The Devil's Blood
The Devil's Blood
Interview
Keine Band hat wohl seit dem letzten Jahr einen vergleichbaren Start hingelegt, wie die vier Mannen und Frau von THE DEVIL’S BLOOD. Was mit "The Graveyard Shuffle" schon äußerst vielversprechend klang und die allgemeinen Erwartungen mit dem Mini-Album "Come, Reap" noch übertroffen wurden, soll nun das kommende Debüt-Album "The Time Of No Time Evermore" das definitive Können der Band zu Beweis stellen. Ob es nach Meinung von Komponist und Gitarrist S.L. gelungen ist, was sich hinter dem Titel verbirgt, was sich seit dem raketenhaften Aufstieg und vielen Auftritten in den Köpfen der Band getan hat und was Sehnsucht und Freiheit mit Chaos zu tun hat, wurde in einem 20-minütigem Gespräch nach der Listening Session im Hamburger "Ballroom" versucht zu ergründen.
Hey Selim, erste Frage: der Titel eures Debüt-Albums ist „The Time Of No Time Evermore“. Eigentlich wurde euer Debüt ja anfangs mit „Horror Soul“ bekannt gegeben…
Nein, war es nicht. Es ist eigentlich ziemlich merkwürdig, denn „Horror Soul“ war der imaginäre Stil und ich dachte, dass das ziemlich gut zur Beschreibung unserer Musik passt. Seelenvolle Musik behandelt die erschreckende Seite des Lebens und des Todes, also wird es zur „Horror Soul“. Ein Magazin, ich weiß nicht mehr, welches Magazin, hat das übernommen und gesagt: „Oh, das wird der Titel von dem Album sein“. Sie haben mich nie gefragt und ich habe ihnen nie widersprochen. Also dachte ich mir: „Druckt, was immer ihr wollt.“, weißt du? Aber es war nie beabsichtigt, dass es der Albumtitel wird. Sobald die Songs zusammen kamen, bemerkte ich, dass es nur einen Titel geben könnte und der war: „The Time Of No Time Evermore“.
Kann es als Konzeptalbum angesehen werden?
Ich denke, es kann, obwohl es keine definitive Geschichte gibt, die erzählt wird. Ich denke, es gibt ein fortlaufendes Thema in den Songs, das auf eine Art die Suche nach Freiheit, die Suche nach Unabhängigkeit ist und die Frage, die philosophische Frage, was Freiheit und was Unabhängigkeit ist und ob diese Zustände in unserer Welt existieren. Ist es überhaupt möglich, jegliche Art der Freiheit in einer Welt zu erlangen, die von den Gesetze der Physik und solchen Dingen beherrscht wird? Diese philosophische Reise führt am Ende zu dem Anti-Kosmos, denn das ist der Ort, in dem die wahre Freiheit überhaupt existieren kann. In dem Unsein des Allseins, die totale Freiheit in jeder Form der Energie, um das zu sein, was immer es sein will. Und ich denke, dass das zugrunde liegende Thema in den meisten Songs, möglicherweise in allen Songs, die Suche danach ist. Und einige Songs behandeln das auf einer sehr persönlichen Ebene, wenn du dir die Texte beiläufig betrachtest. Sie werden dir vorkommen wie sehr persönliche Songs – über Liebe, über Dekadenz, über Begierde, über blinde Obsession. Aber wenn du tiefer in diese Texte blickst, wird ein Muster entstehen. Das habe ich versucht. Auf eine Art habe ich versucht, die Worte so simpel zu halten, wie ich konnte, um verschiedenen Leute zu ermöglichen, verschiedene Wahrheiten zu finden.
Und was drückt der Titel für dich persönlich aus?
Eigentlich wörtlich, was er sagt. „The Time Of No Time Evermore“ ist ein Zustand, in dem die Zeitlosigkeit selbst die einzige Essenz wird. Es gibt keine Dauer, nur noch Sein. Also auf eine Art ein Weg, die Existenz zu betrachten ohne zu existieren. Es ist schwierig darüber in sehr großen Details zu sprechen, denn ich möchte nicht das stören, was andere Leute dabei finden mögen. Ihnen zu viel Einsicht zu geben in das, was du tust, würde ein Dogma entstehen lassen. Und wir möchten absolut verhindern, ein Dogma zu kreieren. Das wäre es eigentlich.
