLE THIEF stilistisch einzuordnen ist, aber ich habe Bezeichnungen gelesen wie “Crossover“, aber auch “Nu-Prog“, “Post-Rock“ oder “Post-Prog“. Definitionsgemäß spaltet so etwas die Öffentlichkeit, die sich das anhören soll. Wie zufrieden ich mit dem Album bin? Sehr zufrieden, aber ich habe immer das Gefühl, dass ich ein noch besseres Album in mir habe. Ich wette, jeder Künstler würde das sagen.

Das Album ist, soweit ich das beurteilen kann, ein Konzeptalbum über eine Beziehung, vom Anfang bis hin zum bitteren Ende. Ich habe die Texte nicht hier, könntest Du uns vielleicht ein wenig mehr darüber erzählen?

Es ist sicherlich ein Konzeptalbum, aber eher im abstrakteren Sinn. Es wirft einen interessanten Punkt auf über einen Künstler, der versucht, “etwas“ zu vermitteln. Ich habe die Dinge immer ziemlich abstrakt gehalten, was einen gewissen “Deutungsspielraum“ lässt, wie es ein Kritiker formuliert hat. Meine Lieder sind immer über Beziehungen, entweder zwischen Menschen, dem Kosmos oder meinem begrenzten Verstand. “Tightly Unwound“ wurde von den Emotionen beherrscht, die mich zu dieser Zeit überwältigt haben, aber ich gehe normalerweise nicht ins Detail. Das kann oft die Wirkung verderben für Leute, die die Songs total anders auslegen. Tut mir leid, wenn das jetzt keine gute Antwort ist…

Über das Album erstreckt sich auch eine musikalische Entwicklung. Insbesondere der Gesang “wächst“ vom Anfang bis zum Ende auf eine gewisse Art und Weise. War das ein geplantes Stilmittel oder ist das nur Zufall?

Ja, das ist lustig, dass mir das niemals aufgefallen ist. Ein Zufall, vielleicht? Aber wer weiß, was auf unterbewusster Ebene passiert? Ich schreibe die Songs immer mit dem Gesamtbild im Hinterkopf, da ich ein ziemlicher Album-Mensch bin. Ich mag den Gedanken, dass die Gesamtheit von “Tightly Unwound“ größer ist, als die Summe seiner Teile.

Das Album ist eine Mischung aus “leichtem“ Rock und sehr komplexen Passagen, die zu diesem speziellen “Progressive Rock”-Stil verschmelzen. Sind viele Stellen aus dem Bauch heraus entstanden oder arbeitet Ihr an jedem Detail, um alles perfekt klingen zu lassen?

Ich gehe oft ins Detail, aber ich fahre mich bei weitem nicht mehr so fest, was die Leistung betrifft, als ich es früher getan habe. Ich weiß, wenn etwas richtig klingt und ich habe gelernt, es auch so zu lassen, wenn es soweit ist. Wenn ich auf die Studiozeit von “Tightly Unwound“ zurückblicke, war es eine Mischform. Manche Dinge kamen sofort zusammen, aber Du würdest Dich ziemlich über die Dinge wundern, die mir Schwierigkeiten bereitet haben. Ganz einfache Melodien, die ich nicht in den richtigen Groove bringen konnte, haben viel Zeit gekostet. Oft bin ich spät in der Nacht nach ein paar Bier wieder an die Arbeit gegangen und da ging alles aufs erste Mal. Bei anderen Stellen, wie dem Solo am Ende von “Sinners“ ging es auf Anhieb beim ersten Mal! Dafür gibt es keine Erklärung. Ich höre viele Songs von anderen Künstlern und denke mir: “Die Noten sind am richtigen Platz, aber es klingt insgesamt falsch!“. Mit so etwas verdient ein Produzent sein Geld.

Wie viele persönliche Gefühle und Geschichten sind in den Texten enthalten?

Verdammt viele! Alles was ich schreibe basiert auf persönlichen Erfahrungen. Ich habe keine Ahnung, was mich sonst motivieren sollte, zu schreiben. Ich denke, das ist der Grund warum ich die Texte so abstrakt halten muss, da ich sonst die Abgründe meiner Seele zu offensichtlich mit dem Rest der Welt teilen würde.

Viele der Leser hier in Deutschland kennen Euch noch nicht wirklich. Kannst Du Dich und die Band kurz vorstellen?

