St. Michael Front
"Schlager ist ja in Deutschland ein Schimpfwort."
Interview
An der ST. MICHAEL FRONT werden sich die Geister scheiden – die einen finden es cool, die anderen fragen sich vermutlich, was diese Musik eigentlich auf einem Metal-Label wie Prophecy Productions zu suchen hat und wieso metal.de darüber schreibt. Wobei ohnehin kaum klar ist, in welche Richtung man das Duo eigentlich einordnen soll. Neofolk? Düster-Pop? Singer/Songwriter? Oder gar Schlager? Wir haben uns Bruder Matthias und Bruder Sascha geschnappt um über die Entstehung der Band, das neue Album „Schuld & Sühne“, KING DUDE und alte Krimis zu philosophieren.
Hi Bruder Matthias, hallo Bruder Sascha. Cool, dass Ihr Euch Zeit genommen habt. Erzählt bitte zu Anfang ein wenig, wie die ST. MICHAEL FRONT entstanden ist. Der Promo-Zettel verrät schon, dass Ihr Euch aus dem Studium kennt. Wie ist dann die Band und das grundlegende Konzept dahinter entstanden?
Bruder Sascha: Richtig, wir haben uns an der Kunsthochschule kennengelernt. Wir haben beide Bilder zu ziemlich düsteren Themen gemalt und haben uns letztlich über einen gemeinsamen Kunst-Prof getroffen. In der Kunstszene gibt es ja ziemlich viel abgründige Malerei. Ich habe irgendwann angefangen Racheengel zu malen, die sich an den Menschen rächen, Tiere die sich an Menschen rächen und solche apokalyptischen Szenarien. Matthias hat so etwas wie morbide Madonnen gemalt.
Bruder Matthias: (deutet auf ein Bild im Hintergrund und hält ein weiteres seiner Bilder in die Kamera)
Bruder Sascha: Genau, das ist so Matthias‘ Art und ich mache halt eher so Hau-Drauf-Bilder.
Bruder Matthias: Wir wurden uns auch genau so vorgestellt: „Sascha, bzw. umgekehrt Matthias, das ist genau der, den Du gesucht hast.“ Ein Galerist und Kumpel von uns sagte auch, dass wenn überhaupt wir beide zusammen passen würden.
Bruder Sascha: Ja, der hatte irgendwie ein gutes Gespür für so etwas. Wir haben erst einmal ein paar Ausstellungen zusammen gemacht und irgendwann wollten wir auch zusammen Musik machen. Wir sind dann an einem Spätsommertag in einen verlassenen Park bei mir um die Ecke gegangen. Da haben wir uns über so Themen wie „The Wicker Man“ oder die Manson Family unterhalten. Ich wollte damals eigentlich mit zwei Mädels zusammen eine Band gründen, die so in Richtung VELVET UNDERGROUND, aber ein bisschen derber gehen sollte. Matthias, was waren Deine Einflüsse damals?
Bruder Matthias: Ich habe damals unter anderem auch Heavy Metal gehört Wir haben eigentlich beide einen ziemlich unterschiedlichen Musikgeschmack. Eine gemeinsame Schnittmenge war aber, musikalisch so etwas zu machen, was die Manson Family spielte. Quasi eine Art Sekte gründen und dazu akustische Folk-Klänge zu nutzen, etwas was ziemlich urig klingt.
Bruder Sascha: Das war so die Grundlage und später haben wir uns überlegt, dass es vielleicht noch spaßiger wäre, daraus Pop-Lieder zu machen. Die Lieder auf dem ersten Album „End Of Ahriman“, damals noch auf Englisch, waren ja recht poppig, hatten aber gleichzeitig so einen gewissen okkulten Anstrich. Auf dem neuen Album „Schuld & Sühne“ haben wir uns ziemlich auf die Soundtracks von alten Kriminalfilmen konzentriert. Man hat so das Gefühl, der Kommissar geht um die Ecke und da hängt dann der Bauer am Galgen. Das Genre hatte uns eigentlich schon früher interessiert, da gab es aber noch keine Szene für. Ich habe dann irgendwann angefangen auf Deutsch zu texten. Das war für mich auch wirklich eine Katharsis, das auf Deutsch zu machen. Auf Englisch ist das als Nicht-Muttersprachler immer auch ein Stück weit eine Fantasiesprache, da kann man dann alles mögliche besingen. Selbst wenn man Englisch versteht, irgendwie ist da als Hörer immer eine gewisse Barriere dazwischen. Wenn man in Deutschland über Gefühle singt, bekommen die Leute natürlich sofort Schiss und denken an REINHARD MEY oder PETER MAFFAY. Andererseits ist auf Englisch ja gefühlt alles was geil ist schon gesagt worden, auf Deutsch aber überhaupt nicht. Ich finde es daher ganz cool auf Deutsch zu singen. Ich glaube übrigens, dass es auf Deutsch auch noch gar keinen Rache-Song gibt, in dieser Stilrichtung. Mir fällt jedenfalls nichts ein. Kennst Du da vielleicht jemanden?
