Tempest
Politischer als je zuvor
Interview
TEMPEST haben 2022 ordentlich Staub aufgewirbelt. Mit seiner zweiten Platte „Point Of No Return“ zeigt sich das Quartett in jeglicher Hinsicht gereift und erklimmt die nächste Stufe auf der Erfolgsleiter. Das macht sich in Support-Gigs bei größeren Bands ebenso bemerkbar wie in steigender Aufmerksamkeit bei Fans und Presse. Frontmann Phillipe Piris zeigt sich im ausführlichen Gespräch zu Recht stolz auf die Errungenschaften von TEMPEST – und stellt klar, warum die Band nicht nur musikalisch reifer agiert, sondern auch politischer denn je daherkommt.
Läuft bei TEMPEST
Moin Phillipe, erstmal Glückwunsch zu eurer aktuellen Platte. Das Ding ist bockstark geworden! Wie waren die bisherigen Reaktionen?
Erstmal vielen lieben Dank für die warmen Worte! Die bisherigen Reaktionen haben tatsächlich unsere Hoffnungen bei Weitem überstiegen. Jeder ist voll des Lobes. CD der Woche bei Zephyr’s Odem, Top 5 German Thrash Metal Albums bei worshipmetal.uk, sogar Tipp des Monats in der Rubrik der Eigenproduktionen bei der letzten Ausgabe des Rock Hard Magazin. Das ist ein massives Kompliment der Presse, welches natürlich runtergeht wie Öl. Und auch die Reaktion der Fans sind gigantisch. Uns wird das Ding, für Undergroundverhältnisse, wie ich sie persönlich kenne, praktisch aus der Hand gerissen. Leute haben ihre Top 5 Songs in Spotify voll mit Songs vom Album. Bei Konzerten singen die Leute teilweise ganze Songtexte mit. Das ist einfach nur krass, und da bleibt mir natürlich nichts anderes zu sagen außer: vielen, vielen Dank! Diese Reaktionen sind mehr als alle Mühe wert, die wir investiert haben!
DIY or die!
Wie schon „When Hate Has Dominion“ erscheint „Point Of No Return“ als Eigenproduktion. Warum habt ihr euch für diesen Weg entschieden?
Wir kamen Mitte/Ende 2021 aus einer recht turbulenten Phase des Bandlebens heraus. Die Band hat sich, unter anderem, von Gründungsmitglied Marco Schaefer einvernehmlich getrennt, wir haben uns einen neuen Proberaum gesucht, die Band neu organisiert. Während der Pandemie hatten unser Schlagzeuger Gabor Franyo und ich viel Zeit im Proberaum gemeinsam verbracht, viele neue Songs geschrieben. Und irgendwie war das ein ganz schleichender Prozess, zu der Erkenntnis zu kommen, dass da jetzt mal ein neues Album kommen muss. Da wir bandtechnisch in einer sehr verletzlichen Situation waren, und nicht klar war, wohin genau die Reise geht, haben wir uns erneut für den DIY-Weg entschieden, diesmal aber unter völlig anderen Voraussetzungen.
Bei „When Hate Has Dominion“ hatten wir mit Marco als federführenden Sound-Engineer jemanden dabei, der jahrelange Erfahrungen in diesem Bereich sowie ausreichend Equipment mit an Bord hatte, diesmal hatten wir uns selbst rangetastet. Interface, Kabel, Stative, Mikrofone und so weiter bestellt, Schlagzeug bei mir zuhause aufgebaut und einfach aufgenommen. An dieser Stelle danke an meine Frau für die ewige Geduld diesbezüglich. Die Pre-Production, also das Aufnehmen, Schneiden der Spuren, Arrangement der Tracks und so weiter habe ich komplett übernommen, das Abmischen haben wir extern zu Widek gegeben, der einen Killerjob geleistet hat!
Insofern kein Label mit einem wirklich interessanten Angebot um die Ecke kommt, werden wir auch weiter die DIY-Schiene bedienen. In der heutigen Zeit kann man mit etwas Technik-Affinität und Engagement so vieles selbst organisieren und schaffen, dass man wirklich gut was reißen kann. Am Ende des Tages bin ich sehr froh und total stolz auf uns, dass wir diesen Weg gegangen sind. Wir haben bewiesen, dass man auch mit viel Fleiß, Engagement und Willen was richtig Cooles raushauen kann, haben unfassbar viele interessante Erfahrungen sammeln können, und das Ganze Erlebnis hat die Band wirklich gut zusammengeschweißt.
Auf eurem Kanal habe ich ein Lyric Video zu „Collateral Murder“ entdeckt. Warum habt ihr ausgerechnet diesen Track vorab ausgekoppelt?
Dafür gibt es viele gute Gründe. Der erste Grund ist der, dass der Song musikalisch richtig reinknallt und sich als Duftmarke für die neuen TEMPEST perfekt eignete!
