The Last Felony
Interview mit Sébastien "Seb" Painchaud zu "Too Many Humans"

Interview

Death-Metal-Bands schießen wie Pilze aus dem Boden und man muss schon genauer hinhören, um die Spreu vom Weizen zu trennen, sprich Qualität von Einheitsbrei unterscheiden zu können. THE LAST FELONY haben mit ihrem Album „Too Many Humans“ eines der stärksten Alben des Jahres im Todesbleibereich vorgelegt. Sie strotzen nur so vor Energie, spielerischem Können und einer sagenhaften Brutalität. Selten hat ein Album in der letzten Zeit soviel Druck gemacht wie „Too Many Humans“. Ich habe Basser Sébastien „Seb“ Painchaud, der übrigens früher bei den verblichenen Black-Fricklern UNQUINTESSENCE (kennt die noch jemand?) die Saiten bediente, Fragen zum aktuellen Album, der Szene in Kanada und zur Konkurrenz gestellt.

The Last Felony

Zunächst muss ich mal eine kleine, sinnbildliche Verbeugung ausführen, denn ihr habt mit „Too Many Humans“ ein wahrlich amtliches Brett abgeliefert. Ich habe lange nicht mehr ein so heftiges Death-Metal-Album gehört, bei dem vor allem die instrumentale Arbeit, aber auch der Druck, den die Musik wiedergibt, gleichermaßen beeindruckt.
Ich bin in der Regel äußerst kritisch mit neuen Death-Releases, da ich eher ein alter Hase diesbezüglich bin, aber immer schon technisches Spiel mochte. Ihr habt hier echt ein kleines Highlight veröffentlicht, und das ist kein pures Bauchgepinsel. Ist euch bewusst, dass ihr solch einen saftigen Braten veröffentlicht habt? Wie waren bislang die Resonanzen auf die Scheibe?

Danke, echt klasse, dass Dir das Album so gut gefällt! Bei unserer Arbeit daran hatten wir genau solche Fans wie Dich aber auch uns im Hinterkopf. Fans, die hungrig nach neuem Death Metal sind, der nicht einfach nur aufgewärmter Kram aus den 90ern ist und auch nicht diesen generischen Sound hat, den man bei vielen Bands heutzutage hört. Die Meinungen darüber sind ziemlich gemischt. Manche Leute lieben es, andere Kritiker scheinen nicht zu erkennen, worum es uns im Grunde geht. „Too Many Humans“ wurde von einigen als erstickend beschrieben, anspielend auf den konstanten Druck und die Brutalität. Genau das aber wollten wir, scheinbar ist es nur einigen Leuten etwas zuviel.

Habt ihr bereits genügend Abstand um die Scheibe bewerten zu können?

Ich habe bereits einigen Abstand gefunden. Als wir Anfang des Jahres das Master bekamen, habe ich das Teil total oft angehört. Normalerweise höre ich mir unsere eigenen Alben ein, zwei Mal an um zu prüfen, ob alles ok ist, und dann nie wieder. Aber bei „Too Many Humans“ konnte ich tatsächlich vergessen, dass das meine eigene Band ist, und sie wie ein Fan hören. Zum ersten Mal in meinem Musikerleben bin ich zu 100% sicher, dass ich diese CD sofort kaufen würde, wenn ich nicht in dieser Band wäre. Ich wäre ein genauso großer Fan davon wie Du.

Als erstes fiel mir das wirklich fantastische, harmonische Zusammenspiel der Gitarren auf, die nicht einfach nur ständig dasselbe spielen, sondern um viel Abwechslung (auch innerhalb einzelner Parts) bemüht sind. Man merkt, dass ihr euch hier richtig Gedanken gemacht habt, um die sechs Saiten interessant zu gestalten. Was ist euer Rezept beim Erstellen der Gitarrenparts? Taschenrechner oder Bauch?

