Sonata Arctica
Tony Kakko im Interview zu "The Ninth Hour"
Interview
Am 7. Oktober 2016 veröffentlichen die Finnen SONATA ARCTICA ihr neues Studioalbum „The Ninth Hour“ via Nuclear Blast Records. metal.de durfte vorab in das Album reinhören und Sänger, Keyboarder, Bandgründer und Mastermind Tony Kakko ein paar Fragen stellen.
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Tony Kakko von SONATA ARCTICA …
… über die Konzeption des Albums:
Die ursprüngliche Idee für das Album kam mir noch auf der „Pariah’s Child“-Tour und bestand eigentlich darin, das nächste Album wieder heavier zu machen und mehr schnellere Songs darauf unterzubringen, diesen Aspekt von SONATA ARCTICA wieder hervorzuholen. Aber ich weiß nicht … irgendwas ist passiert, haha. Ich nahm mir nach der Tour eigentlich ein halbes Jahr Urlaub von der Band, in dem ich nicht einmal an SONATA ARCTICA, Touren, Songs etc. zu denken versuchte. Wir spielten zwar ein paar Shows, aber ich verbrachte viel Zeit mit meiner Familie und so. Als es dann nach dieser Pause an der Zeit war, wieder an der Band zu arbeiten, dachte ich auf einmal ganz anders. Ich nahm alle Ideen, die mir kamen, unreflektiert an – alles, was mir an Musik in den Sinn kam, schrieb ich einfach auf, genauso, wie es aus mir herausfloss. Das hat mich sehr glücklich gemacht, gleichzeitig wurde mir aber klar, dass das nicht das war, was das Album ursprünglich werden sollte.
Eine große Überraschung war es, als ich die Master bekam und die Längen der einzelnen Songs sah. Dem hatte ich vorher gar keine Beachtung geschenkt, aber ich merkte, hey, das ist ganz schön weit von meiner „Keep it simple“-Idee weggedriftet. Auf „Pariah’s Child“ und auch auf „Stones Grow Her Name“ hatten wir eine Menge sehr kurzer Stücke, die fast poppige Längen hatten, maximal vier Minuten oder um den Dreh. Auf „The Ninth Hour“ haben wir davon kaum welche, die meisten Songs bewegen sich im Sechs-Minuten-Bereich. Insofern … das Album ist anders. Aber dafür kann ich wirklich keine anderen Gründe nennen als eben diese Pause, haha.
… auf die Frage, ob „The Ninth Hour“ wieder etwas progressiver klänge:
Progressiv weiß ich nicht, aber ich denke, die allgemeine Stimmung von „The Ninth Hour“ ist etwas reifer als die von „Pariah’s Child“ war. Das Album fühlt sich für mich wie eine Linie an, die man von all den früheren Alben aus weiterzieht, weshalb es für mich nicht einen einzigen, bestimmten Charme hat. Aber alles braucht seine Zeit, vielleicht ist das progressive Element also tatsächlich da und ich höre es noch nicht.
… beantwortet, warum das Album ruhiger ist als die meisten anderen SONATA ARCTICA-Alben:
Das ist auch einfach so passiert. „The Ninth Hour“ ist in der Tat ruhiger als das vorherige Album, also quasi der Gegenteil des ursprünglichen Gedankens, haha. Nein, ich kann nur wiederholen: Ich habe diese Songs einfach geschrieben. Es gibt darunter aber auch ältere Stücke, zum Beispiel „Among The Shooting Stars“. Ich erinnere mich, dass wir den Song schon gespielt haben, als wir erste Demos für das „Stones Grow Her Name“-Album aufnahmen. Und auch da war das bereits ein älterer Song. Es war aber gut, dass er damals nicht auf dem Album gelandet ist, er war noch nicht ganz ausgereift. Für „The Ninth Hour“ habe ich den Song umgearbeitet und ausgearbeitet, so ist er besser – obwohl er grundsätzlich noch derselbe, alte Song ist.
… über die Entstehung von „The Ninth Hour“ allgemein:
Wir haben uns leider nicht die Zeit genommen haben, die wir ursprünglich eingeplant hatten. Anfang des Jahres stand die Nordamerika-Tour mit NIGHTWISH auf dem Programm, wo wir erstmal nicht weiter an den Songs arbeiteten, obwohl wir eigentlich eine ausgereifte Studio-Session geplant hatten und uns viel Zeit nehmen wollten. Auch das kam also anders als gedacht. Als wir das Album aufnahmen, hatten wir die Songs teilweise nicht mal zusammen geprobt. Die Jungs waren schon im Studio, nahmen dies und das auf, dachten über den Sound nach und so, während ich noch zu Hause saß und immer neues Material rüberschickte. Das war für mich nicht wirklich das Richtige, aber ich muss sagen: Manchmal ist zu viel Zeit auch nicht gut. Aber GENUG Zeit wäre schon schön gewesen, haha.