Mir fällt so spontan auch niemand ein. Was mir witzigerweise gerade in den Kopf kommt, wenn es um düstere Popmusik mit deutschen Texten geht, ist die Coverversion von BLACK SABBATH. Da haben CINDY & BERT eine deutsche Version von „Paranoid“ aufgenommen.
Bruder Matthias: Ja, klar. „Der Hund von Baskerville“.
Richtig, genau. So hieß er. Aber das war natürlich kein Rache-Song.
Bruder Sascha: In die Richtung kann man halt noch ziemlich viel machen. Theoretisch kann man auch mit einem Orchester auftreten oder in Richtung Theaterstück gehen. Wir sehen da noch ein großes Potential in Sachen Entwicklung. Man darf es nur nicht verwechseln mit Schlager, was ja in Deutschland letztlich ein Schimpfwort ist. Welche Bands haben sonst mit seichteren Klängen etwas gemacht? Einmal gibt es da natürlich die Indie-Szene, also Bands wie TOCOTRONIC, womit wir gar nichts zu tun haben. Dann gibt es ELEMENT OF CRIME, das geht aber eher so in Richtung PAOLO CONTE. Natürlich, im Metal-Bereich gibt es einiges, RAMMSTEIN, die ganze Gothic-Szene, aber das ist ja alles eine ganz andere Richtung als die, in die wir gehen.
Bruder Matthias: Wir sind ja als Künstlerduo gestartet und finden das selber auch gerade ganz witzig, dass wir in erster Linie bei Metal-Labels anzukommen scheinen. Wie bist Du eigentlich auf uns gekommen? Wir nutzen ja gar keine E-Gitarren. Selbst wenn wir so etwas früher auch mal gehört haben. Aber jetzt scheinen wir gerade bei Leuten aus dem extremeren Metal-Bereich sehr gut anzukommen. Wie war das bei Dir?
Das war tatsächlich bei Facebook. Ván Records hat ja Euer erstes Album „End Of Ahriman“ noch einmal veröffentlicht und zu dieser Zeit hatte ich gerade ein wenig KING DUDE für mich entdeckt. Da kam dann mal ein Post zu Eurer Platte auf der Facebook-Seite von Ván Records und dadurch habe ich Euch entdeckt. Ich weiß gar nicht mehr, ob das damals sogar so beschrieben war, aber ich habe schon öfter gehört, dass Ihr mit KING DUDE verglichen wurdet. Wenn man Euer erstes Album nimmt, würde ich da zumindest eine entfernte Ähnlichkeit sehen. Könnt Ihr da mit gehen?
Bruder Matthias: KING DUDE ist, oder war zumindest mal, der einzige Künstler auf Ván Records, der keine Musik mit Fetz-Gitarren gemacht hat. Das hat aber irgendwie gepasst, er hatte düstere Videos im Wald, Runen als Logo. Vielleicht wurden wir deshalb dann mit ihm verglichen als „End Of Ahriman“ bei Ván raus kam, da wir eben auch keine E-Gitarren verwenden. Unser Hintergrund ist ja der, dass wir recht stark von Filmen beeinflusst werden, da wir beide ziemliche Film-Nerds sind. KING DUDE macht aber eher sowas wie „Evil Country“, was ja quasi die Volksmusik der Amis ist. Man könnte also sagen, dass wir so eine Art Antithese dazu sind, vielleicht eine Art „abgründiger deutscher Schlager“. Vor der Zusammenarbeit mit Ván Records kannten wir KING DUDE aber tatsächlich gar nicht.
