Staind
Interview mit Mike Mushok

Interview

Es hat mal wieder die gewohnten zwei Jahre gedauert, die STAIND für ein neues Album brauchen. 2006 gab es mit „The Singles“ eine Retrospektive auf das bisherige Schaffen der Band, und während der letzten Monate waren Aaron Lewis, Johnny April, Jon Wysocki und Mike Mushok schwer beschäftigt, um ihr nunmehr sechstes Studioalbum „The Illusion Of Progress“ heranwachsen zu lassen. Mike Mushok war es dann auch, der mir für ein kurzes und informatives Telefongespräch zur Verfügung stand. Wir sprachen natürlich über das neue Album, aber auch einiges mehr.

Staind

Hallo Mike! „The Illusion Of Progress“ – was steckt hinter diesem Titel? Die wörtliche Bedeutung ist klar, aber was verbindet ihr persönlich damit?

Nun, der Titel kann mit vielen unterschiedlichen Dingen verbunden werden, in der Gesellschaft, in der Politik, aber wir sind eigentlich im Studio darauf gekommen. Wenn man im Studio ist, muss man ja auch irgendwie auf Knopfdruck kreativ werden. Du bist ja selbst Schreiberling und kennst das ja bestimmt. Manchmal hat man eben eine Deadline, muss etwas mit Zeitdruck schaffen und es will einfach nicht klappen.
Es gab Zeiten, wo wir einfach im Studio standen und uns eher mit anderen Sachen beschäftigt haben, auf eBay nach neuen Gitarren gesucht oder sowas. Wir hätten eigentlich arbeiten sollen und bekamen das Gefühl, die Initiative zu verlieren, keinen Fortschritt zu machen. Und da kam uns der Titel in den Sinn, der war einfach cool und zutreffend.

Wäre ja auch zu schön, wenn sich Kreativität einfach auf Knopfdruck entfalten könnte…

Genau, aber so läuft es leider nicht. Manchmal schäumt man quasi über und weiß gar nicht wohin mit all den Ideen, und dann gibt es wieder die Momente, wo du dir sagst „Hey, ich müsste endlich mal was zustande bringen“, und man fummelt zwei Stunden an den Gitarren rum, und nix passiert. Man verschwendet eher seine Zeit.. und das ist auch der Punkt, an dem man etwas anderes machen sollte, einfach mal raus gehen, den Kopf frei machen.

In einer der Webisodes, die ihr während der Arbeiten am Album produziert habt, hast du gesagt, dass „The Illusion Of Progress“ das „most musical album“ sein wird. Wie darf man das verstehen?

Da muss man zurückblicken, wie wir das Album eigentlich gemacht haben. Wir haben im November angefangen, die neuen Songs zu schreiben, zu Weihnachten hatten wir dann die Drumspuren fertig aufgenommen, und die nächsten fünf Monate haben wir damit verbracht, die Gitarren und den Gesang zu erledigen.
Die Rhythmusparts gingen ziemlich leicht und schnell von der Hand, wir arbeiteten an Overdubs, Gesangsteilen, Harmonien und vielen anderen, kleinen Dingen, die das Album sehr musikalisch und interessant machen.
Der Mix und das Mastern des Albums hat ebenfalls lange gedauert, aber letztendlich sind wir sehr stolz auf das, was wir erschaffen haben.
Und in dem Sinne meine ich das mit „musical“. Wir haben uns einfach mit so vielen Details stundenlang beschäftigt, geschaut, dass wir das richtige Equipment zur Hand haben, die richtigen Instrumente, also halt sehr viel Aufwand für teilweise nur zehn Sekunden. Aber dieser Aufwand zahlt sich dann am Ende aus.

Interessant ist in dem Zusammenhang vielleicht auch ein Zitat von Aaron, der anfangs meinte, ihr würdet das bislang härteste Album eurer Karriere schreiben. Ganz offensichtlich gab es da also einen Richtungswechsel im Studio…

Ja genau, das hat er gesagt. Unglücklicherweise habe ich halt nicht den nötigen harten Stoff geschrieben. (lacht) Ich bin natürlich froh, dass ihm das, was ich geschrieben habe, trotzdem gefallen hat; er hat auch sehr viel dazu beigetragen, die Songs zu dem zu formen, was man nun auf dem Album hören kann. Bei vielen Ideen war ich mir nicht sicher, ob sie wirklich zu STAIND passen, doch dann haben wir halt gemerkt, ja, es sind STAIND-Riffs, und sie sind zu etwas wirklich Gutem herangewachsen.

