The Man-Eating Tree
Interview mit Tuomas Tuominen

Interview

The Man-Eating Tree

Wenn Musiker aus SENTENCED, FALL OF THE LEAFE und POISONBLACK sich zusammentun, springt einem das Wort „Erfolgsgarantie“ schon von selbst vor’s Auto. Und tatsächlich entpuppten sich die Nord-Süd-Finnen auf ihrem Debüt „Vine“ als absolute Meister ihres Fachs, denn schöner hat man wohl melancholischen, atmosphärischen Metal zuletzt nicht gehört. Nach so einem überzeugenden Auftakt und absolvierter Tour war ein Interview längst überfällig, und so bin ich mit Sänger Tuomas in medias res gegangen…

Hallo Tuomas! Viele Bands produzieren klischeetriefende und vor Stereotypen nur so strotzende Alben, aber gerade in Finnland scheinen überdurchschnittlich viele Bands zuhause zu sein, die die Meisterschaft von melancholischer Intensität und tiefgründiger, emotionaler Musik so beherrschen, wie ihr es auch auf „Vine“ demonstriert. Seit der Veröffentlichung sind einige Monate ins Land gezogen – ist das schon genug Abstand, um das eigene Werk aus einer neutraleren Perspektive zu betrachten?

Noch nicht ganz. Es ist auf jeden Fall leichter, bestimmte Details und Sichtweisen neu zu ergründen, die an uns herangetragen werden. Aber was das große Ganze betrifft, so ist der Entstehungsprozess des Albums noch viel zu deutlich im Rückspiegel zu sehen, als das wir uns wirklich wie unvoreingenomme Hörer fühlen könnten.

„Vine“ wurde 2010 auf jeden Fall von den Kritikern sehr gut aufgenommen, und auch das Publikum scheint in gewisser Weise froh zu sein, dass ihr eine lange wahrgenommene Lücke füllt. Gibt es Reaktionen auf das Album, die euch besonders überrascht haben?

Um ganz ehrlich zu sein bin ich ein bisschen allergisch, oder auch einfach nur zu sensibel oder introvertiert, um wirklich ein Auge auf die öffentliche Wahrnehmung zu halten, sei es in Rezensionen, Foren oder Ähnlichem. Natürlich bin ich sehr glücklich über all die positiven Worte, die ich gehört und gelesen habe, dass es Menschen gibt, die erkannt haben, wer wir sind und wofür wir als Musiker stehen. Wie wir und „Vine“ empfangen wurden, das erfüllt mich wirklich mit Stolz.

Verglichen mit FALL OF THE LEAFE, ein ähnliches Kaliber wie ihr, klingen eure Arrangements auf „Vine“ gediegener, die Songs sind kürzer, ebenso die Texte. THE MAN-EATING TREE scheinen songorientierter zu Werke zu gehen. Was hat euch zu diesen traurigen Kompositionen bewogen? Was ist euch beim Komponieren wichtiger: eine spezielle Stimmungslage oder die richtige, inspirierende Umgebung?

Wie bei FALL OF THE LEAFE fällt das meiste der Kompositionen auf zwei Personen zurück. Während die meisten Stücke bei FALL OF THE LEAFE von Jussi Hänninen, und die meisten Texte und Gesangsarrangements von mir geschrieben wurden, ist die Arbeitsteilung jetzt ähnlich: Janne Markus (git) schreibt den Großteil der Musik und meine Aufgabe sind wiederum Texte und Gesang. Wir sind beide mit Hingabe dabei, sehr produktiv und lieben beide unsere Musik, die wir so behandeln, als wären es die eigenen Kinder. Janne hat vor allem am Anfang sehr präzise Vorstellungen davon, wie sich ein Song gestaltet. Es gibt allerdings keine spezielle Stimmung oder einen bestimmten Schreibmodus, vielmehr ist die musikalische Kreativität sozusagen schon bei uns eingebaut. Es kann der schönste Tag in einem Feld voller Sonnenblumen sein und trotzdem als Inspiration für melancholische Melodien dienen, wie ein frostig-finsterem Wintertag, an dem deine Karre nicht anspringt.