Bruder Sascha: Richtig, ich kannte den vorher auch überhaupt nicht. Ich habe mir zwei Lieder von ihm angehört und muss ehrlich sagen: Ich finde, dass wir damit überhaupt nichts gemeinsam haben.
Naja, es ist teilweise auch akustische Musik, teilweise auch folkig – er wird ja auch häufig in diese Neofolk-Schublade gesteckt, wo ich auch eher nicht sagen würde, dass er dort rein gehört. Ihr im übrigen erst Recht nicht. Düsteren Folk könnte man es nennen und die Bezeichnung könnte auf Eure Musik in Teilen aus meiner Sicht eben auch zutreffen. Möglicherweise ist der Hintergrund auch einfach nur, dass KING DUDE und ST. MICHAEL FRONT die einzigen halbwegs miteinander vergleichbaren Bands auf Ván Records waren, da Ihr beide keine E-Gitarren verwendet, da mag schon etwas dran sein. Ich fand es aber recht interessant, dass Ihr ja fast schon ein direkter Gegenentwurf zu ihm seid. KING DUDE sagt offen, dass er moderner Satanist ist und das auch in seine Texte einfließen lässt. Ihr wiederum habt Euch nach dem Erzengel Michael benannt, dem Bezwinger Satans. Schon ein cooler Kontrast.
Bruder Matthias: Das kann man so sehen und ist ein Stück weit auch so beabsichtigt.
Da würde ich dann auch direkt einhaken wollen. Eure Musik ist ja schon recht abgründig und es gibt durchaus vergleichbares, wenn auch nicht auf Deutsch. Das hat dann aber immer so einen okkulten Anstrich, aber bei Euch ja eigentlich nicht. Ihr seid ja quasi so etwas wie das Gegenteil von okkult. Meinst Du das damit, dass Ihr das beabsichtigt habt?
Bruder Matthias: Naja, wir lesen halt solchen Kram relativ viel. Also vielleicht ist es dann so eine Art Gegenentwurf zu dem was beispielsweise ein KING DUDE macht.
Bruder Sascha: Aber mit Sicherheit nicht bewusst. Zumal wir uns gerade mit dem, was wir jetzt auf Deutsch machen auch musikalisch an anderen Dingen orientieren. An Soundtracks zum Beispiel – ENNIO MORRICONE fällt mir hier natürlich zuerst ein. Aber auch an GUSTAV HOLST, dem klassischen Komponisten. Die Pauken gehen vielleicht sogar in Richtung WAGNER. Die Gitarre verleiht dem Ganzen aber natürlich so ein gewisses Cowboy-Feeling. Die neuen Sachen orientieren sich stark an Kriminalfilm-Melodien. Eigentlich kann ich das selbst kaum einordnen, wie man unsere Musik bezeichnen kann. Es ist kein Folk. Es ist auch kein Pop. Wie würdest Du das denn einschätzen?
Wer mir dazu auch noch einfallen würde sind ME AND THAT MAN. Nergal, normalerweise Frontmann der Death-Metal-Band BEHEMOTH macht da, mittlerweile mit wechselnden Gastsängern, düstere Country-Musik. Das wird gerne als „Americana“ bezeichnet. Aber wie man jetzt Americana mit deutschen Texten und so ein bisschen Hamburger Kneipen-Flair nennen soll, dazu ist mir auch noch nichts eingefallen.
Bruder Matthias: Wir sind auf keinen Fall Hamburger Schule (Strömung in der Popmusik, die ihren Höhepunkt Mitte der 90er erreicht hat, Anmerk. d. Verf.), falls Du das meinst. Aber um das nochmal aufzugreifen: Americana passt insofern, dass das ja z.B. auch auf den Soundtrack von Twin Peaks zutrifft. Wir machen eben so was, was sich eher an deutschen Krimis ausrichtet. Die haben wir uns schon verstärkt rein gezogen, auch als wir „Schuld & Sühne“ gemacht haben. Deutsche und französische Krimis von den 60ern bis in die 80er hinein.