Unser Sänger Joss schreibt die grundlegendsten Strukturen unserer Musik. Ich denke, was seine Kompositionen von denen Anderer unterscheidet, ist seine absolute Missachtung jeglicher Musiktheorie. Deshalb hört man bei uns stellenweise drei bis vier Gitarren, auch wenn das manchmal aus musiktheoretischer Sicht als falsch erachtet wird. Aber es funktioniert. Es ist nicht so, dass er zunächst für eine Gitarre schreibt, und dann versucht, den Rest damit harmonieren zu lassen, sondern er schreibt einfach nur einen Haufen Kram für mehrere Gitarren, die übereinandergelagert gut zusammenpassen. Ich gebe zu, manchmal ist es schon verdammt schwierig für den Bassisten herauszufinden, welcher Linie er in diesem ganzen Wust eigentlich folgen soll!

Ich habe oft das Gefühl, dass der Bass bei vielen Bands zu Unrecht missachtet wird; dabei bildet er neben dem Schlagzeug die wichtige Basis des Gesamt-Sounds. Welchen Stellenwert nimmt er bei euch ein? Gleichberechtigtes Geltungsinstrument oder wummernder Schlagzeugadjutant?

Als ich damals als erfahrenster Musiker zur Band stieß, fingen die anderen gerade damit an, ihr Instrument etwas ernster zu nehmen. In Sachen Bass teile ich die Progressive-Rock-Mentalität, dass Bass und Schlagzeug die Rhythmussektion bilden und die Gitarren darüber stehen. Für mich ist der Bass das Bindeglied zwischen Schlagzeugrhythmen und Gitarrenmelodien. Man sieht das sehr selten im Metal, da die Bassisten meistens damit beschäftigt sind, der Gitarre zu folgen, um sie schwerer klingen zu lassen, und tun aber gleichzeitig nichts für’s Schlagzeug!

Wie lange habt ihr für das Songwriting gebraucht? Seid ihr fix oder benötigt ihr eher Zeit? Sprudeln die Ideen oder wird jeder Part erstmal durch den internen Zoll geschickt?

Wir schreiben ziemlich schnell. Als wir „Aeon Of Suffering“ aufnahmen, stand bereits die Hälfte der Songs für „Too Many Humans“, und aktuell zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits die Hälfte der Songs für das kommende, dritte Album fertig. Wir haben dieses Mal mehr Zeit mit dem Feintuning der Songs verbracht, als noch bei „Aeon Of Suffering“, noch bevor wir überhaupt ins Studio gegangen sind. Wir nahmen Demos auf, überarbeiteten diese, nahmen nochmal auf und änderten hier und da kleine Details, um sie so hinzubiegen, wie wir sie haben wollten.
Joss macht also Fundament, und die ganze Band arbeitet dann auf dieser Grundlage bis zum fertigen Produkt, und genau dieser Prozess ist oftmals viel zeitaufwendiger, als die eigentliche Komposition.

Demnach habt ihr noch weitere frische, komplette Songs in der Hinterhand?

Noch bevor wir ins Studio gingen wussten wir, was wir für „Too Many Humans“ verwenden können und was wir uns für den Nachfolger aufheben. Es gab nur einen Austausch, bei dem wir einen fertigen Song zur Seite legten und dann den nahmen, der nun auf den Namen „We Are Future Housing Developments For Maggots“ hört, und eigtlich für später gedacht war.

Joss ist also quasi der kreative Kopf der Band – inwieweit beteiligt ihr euch an den Kompositionen?

Wir werfen all unsere Ideen mit ein und bearbeiten das, was er geschrieben hat. Das ist ein Prozess, der dann wohl auch die meisten Kämpfe in der Band verursacht! Joss hört es auf die eine Weise, ein anderer wird widersprechen und etwas anderes ausprobieren wollen, danach schlägt sich der Rest auf irgendeine Seite, und wir verbringen die folgende Jamsession mit der Diskussion über ein paar lumpige Noten.

Der Gesang ist ziemlich herb und brutal und unterstützt eure Musik sehr gut. Habt ihr da Hilfsmittel verwendet? Harmonizer?

