The Firstborn
Interview mit Bruno Fernandes zu "Lions Among Men"

Interview

The Firstborn

Die Band spielt Avantgarde Ethnic (Black) Metal, verarbeitet in ihren Texten buddhistische Themen und singt von der Erleuchtung – gut, dass THE FIRSTBORN mit „Lions Among Men“ die musikalische Erleuchtung gleich mitliefern. Jedenfalls ist das, was das portugiesische Sextett dort in Songs gepackt hat, äußerst beeindruckend. Und es lässt in jeder Hinsicht auf einen längeren Reifeprozess schließen. Klar, dass wir Sänger Bruno Fernandes im Interview erstmal kurz nach dem Werdegang der Band befragt haben.

Ich würde gerne zunächst auf die Vergangenheit der Band zu sprechen kommen. 1999 ist THE FIRSTBORN aus der Vorgängerband FIRSTBORN EVIL hervorgegangen, einer Band, die doch recht offensichtlich im Black Metal beheimatet war. Was war der Grund, diesen Schritt zu gehen, ohne sich aber komplett vom alten Namen zu lösen? Und welche stilistische und konzeptionelle Ausrichtung hattet Ihr damals im Sinn?

Als wir 1995 die Band gegründet hatte, war ich gerade mal 16, und der Altersdurchschnitt meiner Mitmusiker war nicht viel anders. Wir waren sicherlich kein erwachsener Haufen, wie Du Dir vorstellen kannst, und wir hatten auch sicherlich kein festes Ziel. Unsere vage Vorstellung war es, Musik zu erschaffen, schwer beeinflusst von den Bands, die wir uns damals angehört hatten, und ein paar Schockelemente hinzuzufügen. So sind wir auch zum Namen und zur ganzen Black-Metal-Bildsprache gekommen.

Jedoch sind wir rasch als Musiker und Personen erwachsener geworden, und der Name und diese ganze Ästhetik passte nicht länger zu uns. Als wir dann unser zweites Album aufnahmen, das schon meilenweit von unseren bescheidenen Anfängen entfernt war, haben wir die Gelegenheit genutzt, um die Ausrichtung der Band zu ändern. Die Musik hatte sich schon zu etwas weit Persönlicherem entwickelt, und die Texte hatten nichts mehr damit zu tun, was ich in den frühen Tagen geschrieben hatte, weshalb dieser Schritt in unseren Augen einfach Sinn machte.

Interessant finde ich, dass Ihr nicht den Bandnamen komplett über den Haufen geworfen habt. Für wen oder was steht THE FIRSTBORN?

Nun, ich mochte eigentlich immer diesen Teil unseres Bandnamens, sogar damals… Das mit dem „evil“ war ein bisschen übertrieben. Aber FIRSTBORN war ein unübliches Wort mit einer Menge möglicher Bedeutungen, und diese unklare Bestimmung ist einer der Hauptaspekte, die ich bei dem Namen liebe. Es ist nichts, was du sofort mit einem bestimmten Musikgenre verbinden würdest. Das war für uns großartig, weil es uns die Freiheit einräumte, unsere musikalische Ausrichtung und textliche Botschaft zu weiterzuentwickeln. Selbst jetzt, wo unser Konzept Aspekte der buddhistischen Philosophie umfasst, passt der Name hervorragend zu dieser Ausrichtung… Beispielsweise war Siddhartha, der erste Buddha, der Erstgeborene von Königin Mahamaya.

Ich persönlich bevorzuge die Interpretation als erste Stufe der Zyklen von Samsara (das endlose Rad von Tod und Wiedergeburt in der buddhistischen Tradition), wo wir nicht wiedergeboren werden, sondern erstgeboren – genauso fühlte ich mich, als ich das erste Mal etwas über den Buddhismus las, wie ein kleines Kind mit strahlenden Augen, dem eine völlig neue Welt aufgezeigt wurde. Oder besser, dieselbe Welt, aber aus einer völlig neuen, radikal anderen Perspektive gezeigt.

