Swallow The Sun
Große Emotionen in noblen Mauern

Interview

Die EP „Plague Of Butterflies“ haben SWALLOW THE SUN im Jahr 2008 veröffentlicht. Klammert man die Bonustracks aus, handelt es sich um ein knapp 35-minütiges Stück, das seinerzeit als Auftragsarbeit komponiert wurde. Konzipiert als Begleitmusik für ein Ballett, zu dem es nie kam, hat es seitdem ein Schattendasein geführt, denn komplett durchgespielt wurde es seit 2008 nicht mehr. Das Revival folgte nun gut 15 Jahre später. „Plague Of Butterflies“ durfte endlich seine Bestimmung erfüllen und wurde in Zusammenarbeit mit Ballet Finland in Helsinki aufgeführt. Schnell waren alle drei Vorstellungen ausverkauft.

Verantwortlich für die szenische Umsetzung war Choreograf Tuomas Hyvönen, der selbst auf eine Tanzkarriere in Deutschland zurückblickt und über Verwandtschaftsverhältnisse einen direkten Draht zu SWALLOW THE SUN hat. Seine Aufgabe war es, die Geschichte in Tanz zu überführen. Diese handelt von einen Eremiten, der feststellen muss, dass sein einziger Kontakt zur Außenwelt einer Seuche zum Opfer gefallen ist, die von Schmetterlingen übertragen wird.

Neben „Plague Of Butterflies“ boten die Shows im alten Opernhaus Aleksanterin Teatteri eine Aufführung von Strawinskys „The Rite“ – kurz für „The Rite Of Spring“ oder „Die Frühlingsweihe“. Außerdem spielte das Streichtrio TRIO N O X während der Umbaupause die Streicherversion von „Moonflowers“ in voller Länge. Von ihnen stammt wenig überraschend auch die Albumversion.

Unsere Gesprächspartner (v. l): Choreograf Tuomas Hyvönen und Juha Raivio (SWALLOW THE SUN)

SWALLOW-THE-SUN-Mastermind Juha Raivio sprach mit uns bereits 2008 über „Plague Of Butterflies“. In den letzten Jahren hat er aus bekannten Gründen kaum Interviews gegeben. Jetzt macht er wieder erste Schritte in die Öffentlichkeit und traf sich zusammen mit Choreograf Tuomas Hyvönen mit uns, um über die Aufführungen und die gerade erschienene Bandbiografie zu sprechen. Anders als beim finnischen Frühstücksfernsehen musste er bei uns nicht die Frage beantworten, ob SWALLOW THE SUN denn auch Kirchen anzünden.

Hi Juha, hi Tuomas! Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt. Wie sind die ersten beiden Shows gelaufen und wie war es, das Ergebnis und die Reaktionen des Publikums zu sehen?

Tuomas: Ich denke, die ersten beiden Shows waren wirklich sehr, sehr gut. Bei Livemusik, auch wenn es kein Metal ist, ist es immer so eine Sache, ob alles so sein wird, wie wir es im Studio geprobt haben. SWALLOW THE SUN spielen so gut. Ich meine, ich wusste das vorher [lacht], aber es hat so gut funktioniert. Ich denke, es war letztendlich sogar irgendwie einfach und ist kontinuierlich besser geworden, wie man bei der Show heute gesehen hat. Aus Sicht des Choreografen sehr, sehr gut.

Juha: Ich kämpfe auf der Bühne mit den Tränen, wenn ich diese unglaubliche Choreografie sehe, die Tuomas kreiert hat. Ich bin einfach so glücklich, dass sich der Kreis jetzt endlich schließt; dass wir das umsetzen können, was eigentlich geplant war. Es ist einfach perfekt.

Außenansicht des Aleksanterin Teatteri in Helsinki

„Plague Of Butterflies“ wurde geschrieben, um als Ballett aufgeführt zu werden, aber dazu kam es zuvor nie.

Juha: Ja. Sie [ein Ballett-Ensemble aus New York] haben mich um Musik gebeten und ich habe die Musik geschrieben. Sie haben die Musik geliebt, aber als es an der Zeit war, das eigentliche Ballett zu planen, sollte plötzlich unsere Plattenfirma dafür bezahlen. Die Aufführung, die Miete, die Gehälter und so weiter.