Der Song handelt vom gleichnamigen WikiLeaks-Video, welches das grausame Kriegsverbrechen vom 12. Juli 2007 in Bagdad zeigt, wo mehrere Kriegsreporter von US-amerikanischen Kriegshubschraubern bombardiert wurden, weil völlig fahrlässig diese Reporter als Terroristen und die Kameras als RPGs also Raketenwerfer eingestuft wurden. Dieser Erklärung zugrundeliegend, war ein weiterer Grund für die Auswahl diesen Songs, dass ich direkt eine ungefähre Vorstellung hatte, wie das Lyric-Video aussehen sollte. Dann habe, wie immer bei uns, in mühsamer, detailverliebter DIY-Kultur das Lyric Video dazu produziert.
Ein weiterer Punkt, der sich erst im Nachhinein herausstellte, warum „Collateral Murder“ eine ziemlich gute Wahl war, ist die Tatsache, dass wir als Band in unseren Lyrics viel, viel politischer geworden sind. Ich kann mich noch an Interviews erinnern nach „When Hate Has Dominion“, als wir uns noch als unpolitisch stilisieren wollten. Im Laufe der Jahre ist aber zumindest mir, als Hauptsongwriter, klargeworden, dass man die Kunst nur schwerlich von der Person und damit von dessen politischen sowie gesamtgesellschaftlichen Erfahrungen trennen kann. „Collateral Murder“, das WikiLeaks Video und alles, was damit einherging, der perfide Umgang mit Julian Assange, die jahrelangen Folterungen von Chelsea Mannings, sind Themen, die mich schon seit Jahren beschäftigen und wütend machen. Dieser neue Umgang mit derart politisch brisanten Themen findet sich in vielen Songs des neuen Albums wieder, und deswegen steht der Song „Collateral Murder“ perfekt für TEMPEST in seiner aktuellen Form.
Bei TEMPEST herrscht Vertrauen
Werdet ihr noch mehr Videos zum Album produzieren? Vielleicht auch in Form von richtigen Musikvideos?
Ein guter und wichtiger Punkt, den du ansprichst, und einer, den ich wirklich gerne umsetzen würde. Ein richtiges Musikvideo fehlt auf jedem Fall in unserem Portfolio. Ich habe auch bereits ein paar Ideen, was man anstellen kann in der Richtung. Leider zerbrechen viele Ideen an meinem Anspruch, dass ich da keine Cringe-Veranstaltung draus machen will. Aber vielleicht muss man das auch einfach mal machen, wie beim Album! Konkret geplant ist nichts, aber wir sind uns in der Band einig, dass da eigentlich mal was passieren muss an der Front. Es bleibt spannend!
Für die Aufnahmen warst du selbst verantwortlich. Ist das manchmal schwierig, als Bandmitglied von TEMPEST auch noch die Aufsicht über den Aufnahmeprozess innezuhaben?
Ich persönlich empfand es nicht als wirklich schwer, die Rollen als Gitarrist, Sänger und Produzent voneinander zu trennen. Neben dem Gitarrespielen als solches ist es mein Hobby, Musik aufzunehmen, und ich bin ein ziemlich technik-affiner Mensch, also war es aus technischer Sicht sowieso kein Problem, diese Rolle zu besetzen.
In meiner Rolle als Produzent hatte ich das Glück, dass ich das Vertrauen der anderen Bandmitglieder hatte, das Richtige zu tun. Gabor, unser Drummer, war beispielsweise total pflegeleicht in der Hinsicht. Im Grunde genommen hat er ziemlich genau das umgesetzt, was mir für die Songs vorschwebte für die einzelnen Parts, und hat natürlich seine eigene Note dazu verpasst. Dazu muss man aber auch sagen, dass wir im Proberaum immer sehr konstruktiv zusammenarbeiten und auch ziemlich die gleiche Vision haben, was der jeweilige Song oder Part braucht. Ich kenne Gabor seit fast zehn Jahren, und weiß auch genau, welche Parts er umsetzen kann und wo seine Grenzen liegen, und respektiere diese auch beziehungsweise berücksichtige die beim Schreiben der Drum-Parts direkt mit.
Der Vorteil bei dieser Platte war, dass wir durch die Pandemie sehr viel Zeit hatten, die Songs richtig auszuarbeiten, vor allem an den Drums, was bei unserem ersten Album in der Form aus verschiedenen Gründen nicht möglich war, und ich finde, das hört man auch. Gabor hat sich wahnsinnig weiterentwickelt und hat sein Drum-Style zu einem essenziellen Teil unserer Musik gemacht. Aber ich schweife ab. Diese Ruhe und diese Vorbereitungszeit haben immens dazu beigetragen, dass ich meine Rolle als Gitarrist sauber von meiner Rolle als Produzent trennen konnte.
Kommen wir mal zum Titel der Platte. Worauf genau bezieht sich „Point Of No Return“?
