The Ocean
Interview mit Robin Staps zu "Collective Oblivion"
Interview
THE OCEAN sind bekannt für ihre monumentalen Mammut-Veröffentlichungen. Zu den bisherigen Alben reiht sich nun mit „Collective Oblivion“ ein weiteres außergewöhnliches Großprojekt ein. Hierbei handelt es sich um eine randvoll gepackte Dreifach-DVD, die neue Maßstäbe setzt. THE OCEAN nehmen den Fan mit auf ihre Reise rund um den Globus und bieten einen sehr unterhaltsamen und umfassenden Rückblick über die letzten ereignisreichen Jahre, das Ganze mit einer epischen Spielzeit von 500 Minuten. Robin Staps erzählt uns hier etwas mehr über die Entstehung.
Ihr seid ja bekannt für außergewöhnliche Veröffentlichungen: „Precambrian“ hatte eine Mini-CD als Beilage, „Heliocentric“ und „Anthropocentric“ erschienen beide 2010 mit einem halben Jahr Abstand, „Pelagial“ als Doppel-CD (einmal mit Gesang, einmal instrumental). Eure DVD „Collective Oblivion“ ist ja nun als Dreifach-DVD und 500 Minuten Spielzeit auch ein wirkliches Großprojekt geworden! Wann und wie kam es eigentlich zu der Idee zu dieser Veröffentlichung? War die Veröffentlichung von Anfang so geplant oder ist das Ding immer mehr gewachsen?
Das Ding ist definitiv gewachsen. Ursprünglich wollten wir nur die „Heliocentric“ Record Release Show vom März 2010 mitfilmen, wo wir mit einer erweiterten Besetzung gespielt haben, also mit einem Streich-Trio und ein paar Bläsern, das war halt was besonderes und wir dachten: warum nicht? Dann meinte der Assistent Alex unseres damaligen Filmers, dass wir noch ein bisschen „behind-the-scenes“ Zeug mit auf die DVD packen sollten, und da wir nix gescheites hatten, haben wir ihn mitgenommen auf eine kurze Osteuropa-Tour im Mai 2010. Da hat der dann irgendwie Blut geleckt und wir haben uns alle super verstanden, und gleichzeitig ist der Typ, der das ganze Projekt eigentlich initiiert hatte abgesprungen.
Alex hatte Bock und hat dann das Projekt komplett übernommen, und so haben wir ihm dann irgendwann angeboten, ihn mit in die USA zu nehmen für die Tour mit BETWEEN THE BURIED AND ME, die wir dort im Frühjahr 2011 gespielt haben. Er sage zu, und dann war der Alex irgendwie immer dabei: in China, in Australien, Russland hat sein Kollege für ihn übernommen… dann haben wir noch das Summer Breeze Festival mit gefilmt, und am Ende hatten wir unendlich viel Material, so ca. 30 Terabyte. Dann war klar, dass bei so einem umfangreichen Projekt auch eine Band History nicht fehlen darf, und das war glaube ich der schwierigste Teil für Alex: die verworrene Geschichte des Ocean Collective’s erst mal zu recherchieren, und dann zu erzählen. Der hat da Dinge ans Licht gebracht, von denen selbst ich nichts mehr wusste…
Wie muss man sich die Umsetzung vorstellen? Waren die ganzen Jahre über Kameraleute mit euch unterwegs, immer dieselben oder unterschiedliche, oder wurden diese gezielt eingesetzt?
Alex war insgesamt ca. zweieinhalb Jahre mit uns unterwegs, quasi non-stop. Der Mann war immer da und war am Ende genauso ein Bandmitglied wie Jona oder Luc, nur dass er halt nicht mit auf der Bühne stand… wobei nicht mal das stimmt, der stand dann halt am Rand, mit seiner Kamera. Wir haben uns schon gezielt ausgesucht, wo es am meisten Sinn macht, ihn dabeizuhaben, alles war leider nicht möglich – die Touren mit THE DILLINGER ESCAPE PLAN und ANATHEMA 2010 z.B., die konnte er nicht mitfahren. Aber bei den wichtigsten Episoden waren Alex und Lukas, sein Kollege, immer live mit dabei.
Nach welchen Kriterien habt ihr bei der Sichtung des Materials ausgewählt, was auf die DVDs draufkommt, und was außen vorgelassen wird? Habt ihr viel Material übrig und ist evtl. davon schon was für einen kommenden Release verplant?
