The Haunted
The Haunted
Interview
Ob sie es selbst so sehen oder nicht, ist quasi egal, denn es ist nicht von der Hand zu weisen, daß The Haunted der unangefochtene Anführer der modernen Thrash Metal-Bewegung sind. Angefangen hat alles nach dem Split von At The Gates mit dem selbstbetitelten Debüt im Jahre 1998. Eingesungen hat dies ein gewisser Peter Dolving, der kurz danach die Band verließ. Jetzt, pünktlich zum Viertwerk "rEVOLVEr" ist er wieder mit an Bord und stand für ein ehrliches Gespräch bereit, das sich bis zurück in seine harte Kindheit erstreckte. Trotzdem mochte er ein Wort namens "erwachsen" genauso wenig. Warum? Lest selbst!
Hi Peter! Was ist es für ein Gefühl, wieder zurück bei The Haunted zu sein? Ein wenig überrascht hat mich diese Meldung seiner Zeit ja schon. Wie kam der Kontakt wieder zustande?
Ein richtig richtig gutes Gefühl ist es. Das laß Dir gesagt sein. Während der Tour im letzten Sommer haben die Jungs heraus gefunden, daß Marco (Aro, anm. d. Verf.) die Band verlassen möchte. Wie es der Zufall so wollte habe ich mit meiner anderen Band auf ein paar Festivals gespielt, wo sich auch The Haunted rumgetrieben haben. Dort haben sie immer mal wieder gefragt, ob ich spaßeshalber einen Song mit ihnen on stage performen will. Ich hätte nie gedacht, daß sie mich danach fragen würden, wieder fest einzusteigen. Der Manager von The Haunted ist ein Freund von mir. Also nahm er die ganze Sache ein wenig in die Hand. Daß ich jetzt wieder dabei bin, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich freue mich riesig.
Warum hast du eigentlich damals nach dem selbstbetitelten Debüt die Band verlassen?
Das hatte einen ganz einfachen Grund: Ich habe eine nicht ganz so schöne Vergangenheit. Meine Eltern waren beide Alkoholiker, meine Mutter ist noch dazu psychisch schwer angeschlagen, nimmt Drogen und so weiter. Deswegen wurde ich von meiner Großmutter aufgezogen, aber auch sie war im Kopf nicht ganz richtig. Also war es für mich als Kind sehr wichtig, so schnell wie möglich zu Hause rauszukommen. Mit 15 Jahren bin ich abgehauen. Alles lief so seinen Weg und plötzlich war ich 28 und in einer Band, die sehr erfolgreich zu werden schien. Ich fühlte mich zum ersten Mal zu Hause. Trotzdem war es eine schwere Situation für mich, da ich selbst drogen- und alkoholabhängig war. Eine Scheißlage also! Deswegen mußte ich aussteigen, denn auf Tour hätte ich mein Leben nie wieder auf die Reihe gebracht. Die anderen haben das verstanden. Vielleicht hätte ich auch gar nicht abhauen müssen, aber Earache (die damalige Plattenfirma, Anm. d. Verf.) kümmern sich nicht um ihre Musiker und helfen ihnen nicht. Natürlich bin ich jetzt im Nachhinein sehr glücklich, daß ich damals die Entscheidung getroffen haben zu gehen. In der Entzugszeit habe ich meine Frau kennengelernt, die jetzt Mutter unserer zwei Kinder ist. Und ich bin wieder zurück bei The Haunted und kann mich ihnen endlich mit absolut voller Kraft und Hingabe widmen. Mit der Vergangenheit habe ich aufgeräumt.
Respekt und einen von Herzen kommenden Glückwunsch, daß du dein Leben so deichseln konntest. Andere schaffen das leider nicht. Ich finde man hört deiner gesanglichen Performance diese wieder gewonnene Freiheit auf jeden Fall an. Du klingst zwar nicht ganz so wütend, dafür aber viel gelöster und entspannter.
Ja, total! Genauso fühle ich mich auch.
Trotzdem klingst du mehr nach Hardcore als Marco.
Stimmt, unsere Stile unterscheiden sich sehr.