Bruder Sascha: Wir verwenden natürlich auch Mariachi-Trompeten, die wiederum hervorragend zu Rache-Liedern passen. Da kommt dann eben auch MORRICONE ins Spiel oder andere Komponisten die die Musik zu älteren Krimis erschaffen haben. Auch die Texte wurden davon durchaus beeinflusst, wobei hier auch ein wenig Einflüsse aus dem Theater dazu kommen. „Schuld & Sühne“ ist ja ein Roman von Dostojewski, auf dem auch mehrere Theaterstücke basieren. Eine andere Band, mit der wir direkt vergleichbar sind, fällt mir aber nicht ein. Das wäre ja eigentlich mal aufschlussreich, wenn es da noch etwas mehr in der gleichen Ecke gäbe, allein wenn man schaut, mit wem man zusammen auftreten könnte.
Bruder Matthias: Deshalb spielen wir zur Zeit meistens zusammen mit Metal-Bands oder auf Metal- und Gothic-Festivals.
Wie schätzt Ihr denn selbst eigentlich Euer Publikum ein? Ich würde mal vermuten: Ziemlich vielschichtig? Ihr habt mal auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig gespielt, veröffentlicht auf einem Metal-Label, wart auf Platz 1 der Radio-Eins-Charts und mit einem Song in der „Fidi und Bumsi“-Playlist von Jan Böhmermann und Olli Schulz vertreten. Das sind ja zum Großteil sehr unterschiedliche Bereiche mit ganz verschiedenem Publikum.
Bruder Sascha: Stimmt. „End Of Ahriman“ war natürlich auch relativ poppig. Bei Radio Eins waren wir auch mit zwei Pop-Liedern vertreten. Was das neue Material angeht, müssen wir natürlich erst mal schauen, wie beispielsweise Radio Eins das findet. Olli Schulz hat aber schon signalisiert, dass er das demnächst mal spielen wird, der findet das ziemlich gut. Wir müssen schauen, wie die Leute das aufnehmen. Die Leute, mit denen ich mich darüber unterhalten habe sind tatsächlich total unterschiedlich. Klar, viele Metaller, aber zum Beispiel auch über Siebzigjährige, die das auch toll fanden.
Bruder Matthias: Wir sind sogar schon ein paar Mal auf Jubiläumsfesten aufgetreten. Das hat aber auch ganz gut gepasst und wir sind dort wirklich gut angekommen.
Bruder Sascha: Die haben uns aber wohl auch eher als Pop-Band gesehen.
Klar, wenn man jetzt nicht so auf die Texte hört, sondern eher sagt: „Ach, das sind doch einfach schöne Melodien“, stimmt das ja auch irgendwie. Habt Ihr eigentlich in irgend einer Form Angst gehabt, dass das die Leute vor den Kopf stoßen könnte, wenn Ihr plötzlich anfangt auf Deutsch zu singen oder man Euch direkt in die Schlager-Ecke drängt?
Bruder Matthias: Vielleicht gab es den Gedanken mal kurz. Aber das ergab sich einfach, im Schaffensprozess. Es ist nun mal Bruder Saschas Muttersprache und es kommt einfach authentischer rüber, als wenn wir da zusammen mit dem Wörterbuch sitzen. Es ist einfach ein direkterer, emotionalerer Zugang. Von daher war uns das letztlich egal. Hauptsache gute Songs.
Ich kann dazu auch nur sagen, dass ich vielleicht überrascht war, es aber zu keinem Zeitpunkt blöd oder unpassend fand. Ich kannte natürlich auch zunächst „End Of Ahriman“, aber als Ván Records damals gepostet haben, dass es ein neues Video gibt – das war damals das zu „So weit nach draußen“ – fand ich das eigentlich direkt ziemlich geil.
Bruder Matthias: Das ist auch das Feedback, das wir am Häufigsten bekommen haben. Einige meinten zwar, dass wir dadurch quasi eine Art Neuanfang der Band gestartet haben, aber so sehen wir das eigentlich nicht.
Bruder Sascha: Manchmal gab es dann ein paar komische Vergleiche, beispielsweise wurde uns gesagt wir hören uns jetzt an wie HEPPNER oder JOACHIM WITT, was wir nicht so richtig nachvollziehen können. Wenn man sich die letzten Sachen von JOACHIM WITT anhört, hat der da ja so einen richtigen Techno-Wumms. Also etwas völlig anderes. Wir haben auch komplett echte Instrumente aufgenommen, also echte Trompeten, Pauken, usw. – bis auf die wenigen direkten Synthie-Klänge, die aber auch als solche wahrnehmbar sind.