Wir haben eigentlich schon alles verballert. Es war eher so, dass gerade bei der Band History viel Material gefehlt hat, besonders aus den frühen Tagen, weil damals einfach niemand gefilmt hat. Da mussten wir uns dann mit Zeitzeugen-Interviews und Fotos durchschlagen. Wir haben wirklich alles rausgekramt, was wir hatten, inkl. der ehemaligen Bandmitglieder. Ich hatte noch ein paar alte Tapes, von deren Existenz ich gar nichts mehr gewusst hatte. Natürlich haben wir am Ende auch viel aussortiert, sonst wär das zu lang geworden. Die History war am Anfang über 3 Stunden lang, da wurde viel gekürzt, um es interessant zu halten. Auch bei den Tourblogs haben wir nur einen Bruchteil des Materials verwertet, aber das ist normal, das ist ja in großen Filmproduktionen nicht anders. Man nimmt erst mal alles mit und sucht sich dann am Ende die Perlen raus…
Wie war für euch eigentlich euer Auftritt damals im Bikini Text Club in La Chaux-De-Fonds? Wie hattet ihr das damals alles gemanaget, und was kommt dir in den Sinn, wenn du daran zurückblickst?
Das war eine völlig bekloppte Nummer. Das hat einfach Null Sinn gemacht alles, haha… ich kann da echt nur drüber lachen, im Nachhinein. Wir haben uns damals entschieden, das allererste Konzert, bei dem wir das „Heliocentric“ Material live spielen würden, zu filmen. Wir hätten das ja auch am Ende des Tourzyklus machen können, nachdem wir mit dem Material wirklich vertraut waren und es auf allen Kontinenten live getestet hatten… aber nein, wir mussten das natürlich ganz am Anfang machen. Da ging natürlich vieles schief: die klassischen Musiker waren nicht so eingespielt wie wir das gerne gehabt hätten, wir selbst auch nicht, die Videoprojektionen waren farblich nicht auf das programmierte Licht angepasst… usw. Wir haben da bei dieser Show ziemlich viel rumtüfteln und farbkorrigieren müssen, damit das am Ende gut aussah.
Die Show selbst war aber geil; volles Haus, ein bisschen typisch reserviertes Schweizer Publikum, aber im Prinzip eine gute Stimmung und ein gelungener Abend.
Allgemein – was waren für dich die schönsten, bewegendsten, beeindruckendsten oder vielleicht auch niederschmetterndsten Momente der ganzen Jahre auf Tour?
An die niederschmetterndsten Momente erinnert man sich natürlich zuerst. Das war zum einen der Moment, als wir auf unserer ersten US-Tour 2011 von der Busfirma abgezockt wurden und der Bus dann mitten in der Nacht irgendwo im ländlichen Oregon auf der Straße verreckte. Nach 2 Wochen mit unzähligen Problemen war uns klar, dass die Busfirma uns dort sitzen lassen würde; und ich wusste an diesem Morgen wirklich nicht, wie es weitergehen würde. Da habe ich das erste Mal in meinem Leben den starken Wunsch verspürt, einen Menschen umzubringen. Selbst wenn ich dafür viel Geld ausgeben und viele Kilometer zu Fuß durch die Wüste hätte laufen müssen, war dies einige Tage lang ein unvermittelt starker, dringlicher Wunsch: Rache.
Außerdem natürlich der Tag, als wir in Spanien ausgeraubt wurden von diesen Autobahnbanditen. Die schönsten Momente sind schwieriger, weil es so viele gab, die sich in der Erinnerung oft miteinander vermengen. Was die Konzerte anbelangt waren es die Shows mit BETWEEN THE BURIED AND ME in Vancouver und Montreal, wo wir das erste Mal das Gefühl hatten, auch Übersee so richtig angekommen zu sein, vor ziemlich großem Publikum. Die Summer Breeze und Hellfest Shows 2011 zählen zu meinen persönlichen Highlights, da war einfach trotz der großen Festival-Atmosphäre eine krasse Energie in der Luft, und ich denke das spürt man auch, wenn man die DVD schaut. Die Chance, meine Band nach Hong Kong und China zu bringen war auch was ganz besonderes.
War es für euch „schwierig“, sich immer wieder auf neue Kulturen, örtliche Begebenheiten, die unterschiedlichsten Reaktionen von euren Fans uswusf. einzustellen? Gibt es ein Land, wo ihr nicht mehr unbedingt touren möchtet, oder gibt es ein Land, nach dem du Sehnsucht hast, in das du unbedingt zurückkehren möchtest?
