Stench
Interview mit Jonathan Hultén zum neuen Album "Venture"
Interview
Welch ein Album: „Venture“, der zweite Longplayer des schwedischen Death-Metal-Trios STENCH, ist ein unheiliger Segen an Melodien, Atmosphäre und Abwechslung; ein Album, das dich am Schlafittchen packt und bis in die Träume verfolgt. Keine Frage, dass wir mit den Machern ein Interview führen mussten. Uns stand Gitarrist und Hauptsongwriter Jonathan Hultén Rede und Antwort, und der entpuppt sich als reflektierter Zeitgenosse, der sein Handeln als Musiker und Künstler durchaus ernst nimmt und gerne ausgetretene Pfade meidet. Aber lest selbst:
Zunächst einmal die offensichtlichste Frage: Du und Johannes spielt auch bei TRIBULATION – was ist der größte Unterscheid zwischen Euren beiden Bands?
Der Unterschied zwischen STENCH und TRIBULATION ist wie Tag und Nacht, sowohl was das Level der persönlichen Beziehung zueinander angeht als auch auf der musikalischen Ebene. Der zweite Unterschied wird besonders deutlich werden, wenn das nächste TRIBULATION-Album erscheint; wir haben uns in völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt. Früher war der Unterschied der, dass STENCH eine Band war, deren Mitglieder völlig unterschiedliche Ziele und Motivationen hatten, und die Atmosphäre dadurch immer etwas chaotisch und spannungsgeladen war. Bei TRIBULATION hatten wir immer schon eine eher einheitliche Vision unserer Ziele, weshalb die Stimmung wesentlich ausbalancierter ist.
„Venture“ läuft zunächst einmal unter dem großen Label ‚Death Metal‘, aber Ihr habt natürlich sehr viel weitergefasstes Spektrum an Einflüssen. Was wollt Ihr mit STENCH musikalisch erreichen?
Die kurze Antwort darauf lautet: Death Metal zu erschaffen, der genau so klingt, wie wir es wollen. Die lange Antwort: In meinen musikalischen Studien in meinem späten Teenageralter war ich völlig gefangen vom Konzept, dass Akkorde aus drei Tönen so völlig unterschiedliche Konstellationen ergeben können. Es war faszinierend zu sehen, wie einfach man einen Akkord in einen anderen verwandeln kann, indem man einfach einen dieser drei Töne ändert. Oder dass man unendlich viele Möglichkeiten hat, wenn man diese unterschiedlichen Akkorde aneinanderfügt. Oder dass man mit einem von ihnen eine Melodie spielt und die anderen folgen und ergänzen den ersten Akkord. Für mich war das absolut analog zu den typischen Instrumenten im Rock und Metal – zwei Gitarren und eine Bassgitarre. Für mich war es ein anderer Ansatz vom üblichen Gitarrenriff, dem die anderen Instrumente einfach folgen.
Das Komponieren in diesen Dreiklängen war besonders auf dem Vorgängeralbum „In Putrescence“ vorherrschend. Da aber Death Metal solch ein roher, chaotischer und teilweise auch schneller Musikstil ist, geht dieses Stilmittel fast unter, wenn man nicht weiß, wie man es perfekt einsetzt. Aber es wurde zum wichtigsten Faktor beim Songwriting für STENCH, und deshalb kommt bei uns auch immer die Musik an erster Stelle. Es ist der Wille, Death Metal mit einem fast klassisch zu bezeichnenden Ansatz zu erschaffen.
„Celebration“ und „Way“ haben diese charakteristischen Chöre, die mich ein wenig an Horrorsoundtracks aus den Sechzigern erinnern. Woher hattest Du die Inspiration zu diesen Chören?
Ich war immer schon ein großer Bewunderer und Fan von mehrstimmigen Kompositionen, wie man sie beispielsweise bei Chören oder A-Capella-Bands aus dem Folkbereich kennt. Die Soundtracks von Horrorfilmen mögen auch einen Einfluss auf meine Vorlieben haben, aber im Fall von „Venture“ nicht allzu direkt. Dass es sich letztendlich zu dem entwickelt hat, was es ist, hängt mehr mit den Stimmungen zusammen, die Ideen und Riffs erzeugen sollen, und welche Art von Gefühl das Album als Ganzes hervorrufen soll. Die Chöre sind eine ätherische Erweiterung der Songs, die alles zusammenschweißt. Und da die Chöre aus unseren eigenen Stimmen bestehen, fügt das der Musik eine intime und persönliche Dimension hinzu.
„Venture“ hat eine sehr unheimliche Atmosphäre, die durch jede Menge Reverb- und Delay-Effekte erzeugt wird. Außerdem sind die Gitarren nicht bis zum Anschlag verzerrt. Wie habt Ihr diesen Sound so gut hinbekommen?
Das hat sich vor allem aus zwei Gründen so ergeben: Zum einen, weil wir noch nie zuviel Verzerrung gemocht haben, weder bei der Produktion noch im Proberaum oder live. Zum anderen, weil dieser geräumige und große Sound nötig ist, um die Songs erhaben klingen zu lassen. Deswegen mussten wir so viele Reverb- und Delayeffekte verwenden.