Wie sieht es mit musikalischen Inspirationen aus? Ihr stammt aus namhaften Bands wie FALL OF THE LEAFE, SENTENCED und POISONBLACK – bezieht ihr daher auch Einflüsse für THE MAN-EATING TREE?

Natürlich, denn keiner von uns lebt in einem musikalischen Vakuum. Die Dinge, die wir gestern getan haben, Musik, die wir heute hören, und die Träume und Ängste vor dem morgigen Tag – all das findet seinen Weg in die Musik, die wir schreiben, und zwar hier und jetzt. Lass es eine spezielle Art des musikalischen Denkens sein, eine gewisse Art zu spielen oder ein lyrisches Thema, welches hin- und herfliegt. Wir sind alle lebende Seelen, mit all unseren Stärken und Schwächen.

Dein Gesangsstil ist ziemlich einzigartig, sehr emotional, verzweifelt, leidend aber auch gleichzeitig euphorisch, ohne sich Klischees zu bedienen. Viele deiner Kollegen können das nicht. Mal ehrlich, was geben sie Dir, um das hinzukriegen – deutschen Schlager und vegetarische Kost?

Nun, als der einzige Südfinnländer in der Band besteht meine Kost vor allem aus der seltsamen Melancholie der Nordfraktion, und ihrer generell düstereren Gedankenwelt. Vermutlich wirke ich auf sie in ähnlicher Weise, nur halt umgekehrt. Jedenfalls hoffe ich das. Ich ertrinke in ihrer kalten Finsternis und sie ersticken durch den kleinsten Schimmer an Hoffnung, die wie Pflanzensamen in der Frühlingserde versinkt.
Ich könnte allerdings nicht erklären, warum ich nun besser oder bedeutend anders als andere Sänger bin. Ich weiß nur von mir selbst, dass mich alle möglichen Dinge sehr bewegen, Stimmungen und Atmosphären. Ich bekomme ziemlich leicht eine Gänsehaut, und manchmal fühlt es sich so an, als würde ich ständig dahin schweben, ständig durch irgendwas beeinflusst werden. In neue Musik kann ich mich mit Herz und Seele hineindenken. Die weiten Wälder, die Landschaft in der ich wohne, die zahlreichen Seen, die Wildnis – all das hat eine emotionale Tiefe, die mich manchmal komplett wegreißt, bis es schmerzt.

Der Klassiker „Nights In White Satin“ von THE MOODY BLUES wurde schon tausendmal gecovert, aber gerade eure Version besticht durch ihre seltsame Perspektive, ganz auf euch zugeschnitten aber eben ohne das Gefühl für das Original zu verlieren. Warum ausgerechnet dieser Song?

Dieses Stück war das absolute Lieblingslied von Miika Tenkula [verstorbener Gitarrist von SENTENCED, Anm. d. V.]. Vesa, ein enger Freund, wusste das und hat uns deshalb diese Idee vorgetragen. Wir haben es auf einen Versuch ankommen und unser ganzes Herzblut einfliessen lassen, was man hoffentlich auch hören kann. Miika kann dieses Stück nicht mehr in dieser Welt hören, also hoffen wir, dass er es dort genießen kann, wo er sich nun befindet.

Manchmal driftet ihr in stilistische Gefilde, die sonst eher von Bands wie PORCUPINE TREE, ANATHEMA oder auch KATATONIA beackert werden. THE MAN-EATING TREE scheinen aber intellektueller vorzugehen, vielseitiger und melancholischer. Ihr scheint nicht zu leiden, weil es so schön ist – ihr teilt den Seelenschmerz. Wie siehst Du das?