Glaubst du, dieser erhöhte Hardcore-Einschlag kann euch in Zeiten des MetalCore-Booms voranbringen?
Das kann ich nicht beantworten. Wir machen eigentlich das, was wir immer gemacht haben und sind kein Stück von unserer Marschroute abgewichen.
Erfreulich. Warum hat Aro The Haunted verlassen?
Ich glaube, er ist an den Punkt gekommen, wo er keine Lust mehr auf das Touren hatte. Das verstehen wir alle. Er und seine Familie haben keinen großen Freundeskreis oder eine größere Familie, die hier und da mal aushelfen können, wenn es um das Kind geht. Wenn er auf Tour war, war seine Frau auf sich allein gestellt. Weder für sie noch für das Kind eine Idealsituation.
Wie paßt dann die Meldung dazu, daß er seine alte Band Face Down reaktiviert hat?
Ja, das hat er. Aber nur als Hobbyprojekt. Das bewegt sich auf einem ganz anderen Level als die Arbeit für The Haunted.
Laß uns ein wenig über das neue Album reden. Kann es sein, daß es zuerst „Evolve“ heißen sollte?
Vielleicht! (grinst)
Es handelt sich also, wie schon beim Vorgänger „One Kill Wonder“, um ein Wortspiel. Was findet ihr an diesen Word Plays so faszinierend?
Das ist unser kranker Sinn für Humor, hehe! Unsere Musik ist sehr ernst, genauso wie unsere Herangehensweise an sie. Aber dennoch wollen wir eine verdammt gute und spaßige Zeit haben, wenn wir spielen. Es ist und bleibt Rock n‘ Roll.
„rEVOLVEr“ enthält ebenfalls einen Widerspruch.
Absolut! Der Titel beinhaltet zwei Dinge, die sich eigentlich ausschließen. Damit wollen wir die Ambivalenz in unserer Gesellschaft ausdrücken. Dabei richtet sich diese Kritik nicht nur gegen alle anderen, sondern auch gegen uns selbst. Wir leben schließlich auch in diesem kranken Umfeld, das Gewalt, Waffen und das dahinterstehende Konzept verherrlicht. Ich verbinde sehr viel mit dieser Aussage, denn meine kleine Cousine, mit der ich zusammen wie Bruder und Schwester aufgewachsen bin, wurde vor ein paar Jahren lebensgefährlich angeschossen. Daß sie überlebt hat, war ein Wunder. Sie wurde einfach von ihrem Ex-Freund über den Haufen geballert. Tiefe Narben auf ihrem Körper werden sie für immer an ihn erinnern. Das ist krank. Wenn du hörst, daß so etwas einem anderen passiert, denkst du nie, daß es auch in deinem nächsten Umfeld passieren könnte. Aber es kann schon morgen der Fall sein.
Ja, man weiß nie, was das Morgen bereit hält. Inwieweit haben deine Bandkollegen ihr Songwriting vom Debüt zu jetzt verändert. Ich würde sagen, daß euer Erstling wesentlich aggressiver und wütender direkt auf die Fresse ging.
Hmm…da würde ich nicht zustimmen. Ich persönlich finde unser neues Werk breiter, einflußreicher. Ich bin sehr stolz auf das neue Material. Es ist effizienter, leistungsfähiger.
Erwachsener?
Autsch, sag doch bitte nicht dieses Wort.
Warum?
Es ist ein furchtbares Wort. (Sein Tonfall ist mittlerweile fast traurig-verletzt.)
Für mich hat es keine negative Bedeutung. Musik kann für mich zeitgleich erwachsen und höllisch aggressiv klingen. Ich wollte damit nur sagen, daß euer Songwriting wesentlich durchdachter klingt. Die Midtempo-Parts werden effektiver eingesetzt und lassen so die schnellen Riffs doppelt einschlagen. Dazu kommen einige Rock-Einflüsse, z.B. in „Burnt To A Shell“, die es vorher bei The Haunted noch nie gegeben hat. Deswegen finde ich, daß „rEVOLVEr“ erwachsener klingt.
