Sonata Arctica
Interview mit Tony Kakko zum neuen Album "Stones Grow Her Name"
Interview
Digitales Zeitalter hin oder her, die Telefonverbindung hat heute so viel verrauschtes Knarzen zu bieten, dass ich mich unweigerlich an eine analoge Signalübertragung erinnert fühle. Und spätestens bei der Übermittlung eines Telekommunikationssignals dürfte selbst der größte Vinyl-Enthusiast die Segnungen der modernen Digtaltechnik zu schätzen wissen. Sei es drum, im dritten Anlauf steht dann die Leitung zu SONATA ARCTICA-Frontmann Tony Kakko und ich kann ihn endlich mit Fragen zum neuen Album „Stones Grow Her Name“ bombardieren.
Hey Tony, alles klar bei dir?
Ja, ich gebe gerade viele Interviews und wir haben gerade erst zwei Tage mit Bandproben für die kommenden Shows hinter uns. Eine Menge Arbeit also.
Machen dir Interviews da überhaupt noch Spaß? Oder geht es dir schon langsam auf die Nerven, verschiedenen Leuten immer wieder dieselben Fragen beantworten zu müssen?
Manchmal fallen den Leuten ja auch sehr originelle Fragen ein. Natürlich gibt es auch Dinge, nach denen jeder einfach fragen muss. Aber ich habe bislang auch erst um die 35 Interviews gegeben, so schlimm ist es also noch nicht. Frag mich das also besser nochmal, wenn ich hundert oder mehr hinter mir habe. (lacht) Aber im Moment fällt es mir sogar immer leichter, ich entwickle langsam meine Antwort-Routine, wo ich bei vielen Fragen schon ganz gut weiß, wie ich darauf antworten will und genug Zeit hatte, das auch alles zu Ende zu denken. Es ist also nicht so schlimm, keine Sorge.
Erinnerst du dich noch, wie es dir in den Anfangstagen von SONATA ARCTICA damit ging? Damals dürftet ihr noch wesentlich weniger Interview-Anfragen bekommen haben und es dürfte allgemein wesentlich ruhiger um die Band gewesen sein.
Natürlich war es ruhiger, aber ich erinnere mich auch noch sehr gut an das erste Telefoninterview, das ich geben sollte. Ich war bei meiner Freundin zuhause und habe von dort aus diesen Typen in Frankreich angerufen. Ich hatte damals noch wenig Erfahrung mit Telefoninterviews, ganz zu schweigen davon, mich mit Leuten aus Frankreich zu unterhalten, die oft einen sehr starken Akzent haben. Vielleicht lag es nur an meiner mangelnden Erfahrung, aber für meine Ohren hatte dieser Typ den übelsten, klischeehaftesten französischen Akzent, den man sich vorstellen kann, und ich konnte kein Wort von dem verstehen, was er sagte. (lacht) Am Ende haben wir uns dann dazu entschlossen, das Interview per E-Mail zu machen. Das war dann also mein erstes Telefoninterview – einfach perfekt! Aber natürlich ist das besser geworden und wenn man erst einmal hunderte von Interviews am Telefon gemacht hat, ist es einfach wie ein ganz normales Telefonat.
Ok, dann lass uns doch jetzt mal über euer neues Album sprechen.
Das wäre sehr freundlich. (lacht)
Als ich letztes Jahr mit Henkka (Keyboarder Henrik Klingenberg – Anm. d. Red.) gesprochen habe, meinte er, das neue Album würde ein geradlinigeres Rock-Album werden als es „The Days Of Greys“ war. Das trifft auf „Stone Grow Her Name“ definitiv zu, es ist wesentlich zugänglicher, hat klarere Songstrukturen und ich denke auch, dass die Hooklines wieder stärker im Vordergrund stehen. War das eine bewusste Entscheidung oder hat sich das Songwriting eher zufällig in diese Richtung entwickelt?
Tatsächlich hatte ich während des Songwritings immer dieses Zitat vor Augen: „K.I.S.S. – Keep It Simple, Stupid!“ Ich denke, wir haben es weit genug getrieben mit diesen progressiven Kompositionen, wo man möglichst schwierige und abgedrehte Parts aneinander reiht und ein Song am Ende aus achtzehn verschiedenen Teilen besteht. Das ist einfach zu viel. Wenn du ein Lied nicht innerhalb von sechs, sieben Minuten zum Abschluss bringen kannst, hast du dich ziemlich weit von dem entfernt, was wir tun wollen. Und genau in diese Richtung hatten wir uns entwickelt. Alle Stücke waren etwas zu lang, hatten zu viel Text und zu viel von allem anderen.