Ich kann schon nachvollziehen, warum Leuten, die Musik wie HEPPNER oder JOACHIM WITT hören, möglicherweise auch Eure Musik zusagt. Gerade wenn man beispielsweise einen Song wie „Schwarzer Engel“ betrachtet. Der Sound ist natürlich eine völlig andere Baustelle. Aber wenn Ihr auch diese Szene damit erreicht – um so besser.
Bruder Sascha: Genau. Wenn es die Fans von diesen Musikern trotzdem erreicht, finden wir das natürlich super. Am einfachsten ist es vermutlich, gerade wenn man auf Deutsch Musik macht, wenn man sich anhört, wie eine Band, die es schon gibt. Dann können einen alle einordnen, man spielt seine Konzerte in einer gewissen Szene. So haben sich bei uns einfach extrem unterschiedliche Leute gemeldet, die uns eingeladen haben. Beispielsweise das House Of The Holy Festival in Österreich, die sagen sie sind Fans von uns. Leute, die sonst vielleicht Black Metal hören und uns trotzdem gut finden. Das macht uns auch ein Stück weit stolz, dass so eine breit aufgestellte Gruppe von Menschen uns mag. Vom Hardliner bis zum Klassik-Liebhaber.
Etwas, das mir übrigens vor kurzem erst aufgefallen ist: Laut Discogs.com habt Ihr fünf von den neun Songs auf „Schuld & Sühne“ schon 2019 auf einer CD veröffentlicht. Was hat es damit eigentlich auf sich und warum hat es dann so lange gedauert, bis das Album letztendlich erschienen ist?
Bruder Matthias: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das schon so lange her sein soll, aber das waren ohnehin nur frühe Demo-Versionen.
Bruder Sascha: Und veröffentlicht haben wir die eigentlich auch nicht. Irgend jemand hat die veröffentlicht. Eigentlich war das nur intern.
Die ist tatsächlich offiziell bei Discogs gelistet, müsst Ihr mal nach schauen.
Bruder Sascha: Wir waren das auf jeden Fall nicht.
Bruder Matthias: Das sind aber wirklich ganz andere Versionen als das, was jetzt letztendlich auf dem Album zu hören ist.
Was mir noch aufgefallen ist: Eure Musik ist ziemlich minimalistisch gehalten. Ihr habt ja außerdem schon erwähnt, dass Ihr Euch unter anderem an Krimi-Musik orientiert. Seht Ihr das als Korsett, das Euch irgendwann zu eng werden könnte, oder sagt Ihr eher: Gute Songs sind gute Songs?
Bruder Matthias: Auf „End Of Ahriman“ wirkte der Sound vielleicht so. Man hört es vermutlich nicht raus, aber wir haben dort zwischen 70 und 100 Spuren aufgenommen. Die Lieder sind also sogar relativ voll – vielleicht war es sogar zu viel, wenn man es am Ende gar nicht mehr raus hört? Um das Beispiel KING DUDE nochmal aufzugreifen: Der Metaller, der vielleicht mal ein wenig zu viel verzerrte Gitarren gehört hat, zieht sich eben nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg entweder Black Metal rein oder, vielleicht auch wenn die Kids dabei sind, KING DUDE, da diese Lieder recht gut „durch laufen“. Die Songs die ich von ihm in Erinnerung habe sind ziemlich minimalistisch. Getragene Musik, Akustikgitarre, Gesang und noch ein wenig Percussion im Hintergrund. Wir sind aber eigentlich viel mehr Fans der Wall Of Sound. Wir sind Bombast-Fans mit Pauken und Trompeten. Wir packen auch alles in die Songs, was wir gerade geil finden. Vielleicht wäre ein wenig mehr Minimalismus sogar manchmal gut, aber was ist denn für Dich besonders minimalistisch?
Klar, die Pauken und Trompeten hört man raus und einige Songs wirken dadurch auch etwas größer. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass Songs wie „So weit nach draußen“ oder auch „Knochen und Blut“, obwohl diese Elemente auch auftauchen, in ihrer Essenz relativ einfach gehalten sind.