Ich glaube unsere erste China-Tour 2011 war für uns alle so ein Erlebnis. Ich hatte völlig falsche Vorstellungen von diesem Land, in jeglicher Hinsicht. Ich bin davon ausgegangen, dass das ein totalitärer Staat ist, wo man extrem aufpassen muss, was man sagt und wo so eine George-Orwell Atmosphäre herrscht. Das war aber überhaupt nicht so, es war eher wie ein Trip in die Zukunft. Das fing schon am Flughafen an: die Einreise nach China dauerte keine 5 Minuten. Versuch mal als Europäer in die USA einzureisen, dann weißt Du wie ätzend das sein kann. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel dann tausende von Motorscootern, wie die Piaggios in Rom… aber komplette Stille draußen, alles Elektro-Bikes…
Das Essen war ein weiteres Thema, was auf der DVD ja auch ausführlich thematisiert wird. Ich habe noch nie so gut gegessen wie in China, und meine von mitteldeutschen Chop-Suey Restaurants geprägten Vorstellungen von chinesischem Essen hatten einfach mal nichts mit der Realität zu tun. Die Shows waren auch ein Erlebnis: zu sehen, wie sich 20, 30 Männer nebeneinander aufstellen und in den Arm nehmen und dann synchron moshen. Und die ungewöhnlichen Reaktionen des Publikums, die immer höflich klatschen und dann die Fresse halten, aber auch nicht nach Hause gehen… in Wuhan haben wir nach einem Konzert schon backstage Whiskey getrunken, als Loic 15 Minuten nach Ende des Konzerts nochmal auf die Bühne wollte, um sein Mikro zu holen. Und plötzlich großes Geschrei: die waren alle noch da! Da war keiner nach Hause gegangen, alle warteten auf die Zugabe, aber keiner hat es gewagt mal zu rufen oder zu pfeifen. So haben wir dann 15 Minuten nach Ende des Konzertes noch ne Zugabe gespielt…
Kommen wir zu den letzten Neuigkeiten, die sich leider wieder um Line-Up-Wechseln drehen. Luc Hess und Jonathan Nido haben euch verlassen. Was sind die Gründe hierfür?
Über die letzten anderthalb Jahre hat sich abgezeichnet, dass die beiden einfach nicht mehr wirklich viel in die Band reinstecken und abseits der Bühne nur noch mitschwimmen, bzw. eigentlich mehr an ihrem Seitenprojekt und an dem „Tourleben“ als solches interessiert waren, als an der Band THE OCEAN. Wir haben uns musikalisch, und über die vielen, zeit- und erlebnisintensiven Touren auch menschlich auseinandergelebt und saßen am Ende einfach nicht mehr im selben Boot. Die beiden waren sehr jung, als sie zur band gestoßen sind. Damals war das alles noch total aufregend für die, die kamen aus ihrem kleinen Bergkaff und hatten plötzlich Touren in den USA, die haben sich ein bisschen in ein gemachtes Bett gelegt. Mit der Zeit sind sie als Menschen und Musiker erwachsen geworden und irgendwann war klar, dass das einfach nicht mehr passt, dass sie nur noch eine Live-Routine abziehen. Das wollten wir am Ende alle nicht, ich will mit Musikern auf der Bühne stehen, die sich damit identifizieren, was sie da machen, sonst fühlt man sich doch völlig bekloppt dabei. Deswegen war Ihr Ausstieg bitter nötig, für unser aller geistige Gesundheit.
Es gibt da keine großen Verhärtungen – sicher haben wir uns ordentlich die Meinung gesagt, wie das in einer leidenschaftlichen Beziehung eben so ist, und sein muss. Aber ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie diesen Weg mit mir so lange gegangen sind, und ich glaube sie sind mir auch dankbar, dass sie all das erleben durften. Wir blicken zurück auf 6 verrückte Jahre, in denen wir so viel erlebt haben wie manch anderer in seinem ganzen Leben nicht. Das schweißt natürlich zusammen. Aber im Moment bin ich wirklich froh, dass nun eine neue Ära für die Band beginnt.
Paul Seidel (WAR FROM A HARLOTS MOUTH) ist euer neuer Schlagzeuger und wird Luc ersetzen. Wie kamt ihr auf ihn?