Okay, dann lag ich ja mal gar nicht so falsch mit meinem ersten Eindruck, dass es wirklich leidenschaftlich und zeitlos ist – exakt die Zeitlosigkeit, die du erwähntest.
Musik ist möglicherweise der purste Ausdruck von Leidenschaft, der vorstellbar ist. Musik ist die älteste Kunstform. Zu singen, zu schreien, Songs zu komponieren mit deinen Erfahrungen aus dem alltäglichen Leben. Das ist es möglicherweise, was uns von den Tieren unterscheidet. Fähig zu sein, Wörter zu Gefühlen auszudrücken and die Gefühle reimen zu lassen und sie synchron mit dem Rhythmus und dergleichen zu machen. Und das ist ebenso das Paradoxon, denn deine tiefsten Gefühle sind das, was am Nähesten zum Chaos ist. Um fähig zu sein, diese auszudrücken, musst du eine bestimmte Ordnung auf sie legen. Und der Fakt, dass du die Zeit („The Time“) hast, was Ordnung bedeutet, von keiner Zeit („Of No Time“), was Unordnung ist, für „immer und ewig“ („Evermore“) hast, das Unendlichkeit bedeutet. Aber Unendlichkeit kann nur in der Zeit definiert werden. Also ist es eine Sache, die du – wie bei einem Puzzle – aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kannst und du wirst nie wirklich fähig sein, die Wahrheit vollständig begründen zu können. Aber du wirst fähig sein, deine persönliche Wahrheit zu finden und das ist weitaus wichtiger. Den Grund gehen zu lassen und nur zu erfahren, was es ist – für dich.
Also würdest du sagen, dass Musik die persönlichste Kunstform ist or die wichtigste? Denn du bist auch ein Künstler. Du malst ja gern…
Ich sehe mich nicht als Künstler per se. Ich sehe mich selbst als eine Leitung, ein Kanal – wie ein Elektrizitätskabel, durch was Strom fließt. Ich sehe mich nicht als ein Künstler oder eine kreative Person. Ich sehe mich als jemand, der – aus irgendeinem Grund – fähig ist, Kreativität zu bündeln. Und ich denke, ich habe dir schon mal erzählt, dass ich zu meinem eigenen Vergnügen male. Möglicherweise, nur um zu sehen, was passiert, wenn ich bestimmte Farben verwende. Ich nehme mich nicht so wichtig in dieser Angelegenheit. Aber ich nehme mich sehr ernst, wenn es um die Musik geht. Jedoch nicht so sehr mich selbst, als vielmehr das, was daraus entstehen mag.
Der Unterschied zwischen dem Malen und der Musik ist für dich demnach, dass du deine Musik auf eine Art planst und organisierst. Aber auf der anderen Seite, lässt du dich dabei gehen. Ist das nicht ein…
Ja, es ist ein Paradoxon und ein Widerspruch. Der Fakt, das Musik, die Ideen, die auf mich eindringen und die mir gegeben werden – Worte, Melodien und Rhythmus und alles – muss kanalisiert werden in dieser mathematischen Gleichung. Um Chaos auszudrücken, musst du zuerst das Chaos in eine Ordnung bringen und dann hoffen, dass diejenigen, die sich das anhören, fähig sind, es zurück ins Chaos zu übersetzen – in wahre Emotion.
Nun, natürlich kann es etwas Anderes sein, was diejenigen fühlen, während sie zuhören. Vielleicht nicht dasselbe wie du.
Nein, aber hoffentlich.
Das ist dein Ziel?
Es ist mein Ziel, dass du überhaupt etwas fühlst.
Aber nicht etwas Bestimmtes?
Exakt. Und die meisten Menschen fühlen nichts. Die meisten Menschen sind vorspielende, täuschende Hüllen aus Fleisch, die laufen und essen und scheißen und ficken. Und sie können es den ganzen Tag tun. Und ab und an wirst du ein Individuum finden, das fähig ist für ein wenig mehr. Das sind wahrscheinlich diejenigen, für die wir das tun. Weißt du, wenn jemand die Musik anhört und denkt: „Das ist ein großartiges Rock’n’Roll-Album und ich mag es und ich werde dazu headbangen und mit meinen Freunden trinken…“ – Fein! Schön für sie! Aber um total ehrlich zu sein, ich bin eher an den 0.01% der Menschen interessiert, die dort drin etwas anderes finden. Ich meine nicht, dass sie mit mir irgendetwas teilen müssen. Es ist etwas von
ihnen – persönlich. Eine sehr persönliche Sache, die persönlich bleiben sollte. Spiritualität ist etwas, dass persönlich bleiben sollte.