Bruder Matthias: Ja, „Knochen Und Blut“ ist auf dem Album der einzige Song, der vielleicht so startet und sich dann langsam aufbaut. Er besteht letztlich nur aus zwei Riffs, die zwar leicht abgeändert werden aber eigentlich unendlich lang weiter gehen könnten.
Bruder Sascha: Aber wenn Du Dir beispielsweise einen Song wie „Wir Sehen Uns Wieder“ anhörst, dann sind da viele unterschiedliche Instrumente enthalten, viele kleine Melodien. Minimalistisch soll das eigentlich nicht unbedingt klingen.
Möglicherweise kommt es mir deshalb so vor, weil die Akustikgitarre und der Gesang ziemlich weit im Vordergrund stehen!?
Bruder Matthias: Das ist ein wenig wie bei PHIL SPECTOR. Wir stehen total auf diese einfache Songstruktur von früher, aus den Sechzigerjahren. Wir mögen also schon ein Stück weit einen poppigen Sound, den vielleicht auch Hausfrauen und Hausmänner gerne hören. Wenn Songs ständig Pausen haben oder sich im Laufe der Spielzeit ständig komplett ändern. Wir halten uns also schon an dieses einfachere Format.
Bruder Sascha: Aber das war ja gar nicht Deine ursprüngliche Frage. Du wolltest ja wissen, ob wir uns durch unser Soundgerüst eingeengt fühlen.
Stimmt, wir sind ein wenig abgeschweift.
Bruder Matthias: Ich suche eher genau danach, den perfekten Sound für unsere Botschaft zu finden. Wir versuchen also ständig unseren Sound zu finden, finden ihn dann aber nicht zu 100% und deshalb kommt eigentlich auch immer wieder neues dazu. Wir machen uns deshalb eigentlich wenig Gedanken. Wenn überhaupt, wünschte ich mir eher ein schönes Korsett, an dem man sich orientieren kann und die Leute sagen: „Ach klar, das sind ST. MICHAEL FRONT.“ Ich denke aber nicht, dass wir aufhören werden, innerhalb unseres Sounds neue Dinge hinzuzufügen, einfach weil wir gerade wieder etwas cool finden.
Bruder Sascha: Die Lieder könnten wir theoretisch alle auch einfach nur mit Gitarre, Gesang und einer Mundharmonika spielen, was wir auch schon ein paar Mal gemacht haben. Aber die meisten Dinge entstehen letztlich im Studio oder wir lassen uns auch einfach von den Texten beeinflussen, wie mit den bereits angesprochenen Mariachi-Trompeten. Wir haben einen Kumpel der Trompete spielt, der uns dann gleich einen kompletten Satz einspielt. Auch eine sizilianische Balalaika ist zu hören, ein weiterer Hinweis in Richtung Mafia-Sound. Das ist eine ähnliche Vorgehensweise wie bei Soundtrack-Komponisten. Die suchen passende Instrumente für das, was im Film gezeigt wird. Da wir keine Backline-Band haben, sondern zu zweit auf der Bühne stehen, setzen wir uns da bei der Entstehung im Studio auch keine Grenzen. Wir haben übrigens für das Album nach „Schuld & Sühne“ bereits sieben Lieder fertig. Zwei kommen noch dazu und das Album soll nächstes Jahr erscheinen. Das wird sich vielleicht ein wenig französischer anhören, etwas mehr in Richtung Chanson gehen.
Bruder Matthias: Es ist sogar ein Tango dabei.
Bruder Sascha: Genau, da sind wir total offen. Das übernächste Album wird dann vielleicht ganz anders, wer weiß? Vielleicht machen wir auch mal ein Album nur mit Moritaten, darüber haben wir auch schon mal nachgedacht. Das würden wir natürlich auch auf unsere Art instrumentieren. Also nicht unbedingt so, wie man Moritate kennt, mit nem Leierkasten. Oder wir bauen den einfach mit ein. Ich finde mit unserem jetzigen Sound haben wir eine Basis, aus der man noch viel machen kann. Der Nachfolger von „Schuld & Sühne“ klingt zwar einerseits schon ähnlich, hat aber eben auch neue Stilrichtungen dabei, wie z.B. der Tango, da wir so einen Beat bislang noch nicht hatten. So etwas suchen wir auch immer, einfache Beats, da wir ja auch keinen Schlagzeuger haben. Sobald man ein richtiges Schlagzeug dabei hat, mit Bass, Snare, Hi-Hats, usw. kommt das auf der Bühne auch nicht mehr so filmisch rüber. Daher bleiben wir lieber bei Beats, die man von einer klassischen Band-Besetzung eher nicht kennt. Das beeinflusst uns natürlich auch wieder, wenn es um weitere Instrumente geht, die wir verwenden wollen.