Dann würde ich gerne erstmal bei dem textlichen Konzept bleiben, das – wie Du sagtest – buddhistische Themen umfasst, und „Lions Among Men“ macht da keine Ausnahme. Auf Eurer Bandcamp-Seite heißt es dazu, „Lions Among Men“ sei „a sonic voyage of abandonment and detachment from the material world“. Kannst Du für jemanden wie mich, der nicht so bewandert in buddhistischen Themen ist, eine Einführung in die Texte geben?

Nun, die Texte und das Bandkonzept waren ja immer eine Sache, die die Leute neugierig gemacht hat, und ich habe versucht, die Botschaft so weit wie möglich zu vereinfachen, dass sie leichter zu verstehen ist. Aber ich glaube, auf den vorhergehenden Alben habe ich die Leute damit ein Stück weit überfordert. Vor allen Dingen auf „The Unclenching Of Fists“ habe ich diese ganze „exotische“ Nomenklatur ein wenig zu exzessiv gebraucht, weil ich noch ein Neuling in dieser ganzen Philosophie war. Ich habe sogar einzelne Passagen in Tibetisch gesungen. Das war zwar ein interessanter, aber auch sehr hermetischer Ansatz, den ich bei „The Noble Search“ aufbrechen wollte, indem ich Liner Notes zu Kontext und Bedeutung geschrieben habe.

Trotzdem denke ich, dass es im Sinne der Textbotschaft am effektivsten ist, sich von allen Vorstellungen zu lösen. Ich habe mich bemüht, die Texte diesmal sehr direkt zu gestalten, natürlich innerhalb der poetischen Beschränkungen.

Die Texte handeln vom Prozess der Erleuchtung und den verschiedenen Wegen, diese zu erreichen. Es gibt so viele Wege, wie es Individuen gibt. Das ist in meinen Augen eine wundervolle Sache bei der buddhistischen Philosophie – es gibt keine absoluten Wahrheiten.
Vor allen Dingen in der westlichen Welt ist die Loslösung von der materiellen Welt sehr schwer zu erreichen: Unser ganzes Leben ist davon bestimmt, was wir kaufen oder was wir uns nicht leisten können, und das führt zu einem sehr oberflächlichen Dasein, eines, das von fortwährender Frustration und mangelnder Befriedigung geprägt ist. Um wirklich zufrieden zu sein, muss man lernen, wie man nicht länger nach materiellen Besitztümern sterbt, weil sie im Grunde nur Anker sind, die uns in die Tiefe ziehen und unglücklich machen.

Was hat es mit dem Titel „Lions Among Men“ auf sich?

In der buddhistischen Tradition sind die „Lions Among Men“ die bodhisattvas, also diejenigen, die auf dem Weg sind, Buddha zu werden, also erleuchtet. Ich denke, jeder hat das Zeug, ein Löwe unter Menschen zu sein, wenn wir lernen, echtes Glück und Zufriedenheit zu erreichen anstatt stetig den Dingen nachzusehnen, die wir nicht erreichen können.

Selbst wenn du Buddhismus als sinnloses New-Age-Geplänkel abtust, kann man doch nicht bestreiten, dass wir alle die Fähigkeit haben, bessere Menschen zu werden. Meiner Meinung nach kann ein Teil des Konzepts der „Erleuchtung“ einfach übersetzt werden in „die bestmögliche Person zu werden, alle Mängel und Fehler überwindend, vor allem aber alles Leben als Teil eines sehr empfindlichen Gleichgewichts respektierend“. Wenn du das erreichst, bist du in meinen Augen wahrhaft ein „Löwe unter Menschen“.

Ich nehme an, das Coverartwork zeigt nicht bloß ein Ornament – was ist auf dem Cover zu sehen?