Der Titel hat eine vielschichtige Bedeutung. Zum einen gibt es natürlich die offensichtliche gesellschaftliche Bedeutung des Titels, der hinterhältige russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Klimawandel, das traurige Comeback des Nationalismus, all diese Dinge drängen einem das Gefühl der Ohnmacht auf, und dass man da nicht mehr lebend rauskommt. Ursprünglich war das auch mein Leitgedanke bei diesem Titel. Allerdings handelt der Song selbst von einem persönlichen Schluss, einer Grenze, die in meinem Leben von jemandem überzogen wurde, von der es kein Zurück mehr gibt. Und dann gibt es natürlich noch die bandbezogene Interpretation, die Trennung von Marco als Gründungsmitglied und, gemeinsam mit mir, kreativer Kopf der Band, der Umzug der Band, die Neuausrichtung, das alles hatte sich sehr nach einem „Point Of No Return“ angefühlt. Und entgegen einiger Kommentare hatte es nichts mit HAVOK zu tun! Ich Eumel hatte überhaupt nicht mehr auf dem Schirm, dass es die legendäre, gleichnamige EP von HAVOK gab.
Das Cover zeigt ein Szenario von nuklearer Eskalation. War das als Querverweis auf den Zeitgeist der 80er gedacht? Wie sehr ihr damit beim Erscheinen der Platte am Puls der Zeit sein würdet, habt ihr während der Entstehung ja vermutlich nicht geahnt, oder?
Das Cover war ursprünglich einfach ein kokettes Spiel mit dem Albumtitel, und wir wollten eine coole Szenerie dazu haben, natürlich mit einer Prise Zeitgeist. Wie nahe wir einer solchen Situation wirklich kommen würden, war uns überhaupt nicht bewusst, als wir Naufal Alwy, dem Künstler des Bildes, unsere Vision für das Cover mitgeteilt haben. Das ist wirklich ein wenig gruselig, wie sehr wir auf Messers Schneide tanzen und wie nahe wir wirklich einem nuklearen Genozid sind.
TEMPEST stehen gegen nationalistische Aufstachelung
Worum geht es in „Through The Pain“? Ich persönlich musste bei dem Titel an persönliche Verluste oder auch Mental-Health-Probleme denken.
Das ist total interessant, was teilweise für Interpretationen zustande kommen, und Danke für die spezielle Erwähnung dieses Songs! Bei „Through The Pain“ hatte ich als Vision tatsächlich einen Kampfeinsatz im Sinn, wo alle Soldaten bis auf den Gruppenleiter, und zeitgleich Protagonist des Liedes, ihr Leben lassen. Mein ursprünglicher Gedanke war eher der krasse Gegensatz zu der heroisierten Darstellung des Militärs in US-amerikanischen Medien in Kontrast zu den tatsächlichen Ereignissen in solchen Kampfeinsätzen. Aber der Songtext greift letztendlich unbewusst Referenzen zu Dingen wie PTSD und Flashbacks auf, und passt somit auf ziemlich gut zu deiner Interpretation
Und was verbirgt sich hinter der „UltraNation“? Geht es darin um die steigenden nationalistischen Tendenzen in weiten Teilen der Welt?
Das ist auf jeden Fall das große Thema des Songs. Der Song entstand als Reaktion auf die massiven Spannungen zwischen Nordkorea und den USA in den späten 2010ern unter Trumps Präsidentschaft. Es gab in den USA Gerüchte und Gespräche über einen nuklearen Präventivschlag, und viele US-Amerikaner waren nationalistisch aufgestachelt und mal wieder ready for war. Aber im Zuge des Einzuges von rechtem Gesocks in das europäische Parlament, der Aufweichung der Haltung gegenüber Ultranationalisten weltweit, durch die Bank und der Normalisierung von Hassrede und rassistischer Ausgrenzung ist „UltraNation“ eine traurige Kritik an den aktuellen Zeitgeist.
Ballern muss sein!
Dann mal vielen Dank für deine Zeit. Magst du eventuell schon etwas über die Zukunftspläne von TEMPEST verraten?
Erstmal vielen Dank für deine Mühen, für das Review und dieses Interview, es hat mich sehr gefreut! TEMPEST werden in der kommenden Woche einen Supportgig für TANKARD spielen, was eine große Ehre für uns ist und sinnbildlich aufzeigt, dass wir nun das nächste Level anpeilen. Wir wollen in erster Linie so viele Gigs wie irgendwie möglich spielen, haben da auch schon einige Pläne für ein paar selbstorganisierte Dinger. Wir wollen unseren Ruf als professionelle, energetische Thrash-Metal Band weiter ausbauen, coole neue Songs schreiben, ein paar haben wir bereits geschrieben, und einfach mal schauen, was das Jahr für uns bereithält. Falls also jemand jemanden kennt, der was gigmäßig organisiert, melden! Ansonsten bleibt mir nur, diese Gelegenheit mal dreist auszunutzen, um uns bei allen Fans sowie der Presse als Gesamtes für ein fantastisches 2022 zu bedanken. Die Reaktionen auf unser Album waren wirklich grandios und herzerwärmend, der Support bei unseren Konzerten war absolut nicht zu toppen. Danke für alles, und während wir ins neue Jahr schauen, nicht vergessen zu Ballern!