STAIND und „heaviest“ – da denken die meisten Fans sicherlich instinktiv an euer Majordebüt „Dysfunction“. Hältst du es für möglich, dass ihr in naher oder ferner Zukunft nochmal ein Album von diesem Schlag schreibt, oder ist dieses Kapitel abgeschlossen?

Das würde ich nie sagen. Das Album steht für das, wo wir herkommen und was wir auch immer noch machen wollen. Auf diesem Album hat eben alles gepasst. Ich meine, wer weiß? Wenn du mir gesagt hättest, dass wir auf unserem neuen Album sogar einen Bluessong mit einem Chor („The Corner“) drauf haben würden, hätte ich nur gesagt „oh, really?“.
Es ist ja generell die Frage, wie das nächste Album aussehen könnte – keine Ahnung, ganz ehrlich. Darüber denken wir auch momentan gar nicht nach. Man weiß nicht was man bekommt. Weißt du, ich habe auch schon für das letzte Album mehr als genug Material geschrieben, das ging sogar ziemlich einfach. Vieles davon ist unberührt geblieben, weil es einfach nicht so recht zur Band gepasst hat. Man legt einfach drauf los, und dann wird man sehen, ob man dabei über eine interessante Idee für einen neuen Song stolpert.

Für „Chapter V“ habt ihr euch damals ein paar Fans in den Tourbus eingeladen. Dieses Mal habt ihr den Weg der ‚Webisodes‘ gewählt, um mit den Fans weltweit zu kommunizieren. Kleine Filme von und über euch, direkt aus dem Studio, so dass man den Fortschritt des Albums nachverfolgen konnte. Wie waren denn die Reaktionen darauf?

Die waren ziemlich gut, mir ist da auch was ziemlich lustiges passiert. Das war in dem Einkaufszentrum, ganz in der Nähe wo ich wohne, wo mich Leute angesprochen haben „Hey, ich hab deine letzte Webisode gesehen, cool!“
Es ist eine großartige und auch einfache Möglichkeit, den Leuten die es interessiert zu zeigen, womit man gerade beschäftigt ist und wie weit man bisher gekommen ist.

Und man überwindet ja sozusagen auch die räumliche Distanz. Für die Fans ist es fast so, als könnten sie direkt bei euch im Studio zuschauen.

Wir setzen das auch fort. Momentan haben wir einen extra Kameramann dafür, der das Ganze dann auch für IP-TV und sowas aufbereitet. Es wird also auch weiterhin solche Videos von uns geben.

In den USA wird es eine Special-Edition von „The Illusion Of Progress“ geben, wie es damit in Europa aussieht konnte ich leider bisher nicht erfahren. Weißt du da genaueres?

Leider nicht viel, denn da bin ich ehrlich gesagt nicht auf dem neuesten Stand.

Die US-Version wird jedenfalls einige Bonus-Tracks enthalten, desweiteren gibt es eine sogenannte „iTunes Deluxe Edition“.

Ich kann dazu im Moment nicht viel sagen, was sich in diesen Editionen überhaupt befinden wird, da dies auch eine Sache des Labels ist. Weißt du, wir sagen denen, welche Songs wir für so etwas freigeben würden. Das können Akustikversionen sein, oder andere neue Aufnahmen. Das Label sucht eben jede Möglichkeit, um so ein Album gut zu verkaufen, deshalb versuchen sie das mit solchen speziellen Versionen noch interessanter zu machen. Ist ja auch nicht falsch.
Ich weiß nur, dass wohl zwei Songs dabei sein werden, die es auf das letzte Album nicht geschafft haben. Man versucht ja auch als Band, den Fans mit solchen Editionen etwas zurückzugeben oder einfach etwas mehr zu bieten.

Was hälst du denn von diesen exklusiven Online-Tracks? Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mich sowas nicht reizt, aber auch verärgert. Ich meine, ich möchte einfach ein komplettes Werk in den Händen halten, und eine runtergeladene mp3 ist einfach nichts Wahres – auch wenn der Song natürlich gut sein kann!

Sehe ich ganz genauso. Ich stelle mir jetzt sicherlich selbst ein Bein, aber ich glaube, iTunes macht die Leute mehr zu Fans von einzelnen Songs als von Bands, und dem was diese Bands tun.
Du hast das Album ja gehört. Die beliebtesten Songs würden sich am ehesten verkaufen, aber die meisten Songs, die wir in unserer Karriere geschrieben haben, würden sicherlich nicht auf einer Single landen, und dadurch auch nicht von den Leuten gehört. Die laden sich dann die erste und zweite Single runter, und damit sind sie eventuell schon zufrieden. Aber dadurch hören sie halt nicht, was wir in sieben Monaten harter Arbeit geschaffen haben. Sie interessieren sich nur dafür, was das Label rausbringt, und nicht, was die Band eigentlich macht.