Und was denkst du darüber, dass sehr viele Leute auf das stehen, für was THE DEVIL’S BLOOD steht oder für die Musik, obwohl sie zum Beispiel nicht nur auf ein Genre fokussiert sind? Denn es gibt eine Menge Leute außerhalb des Metal-Genres, die auf das stehen, was ihr macht. Hast du das erwartet?
Zuallererst, ich sehe uns überhaupt nicht als eine Heavy Metal-Band. Zweitens: mir ist es egal. Ich denke, dass ich tue, was ich tue und wir tun, was wir tun. Denn es ist ein simpler Fakt, dass wir keine andere Wahl haben. Wenn es Leute erreicht, dann erreicht es Leute, weil es etwas Wahres ist. Und wenn es das nicht tut… – nun denn, dann tut es das halt nicht. Es gibt eine gewisse, eine sehr harte Schlichtheit daran. Es interessiert uns nicht. Ich meine, wir hatten große Erfolge zu verzeichnen in einer sehr kurzen Zeit. Wir sind uns dessen bewusst und wir sind darüber glücklich. Denn es erlaubt uns, noch mehr Energie in das zu stecken, was wir machen. Aber hätten wir nicht diesen Erfolg gehabt, dann würden wir immernoch exakt dasselbe machen, was wir jetzt machen.
Und das wäre meine nächste Frage gewesen, aber du hast sie bereits beantwortet.
Wir haben keine andere Wahl! Das ist es, was wir machen.
Das ist es auch, wie ich das Album erfahren habe. Dass ihr euch nicht darum schert, was andere von euch erwarten mögen oder was sie möglicherweise darüber denken. Denn ihr macht nur euer Ding ohne jegliche Kompromisse. Und das macht es wahrscheinlich so außergewöhnlich und so unterhaltend für viele. Es ist authentisch.
Ich kann es verstehen. Wenn ich zurückblicke auf meinen Musikgeschmack und ebenso auf meinen Kunstgeschmack, waren die frühen Werke von Leuten, Bands oder Künstlern am interessantesten, als sie noch total unabhängig waren. Sobald Leute versuchen, es zu kontrollieren, versuchen es in etwas anderes zu
formen, um mehr Macht darüber zu haben und wenn diese Bands oder diese Künstler sich dem hingeben, dann sind sie tot. Es hört direkt an dieser Stelle auf. Also denke ich, dass die einzige Sache, die du machen kannst, ist, dir selbst treu zu bleiben. Glücklicherweise haben wir ein Plattenlabel, dass noch nicht mal daran denken würde, sich in das einzumischen, was wir machen. Das ist auch der Grund, wieso wir bei ihnen sind. Wenn irgendjemand also auf irgendeiner Ebene in diesem Bereich versuchen würde, uns zu etwas zu machen, was wir nicht sind, würde das das sofortige Ende der Zusammenarbeit bedeuten.
Wie ich bereits erwähnte, habe ich von Song zu Song Stimmungsschwankungen entdeckt. Es kommt mir vor wie eine Reflektion deiner eigenen Erfahrungen mit dem Album, während du in dem Schreibprozess warst. Wie hast du es erfahren?
Und selbst lange davor. Es ist ein Dokument von allem, was ich durchgemacht habe, bis zu diesem Punkt führend.
Gab es eine bestimmte Zeit, in der du angefangen hast, die Songs zu schreiben oder ist es eine Art Kollektion, seitdem du Musik machst?
Auf eine Art und Weise, ja. Denn einige der Ideen waren so lange in Stasis. Es hatte eine Menge damit zu tun, herauszufinden, wer ich bin. Was mein wahres Selbst ist. Und fähig zu sein, das herauszulassen und nicht beschämt zu sein. „No more shall I hang my head in shame.“ [bezieht sich auf den Text zu „The Anti-Kosmik Magick“ – Anm. d. V.]. Es geht darum, fähig zu sein, aufzustehen und zu sagen: „Für all meine Fehler und für all meine herrlichen Mängel: Das ist, was ich bin.“ Und die Welt wird für mich zur Seite gehen.