Natürlich hat es Spaß gemacht, sie zu schreiben, das ist die reinste Masturbation des Komponisten, wenn man sich auf diese Art selbst befriedigt, dass man viele abgedrehte Sachen schreibt und es trotzdem irgendwie funktioniert. Aber es war höchste Zeit, dass wir davon Abstand nahmen und uns zurück zu unseren Ursprüngen entwickelten. Damit meine ich nicht unser Debütalbum „Ecliptica“, sondern noch drei oder vier Jahre weiter zurück. Damals waren wir näher an „Stones Grow Her Name“ dran als an „Ecliptica“, was sich irgendwie merkwürdig anfühlt. In gewisser Weise schließt sich nun der Kreis.
In gewisser Weise habt ihr da aber selbst ein wenig geschummelt, denn wenn man den zweiten und dritten Teil von „Wildfire“ zusammen nimmt, habt ihr ja schon wieder ein sechzehnminütiges Stück geschrieben…
(lacht) Das war nur ein Versehen! Aber man braucht auch immer eine Ausnahme von der Regel, oder nicht?
Schon. Ich mochte ja bereits das erste „Wildfire“ sehr und als ich dann las, dass ihr davon zwei weitere Teile machen wollt, war ich ziemlich skeptisch. Inzwischen bin ich aber erleichtert darüber, dass euch eine würdige Fortsetzung gelungen ist. Wieso kam es überhaupt dazu? Hattet ihr noch Material von den „Reckoning Night“-Sessions übrig?
Irgendwann ist mir aufgefallen, dass mir das Hauptthema von „Wildfire“ wirklich gut gefiel. Es bekam aber meiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit und ich wollte es daher noch einmal benutzen. Nun taucht es am Anfang von „Wilfire, Part 2“ wieder auf, wo es von dieser Kneipenband gespielt wird. Das hat einfach Spaß gemacht. Ich wollte dieses Hauptthema unbedingt noch einmal aufgreifen und die einzige Möglichkeit, das vor mir selbst zu rechtfertigen, war es, ein „Wildfire 2“ oder so etwas ähnliches zu machen. Ich habe also begonnen, nach und nach neue Teile zu diesem Thema hinzuzufügen und alles so zusammenzusetzen, dass am Ende ein richtiger Song daraus wurde.
Zur selben Zeit – ich arbeite ohnehin immer parallel an mehreren Stücken – hatte ich dieses andere Lied, das ebenfalls ziemlich lang zu werden schien. Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, dass wir auf einem Album, bei dem die Stücke näher an einer Länge von fünf Minuten liegen sollten, nicht zu viele haben sollten, die nahe an die acht Minuten heranreichen – es sei denn, wir kombinieren sie zu einem sechzehninütigen Gesamtwerk, das wir ans Ende des Albums packen können. So entstand „Wildfire 3“ und es beschließt diese ganze „menschliches Tier gegen Umwelt“-Thematik, auf der auch das ursprüngliche „Wildfire“ basiert.
Beim ursprünglichen „Wildfire“ fand ich die Spoken-Word-Parts total klasse. Dieses „Burn! Burn it all!“ spukt mir heute noch manchmal im Kopf herum. Für die Fortsetzung habt ihr eine Computerstimme verwendet, die ich nicht so toll finde.
Ja, das ist mein Computer, der da spricht, kein echter Mensch. Wir hatten keine Zeit mehr, jemanden zu finden, der diese Worte einspricht, die ein Zitat von Sir David Attenborough sind. Ich habe also einfach meinen Apple benutzt, der über einen Sprach-Synthesizer verfügt, und dachte mir, das wäre einmal was anderes. Das ist es auf jeden Fall auch und natürlich kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er es mag oder nicht.
Ich habe gelesen, dass du auf Tour mit dem Schreiben der neuen Songs begonnen hast. Das ist aber nicht die normale Vorgehensweise bei SONATA ARCTICA, oder?