Aber ich denke, dass das Ergebnis trotz des ruhigeren Ansatzes ziemlich gut geworden ist. Wir waren auch noch nie so spät mit dem Abliefern dran, aber letztlich ist das schon okay. Ich finde, es kommt auf das finale Produkt an, und das ist schön geworden.
Ich bin einfach nicht gut darin, zu planen … das heißt, ich kann gut Pläne machen und jedem davon erzählen, aber meistens habe ich da keine Ahnung, wovon ich rede, haha. Ich schreibe halt einfach, wie mir die Songs in den Sinn kommen. Ich bin nicht religiös oder so, glaube an nichts dergleichen, aber es fühlt sich an, als würde ich die Songs einfach „finden“. Ich habe keine Ahnung, wo sie herkommen, sie sind einfach da. Das muss wohl eine Gabe oder so sein, haha. Und solange es noch wie SONATA ARCTICA klingt, ist für mich alles gut.
… über die inhaltliche, konzeptuelle Seite von „The Ninth Hour“:
Obwohl „The Ninth Hour“ kein Konzeptalbum per se ist, gibt es einige Songs, die ökologische Themen aufgreifen, zum Beispiel „Closer To An Animal“ oder „We Are What We Are“. Diese Songs sind also miteinander verbunden und auch mit dem Cover des Albums verknüpft. Dort haben wir ja diese Stundenglas-Vorrichtung: In der Zukunft stehen Mensch und Natur noch in perfekter Balance. Allerdings gibt es auch diesen Knauf, der die Frage stellt, was wir tun – was tun wir mit unserer Umwelt? Die Frage, ob wir es schaffen, besser mit unserer Umwelt umzugehen, ist also die Möglichkeit, diesen Knauf in die eine oder andere Richtung zu drehen. Wir haben es in der Hand, die Balance beizubehalten – oder den Knauf zur linken, dystopische Seite zu drehen, in der die Natur verschwunden ist, oder die rechte Seite, in der nur die Natur übrig bleibt, es aber keine Menschen mehr gibt.
Das ist die grundlegende Idee. Der Name „The Ninth Hour“ stammt aus der Bibel, wo Gott verlangt, dass wir Menschen in der neunten Stunde nur Opfer darbringen und Buße tun. Und das ist eben die Stunde, in der wir jetzt leben: Wir müssen an unserem Verhalten gegenüber der Umwelt etwas ändern, wir müssen Opfer bringen und bereuen. Das müssen keine großen Schritte sein, jeder für sich privat, auf kleinem Level. Denn es werden nicht wir sein, die leiden, sondern unsere Kinder. So sehe ich das zumindest.
… über die Inspirationen zu seinen musikalischen und lyrischen Geschichten:
Im Grunde öffne ich nur meine Augen und Ohren und mache mir mentale Notizen – 24 Stunden, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Und wenn ich etwas davon für spannend genug halte, um es aufzuschreiben, schreibe ich es eben auf. Oft habe ich dabei noch keine konkrete Idee, wo und wie ich es verwenden werde, aber es wird seinen Platz finden.
Ansonsten … die Natur, Bücher, das alltägliche Leben. Aus irgendeinem Grund werde ich von Tragödien und traurigen Dingen eher inspiriert. Das scheint bei vielen Künstlern der Fall zu sein. Ich finde es wirklich schwierig, einen richtig fröhlichen Song zu schreiben. Ich kann fröhliche Melodien schreiben, aber die Stimmung und die Texte des gesamten Songs tendieren bei mir immer zur dunklen Seite. Selbst früher, als wir oft „Happy Metal“ genannt wurden – ja, wenn man nur auf die Musik hört und nicht auf die Texte, dann vielleicht. Selbst unsere fröhlicheren Songs haben meistens eine dunklere, melancholischere Message. Oder eine, die dich zumindest nachdenklich stimmt. Ich kann mich nur an ein glückliches Liebeslied erinnern, das wäre „Love“ vom letzten Album. Und damit habe ich ewig gekämpft, haha.