Also hast du die Musik zuallererst für dich gemacht, für deine eigene Entwicklung?
Nun, ich denke nicht, dass das eine angemessene Schlussfolgerung ist. Ich tue die Musik, da ich es machen muss. Ich bin, was ich bin, da ich mich dazu entschlossen habe.
Du hast mir bereits erzählt, dass es ein langer Weg war, das Album fertig zu stellen. Gab es irgendwelche Komplikationen? Kamst du zu einem Punkt, an dem du nur gesagt hast: „Oh, scheiß‘ darauf!“?
Nein, nicht wirklich das. Aber es gab eine Zeit, als ich in totaler Verzweiflung war und in einer totalen Krise steckte und das kann man auch auf dem Album hören. Die Depression und der fesselnde Drang, alles fallen zu lassen und woanders hinzugehen [leichtes Lachen] und der dekadente Weg von Erschaffung zu Selbstzerstörung. Und all diese Dinge, jede vorstellbare Emotion ist auf diesem Album auf eine Art.
Als ich „The Graveyard Shuffle“ EP kennenlernte und dann „Come, Reap“ veröffentlicht wurde, war ein großer Schritt zwischen diesen beiden Veröffentlichungen zu erkennen. Wie siehst du nun das Debüt-Album?
Es ist ein weiterer Schritt.
Aber es ist nicht der endgültige Schritt, oder? Ihr werdet euch natürlich noch weiterentwickeln und so weiter. Aber siehst du es als das Beste, das du jemals komponiert hast?
Ja.
Aber es gibt noch kein Limit? Also könnt ihr noch weiter gehen? Ich hoffe es zumindest.
Ich hoffe auch. Nun, ich sehe mich, wie ich schon sagte, nicht als Komponist. Also werde ich warten müssen und sehen, was gegeben wird. Was das Universum – oder das Anti-Universum – erwählt, mir zu liefern.
Hat sich denn etwas geändert seit eurem Erfolg und eurem Bekanntheitsgrad? Ist das Ziel, das du mit THE DEVIL’S BLOOD hattest, bereits erreicht oder hat es sich verändert?
Es ist weitergehend. Jeder Tag ist ein neuer Schritt in dieser Reise. Wenn du ein Ziel hattest und du wärst fähig zu sagen: „Ich habe mein Ziel erreicht.“, dann gäbe es keinen Grund weiterzumachen. Also denke ich, auf eine Art ja, dass ich ein Ziel mit dem Album hatte und die Zukunft ist das Nächste. Was auch immer es bringen mag. In welcher Form es auch kommen mag.
Wo siehst du die persönlichen Unterschiede zwischen „The Graveyard Shuffle“, „Come, Reap“ und dem Debüt-Album? Hast du seitdem eine Veränderung in dir selbst bemerkt?
Das ist eine gute Frage. Schwierig zu sagen. Ich weiß es nicht. Ich denke, wir verändern uns möglicherweise von Tag zu Tag. Ein Teil von mir wurde stärker. Ein Teil von mir ist gestorben. Teile von mir werden jeden Tag wiedergeboren.
Und was hält dich am Leben? Denn du sagtest ja soeben, dass Teile von dir gestorben sind und du auf eine Art und Weise auch wiedergeboren wirst.
Hhhm… was mich am Leben hält ist das Gefühl, dass ich etwas zu tun habe. Was auch immer es sein mag. Meine Reise ist noch nicht beendet.
Du kümmerst dich wahrscheinlich dann auch nicht darum, wie lange der Erfolg mit THE DEVIL’S BLOOD anhalten wird? Du wirst weiter machen ohne jegliche Kompromisse einzugehen?
Es kann sein, dass es das letzte Album sein wird, was wir machen. Es könnte sein. Wer kann das schon sagen, wer kann das wissen? Niemand weiß es.
Und wie siehst du „The Time Of No Time Evermore“ nun?
Perfekt. Auf seine eigene verdorbene kranke Weise ist es perfekt.
Reflektiert es, was du bist und für was du stehst?
Hhm, es reflektiert den Teil der Reise, in dem ich mich gerade befinde.
Okay, danke dir vielmals. Möchtest du noch etwas sagen?
Nein, ich wüsste nicht was.
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