Ich kann keine richtigen Songs schreiben, wenn ich im Tourbus sitze. Ich sammle nur kurze Ideen, Textfragmente, Melodien und dergleichen, die ich später daheim herauskramen und für neue Songs verwenden kann. Für die „Days Of Greys“-Tour spielten wir 180 Shows in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Wir hatten also zwischen den Shows auch viel Freizeit, wie Ende 2010, als wir nur Gigs in Südamerika hatten und mehrere Monate zu Hause verbringen konnten. Es ist ein finanzielles Desaster, mitten in einer Tour so lange daheim zu bleiben, aber das hat es mir ermöglicht, Songs zu schreiben. Ich habe viel Zeit damit verbracht, die Ideen zusammenzusetzen, die ich auf Tour gesammelt habe.
Hat die direkte live-Erfahrung dann auch dazu beigetragen, dass „Stones Grow Her Name“ ein geradlinigeres Rock-Album geworden ist?
Nein, nicht wirklich. Ich wollte das Material einfach ganz bewusst etwas zugänglicher gestalten. Seit „Unia“ wurden wir dafür kritisiert, dass die Songs zu komplex geworden seien. Und meistens waren es auch unsere einfacheren Stücke, die beim Publikum am besten ankamen, auch wenn ich persönlich manchmal die komplexeren Stücke bevorzuge, weil sie so abgedreht sind und Spaß machen. Aber wir versuchen ja auch, von der Musik unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, da schadet es wohl nicht, wenn die Leute das, was wir da machen, auch irgendwie verstehen und einen Zugang dazu bekommen. Auf der anderen Seite würden wir unseren Job auch gerne noch möglichst lange ausüben, bis wir dann im Alter von 85 vielleicht bereit für den Ruhestand sind. Und die einzige Möglichkeit für uns, das auch durchzuziehen, ist es, unseren Stil immer unserem jeweiligen Lebensalter anzupassen.
Darüber hinaus haben wir in gewisser Weise kapiert, dass das Musizieren kein Wettkampf ist. Viele Kids unter zwanzig versuchen doch, immer schneller zu spielen und immer mehr Noten unterzubringen. So lernt man natürlich, zu einem wahren Virtuosen auf seinem Instrument zu werden. Aber das ist es nicht, worum es in der Musik eigentlich gehen sollte. Mir tun Leute leid, die eigentlich viel älter und weiser sein sollten, in Wirklichkeit aber total unsicher sind und Musik vor allem als Wettstreit mit anderen Musikern und Bands sehen. Es sollte einfach Spaß machen, denke ich, und dem Zuhörer Freude bereiten. Und das versuchen wir, zu erreichen.
Bislang macht es uns großen Spaß, die neuen Stücke live zu spielen, und wir können uns da auf der Bühne auch ziemlich austoben. Das ist in gewisser Weise eine neue Erfahrung für uns. Bei einigen unserer Stücke hatte es sich oftmals wie Sport angefühlt, sie auf der Bühne umzusetzen, weil es uns physisch ziemlich viel abverlangt hat.
Letztlicht ist es aber wohl auch eine gesunde Mischung, die ein gelungenes Live-Konzert auszeichnet. Gerade der Wechsel zwischen einfacheren Stücken von eurem Debütalbum wie „FullMoon“ oder „Replica“ und komplexeren, epischen Songs wie „White Pearl, Black Oceans“ macht eure Shows erst so richtig spannend.
Da stimme ich dir zu. Deswegen versuchen wir auch immer Songs von allen Alben zu spielen und auch ein paar abgedrehtere Nummern auf der Setlist zu haben. Ansonsten würden wir es uns auch zu leicht machen. Ich weiß ja, dass wir auch viele Fans haben, die uns erst durch die komplexeren, verrückteren Nummern entdeckt haben und die mehr auf progressive Musik stehen. Wenn die zu unseren Konzerten kommen, würden sie am liebsten nur das abgedrehte Zeug hören, „White Pearl, Black Oceans“, „Deathaura“ und wie sie alle heißen. Wenn wir dann bei den kommenden Shows nur noch die neuen Stücke, „FullMoon“ und andere leichtere Songs spielen würden, bin ich mir sicher, dass ihnen das nicht so sehr gefallen würde. Aber manchmal reicht es ja auch schon, wenigstens einen abgedrehten Song zu spielen, weil sie ja auch verstehen, dass wir nicht nur solche Stücke spielen können.