Eine kurze Geschichte vom Ananasdieb: Gegründet 1999 als ein Solo-Studio-Projekt bei einem kleinen Progressive-Rock-Label in England, genannt Cyclops. Drei Alben später, im Jahr 2002 hatte ich eine kleine Fanbasis, also habe ich mir eine Liveband gesucht und wir haben begonnen, Auftritte zu spielen. Nach sechs Alben (im Jahr 2007) waren wir groß genug, um Cyclops zu verlassen und bei Kscope zu unterschreiben (einem viel größeren “Post Progressive“ Label). Im Grunde genommen haben wir uns acht Jahre im Underground versteckt, heimlich, still und leise eine Fanbasis aufgebaut und unser Songwriting und unseren Sound entwickelt. Es gab Zeiten, wo ich mich selbst gefragt habe: “Warum machst Du Dir den Stress?“ Aber ich habe festgestellt, dass das Ausbleiben des “Erfolgs“ (wie man das auch immer auslegen mag) niemals meine Kreativität bedroht hat. Ich werde immer Musik machen, auch wenn die einzige Person, die diese Musik jemals hört, meine Katze wäre!

Nun zur unvermeidlichen Frage: Wie weit hat Euch PORCUPINE TREE beeinflusst? Es gibt ja viele Parallelen zwischen Ihnen und Euch, vom Namen angefangen bis hin zur Musik!

Ha, auf die Frage hab’ ich gewartet! Und ich kann ehrlich sagen: sie haben uns überhaupt nicht beeinflusst! Das erste Mal, dass ich sie überhaupt gehört habe, war letztes Jahr, als mir einige Fans ein paar ihrer Alben zugeschickt haben. Aber es gibt einen guten Grund, warum ich das sagen kann…
Seit dem ersten Tag an, an dem ich begann, Musik zu veröffentlichen – damals mit meiner ersten Band “VULGAR UNICORN im Jahr 1996 – haben uns die Kritiker mit PORCUPINE TREE verglichen. Das ging nie wirklich vorbei. Also habe ich die bewusste Entscheidung getroffen, diese Band niemals an mich heranzulassen, aus Angst, tatsächlich von ihnen beeinflusst zu werden! Aber warum nur musste ich dann einen Bandnamen wählen, der so nahe an Ihrem war! Das werde ich mir wohl nie verzeihen können. Der Name THE PINEAPPLE THIEF stammt aus dem Film “Eve’s Bayou“. Ich glaube, ich habe an diesem Abend zuviel Wein getrunken. Zu der Zeit, als ich feststellte, was für einen Ärger der Name verursachen würde, habe ich schon das erste Album veröffentlicht. Ich bereue das jetzt. Aber bei der Musik kann ich nur annehmen, dass wir ähnliche Einflüsse haben und beide versuchen, das Beste aus den 70ern (nicht den exzessiven, nur aus Soli bestehenden Prog) mit dem Besten des modernen Rock zu kombinieren. Ich habe mir den Backkatalog von PORCUPINE TREE inzwischen besorgt und kann nun verstehen, warum die Leute uns vergleichen (das bezieht sich aber nicht auf die letzte Veröffentlichung). Aber innerhalb des Genres, denke ich, sind wir meilenweit voneinander entfernt. Ich schulde Steve Wilson trotzdem sehr viel, da er uns damals geholfen hat, zu Kscope zu kommen

Wie “intellektuell” ist THE PINEAPPLE THIEF? Aus was für Leuten besteht Euere Hörerschaft?

Das ist eine gute Frage. Wenn Du Dir unser Forum ansiehst, sind da total verrückte Leute aus allen Altersstufen und Gesellschaftsschichten unterwegs. Aber was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie alle Musikliebhaber sind. Ich würde sagen, wir sind nicht die Band für den Gelegenheitshörer. Aber intellektuell? Ich weiß nicht, ich habe Leute gehört, die uns als “Rock für den denkenden Menschen“ beschrieben haben. Es braucht einfach ein paar Durchläufe, um unsere Musik voll zu erfassen, denke ich. Ich habe einen Fan sagen hören: “Ich hab’ geglaubt das wäre Müll, als ich es das erste Mal gehört hab, aber jetzt denk’ ich, es ist das Beste, was Ihr jemals gemacht habt!“ Manche Leute kommen nicht so weit, aber es scheint Leute zu geben, die das tun.