Was so vorher nicht abgesprochen war.

Juha: Nein, nein. Es hieß, wir machen das Ballett und du machst die Musik. Zumindest gemäß meiner finnischen Mentalität klingt das ziemlich eindeutig. Aber obwohl ich zu der Zeit ziemlich angepisst war, bin ich sehr glücklich, dass es passiert ist und ich gebeten wurde, die Musik zu machen. Denn jetzt sind wir hier. Ich glaube, es sollte schon immer so kommen, wie es jetzt ist. Es ist also nichts falsch daran, wie es angefangen hat.

Dann kommen wir zur aktuellen Zusammenarbeit. Warum gerade jetzt? Wie ist es dazu gekommen, wie hat sich die Kooperation entwickelt und wie war der kreative Prozess?

Tuomas: Unser Produzent [Pyry Hanski, u. a. …AND OCEANS, BEFORE THE DAWN] ist mein Cousin. Er hat sogar mit SWALLOW THE SUN gespielt, kennt sie schon lange und spielt in verschiedenen Bands. Ich glaube, wir waren im Sommerhaus meiner Familie in der Sauna, als er erwähnte, dass SWALLOW THE SUN Interesse hätten, das zu machen. Ich arbeite mit Ballet Finland, dem Ensemble, das sich um den Tanz-Part der Produktion kümmert. Außerdem höre ich SWALLOW THE SUN seit dem ersten Album. Als wir in der Sauna darüber gesprochen haben, dachte ich, ‚wow, wenn das etwas wird, wäre das fantastisch‘. Und dann hat es sich langsam weiterentwickelt.

Wir haben zuerst telefoniert und eine Weile geredet, dann hatten wir ein Treffen. Es hat auch geholfen, dass wir Kulturfördergelder bekommen haben, mit denen wir mich und den Produzenten bezahlen konnten. Außerdem hatte Ballet Finland ausreichende Ressourcen. Wir mussten also nur noch ein Datum finden, zu dem SWALLOW THE SUN spielen konnten. Der kreative Prozess war recht lang. Wir hätten eigentlich schon letztes Jahr spielen sollen, doch dann gab es Terminprobleme. Am Ende hat es sich aber gelohnt, denn so hatten wir mehr Zeit, alles gut zu durchdenken. Es ist eine Herausforderung, etwas so anderes zu machen. Ballett wird normalerweise mit klassischer Musik aufgeführt. Obwohl „Plague Of Butterflies“ als Ballett komponiert ist, ist der Sound komplett anders. Am Ende ist es aber wirklich gut geworden.

© Nils Krogell, Aleksanterin Teatteri

Wie kommt „The Rite“ ins Spiel? Wieso dieses Stück? Hat das auch etwas mit der ursprünglichen Idee zu tun?

Juha: Nein, davon wusste ich erst gar nichts. Ich bin aber super happy, dass „The Rite“ Teil der Show ist. Ich habe es angesehen und war total geplättet. Ich verstehe nicht viel von dem Tanz, finde ihn aber sehr gut. Das Stück hat mich sehr berührt. Ich kannte die Geschichte nicht, habe aber trotzdem von mir selbst aus realisiert, worum es geht. Es ist sehr einsam und düster. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, weil es für mich so psychedelisch ist. Keine der beiden Stories an diesem Abend nimmt ein gutes Ende, aber ich glaube, dass die Leute trotzdem viel Schönheit entdecken werden. Wir sind finnisch und deshalb ziemlich melancholisch. Das geht uns zu Herzen, hier oben in den kalten Breiten. Es wird auf jeden Fall etwas mit dir machen. Ich denke nicht, dass auch nur eine Person hier rausgehen wird, ohne etwas gefühlt zu haben.