Ok, lass uns nun noch ein bisschen über die neuen Songs sprechen. Als erstes ist mir „The Day“ aufgefallen, dessen Gesangsmelodie mich ein wenig an „As If The World Wasn’t Ending“ vom Vorgängeralbum erinnert hat. Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Stücken?
Zumindest keine bewusste. Ich versuche eigentlich immer – außer natürlich bei der „Wildfire“-Geschichte oder ähnlichem – völlig eigenständige und neue Stücke zu schreiben. Aber natürlich ist es dieselbe Person, die beide Stücke geschrieben hat. Jedenfalls habe ich nicht bewusst versucht, mich selbst zu kopieren. Natürlich mögen die Stimmung und der Stil beider Songs sich ähneln.
„The Day“ war einer der ersten Songs, die ich für dieses Album fertig hatte und auch der erste, der einen richtigen Text bekam. Vor einem Jahr, als diese Tsunami-Geschichte in Japan passierte, bekam ich eine SMS von einer Freundin, die meinte, wie froh sie sei, dass ich gerade nicht in Japan wäre. So erfuhr ich, dass dort etwas schreckliches passiert war und wenige Tage später schrieb ich darüber diesen Songtext.
Über „Cinderblox“ müssen wir auch unbedingt sprechen. Da packt ihr diese fantastische Banjo-Melodie aus, die nicht ganz zufällig an amerikanische Country-Musik erinnert, oder?
Ich stand schon immer auf Bluegrass. Das erste Mal, dass ich solche Musik mit einem Banjo hörte, war, als ich als Kind „Deliverance“ (deutscher Titel: „Beim Sterben ist jeder der Erste“) gesehen habe. Da gibt es diese abgefahrene Banjo/Gitarre-Duell-Szene, die ich total klasse fand und seitdem höre ich mir immer wieder gerne Bluegrass-Musik an. Dass das Banjo seinen Weg ins Songwriting von „Cinderblox“ fand, war reiner Zufall. Ich fand auf meinem Keyboard diesen Banjo-Sound, den ich ziemlich lustig fand, und begann, damit herumzuspielen. Schließlich entwickelte ich dieses Riff und eine Stunde später hatte ich bereits die Grundstruktur des gesamten Stücks.
Du hättest dabei sein sollen, als ich den Jungs zum ersten Mal dieses Demo vorspielte! Ihnen klappten kollektiv die Kinnladen herunter. (lacht) „Was zur Hölle soll das?“ – „Nein, ich meine das ernst und das kommt aufs Album!“ Ich spielte ihnen den Song dann noch zwei oder drei Mal vor, bis sie auch anfingen, ihnen zu mögen. Sowohl unser Management als auch das Label flippten total aus und meinten: „Das ist fantastisch, großartig, etwas völlig einzigartiges, das die Leute bei den Ohren packen wird!“ Und dem kann ich nur zustimmen. Natürlich haben wir dann einen geeigneten Banjo-Spieler gefunden, es ist also ein echtes Banjo, das man da hört, außerdem eine echte Geige und ein Kontrabass.
Auch der Rest des Albums klingt für mich eine ganze Ecke „amerikanischer“ als eure älteren Sachen. Kannst du dem zustimmen? Und ist das für dich eher ein Kompliment oder eine Beleidigung?
Ich nehme das lieber als Kompliment. (lacht) Natürlich kann ich das verstehen, über ein Stück wie „Shitload O’Money“ steht ja auch ganz dick in Großbuchstaben „Amerika“ geschrieben. Ich sehe da die Lichter von Las Vegas, wenn ich den Song höre oder wir ihn spielen. Dieses Album hat viele Einflüsse aus der Rockmusik der Achtziger-Jahre, wo die großen Bands alle aus Amerika kamen: AEROSMITH, ZZ TOP, MÖTLEY CRÜE und wie sie alle heißen.
Bist du dann auch ein Fan der amerikanischen Alltagskultur?
Hmmm, ich mag vieles dort. Es läuft dort zwar vieles ziemlich schief, aber ich mag die Leute und ihre optimistische Grundstimmung, obwohl einige von ihnen wirklich allen Grund hätten, sich zu ärgern. Wenn man das mit der finnischen „Fuck-You-Attitüde“ vergleicht, wo niemand viel miteinander redet und die Leute im allgemeinen ziemlich mürrisch sind. In den USA und Kanada lächeln die Leute immer und sind fröhlich, selbst wenn sie es in Wirklichkeit gar nicht ernst meinen. Es ist oftmals nur das Gesicht, dass sie nach außen hin zeigen, aber das ist einfach soviel freundlicher, als die finnische Grummel-Miene.
