St. Michael Front
"Schlager ist ja in Deutschland ein Schimpfwort."
Interview
Etwas, das mir übrigens vor kurzem erst aufgefallen ist: Laut Discogs.com habt Ihr fünf von den neun Songs auf „Schuld & Sühne“ schon 2019 auf einer CD veröffentlicht. Was hat es damit eigentlich auf sich und warum hat es dann so lange gedauert, bis das Album letztendlich erschienen ist?
Bruder Matthias: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das schon so lange her sein soll, aber das waren ohnehin nur frühe Demo-Versionen.
Bruder Sascha: Und veröffentlicht haben wir die eigentlich auch nicht. Irgend jemand hat die veröffentlicht. Eigentlich war das nur intern.
Die ist tatsächlich offiziell bei Discogs gelistet, müsst Ihr mal nach schauen.
Bruder Sascha: Wir waren das auf jeden Fall nicht.
Bruder Matthias: Das sind aber wirklich ganz andere Versionen als das, was jetzt letztendlich auf dem Album zu hören ist.
Was mir noch aufgefallen ist: Eure Musik ist ziemlich minimalistisch gehalten. Ihr habt ja außerdem schon erwähnt, dass Ihr Euch unter anderem an Krimi-Musik orientiert. Seht Ihr das als Korsett, das Euch irgendwann zu eng werden könnte, oder sagt Ihr eher: Gute Songs sind gute Songs?
Bruder Matthias: Auf „End Of Ahriman“ wirkte der Sound vielleicht so. Man hört es vermutlich nicht raus, aber wir haben dort zwischen 70 und 100 Spuren aufgenommen. Die Lieder sind also sogar relativ voll – vielleicht war es sogar zu viel, wenn man es am Ende gar nicht mehr raus hört? Um das Beispiel KING DUDE nochmal aufzugreifen: Der Metaller, der vielleicht mal ein wenig zu viel verzerrte Gitarren gehört hat, zieht sich eben nach der Arbeit auf dem Nachhauseweg entweder Black Metal rein oder, vielleicht auch wenn die Kids dabei sind, KING DUDE, da diese Lieder recht gut „durch laufen“. Die Songs die ich von ihm in Erinnerung habe sind ziemlich minimalistisch. Getragene Musik, Akustikgitarre, Gesang und noch ein wenig Percussion im Hintergrund. Wir sind aber eigentlich viel mehr Fans der Wall Of Sound. Wir sind Bombast-Fans mit Pauken und Trompeten. Wir packen auch alles in die Songs, was wir gerade geil finden. Vielleicht wäre ein wenig mehr Minimalismus sogar manchmal gut, aber was ist denn für Dich besonders minimalistisch?
Klar, die Pauken und Trompeten hört man raus und einige Songs wirken dadurch auch etwas größer. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass Songs wie „So weit nach draußen“ oder auch „Knochen und Blut“, obwohl diese Elemente auch auftauchen, in ihrer Essenz relativ einfach gehalten sind.
Bruder Matthias: Ja, „Knochen Und Blut“ ist auf dem Album der einzige Song, der vielleicht so startet und sich dann langsam aufbaut. Er besteht letztlich nur aus zwei Riffs, die zwar leicht abgeändert werden aber eigentlich unendlich lang weiter gehen könnten.
Bruder Sascha: Aber wenn Du Dir beispielsweise einen Song wie „Wir Sehen Uns Wieder“ anhörst, dann sind da viele unterschiedliche Instrumente enthalten, viele kleine Melodien. Minimalistisch soll das eigentlich nicht unbedingt klingen.
Möglicherweise kommt es mir deshalb so vor, weil die Akustikgitarre und der Gesang ziemlich weit im Vordergrund stehen!?