Es zeigt als Bezug auf die eröffnenden Verse des Albums (und des Songs) „Lions Among Men“ eine sehr stilisierte goldene Lotusblume. Da heißt es:

„Sitting atop a lotus pedestal,
The body is the colour of gold.
A splendour which is peerless,
Shining around a hundred worlds.“

Es könnte allerdings auch eine Vajra sein – oder irgend etwas anderes. Wir wollten das Artwork sehr einfach und stilisiert halten, um Raum für Interpretationen zu lassen. Das gilt eigentlich auch für meine Texte. Wir predigen den Leuten keine Botschaften, wir möchten lieber ein Funke für ihre eigenen Gedanken und Überlegungen sein.

Dann lass uns mal auf die Musik selbst zu sprechen kommen. Euer Stil hat sich von Album zu Album immer weiter entwickelt. Interessant ist in diesem Kontext, dass Euer Gitarrist Nuno Gervásio diesmal viel mehr in die Kompositionen und Arrangements eingebunden zu sein scheint. Ist das Songwriting jetzt mehr Teamwork als zuvor? Und wie komponiert Ihr die Musik?

Ja, das mit Nuno ist richtig. Bei „The Noble Search“ war ich gezwungen, das Songwriting mehr oder weniger selbst zu übernehmen, da unser ehemaliger Gitarrist und damaliger Hauptsongwriter Paulo Vieira seine Motivation verlor, für THE FIRSTBORN zu komponieren. Damals habe ich mir sogar selbst zum ersten Mal eine Gitarre umgehängt, um Teile der Musik zu schreiben. Diesmal habe ich also das erste Mal mit Nuno zusammengearbeitet. In einem zweiten Schritt kam dann die ganze Band dazu.

Für mich war das perfekt, da ich jetzt jemanden hatte, der meine Ideen reflektieren und verbessern konnte, aber auch eigene Ideen mit einbrachte. Wir haben ein paar Monate richtig hart gearbeitet, was sich aber letztlich ausgezahlt hat. Nuno ist ein sehr begabter Musiker, der unsere Ideen sehr viel besser ausarbeiten kann, als ich das jemals könnte. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase lagen wir auf derselben Wellenlänge, und mit dem Ergebnis sind wir ungemein zufrieden.

Beim Komponieren beginnen wir üblicherweise damit, ein Motiv oder eine Stimmung zu einem Song zu finden, das auf dem Text aufbaut. Dann versuchen wir, um dies herum eine Hauptmelodie zu entwickeln, die in einem musikalischen Sinn die Botschaft der Texte zu vermitteln. Und dann gehen wir weiter zum kompletten Song. Die Arrangements sind ein sehr wichtiger Teil unseres Sounds, und wir verwenden darauf einen großen Teil der Arbeit. Anfangs fügen wir Schicht um Schicht die Gitarrenleads, Synthies, Samples, den Gesang, die Percussionelemente und die Sitar hinzu… später entfernen wir wieder die überflüssigen Schichten, was häufig ein schmerzhafter Prozess ist. Das machen wir entweder während der Vorproduktion oder erst im Aufnahmestudio. Wenn es etwas gibt, wo wir Lehrgeld bezahlen mussten, dann war es beim Mix: Wenn etwas zu schwer abzumischen ist, ist es vielleicht nicht wert, überhaupt abgemischt zu werden.

Du hast sie schon erwähnt: Eine große Rolle in Eurem Bandsound spielt die Sitar, und Euer Sitarspieler Luís Simões hat jetzt den Status als vollwertiges Bandmitglied. Habt Ihr bereits beim Songwriting den Sitarklang im Hinterkopf, oder lasst Ihr da Luís freie Hand?

Bislang war es so, dass wir die Sitar erst im Studio hinzugefügt hatten, außer vielleicht mal bei einer bestimmten Passage, die wir Luís schon während des Songwritingprozesses vorgespielt haben, so nach dem Motto: „Hier ist die Melodie, mach mal was draus…“ Meistens war es selbst für uns eine Überraschung, wenn wir dann im Studio waren. Natürlich gab es da auch interessante Ergebnisse, aber diesmal haben wir Luís in den Schreibprozess und in die Vorproduktion viel mehr eingebunden. Dadurch konnten wir neue Ideen reifen lassen, und generell ist die Sitar dadurch nicht mehr ein nur hinzugefügtes Instrument, sondern ein wesentlicher Bestandteil unseres Bandsounds.