Damit zerreißt ja auch ein Album als Gesamtkunstwerk und verliert auf diese Weise im Prinzip seinen Zweck und seine Berechtigung.

Ich persönlich bin der Meinung, das iTunes den Bands mehr schadet als nützt.

Eine ganz andere, kritische wie auch lächerliche Sache: Zensur. Es tut doch echt in den Ohren weh, wenn man z.B. euer „Sober“-Cover auf der Walmart-Edition hört, und jedes Mal werden die bösen, bösen Wörter ausgeblendet oder ausgepiept.

Zum Glück kenne ich diese Edition gar nicht. Für die Radiostationen hier in den Staaten ist das leider obligatorisch, dass beobachtet die FCC mit Argusaugen. Finde ich persönlich sinnlos, aber so ist das nun mal.
Walmart verkauft ja ohnehin nur sog. „clean versions“ der Alben, weil sie sich eben als familienfreundlicher Laden sehen. Meine Frau hat sich dort das erste Album von 50 CENT gekauft, ich meine, was willst du da erwarten? (lacht) Da ist die Hälfte des Albums ausgeblendet!

So ungefähr wie dieses Video von Jimmy Kimmel und Sarah Silverman (I’m fucking Ben Affleck). Mann, war das nervtötend mit dieser Pieperei…

Ganz genau! Meine Frau wusste damals noch gar nicht, dass die bei Walmart sowas machen. Wir haben dort ein bißchen Zeug geholt, und dann hat sie das Album gekauft, weil sie einen Song davon so mochte.
Aber so wie das dort verkauft wird kann sich das doch kein Mensch anhören. Warum verkauft man dort sowas überhaupt?

Eure erste Single war ja das sehr eingängige „Believe“, welches mich vom Feeling und auch ein bißchen von der Melodie her an einen Song von 3 DOORS DOWN erinnert hat, mit denen ihr ja kürzlich auf Tour wart…

Oh, tatsächlich? Das macht mich jetzt neugierig, denn das kann höchstens unbewusst geschehen sein.

War ja auch kein Vorwurf, dummerweise fällt mir jetzt grad der betreffende Song nicht mehr ein. (Später stellt sich heraus, dass es „Away From The Sun“ war). Aber darum soll’s jetzt auch gar nicht gehen, sondern um die Tour – wann kommt ihr denn wieder rüber?

Im September werden wir für ungefähr drei Wochen mit NICKELBACK unterwegs sein. In Deutschland spielen wir glaube ich nur zwei Shows, aber es sieht momentan danach aus, dass wir Anfang nächsten Jahres eine Headlinertour zusammenkriegen.

Welchen Eindruck hast du von den deutschen Fans?

Nun, wir haben auf jeden Fall schon tolle Shows bei euch gespielt.

Eure größte Fanbase habt ihr aber nach wie vor in den Staaten.

Ja, und dafür mache ich auch das Label verantwortlich. Mit „Break The Cycle“ hatten wir auch in Europa wahnsinnigen Erfolg, spielten großartige Tourneen und Konzerte. Dann aber gab es eine Verschmelzung bei den Labels, neue Chefs, und das alles passierte während der Zeit, als „14 Shades Of Grey“ vor den Toren stand. Das Label sicherte uns zwar Promotion zu, aber da geschah fast nichts.
Als wir dann mit dem neuen Album nach Europa kamen, war das so, als müssten wir nochmal bei Null anfangen. Wir mussten daran arbeiten, die Basis wieder aufzubauen, mittlerweile haben wir auch einen neuen Agenten und Manager, der sich um uns kümmert.

Damit wären wir dann auch eigentlich durch. Nach drei Top-1-Alben in den Staaten ist es nun Zeit für die vierte Nr.1, oder?

Nun, dass ist längst nicht so einfach wie es scheint, wir werden’s sehen.

Ich glaub das einfach mal für dich mit. Seid ihr schon satt vom Erfolg?

Wir hätten ja nie gedacht, dass wir überhaupt mal so großen Erfolg haben würden. Ich weiß noch, wie wir damals unser erstes Album aufgenommen haben. Und jetzt immer noch das tun zu können, worauf man Lust hat, ist echt großartig. So kann’s weitergehen! Ich hoffe eigentlich nur, dass die Leuten das neue Album mögen werden – ich bin jedenfalls sehr zufrieden damit.

Dem ist auch nichts mehr hinzufügen – vielen Dank für’s Interview, Mike!

Ebenfalls, danke!

„The Illusion Of Progress“ erscheint am 5. September in Deutschland.

16.08.2008

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