Bruder Matthias: Das ist ein wenig wie bei PHIL SPECTOR. Wir stehen total auf diese einfache Songstruktur von früher, aus den Sechzigerjahren. Wir mögen also schon ein Stück weit einen poppigen Sound, den vielleicht auch Hausfrauen und Hausmänner gerne hören. Wenn Songs ständig Pausen haben oder sich im Laufe der Spielzeit ständig komplett ändern. Wir halten uns also schon an dieses einfachere Format.
Bruder Sascha: Aber das war ja gar nicht Deine ursprüngliche Frage. Du wolltest ja wissen, ob wir uns durch unser Soundgerüst eingeengt fühlen.
Stimmt, wir sind ein wenig abgeschweift.
Bruder Matthias: Ich suche eher genau danach, den perfekten Sound für unsere Botschaft zu finden. Wir versuchen also ständig unseren Sound zu finden, finden ihn dann aber nicht zu 100% und deshalb kommt eigentlich auch immer wieder neues dazu. Wir machen uns deshalb eigentlich wenig Gedanken. Wenn überhaupt, wünschte ich mir eher ein schönes Korsett, an dem man sich orientieren kann und die Leute sagen: „Ach klar, das sind ST. MICHAEL FRONT.“ Ich denke aber nicht, dass wir aufhören werden, innerhalb unseres Sounds neue Dinge hinzuzufügen, einfach weil wir gerade wieder etwas cool finden.
Bruder Sascha: Die Lieder könnten wir theoretisch alle auch einfach nur mit Gitarre, Gesang und einer Mundharmonika spielen, was wir auch schon ein paar Mal gemacht haben. Aber die meisten Dinge entstehen letztlich im Studio oder wir lassen uns auch einfach von den Texten beeinflussen, wie mit den bereits angesprochenen Mariachi-Trompeten. Wir haben einen Kumpel der Trompete spielt, der uns dann gleich einen kompletten Satz einspielt. Auch eine sizilianische Balalaika ist zu hören, ein weiterer Hinweis in Richtung Mafia-Sound. Das ist eine ähnliche Vorgehensweise wie bei Soundtrack-Komponisten. Die suchen passende Instrumente für das, was im Film gezeigt wird. Da wir keine Backline-Band haben, sondern zu zweit auf der Bühne stehen, setzen wir uns da bei der Entstehung im Studio auch keine Grenzen. Wir haben übrigens für das Album nach „Schuld & Sühne“ bereits sieben Lieder fertig. Zwei kommen noch dazu und das Album soll nächstes Jahr erscheinen. Das wird sich vielleicht ein wenig französischer anhören, etwas mehr in Richtung Chanson gehen.
Bruder Matthias: Es ist sogar ein Tango dabei.
Bruder Sascha: Genau, da sind wir total offen. Das übernächste Album wird dann vielleicht ganz anders, wer weiß? Vielleicht machen wir auch mal ein Album nur mit Moritaten, darüber haben wir auch schon mal nachgedacht. Das würden wir natürlich auch auf unsere Art instrumentieren. Also nicht unbedingt so, wie man Moritate kennt, mit nem Leierkasten. Oder wir bauen den einfach mit ein. Ich finde mit unserem jetzigen Sound haben wir eine Basis, aus der man noch viel machen kann. Der Nachfolger von „Schuld & Sühne“ klingt zwar einerseits schon ähnlich, hat aber eben auch neue Stilrichtungen dabei, wie z.B. der Tango, da wir so einen Beat bislang noch nicht hatten. So etwas suchen wir auch immer, einfache Beats, da wir ja auch keinen Schlagzeuger haben. Sobald man ein richtiges Schlagzeug dabei hat, mit Bass, Snare, Hi-Hats, usw. kommt das auf der Bühne auch nicht mehr so filmisch rüber. Daher bleiben wir lieber bei Beats, die man von einer klassischen Band-Besetzung eher nicht kennt. Das beeinflusst uns natürlich auch wieder, wenn es um weitere Instrumente geht, die wir verwenden wollen.