Luís ist ein großartiger Musiker mit einem sehr breitgefächerten Background. Er hat früher schon Metal gespielt und hat jetzt sein eigenes Projekt SATURNIA, das mehr in die Psychedelic/Ambient-Ecke geht. Hauptsächlich ist er aber mit BLASTED MECHANISM beschäftigt, ein sehr bekannter Name hier in Portugal, der schon fast zum „Mainstream“ gehört. Sein Input ist frisch und kommt häufig aus einer anderen Richtung als unserer, weswegen er nicht nur für seinen Part, sondern insgesamt sehr viel beiträgt.

Ihr seid jetzt schon seit einem guten Dutzend Jahren aktiv. Wie würdest Du Euren Status in der portugiesischen Metal- bzw. Musikszene umreißen? Habt Ihr dort eine solide Fanschicht, die zu Euren Konzerten kommt?

Es war ein steiniger Weg, aber wir haben uns sicherlich einen gewissen Status erarbeitet, auch wenn wir natürlich immer noch von Underground reden. Die Leute respektieren unsere Arbeit, und es gibt immer etwas Neugierde in Hinblick auf unsere Alben und Konzerte, aber ich würde nicht so weit gehen, uns als bekannte Band zu bezeichnen. Wir haben Fans, die zu unseren Konzerten kommen, und das ist natürlich um so schöner in Zeiten, wo die Fans von der schieren Anzahl der Konzerte übersättigt sind. Wir wollen deshalb auch nicht zu häufig auftreten, damit das Angebot nicht die Nachfrage übertrifft.

Generell ist Portugal aber für eine Metalband ein etwas schwieriges Land, vor allem, wenn Du den Leuten nichts aufzwingen möchtest. Der Markt ist sehr klein, und die Einstellung der Leute kommt mir manchmal auch etwas kleinkariert vor. Beispielsweise war es so, dass wir erst vom einheimischen Publikum wahrgenommen wurden, nachdem wir im Ausland positive Reaktionen einfahren konnten, bei Magazinen oder wichtigen Webzines, wie metal.de. Das ist zwar ein bisschen frustrierend, aber so laufen halt die Dinge, und damit müssen wir uns arrangieren.

Wie sieht es in nächster Zeit mit Liveshows aus, vielleicht sogar in unserer Nähe?

Nun, zum Auftakt spielen wir unsere neuen Songs das allererste Mal auf dem SWR XV Barroselas Metalfest, hier in Portugal. Wir spielen dort bereits das vierte Mal, und das Festival ist zusammen mit der Band immer größer geworden, weswegen es für uns ein spezieller Auftritt werden wird. Sonst ist im Moment aber noch nichts geplant. Wir arbeiten aber mit unserer Agentur zusammen, Comfy Chair, um ein paar ausgesuchte Konzerte in ganz Europa zu spielen.

Wenn also jemand der Leser als Promoter arbeitet oder ein Festival organisiert, kann er uns bei Interesse einfach anmailen: comfychair@live.co.uk

Dann hoffe ich mal, Euch irgendwann live erleben zu können. Danke für das Interview – die letzten Worte überlasse ich gerne Dir.

Vielen herzlichen Dank für das Interesse an unserer Musik! Statt abschließender Worte möchte ich jeden Leser auf unsere Bandcamp-Seite einladen. Dort kann jeder in unsere Musik reinhören oder sie runterladen – den Preis dafür bestimmt jeder selbst. Ihr könnt sie also für lau bekommen oder aber mit der Zahlung die Band unterstützen.

„As trees bear fruit, may these words bear the fruit of a good karma.“

07.04.2012

- Dreaming in Red -

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