Keine Effekte in diesem Sinn, aber natürlich hat die Art und Weise, wie man den Gesang aufnimmt, einen gehörigen Einfluss auf das Endresultat, denk nur an sowas wie Mikrophone, Kompressoren, etc. Unser Sänger hat ziemlich viel Gewalt und Energie in seiner Stimme, aber erst Chris Donaldson hat ihn zur Höchstleistung getrieben. Es hat auch geholfen, dass ich bei den Aufnahmen anwesend war und ständig rumgemeckert habe, wenn er einen Part nicht ganz so überzeugend hingekriegt hatte. Ich bin dafür bekannt, auch mal Ohrfeigen zu verteilen, wenn es nötig ist – das motiviert ihn prächtig, um noch angepisster zu klingen!

Ich muss allerdings auch gestehen, dass ich mir über die Gesamtdauer des Albums doch etwas mehr Besonderheiten bei den Vocals gewünscht hätte. Unterm Strich sind sie insgesamt gesehen doch sehr… hm, sagen wir mal vorsichtig „gleichförmig“; es passiert nicht viel außerordentliches. Er ist top, keine Frage, nicht falsch verstehen, jedoch bietet er nicht so viele geniale Momente wie die Musik selbst. Ein paar mehr Spielereien, wie zum Beispiel dieses „Zerstückeln“ des Gesangs bei „Too Many Humans“ (bei etwa 45Sek. Spieldauer) oder besondere Betonungen gewisser Silben etc., hätten das sicher erledigt…

Genau wie die Musik sollte auch der Gesang erbarmungslos sein. Ich bin kein großer Fan von Gesangseffekten und Joss hatte echt zu kämpfen, dass er diese kleine Spielerei, von der Du sprichst, auch auf dem Album bekam!

Aber bloß kein Weichkeksgesang in Zukunft, ja? Die Growls müssen bleiben!

Auf jeden Fall, wir sind eine Death Metal Band und haben nicht vor, demnächst zu Weichflöten zu werden! Wir werden vielleicht ein wenig mehr Variation in den Gesang reinbringen, genauso wie das nächste Album generell ein bißchen vielseitiger werden soll, aber kein Pussykram, niemals.

Ok, wenn wir schon dabei sind, möchte ich auch nochmal etwas zum Drumming loswerden. Ihr Kanadier seid einfach irre, wisst ihr das? So geiles und gleichzeitig präzises Gehämmer kommt derzeit nur aus eurem Lande! Ich finde es einfach fantastisch, dass ihr so viele schnelle Parts habt aber dabei trotzdem vielseitig klingt. Getrümmer, aber nicht eintönig; so muss das sein! Ich denke mal, ihr hattet nicht vor, Hintergrundmusik für Großmutters Teestübchen zu schreiben oder?!

Nun, solange du nicht zu dieser kaputten Familie aus „The Devil’s Rejects“ gehörst, bringst du unsere CD wohl besser nicht zum gemeinsamen Kaffeekränzchen mit! Wir haben dieses Album ausschließlich für Brutalfanatiker geschrieben, die es extrem mögen – nicht für Deine Mutter.

Während der ganz schnellen Blastparts passiert häufig, dass die Snare ein wenig im Gesamtsound verschwindet. Leider haben dieses Problem 99% aller Bands, die auf Gravityblasts und ähnliche Speed-Einheiten setzen. Denkst du, das ist generell ein technisches Problem (kann’s der Trigger nicht lösen?) oder gehört dem Knöpfchendreher auf die Finger geklopft? Wie geht ihr damit um, wie versucht ihr dieses Problem auszumerzen?

Das Problem bei der Sache ist, einen möglichst organischen Klang zu behalten. Wenn man es mit Triggern übertreibt, klingen die Blasts einfach nur noch unmenschlich. Das Schlagzeug sollte einen perfekten Sound bekommen, aber nicht so perfekt, dass es nach einer Drummachine klingt.

The Last Felony

Nun eine ganz simple Frage: Wer ist eigentlich für das Cover verantwortlich und warum habt ihr dieses Motiv gewählt?

Das Cover stammt aus der Feder von Felix Rancourt, einem Künstler aus Quebec, der auch für die letzten Cover von DESPISED ICON verantwortlich ist. Wir haben ihm erzählt, dass wir einen Planeten aus menschlichen Gesichtern haben wollen, die um den begrenzten Platz konkurrieren, ganz einfach, weil es zuviele sind. Den Rest hat er dann erledigt.