Bruder Matthias: Bei den Aufnahmen haben wir aber schon echte Schlagzeuger im Studio dabei. Erstmal arrangieren wir das zwar, aber am Ende haben wir Gastmusiker, die das mit echten Instrumenten einspielen. Trotzdem ist das dann natürlich ein anderes Komponieren. Wenn man einen Schlagzeuger als festes Bandmitglied dabei hat, tendieren sie oft dazu, dass sie sich ein Stück zu viel produzieren müssen. Man freut sich dann zwar, dass er da ist und ein paar abgefahrene Dinge beiträgt, aber eigentlich wäre es oft besser wenn er an vielen Stellen einfach nur „Bam-Bam“ macht. Das ist natürlich schwer für einen Schlagzeuger, der möchte viel lieber frickeln.
Zum Abschluss würde ich gerne noch das Thema Videos ansprechen. Allein schon durch Euren Filmbezug haben sie vielleicht eine größere Bedeutung für Euch, als für andere Bands. Ihr habt aber dabei auch immer einen recht speziellen Stil. Einmal durch die Ausschnitte aus alten Filmen, die Ihr benutzt, aber auch die Dynamik zwischen Euch beiden, dem spleenig-extrovertierten Bruder Sascha und dem stoisch, mit dem immer gleichen Gesichtsausdruck spielenden Bruder Matthias, ist einfach großartig. Ich denke da z.B. auch gerade an die Handpuppe im Video zu „Bootlicking For A Dream“. Entstehen die Clips komplett in Eigenregie und wer von Euch beiden ist für das Konzept verantwortlich? So wie es aktuell aussieht habt Ihr ja auch bald zu fast jedem Song ein Video veröffentlicht.
Bruder Matthias: Ja, unsere Videodichte ist ziemlich hoch, das haben wir auch schon gehört.
Bruder Sascha: Das mit der Handpuppe ist ein Zitat aus „Es geschah am hellichten Tag“, dem Krimi-Klassiker mit Gert Fröbe. Gut, das war jetzt nicht direkt die gleiche Puppe, aber es gibt ja diese Szene in dem die Puppe ein komisches Geräusch macht, das Kind fragt „Bist Du ein Zauberer?“ und die Puppe antwortet: „Ja, ich bin ein Zauberer, aber psssst.“ Es würde jetzt zu weit führen, die ganzen Zusammenhänge zum Glauben zu erläutern, aber thematisch passt das ganz gut zu dem Lied. Aber die Videos bringen uns eben auch eine Menge Spaß. Ich habe auch Lust mich da szenisch einzubringen. Ich habe ja auch im Fernsehen oder früher im Theater viel gespielt. Meistens übrigens in Kriminalfilmen, daher passt das dann auch wieder ganz gut zu unserem Sound. Ich habe auch oft den Bösewicht gespielt, obwohl ich mich dafür nie explizit beworben habe. Ich wurde eben von den Leuten so engagiert. Spielt man einmal so eine Rolle und bekommt das einigermaßen gut hin, kommen die natürlich immer wieder. Egal ob das jetzt Großstadtrevier, Alarm für Cobra 11 oder so waren. Unsere Videos sind natürlich je nach Song recht unterschiedlich, aber es ist schon so, dass ich da der emotionalere Typ bin, im Vergleich zu Matthias. Das ist vielleicht einfach eine gute Wechselwirkung.
Was die Videos angeht, kann ich das definitiv so bestätigen, dass Du da der emotionalere Typ von Euch beiden bist. Ich feiere Eure Videos in jedem Fall, ganz besonders zuletzt „Knochen Und Blut“.