Bruder Matthias: Bei den Aufnahmen haben wir aber schon echte Schlagzeuger im Studio dabei. Erstmal arrangieren wir das zwar, aber am Ende haben wir Gastmusiker, die das mit echten Instrumenten einspielen. Trotzdem ist das dann natürlich ein anderes Komponieren. Wenn man einen Schlagzeuger als festes Bandmitglied dabei hat, tendieren sie oft dazu, dass sie sich ein Stück zu viel produzieren müssen. Man freut sich dann zwar, dass er da ist und ein paar abgefahrene Dinge beiträgt, aber eigentlich wäre es oft besser wenn er an vielen Stellen einfach nur „Bam-Bam“ macht. Das ist natürlich schwer für einen Schlagzeuger, der möchte viel lieber frickeln.
Zum Abschluss würde ich gerne noch das Thema Videos ansprechen. Allein schon durch Euren Filmbezug haben sie vielleicht eine größere Bedeutung für Euch, als für andere Bands. Ihr habt aber dabei auch immer einen recht speziellen Stil. Einmal durch die Ausschnitte aus alten Filmen, die Ihr benutzt, aber auch die Dynamik zwischen Euch beiden, dem spleenig-extrovertierten Bruder Sascha und dem stoisch, mit dem immer gleichen Gesichtsausdruck spielenden Bruder Matthias, ist einfach großartig. Ich denke da z.B. auch gerade an die Handpuppe im Video zu „Bootlicking For A Dream“. Entstehen die Clips komplett in Eigenregie und wer von Euch beiden ist für das Konzept verantwortlich? So wie es aktuell aussieht habt Ihr ja auch bald zu fast jedem Song ein Video veröffentlicht.
Bruder Matthias: Ja, unsere Videodichte ist ziemlich hoch, das haben wir auch schon gehört.
Bruder Sascha: Das mit der Handpuppe ist ein Zitat aus „Es geschah am hellichten Tag“, dem Krimi-Klassiker mit Gert Fröbe. Gut, das war jetzt nicht direkt die gleiche Puppe, aber es gibt ja diese Szene in dem die Puppe ein komisches Geräusch macht, das Kind fragt „Bist Du ein Zauberer?“ und die Puppe antwortet: „Ja, ich bin ein Zauberer, aber psssst.“ Es würde jetzt zu weit führen, die ganzen Zusammenhänge zum Glauben zu erläutern, aber thematisch passt das ganz gut zu dem Lied. Aber die Videos bringen uns eben auch eine Menge Spaß. Ich habe auch Lust mich da szenisch einzubringen. Ich habe ja auch im Fernsehen oder früher im Theater viel gespielt. Meistens übrigens in Kriminalfilmen, daher passt das dann auch wieder ganz gut zu unserem Sound. Ich habe auch oft den Bösewicht gespielt, obwohl ich mich dafür nie explizit beworben habe. Ich wurde eben von den Leuten so engagiert. Spielt man einmal so eine Rolle und bekommt das einigermaßen gut hin, kommen die natürlich immer wieder. Egal ob das jetzt Großstadtrevier, Alarm für Cobra 11 oder so waren. Unsere Videos sind natürlich je nach Song recht unterschiedlich, aber es ist schon so, dass ich da der emotionalere Typ bin, im Vergleich zu Matthias. Das ist vielleicht einfach eine gute Wechselwirkung.
Was die Videos angeht, kann ich das definitiv so bestätigen, dass Du da der emotionalere Typ von Euch beiden bist. Ich feiere Eure Videos in jedem Fall, ganz besonders zuletzt „Knochen Und Blut“.
Bruder Sascha: Das haben wir sogar bei mir zu Hause gedreht. Vielleicht verändern wir da aber auch künftig was, in der Herangehensweise. So wir wie die Videos machen, kennt man das auch aus der Kunstszene, wenn Leute Filmcollagen machen. Vielleicht probieren wir das auch mal ein wenig filmischer, erzählen direkt eine Geschichte. Da müssen wir mal schauen, mit wem wir uns da zusammentun können, der so was auch gut filmisch umsetzen kann.