Damit sind wir auf einer sehr persönlichen Ebene, mit persönlichen Vorlieben und Geschmäckern. Was für den einen eine Gabe, ist für den anderen ein Schwachpunkt. Dein Kommentar über den geteilten Schmerz trifft es wirklich gut, wobei das meiner Meinung nach auch noch verbesserungswürdig bei uns ist. Und ich bin mir sicher, dass wir das auch auf einem neuen Album schaffen werden.

Ihr beschreibt eure Musik selbst als „atmospheric metal music“. Ich gehe mal davon aus, dass ihr von den gängigen Genrebezeichnungen nicht viel haltet, oder? Teilweise werdet ihr ja unter „Progressive“ oder auch „Gothic“ eingeordnet.

Mit den Genres ist das so eine Sache, vor allem, wenn man sich ihnen als Band, sozusagen von innen heraus, nähert. Es liegt ansich immer im Auge des jeweiligen Betrachters. Für mich bedeutet z.B. „Gothic“ sofort die SISTERS OF MERCY, THE MISSION und FIELDS OF THE NEPHILIM, von denen ich ein großer Fan bin – aber THE MAN-EATING TREE spielen da in einer ganz anderen stilistischen Liga. Ich denke auch, dass selbst „atmospheric metal“ als Begriff schon fast zu schmal ist. Ich stehe für das Verständnis, dass dies alles Rockmusik ist, ohne Einschränkungen, ohne sichtbare Grenzen. Es ist eine große, weite Landschaft, egal ob nun schon erschlossen oder nicht, frei für jeden verfügbar, der sie erforschen möchte.

Habt ihr eigentlich eine klassische Musikausbildung genossen? Die Kompositionen und Arrangements auf „Vine“ lassen dies jedenfalls vermuten. Und ist es eigentlich wahr, dass in deinem Heimatland musikalische Ausbildung wesentlich ernsthafter betrieben wird, als im Rest von Europa?

So weit ich weiß, hat niemand aus der Band eine derartige Ausbildung hinter sich, vor allem keine klassische. Ich habe vor vielen Jahren etwa zwei oder drei Gesangsstunden gehabt, habe dann aber darauf verzichtet, weil mein damaliger Gesangslehrer ganz andere Vorstellungen hatte als ich. Konsequenterweise bin ich dann Autodidakt geworden, und so ähnlich wird es wohl bei den meisten meiner Bandkollegen gelaufen sein. Ausprobieren und lernen. Es ist immer wieder eine Freude, mit meinen Mitstreitern zu spielen, wir sind ein gutes Team. Wir alle reagieren auf die jeweils anderen, keiner spielt sein Instrument nur für sich, sondern hört auf die anderen – genau das macht auch in meinen Augen den Kern von echter, lebendiger Musik aus.

Was die schulische Ausbildung betrifft, weiß ich leider nicht Bescheid, wie das im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hier läuft. Ich weiß nur, dass es wesentlich mehr Proberäume und Förderung für junge Musiker geben könnte, damit sie sich ihre Gitarre schnappen und in ihrer Freizeit noch nie dagewesene Musik fabrizieren. Das Schöne an Rockmusik ist ja, dass man nie zu alt dafür wird. Man muss nicht damit aufhören, weil man irgendwann Rückenprobleme davon bekommt. Vielmehr sieht es eher so aus, dass dich jedes neue Jahr noch besser macht. Man darf nur nicht den Blick für’s Wesentliche verlieren – Rockmusik ist keine Raketenwissenschaft, und die grundlegenden Techniken kann man ziemlich schnell erlernen. Und mit diesen Fähigkeiten ausgestattet ist es dann nur noch eine Frage deines Herzens, was du damit anstellst. Vergiss deine Idole – eine eigene musikalische Seele aufzubauen erfordert Hingabe und Arbeit, Reflektionen deiner Mitmusiker. Man kann auch sagen, es ist ein stetiger Wachstumsprozess.