… über den zweiten Teil von „White Pearl, Black Oceans“ (von „Reckoning Night“):
Das Original von „White Pearl, Black Oceans“ scheint für viele, viele Leute der Lieblingssong von SONATA ARCTICA zu sein. Es gab sogar einige Fans, die Kurzgeschichten und sogar Kurzromane über die Geschichte darin geschrieben haben, und jemand hat mal das Drehbuch zu einem Film angefertigt. All diese Ideen haben die Geschichte des Songs lebendig bleiben lassen, und so kam mir irgendwann der Gedanke, die Story zu erweitern.
Irgendwann saß ich dann an meinem Rechner, spielte mit neuen Sounds herum und hatte ein paar Ideen. Dann postete ich zunächst lose auf Instagram, dass ich am zweiten Teil des Songs arbeite. Die Reaktionen waren … wow. Nun, und dann konnte ich keinen Rückzieher mehr machen, haha, obwohl das wirklich erst eine grobe Idee war. Da war dann natürlich eine Menge Druck dabei, es richtig zu machen, weil der Song so vielen Leuten so viel bedeutet.
Aber ja, ich wollte einfach die Geschichte erweitern. Es fing als … naja, die hübschere Halbschwester des Originals an, nicht so heavy, dafür mit, meiner Meinung nach, schöneren Melodien. Für manche wird das sicherlich wie ein zweiter Teil von „Titanic“ sein, in dem Leonardo DiCaprio auf einmal wieder lebt, haha. Aber ich wollte den Song für niemanden ruinieren, es ist eben ein Happy Ending für die Geschichte, mit dem ich persönlich sehr glücklich bin. Das war allerdings eine Menge Arbeit. Ich denke nicht, dass es einen dritten Teil geben wird, obwohl ich den zweiten sehr mag.
… wird gefragt, ob es noch weitere Songs gibt, für die er sich Fortsetzungen vorstellen könnte:
Auf „The Ninth Hour“ gibt es neben „White Pearl, Black Ocens“ in der Tat eine weitere Fortführung einer Saga, wenn man so will. Die begann auf „Silence“ mit „The End Of This Chapter“, ging dann mit „Don’t Say A Word“ [von „Reckoning Night“, 2004 – Anm. d. Red.] und „Caleb“ von „Unia“ weiter. All diese Songs werden von der Stalker-Idee zusammengehalten. Das ist keine fortlaufende Geschichte, es sind eher episodenhafte, unterschiedliche Blickwinkel auf dieselbe Idee. Auf dem neuen Album ist „Till Death Done Us Apart“ ein weiterer Teil dieser Saga. Scheinbar verbinde ich also auf „The Ninth Hour“ tatsächlich neue Dinge mit alten Dingen, wie es aussieht, hehe.
… beantwortet die Frage, ob er bei all den umweltpolitischen Themen denn ein politischer Mensch sei:
Nein. Ich bin wirklich kein allzu politischer Mensch, das interessiert mich nicht wirklich. Ich weiß nicht, für mich ist das nur ein Spiel, das ich lieber anderen Leuten überlasse. Aber ich gehöre natürlich irgendwie dazu, und ich gehe auch regelmäßig wählen. Ich finde, das alles, was wirklich getan werden muss, vom Gesetz erzwungen werden sollte. Dafür gibt es keine andere Möglichkeit, denn der freie Wille wird das nicht alleine richten. Aber das ist wie gesagt nicht mein Spiel, ich bin ein Songwriter.
Was das Umweltthema angeht, muss ich feststellen, dass ich sogar eher Teil des Problems bin als der Lösung. Ich fahre zum Beispiel immer noch ein eigenes Auto, weil ich auf dem Land lebe und sonst nicht hier wegkomme. Aber ich versuche, durch kleine Entscheidungen einen Unterschied zu machen … ich achte auf Recycling, ich heize mein Haus auf umweltfreundliche Weise und sowas. Dennoch weiß ich, dass mein freier Wille nicht ausreicht, da muss es Gesetze geben, die mich zwingen, meine Gewohnheiten zu ändern. Und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sich das bei den meisten Leuten so verhält.
Wow, haha.
Wow?
Ja, vor zehn Jahren hätte ich wahrscheinlich noch ganz anders geantwortet, haha. Aber um das abzuschließen: Wenn jemand Ideen und Anstöße aus meinen Songs zieht, zum Beispiel anfängt, zu recyclen, solche Dinge in seine tägliche Routine einzubauen, dann ist das natürlich großartig. Dann war es das wert.
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