Bruder Matthias: Wenn jemand das hier liest, der melde sich bei uns! (Schreibt gerne an metal.de über unser Kontaktformular, Anmerk. d. Verf.)
Bruder Sascha: Ich habe zum Schluss aber auch noch eine Frage an Dich. Was löst denn die Musik in Dir aus, wenn Du das neue Album hörst?
Das ist natürlich ganz unterschiedlich, je nachdem um welchen Song es geht. Bei „Knochen Und Blut“ denke ich mir tatsächlich auch manchmal: „Ja, verdammt. Dir hab ich’s gegeben, Du Penner.“ Jeder hat ja ab und an mal ein paar Rachegedanken zu der ein oder anderen Person. „So Weit Nach Draußen“ ist für mich eher so ein Motivations-Song, der mich auch aus einem Loch raus holen kann, wenn meine Stimmung mal nicht so gut ist. Aber trotzdem ist da noch eine gewisse Melancholie, denn was ich gar nicht haben kann, wenn ich mich nicht gut fühle, ist so übertrieben fröhliche Mucke. Auch „Wir Sehen Uns Wieder“ ist ein Song, mit dem vermutlich jeder irgend etwas verbindet. Das Thema ist zwar tragisch, trotzdem ist das Lied nicht nur todtraurig, was die Stimmung angeht.
Bruder Matthias: Auch im Video zu „Wir Sehen Uns Wieder“ haben wir versucht, unterschiedliche Stimmungen mit einfließen zu lassen. Dieses Auf und Ab der Gefühle.
Bruder Sascha: Gerade bei solchen Liedern ist es mir sehr wichtig, dass die Texte echt rüber kommen, ich über echte Emotionen singe. Auch über vergangenes aus meinem Leben, zum Beispiel. Gleichzeitig versuche ich es so universal zu texten, dass auch andere Leute sich darin wieder finden können. Wenn wir bei „Wir Sehen Uns Wieder“ bleiben, hat jeder vielleicht in seinem Freundeskreis Menschen, denen es schon einmal so schlecht ging oder selbst schon solche Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht.
Gerade auch, wenn man das Thema Alkohol noch dazu nimmt, was Du ja in „Wir Sehen Uns Wieder“ direkt ansprichst. Jeder kennt irgendjemanden, auf denen das ein wenig zutreffen könnte, was Du im Text beschreibst, auch wenn es natürlich nicht gleich zum Äußersten kommen muss.
Bruder Sascha: Jeder hat vermutlich auch einen Freund, der mit so was auf der Strecke geblieben ist. Ich kenne da auf jeden Fall einige. Manchmal denke ich, mich hätte das vielleicht auch erwischen können. Man weiß es nicht. Grundsätzlich ist mir auch wichtig, da Du „So Weit Nach Draußen“ angesprochen hast, dass ich über Gefühle singe, ohne dass es kitschig wird. Wobei die Kitsch-Gefahr in den melancholischen Songs vermutlich nicht so hoch ist.
Ich finde ohnehin, dass eigentlich alle Eure Lieder eine gewisse Melancholie beinhalten.
Bruder Sascha: Das auf jeden Fall, und die ist auch ernst gemeint. Die Texte schreibe ich meistens abends, wenn ich mit mir allein bin. Oft wirken sie auch erst am Ende so komisch doppeldeutig und ich bin selbst überrascht darüber, weil ich das ursprünglich gar nicht so gemeint habe. Auch bei alten Schlagern ist es übrigens so, dass die Texte so universell gehalten sind, dass sie in alle möglichen Richtungen interpretiert werden können.
Ich danke Euch, dass Ihr Euch so viel Zeit genommen habt und für das entspannte Gespräch.
Bruder Matthias und Bruder Sascha: Vielen Dank, dass Du uns interviewt hast.
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Stile | Country, Neofolk, Pop, Singer/Songwriter |
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