Was hat euch maßgeblich dahingehend beeinflusst, dass ihr die Musik macht, die ihr eben macht? Gibt es Bands, die dafür verantwortlich sind… Vorbilder… Einflüsse?

Jeder aus der Band hat einen anderen musikalischen Hintergrund, und jeder einen sehr differenzierten Musikgeschmack. Wenn wir im Auto sitzen, können wir uns nie einigen, was wir hören wollen, deshalb schalten wir da seit einiger Zeit lieber das Radio ein. Aber das bringt auch nichts, weil wir dann ständig den Sender wechseln… Ich mag die Rockklassiker, und einige von den Jungs mögen diese autogetunten Hits von heute.

Was sind deine derzeitigen 3 Lieblingsalben… und warum?

Ich habe in letzter Zeit ausschließlich Jazz Fusion gehört, und dabei eine Menge tolles Zeug aus den 70ern für mich entdecken können. Progressive Rock aus dieser Ära hat mir schon immer gefallen, aber nun habe ich auch sehr aufregende Alben im Jazz Fusion Bereich kennengelernt. Die drei Topbands, die mir da zur Zeit einfallen, sind NUCLEUS, MAHAVISHNU ORCHESTRA und TONY WILLIAM’S LIFETIME.

Nachdem DESPISED ICON ja bekanntlich aufgeben, CRYPTOPSY immer jahrelang für ein Album brauchen und mittlerweile musikalisch scheinbar mehr mit den jüngeren Hörern liebäugeln, könnt ihr euch ja klammheimlich an die Spitze spielen… das Zeug hättet ihr! Wie wär’s?

Das ist der Plan, und das Timing ist perfekt! Und das sind nur zwei von anderen großen Bands in der Gegend, die auch kurz vor der Auflösung stehen oder zumindest langsamer werden. Hinzu kommt, dass viele Kids langsam satt von der Deathcore-Szene sind, wo jede Band wie die anderer klingt. Wir warten schon auf sie, wenn sie sich nach was Brutalerem umschauen.

Gibt es bei euch in Kanada eine Art Konkurrenz unter den Bands oder sitzt schonmal jeder mit jedem zu Kaffee und Kuchen gemeinsam auf der Veranda?

Friedliche Koexistenz, auf jeden Fall. Wir spielen alle gemeinsam auf Shows und sind auch untereinander befreundet. Die Szene hier ist regelrecht inzestiös, viele Musiker haben noch mehrere gemeinsame Nebenprojekte laufen. Wer würde sich vorstellen, dass ich zusammen mit Steve von DESPISED ICON als Livegitarrist in einer Black Metal Band spiele?
Wir haben gerade eine kleine Tour mit unseren Kumpels von ION DISSONANCE absolviert, und da gab es keinerlei Konkurrenzdenken. Jeder half jedem und alle hatten eine verdammt gute Zeit miteinander.

Denkst du, dass es für die Art des Death Metals, den THE LAST FELONY spielen, eine bestimmte Szene gibt oder glaubst du, dass sich im Metal mittlerweile alles mit- und untereinander vermischt? Wie sind eure Erfahrungen diesbezüglich?

Was wir spielen, nennen wir immer einfach nur Death Metal. Wir sind aber auch anderen Musikrichtungen aufgeschlossen, und haben auch Spuren von Black Metal und Deathcore in unserer Musik. Ich würde auch sagen, dass meine Haupteinflüsse beim Schreiben einer Rhythmussektion aus dem Rock kommen. Unterm Strich ist und bleibt es aber Death Metal, nur dass wir eben unsere eigene Art haben, ihn zu spielen. Kein Malen-nach-Zahlen Death Metal, soviel ist sicher.

Ich hoffe doch sehr, dass wir noch einiges großartiges von THE LAST FELONY hören werden! „Too Many Humans“ ist jedenfalls die geilste Vollbedienung, die ich dieses Jahr hören durfte. Weiter so! Vielen Dank für das Interview und viel Glück für euch!

Ihr werdet auf jeden Fall noch viel von uns hören, wir haben nämlich nicht die Absicht, einfach aufzuhören. Wir könnten wir auch, wenn wir so ein tolles Feedback bekommen, wie von Dir! Danke für’s Interview!

07.09.2010

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