Tuomas: Da stimme ich zu. Wir [Ballet Finland] haben überlegt, was wir zusammen mit „Plague Of Butterflies“ aufführen könnten. Wir fanden die Kombination sehr passend. Emre, der Choreograf von „The Rite“, hat einen Slot für sein Stück gesucht, und Strawinskys „The Rite Of Spring“ ist sehr düster. Für die, die es nicht kennen: Es geht darum, ein Mädchen zu opfern, um eine bessere Ernte zu bekommen. Das ist die Originalstory. Die Version, die wir spielen, ist natürlich eine andere Interpretation davon. Ich finde aber, sie ist fast noch düsterer und psychedelischer. Jedenfalls kam so die Kombination der Stücke zustande.

Juha: Als ich mir „The Rite“ angeschaut habe, habe ich mich fast wie in einem Albtraum gefühlt. Das klingt negativ, ich meine das aber rein positiv. Heute habe ich von jemandem gehört, dass er sich wie bei einem TOOL-Konzert gefühlt hat. Im Sinne von, ‚was passiert hier?‘ Das beschreibt es ganz gut. Wie du siehst, bin auch ich sehr gerührt von der ganzen Show. Natürlich von unserem Part, aber auch insgesamt. Ich bin sehr glücklich darüber.

© Nils Krogell, Aleksanterin Teatteri

Vorhin habt ihr über Herausforderungen gesprochen. Habt ihr da konkrete Beispiele?

Juha: Naja, von unserer Seite war die Herausforderung, dass wir diesen Song das letzte Mal 2008 komplett durchgespielt haben [lacht]. Und die Hälfte der Band waren noch andere Leute. Wir haben es dreimal zusammen geprobt und dann zwei- oder dreimal mit dem Ballett. Der Fokus lag darauf, einen 35-Minuten-Song durchzuspielen, ohne ihn zu versauen. Bisher ist es gutgegangen. Einmal spielen wir noch, zumindest vorerst.

‚Vorerst‘ klingt ja, als könnte es solche Shows prinzipiell auch mal wieder geben.

Juha: Naja, vielleicht sollte ein großes deutsches Festival, das mit einem W anfängt, einen Haufen Geld investieren, um das bei sich auf die Bühne zu bringen. Es wäre toll, das auf einem Festival zu machen. Vor allem bei einem Metalfestival, nachts, auf einer großen Bühne mit tollem Licht und großen Screens. Das wäre etwas Neues für sehr viele Leute. Aber es ist nicht die billigste Produktion.

Tuomas: Auch nicht die teuerste, aber alle Ressourcen sind aufgebraucht.

Juha: Aber es ist jeden Cent wert, so viel ist sicher.

Das TRIO N O X spielt in der Pause „Moonflowers“

Wie viele Leute sind an der Produktion beteiligt? Wie groß aufgezogen ist das alles?

Tuomas: Was die Kunstschaffenden betrifft, kenne ich die Anzahl der T-Shirts [lacht]. Also wir haben 15 Leute plus SWALLOW THE SUN. Also 20 Leute plus Technik-Crew. Das ist der „Plague Of Butterflies“-Teil. Bei „The Rite“ dann eine weitere Band mit fünf Leuten und vier Tänzer:innen, Choreograf, Kostümdesign und zwei Leuten im Setdesign. Es ist also eine recht große Produktion. Ich würde sagen, um die 40 Leute insgesamt.

Juha: Als wir das geplant haben, wusste ich nicht, ob da am Ende nur eine einzelne Lampe hängt, jemand tanzt ein bisschen und wir spielen irgendwo in der Ecke. Dann hast du [Tuomas] gesagt – das ist noch gar nicht so lange her – da kommen Bäume von der Decke und so weiter. Ich dachte mir nur, ‚waaas? Moment, vielleicht müssen wir mal proben‘ [beide lachen]. Und dann das Theater. Ich meine, schau dir das an. Das sehe ich auch an den Reaktionen der Leute. Viele sind Metalheads und schauen sich so etwas zum ersten Mal an. Ich denke, deshalb ist es für sie auch so emotional, weil es neu ist. Ich hoffe, dass es umgekehrt auch den Leuten aus der klassischen Ecke so geht.

Tuomas: Gestern war meine ehemalige Lehrerin bei der Show. Sie ist früher hier aufgetreten, denn es ist das alte Opernhaus, wo das Ballett und die Oper untergebracht waren. Sie hat gesagt, dass sie die Musik geliebt hat und von allem sehr beeindruckt war. Das war das höchste Lob. Sie war hier so etwas wie die Prima Ballerina.