Bruder Sascha: Das haben wir sogar bei mir zu Hause gedreht. Vielleicht verändern wir da aber auch künftig was, in der Herangehensweise. So wir wie die Videos machen, kennt man das auch aus der Kunstszene, wenn Leute Filmcollagen machen. Vielleicht probieren wir das auch mal ein wenig filmischer, erzählen direkt eine Geschichte. Da müssen wir mal schauen, mit wem wir uns da zusammentun können, der so was auch gut filmisch umsetzen kann.
Bruder Matthias: Wenn jemand das hier liest, der melde sich bei uns! (Schreibt gerne an metal.de über unser Kontaktformular, Anmerk. d. Verf.)
Bruder Sascha: Ich habe zum Schluss aber auch noch eine Frage an Dich. Was löst denn die Musik in Dir aus, wenn Du das neue Album hörst?
Das ist natürlich ganz unterschiedlich, je nachdem um welchen Song es geht. Bei „Knochen Und Blut“ denke ich mir tatsächlich auch manchmal: „Ja, verdammt. Dir hab ich’s gegeben, Du Penner.“ Jeder hat ja ab und an mal ein paar Rachegedanken zu der ein oder anderen Person. „So Weit Nach Draußen“ ist für mich eher so ein Motivations-Song, der mich auch aus einem Loch raus holen kann, wenn meine Stimmung mal nicht so gut ist. Aber trotzdem ist da noch eine gewisse Melancholie, denn was ich gar nicht haben kann, wenn ich mich nicht gut fühle, ist so übertrieben fröhliche Mucke. Auch „Wir Sehen Uns Wieder“ ist ein Song, mit dem vermutlich jeder irgend etwas verbindet. Das Thema ist zwar tragisch, trotzdem ist das Lied nicht nur todtraurig, was die Stimmung angeht.
Bruder Matthias: Auch im Video zu „Wir Sehen Uns Wieder“ haben wir versucht, unterschiedliche Stimmungen mit einfließen zu lassen. Dieses Auf und Ab der Gefühle.
Bruder Sascha: Gerade bei solchen Liedern ist es mir sehr wichtig, dass die Texte echt rüber kommen, ich über echte Emotionen singe. Auch über vergangenes aus meinem Leben, zum Beispiel. Gleichzeitig versuche ich es so universal zu texten, dass auch andere Leute sich darin wieder finden können. Wenn wir bei „Wir Sehen Uns Wieder“ bleiben, hat jeder vielleicht in seinem Freundeskreis Menschen, denen es schon einmal so schlecht ging oder selbst schon solche Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht.
Gerade auch, wenn man das Thema Alkohol noch dazu nimmt, was Du ja in „Wir Sehen Uns Wieder“ direkt ansprichst. Jeder kennt irgendjemanden, auf denen das ein wenig zutreffen könnte, was Du im Text beschreibst, auch wenn es natürlich nicht gleich zum Äußersten kommen muss.
Bruder Sascha: Jeder hat vermutlich auch einen Freund, der mit so was auf der Strecke geblieben ist. Ich kenne da auf jeden Fall einige. Manchmal denke ich, mich hätte das vielleicht auch erwischen können. Man weiß es nicht. Grundsätzlich ist mir auch wichtig, da Du „So Weit Nach Draußen“ angesprochen hast, dass ich über Gefühle singe, ohne dass es kitschig wird. Wobei die Kitsch-Gefahr in den melancholischen Songs vermutlich nicht so hoch ist.
Ich finde ohnehin, dass eigentlich alle Eure Lieder eine gewisse Melancholie beinhalten.
Bruder Sascha: Das auf jeden Fall, und die ist auch ernst gemeint. Die Texte schreibe ich meistens abends, wenn ich mit mir allein bin. Oft wirken sie auch erst am Ende so komisch doppeldeutig und ich bin selbst überrascht darüber, weil ich das ursprünglich gar nicht so gemeint habe. Auch bei alten Schlagern ist es übrigens so, dass die Texte so universell gehalten sind, dass sie in alle möglichen Richtungen interpretiert werden können.
Ich danke Euch, dass Ihr Euch so viel Zeit genommen habt und für das entspannte Gespräch.
Bruder Matthias und Bruder Sascha: Vielen Dank, dass Du uns interviewt hast.