Wenn ich Kinder hätte, die sich für Musik interessieren, würde ich sie in den Keller schicken, damit sie dort mit ihren Freunden ein paar Mal die Woche so richtig die Sau rauslassen und jammen können. Richtig Zuhören will gelernt sein, ebenso wie man ja auch erstmal lernen muss, zu sprechen.

Eigentlich kommt jetzt eine Frage, die man auch als Aufwärmrunde hätte nutzen können: Was hat es eigentlich mit eurem Namen „The Man-Eating Tree“ auf sich? Einerseits verbirgt sich dahinter eine gewisse Komik, andererseits verspüre ich auch einen mythologischen Hintergrund.

Diesen Namen hat uns unser Gründungsmitglied Aaron Rantonen hinterlassen. Soweit ich weiß, bezog er sich damit auf die Angst vor dem Unbekannten und Neuen. Der unterschwellige Mythos und Symbolismus beruht auf alten Geschichten, die früher von Entdeckern zurück in die Heimat gebracht wurden. Menschenfressende Pflanzen, die in Wahrheit nur ausgemachter Blödsinn waren. Es schwingt aber auch etwas Apokalyptisches mit, denn im Grunde sind wir ja am Ende aller Tage nichts weiter als Futter für die Bäume.

An „Vine“ hat sich im Herbst/Winter 2010 eine Tour angeschlossen, bei der ihr auch in unseren Landen Station gemacht habt. Wie habt ihr das deutsche Publikum in Erinnerung? Möchtest Du uns vielleicht ein paar abgefahrene Geschichten erzählen?

Was auf der Tour passiert, bleibt auch dort. Aber im Ernst, die Shows in Deutschland waren nicht weniger als absolut brilliant. Frankfurt und Bochum z.B. waren einfach der Hammer, es hat Spaß gemacht, dort auf der Bühne zu stehen. Jede Stunde dieser Tour war ein Erlebnis, vor allem für mich, der ja vorher noch nie auf Tour gewesen war – für mich war es die bisher schönste Zeit meines Lebens. Natürlich war es nicht immer spaßig, aber ich war glücklich das tun zu können, was ich so sehr liebe. Für touristische Unternehmungen blieb freilich wenig Zeit. Die besten Erinnerungen hebe ich mir aber für meine Memoiren auf, die ich irgendwann millionenfach verkaufen werde.

Kürzlich wart ihr auch mit KYPCK auf Reisen, was kannst du uns davon erzählen?

Das war ebenso hervorragend, ein schönes Experiment, bei denen stille Beobachter zu aktiven Figuren wurden. Es war cool, mit guten Freunden auf diese Abenteuerreise zu gehen.

Die Festivalsaison steht vor der Tür – werdet ihr auf einigen großen Bühnen zu Gast sein? Eventuell sogar auf deutschen Bühnen?

Leider gibt es diesen Sommer keine großen Bühnen für uns. Wir nehmen uns eine Auszeit, aus Gründen, die wir erst später bekannt geben werden. Wenn uns deutsche Fans sehen wollen, dann müssten sie das mit einer Reise nach Finnland kombinieren.. und könnten ja gleich noch ein paar Sehenswürdigkeiten unseres Landes mitnehmen.

Vielen Bands wird unsinnigerweise immer die Frage gestellt, wie denn der Nachfolger des frischgebackenen Albums klingen wird. Bei euch ist der zeitliche Abstand aber schon so groß, dass ich euch sicherlich schon ein paar Infos dazu entlocken kann, oder?

Na gut, dann rücke ich jetzt schon mit den Neuigkeiten raus. Der Grund für unsere sommerliche Auszeit ist nämlich, dass wir diese herrliche Zeit damit verschwenden, das zweite Album einzuspielen. Wir werden euch auf dem Laufenden halten!

Na das hört sich ja gut an. Vielen Dank für das Interview und einen produktiven Sommer!

Peace and porno! Haltet euch von Bier und Mädels fern, und macht keine unschuldigen Hippies an!

09.05.2011
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