Wieviel Kontakt habt Ihr mit Euren Fans?

So viel wie möglich. Ich habe einen Blog auf meiner Internetseite, lese alles im Forum und antworte auf jede eMail. Bei Auftritten hängen wir immer mit den Fans ab und reden mit ihnen. Ich höre ihnen immer zu, aber ich wahre eine gewisse Distanz wenn es um die Musik geht. Es geht eher darum, was für ein T-Shirt wir als nächstes drucken lassen wollen.

Es ist offensichtlich, dass die 70er Jahre einen großen Einfluss auf Euch hatten – hat Euch das ganze Zeug seit Eurer Jugend an begleitet?

Naja, ich bin in den 80ern aufgewachsen. Ich habe den Sound der 80er gehasst, also haben meine Freunde und ich uns den 70ern zugewandt. Ich muss zugeben, dass uns jeder für verrückt gehalten hat, als wir Alben von PINK FLOYD, YES, KING CRIMSON, LED ZEPPELIN und so weiter in der Schule getauscht haben. Wir hätten MADONNA oder DURAN DURAN hören sollen! Als Grunge aufkam haben wir wieder die aktuelle Musikszene verfolgt. Ja, ich schätze immer noch die Dinge, die in den 70ern gemacht wurden. Hör die die alten PINK FLOYD und LED ZEPPELIN-Alben an, sie klingen immer noch großartig! Hör dir ein frühes Album von U2 an und es klingt schrecklich!

Jetzt gibt es ja haufenweise Leute, die behaupten “Progressive Rock ist tot, alles wiederholt sich nur noch, der Sound der 70er wird bis zum Erbrechen kopiert!” Was sagst Du zu solchen Aussagen?

Ich würde sagen, sie haben sicherlich zu einem gewissen Grad recht. Ich weiß, es ist nur eine Bezeichnung, aber für mich definiert “Prog“ die Exzesse der Bewegung aus den 70ern und die schreckliche “Neo Prog“- Bewegung der 80er. Daher hoffe ich, dass Prog Rock tot IST! Aber wenn wir von “Progressive“ Rock reden, dann widerspreche ich dieser Aussage aufs Schärfste. Nur weil ich gerne organische Instrumente wie Konzertgitarren, Trommeln, Klaviere, Hammond-Orgeln, Mellotrone und so weiter benutze, bedeutet das nicht, dass ich nur die 70er kopiere. Ich will einfach alles natürlich halten. Ich bin sicherlich von der aktuellen Szene genauso beeinflusst wie von den 70ern!

Was bedeutet Dir “Progressive Rock” oder besser, die Musik, die Du spielst? Ist es “nur“ Musik oder eine Art Lebensstil?

Hmm, keiner hat es bisher so formuliert! Es ist ein Lebensstil, ohne Zweifel. Nach meiner Familie und meinen Freunden ist die Musik der wichtigste Teil meines Lebens. Man sagt, Männer denken immer nur an Sex – Ich denke immer nur an Musik! Es ist eine totale Besessenheit!

Hörst Du persönlich Musik aus anderen Genres?

Ja. Alle Arten von Musik. Moderne Klassik, ziemlich schweres Zeug wie Messiaen (bedeutender französischer Komponist des 20. Jh. – Anm. d. Red.), einfacheres Zeug wie BECK, QUEENS OF THE STONEAGE, KINGS OF LEON. Auch die großen englischen “modern prog“-Bands wie MUSE, ELBOW, OCEANSIZE und RADIOHEAD. Momentan entdecke ich KATATONIA für mich. Ich glaube, wir sind fast Labelkollegen inzwischen, sie haben bei Peaceville unterschrieben, einer Abteilung von Snapper Musik, genauso wie Kscope. Sie sind eine brilliante Band!

Sind in der nächsten Zeit irgendwelche Auftritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz geplant?

Nein, aber wir sind wild darauf, dort zu spielen! Wir spielen in Polen in ein paar Wochen und danach geht es weiter nach Norwegen, also wir erschließen langsam Europa. Wir hoffen, 2009 eine richtige Europatour machen zu können.

Ich danke Dir für Deine Zeit und dass Du meine Fragen beantwortet hast. Willst Du den Lesern noch etwas mitteilen?

Ein großes Dankeschön an alle Musikliebhaber! Haltet Leute wie uns im Geschäft…

23.08.2008

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