Juha: Ja, es sind einige ziemlich wichtige kulturelle Persönlichkeiten eingeladen oder kommen vorbei. Es sollte definitiv einen Eindruck hinterlassen.

Nobles Venue: Innenansicht des Aleksanterin Teatteri

Gab es denn noch Überraschungen? Oder ist alles so geworden, wie ihr es euch vorgestellt habt?

Tuomas: Mich hat sehr überrascht, dass das Endprodukt so sehr dem entspricht, was ich im Kopf hatte. Ich hatte einige Ideen, die noch aus der Zeit stammen, in der ich in Deutschland als Tänzer gearbeitet habe. Diese Ideen habe ich für unser Konzept angepasst. Dann hatte ich starke Emotionen basierend auf der Musik und den Lyrics. Daraus ergab sich ein Bild, wie das Stück enden sollte. Dann hat Juha mir dieses Bild aus dem Artwork der EP gezeigt, das ich noch nicht gesehen hatte. Und es sieht genauso aus!

Juha: Das hier ist das Bild aus dem Artwork. Genau wie am Ende. Das ist einer der Parts, bei denen ich auf der Bühne die Krise kriege.

Aus dem Artwork der „Plague Of Butterflies“-EP Zum Vergleich: Aus der Ballett-Aufführung. © Nils Krogell, Aleksanterin Teatteri

Das war’s mit den Fragen zum Stück. Die letzte Frage betrifft ein weiteres großes Thema: die offizielle Biografie von SWALLOW THE SUN, geschrieben von Matti Riekki, die diese Woche veröffentlicht wurde. Kannst du uns ein wenig dazu erzählen? Du bist sonst nicht der Typ, der viel Persönliches preisgibt.

Juha: Stimmt. Ich habe die letzten sieben Jahre eigentlich keine Interviews gemacht. Außer ich wurde gezwungen. Das Buch ist sehr ehrlich. Genau wie dieser Abend hier, das Ballett und alles drumherum. Weit entfernt von dem modernen Plastik-Kram, der sich nach nichts anfühlt. Ich bin auf beides sehr stolz. Es war ein sehr schwerer Prozess, so ehrlich über das zu reden, was die Band durchgemacht hat und was die Leute in der Band durchgemacht haben. Über die Konflikte innerhalb und außerhalb der Band. Das war ein Schock für viele Leute.

Niemand hasst irgendjemanden in der Band oder so, aber SWALLOW THE SUN gibt es nun seit 23 Jahren. Viele Ehen halten nicht so lange [lacht], zumindest nicht ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Die Prämisse war, es so ehrlich wie möglich zu machen, oder gar nicht. Für mich persönlich war es sehr schwer. Zuerst habe ich nein gesagt. Auf gar keinen Fall. Denn ich wusste, was das Buch aus meinem persönlichen Leben thematisieren würde. Weil die Musik es thematisiert, seit „Songs From The North“. Von diesem Punkt an ist es sehr schwierig.

Cover der offiziellen Bandbiografie von SWALLOW THE SUN

Wie bei der Musik, die ich schreibe, weiß ich auch beim Buch nicht, ob es eher gut oder schlecht für mich ist. Ich hoffe, dass ich künftig mehr Gutes darin sehen werde, und ich glaube auch, dass es so sein wird. Aber es ist super schwer, auf die Bühne zu gehen und sich das Herz rauszureißen. Ich sehe mich selbst nicht als Künstler. Ich bin nur ein Mann aus dem Wald, aus einer Kleinstadt. Ich finde aber trotzdem, dass Kunst ein Gefühl auslösen muss, gut oder schlecht. Sonst ist es keine Kunst [lacht]. Und das Buch wird das definitiv tun, und das Ballett auch. Du wirst es fühlen. Auf eine gute oder schlechte Weise.

Vielen Dank euch beiden für eure Zeit!

Quelle: Juha Raivio, Swallow The Sun & Tuomas Hyvönen, Ballet Finland
23.01.2024

headbanging herbivore with a camera

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