Wie wichtig war hier die Arbeit von Eurem Tonmeister und Produzenten Jonas Wikstrand?
Jonas‘ Hauptziel war es, die Balance zwischen diesen beiden vorgegeben Elementen zu finden und sie zu einer organischen Einheit zusammenzuzurren. Ich denke, er hat das vorzüglich hinbekommen.
Wie komponierst Du üblicherweise einen Song?
Das unterscheidet sich von Song zu Song. Aber grundsätzlich kann man schon sagen, dass ich während des Songwriting ständig Ideen sammle. Melodien und Arrangements schleichen sich in dein Gehirn, wenn du es am wenigsten vermutest, und wenn sie da sind, musst du sie irgendwie festhalten, dokumentieren oder zumindest alles dafür tun, dass du dich an sie erinnerst. Am befriedigsten ist es aber, wenn sich ein Song nach einer Initialzündung in einem Rutsch quasi von alleine schreibt – fast so, als würde er hinter einem Tuch versteckt sein und sich langsam enthüllen, so als hätte er schon vorher existiert. Es ist tatsächlich pure Magie, wenn das geschieht.
Dein Gitarrenspiel ist sehr abwechslungsreich. Wie hat es sich entwickelt und was sind Deine Haupteinflüsse?
Als ich als Teenager mit dem Gitarrespielen angefangen habe, haben mich natürlich die Gitarristen in den Bands beeinflusst, die ich mir angehört habe. Das war zum Beispiel YNGWIE MALMSTEEN oder Marty Friedman, als er bei MEGADETH war. Mit der Zeit haben mich aber immer weniger die technischen Aspekte des Gitarrespielens interessiert, und heute stehe ich an dieser Front in einer Art Niemandsland. Ein wiederkehrender Gedanke ist, dass ich mich komplett von meinem früheren Verständnis befreien möchte, was es bedeutet, Gitarrist zu sein. Also wegzukommen von diesen klischeebehafteten Bluesriffs und diesen alten abgehangenen Licks, die man halt mit der Gitarre so assoziiert. Das ist es doch, was das Gitarrenspiel eines Joey Santiago von THE PIXIES so befreiend macht – all diese Dissonanzen und diese schiefen Saitenbendings, die so außergewöhnlich und fast schon unwirklich klingen. Das mag ich wirklich!
Du bist nicht nur Gitarrist, sondern auch Coverkünstler und Grafiker mit einer Vorliebe für Vampire, unheimliche Motive, Lovecraft und Jugendstil. Was möchtest Du mit Deiner Kunst ausdrücken?
Meine Sichtweise auf Kunst hat sich in den letzten fünf bis sechs Jahren, seit ich als Illustrator tätig bin, geändert. Derzeit bin ich nicht einmal sicher, ob ich damit den Hauptteil meiner Zeit verbringen soll. Für mich gibt es ‚Kunst‘ und ‚Handwerk‘. Während letzteres eher ein Werkzeug ist, ist das erstere das, was wirklich zählt. Egal, ob es jetzt Illustration, Tanz, Musik oder Poesie ist: Aus meiner Sicht sollte Kunst nicht nur das Herz berühren und den Intellekt und die Sinne herausfordern, sondern auch eine Absicht und einen Sinn haben. Kunst muss die Kraft haben, dich zu verändern. Und es ist eigentlich ganz einfach: Es hat genau so viel Sinn, wie du selbst ihr beimisst.
Kunst hat aber auch das Recht, ernstgenommen zu werden. Ich spreche da gar nicht von Vergötterung des Künstlers, sondern von Respekt für das Stück Kunst an sich. Es geht darum, den Künstler für das zu respektieren, was er tut, nicht ihm selbst Respekt zu erweisen. Wir sind alle Teil von etwas Größerem als unsere eigenen kleinen, stolzen Egos, und Kunst ist etwas, was die Kraft hat, uns über die banale Kleingeisterei zu heben.
Welche Techniken verwendest Du?
Meine bevorzugten Techniken sind Bleistift, Tinte, Kaffee und Blut – das sind dieselben Techniken, die ich für das Artwork auf „Venture“ verwendet habe.
Wie wichtig ist denn beides zusammen für STENCH – Musik und Coverkunst?
Das ist eine Sache, die ich besonders hervorheben möchte. Wenn man „Venture“ komplett erfassen will, sollte man das Artwork betrachten, während man die Musik auf sich wirken lässt, um beides zusammen zu einem audiovisuellen Gesamterlebnis werden zu lassen.
Auf einem der neuesten Bandfotografien von TRIBULATION kann man im Hintergrund ein Poster mit dem bekannten „Nosferatu“-Motiv mit Kinski sehen. Ist das Dein Lieblingsstreifen zum Thema oder doch eher der Klassiker von Murnau?
Murnaus Nosferatu von 1922 ist ästhetisch sehr viel aufsehenerregender und ansprechender. Aber Kinskis Bild hat auch große Qualitäten – und der Soundtrack erst!
Danke für das Interview!
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Stile | Death Metal, Melodic Black Metal, Melodic Death Metal, Old School Black Metal, Old School Death Metal |
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