Ich kenne Paul seit Jahren, seit der „Precambrian“ – Tour 2007, wo uns WAR FROM A HARLOTS MOUTH supported haben. Als klar wurde, dass Luc Ende des Jahres 2013 aussteigen würde, habe ich sofort an ihn gedacht. Damals zeichnete sich schon ab, dass WAR FROM A HARLOTS MOUTH gegen Ende des Jahres eine längere Auszeit nehmen würden, was ich aus verlässlicher Quelle wusste… und da habe ich dann gleich zum Hörer gegriffen und Paul ein unmoralisches Angebot gemacht. Wir haben dann im Oktober, zwischen dem USA/China/Russland- und dem Europa-Kapitel unserer „Pelagial“ – Tour einige Tage in Berlin geprobt. Da wurde schnell klar, dass das super passt. Ich freue mich drauf, mit Paul zu zocken und zu touren. Das ist nicht nur ein Ausnahmeschlagzeuger, der die Band musikalisch bereichern wird, sondern auch noch ein super Typ, der immer sein Ding gemacht hat und sehr Tourerfahren ist. Der weiß genau, worauf er sich da einlässt, und wir auch.
Gibt es schon aussichtsreiche Kandidaten für die Position an der Gitarre, oder seid ihr noch am Suchen?
Unser neuer Gitarrist heißt Damian Murdoch, ist Australier, lebt gegenwärtig in Wien, wo er als Gitarrenlehrer arbeitet und mit seiner Blues Band auftritt, dem DAMIAN MURDOCH TRIO. Damian ist ein unfassbar guter Gitarrist, ein seltenes Talent. Ich freue mich schon drauf, mit ihm Musik zu schreiben. Er hatte sich bei THE DILLINGER ESCAPE PLAN beworden, als Jeff Tuttle ausgestiegen ist, und als ich sein Audition Video gesehen habe, bin ich hellhörig geworden. Ich hab ihm dann Tabs für 2 „Pelagial“ Songs geschickt, und keine 24 Stunden später hatte ich eine Mail mit links zu Videos in meiner Mailbox, wo er diese Songs zockt. Das war perfekt, und so haben wir ihn dann nach Berlin zum Proben eingeladen – einen Tag nach Ende unserer Mammut-Europatour, wo wir 33 Shows an 33 Tagen gespielt haben. Das war hart für uns, weil das letzte was Du tun willst, wenn Du von einer solchen Tour nach Hause kommst, ist gleich am nächsten Tag wieder zu proben, haha… aber das war halt das einzige Zeitfenster, wo wir alle konnten. Es war dann nach 2 Durchläufen des Albums klar, dass das musikalisch passt wie die Faust aufs Auge, und auf unserer anschließenden „Collective Oblivion“ DVD Release Party in einem Kino in Friedrichshain haben wir uns dann alle gemeinsam mächtig abgesägt: Chris, Luc, Jona, Loic, Paul, Damian, Alex und Lukas (die DVD-Produzenten) und ich und noch viele Freunde und Bekannte, bis 8 Uhr morgens, und da war dann auch klar, dass das menschlich sehr gut funktioniert.
Was steht sonst noch in nächster Zeit bei THE OCEAN an?
Wir spielen eine 10-tägige Headliner Tour mit DER WEG EINER FREIHEIT im Februar, nur Deutschland und alles eher kleinere Städte, wo wir lange nicht oder sogar noch nie gewesen sind. K.I.Z. haben das mal die „Reste ficken Tour“ genannt 🙂 Anschließend headlinen wir die USA im März mit SCALE THE SUMMIT ums South By Southwest herum, und ansonsten werden wir es 2014 etwas ruhiger angehen lassen… 2013 waren wir 7 Monate auf Tour, wir sind alte Männer, wir müssen mal einen Gang zurückschalten. Australien steht aber wieder an und Skandinavien im Herbst und natürlich Sommerfestivals…
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Danke für Euren Support, man sieht sich im Februar! Hier die Dates:
21.02. Leipzig – Conne Island
22.02. Potsdam – Waschhaus
23.02. Braunschweig – Hansa Kultur Club
24.02. Wiesbaden – Schlachthof (Räucherkammer)
25.02. Aschaffenburg – Colos Saal
26.02. Augsburg – Kantine
27.02. Bochum – Matrix
28.02. Rostock – Mau Club
01.03. Osnabrück – Kleine Freiheit
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Stile | Experimental, Post-Metal |
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