Hmm…ich tue mir ja schwer, aber wenn du „erwachsen“ so definierst, könnte ich dir sogar zustimmen, auch wenn es schwer fällt.
Was genau haßt du an dem Wort „erwachsen“ so sehr?
Rock Musik sollte nie und nimmer erwachsen sein. Das Wort „erwachsen“ verbinde ich mit einer Band wie den Rolling Stones. Alte Säcke, die durch die Welt reisen, den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und dabei nicht mal gute Shows abliefern. So will ich nie sein. Ich will gottverdammt rocken. Das klingt jetzt vielleicht cheesy, aber nimm mal jemanden wie Iggy Pop. Der ist um die 60 und rockt immer noch wie Hölle. Das ist cool. Andere sagen wiederum, die Stones seien mit Würde gealtert. Aber was zum Teufel ist Würde? Alt und langweilig werden? Ich denke, man kann auch altern, seinen Drive nicht verlieren und dabei noch besser werden.
Dazu paßt der Track „My Shadow“ hervorragend, denn er hört sich wie eine packendere, intensivere Weiterentwicklung von „Forensick“ vom Debüt an.
Ja, diese beiden Tracks sind irgendwie verbunden. Anders Björler kam mit der Songidee an. Eigentlich war es zuerst als Instrumental geplant. Als wir es jedoch zum ersten Mal gehört haben und dieses „Black Sabbath betreten die Hölle“-Feeling gehört haben, mußte mehr aus diesem Einfall gemacht werden. Die Lyrics entwuchsen quasi der Musik. Sehr dunkel. Very twisted.
Wie gehst du mit der Tatsache um, daß The Haunted trotz ihrer gerade mal drei Alben und dem jetzt kommenden vierten schon einen riesigen Einfluß auf andere Bands haben?
Darüber denke ich eigentlich nicht nach. Die Tatsache, daß wir andere inspirieren, ist jedoch wunderbar. Wem würde das nicht gefallen? Aber dadurch werden wir uns und das, wofür wir stehen, nicht ändern. Es hat quasi keine Wirkung auf uns. Wenn wir jedoch eine Wirkung auf andere haben, ist genau das eingetreten, weswegen eigentlich jeder anfängt, Musik zu machen.
Also seht ihr euch nicht in der Rolle des Anführers einer neuen Thrash-Bewegung?
Um Himmels Willen nein! Wir sind ganz normale Jungs, die das Glück haben, ihre Lieblingsmusik machen zu dürfen. Wir waren vielleicht eine der ersten Bands, die in den letzten Jahren den Thrash wieder ausgegraben hat, aber wir haben dieses Genre auf keinen Fall erfunden. Hey, wir selbst wurden auch beeinflußt. Wir schreiben unsere Songs im Prinzip nur, um sie live zu performen. Diese Einstellung ist in den 90ern ein wenig auf der Strecke geblieben, da viele der damals geschriebenen Sachen einfach nur bedingt bühnentauglich waren. Viele von uns haben einen Death Metal-Background. Und Death Metal kann sehr tricky sein, wie wir wissen.
Euer Gitarrist Jensen hat im Interview, das ich mit ihm zu „One Kill Wonder“ geführt habe, etwas Ähnliches gesagt. Für ihn müssen Bands auf der Bühne besser als auf CD sein.
Ja, absolut. Andersherum wird es sowohl den Musikern, als auch der Band irgendwann langweilig.
Auch wenn du das ganze Anführer-Gequatsche nicht hören willst, eines kannst du nicht abstreiten. The Haunted haben einen großen, verbindenden Charakter. Sowohl Death Metal-Heads, als auch Black Metaller und Hardcoreler stehen bei euren Gigs in der ersten Reihe.
Das ist wahr. Warum das so ist, kann ich dir nicht sagen. Vielleicht haben wir einfach Glück gehabt. Es ist wirklich unglaublich und wir sind sehr glücklich darüber. Vielleicht liegt es daran, daß wir selbst alle diese Stile hören und versteckte Einflüsse von allem einbauen. Wir sind immer noch Fans.
Was ist für Dich in einem Wort die Essenz des Metal?
Energie! Pure Energie!
Danke, Peter!
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