Die Single-Auskopplung „I Have A Right“ dürfte mit ihrem gewaltigen Pop-Appeal und dem ziemlich speziellen Keyboard-Sound nicht jedem gefallen. Hattet ihr keine Angst, dass manche eurer Fans das Stück für viel zu kitschig halten könnten?
Nein, eigentlich nicht. Wenn ich ein Lied schreibe, das mir selbst gefällt, dann wird es immer auch andere Leute geben, die es mögen. Und egal, was ich für ein Stück schreibe, es wird immer auch Leute geben, die es nicht mögen. Daher mache ich mir keine Gedanken darüber, was andere Leute von meinen Songs halten. Das bedeutet mir im Grunde überhaupt nichts mehr, ich bin inzwischen alt genug, um das zu tun, was ich möchte. (lacht) Aber ich bin recht zuversichtlich, dass jedes Lied sein Publikum finden wird.
Als erste Single war „I Have A Right“ meiner Meinung nach die beste Wahl, weil es wirklich eine Menge Pop-Appeal hat. Es würde uns nicht schaden, mehr Aufmerksamkeit in den Medien zu bekommen, und auf diese Weise können wir vielleicht sogar etwas Airplay bei Radio-Stationen bekommen, bei denen sich nicht alles nur um Metal dreht. Für manche ist das ja eher ein Schimpfwort.
Dieses Album hat auch eine starke Rock- und Pop-Ader – oder ist das jetzt eine total schreckliche Aussage? Es ist ein leichteres Album, was es poppiger macht, obwohl wir eine Menge Rock- und Metal-Elemente darauf gepackt haben. Es ist komisch, auf gewisse Weise ist es „popularistisch“, aber ich weiß, dass manche Leute das für eine schlechte Sache halten. Es ist einfach der Gegenentwurf zur Progressivität, zum Progressive Rock.
Ich sehe prinzipiell kein Problem darin, poppig zu klingen, so lange es zu eurem Stil passt und ihr dabei nicht versucht, euch an den Mainstream anzubiedern. „I Have A Right“ klingt immernoch nach SONATA ARCTICA und ist einfach ein cooler Song.
Das denke ich auch und deshalb ist das Stück auch auf dem Album gelandet. Tatsächlich war es der letzte Song, den ich geschrieben hatte. Unser Drummer Tommy war bereits fertig mit den Schlagzeug-Aufnahmen und hatte mir eine SMS geschickt, in der er schrieb: „Ok, ich bin fertig mit dem Album, exzellent, super, ich geh jetzt in die Sauna und trinke ein Bier!“ Und ich sagt zu ihm: „Nein, nein, nein! Geh noch nicht in die Sauna, ich hab dir grade noch ein Demo per Mail geschickt, guck dir das noch an.“ Und er darauf: „Fuck You!“ Er hat den Song angehört, mochte ihn sehr und hat ihn in einem Take eingespielt. Das Lied ist auch nicht so schwierig, er hat es sich angehört und konnte es sofort nachspielen.
Musikalisch habt ihr euch ja im Laufe der Jahre kontinuierlich weiterentwickelt und ihr werdet gerade für eure Experimentierfreude von vielen Fans geliebt. Manche vermissen aber auch seit längerem die geradlinigen Power-Metal-Stücke von „Ecliptica“ oder „Silence“. Wie stehst du heute persönlich zu euren ersten Alben?
Wir spielen ja immernoch viele alte Stücke, auch vom unserem Debütalbum. „FullMoon“ ist immernoch auf der Setlist, „Replica“ oftmals auch. Auf jedem Album gibt es einige Lieder, die uns wohl immer begleiten werden und immer wieder auf unserer Setlist auftauchen. Ich mag auch die schnellsten von unseren alten Stücken noch. Ich habe einmal öffentlich geäußert, dass ich „Wolf & Raven“ vom „Silence“-Album nicht mag, weil es ein richtiger „Pain in the Ass“ ist. Aber das liegt an meinen Live-Erfahrungen mit dem Lied. Es wurde in einer Weise arrangiert, die mir keine Zeit zum Atmen lässt, es hat einfach zuviel Text in zu schneller Abfolge. Deshalb mag ich das Stück live überhaupt nicht. Auf dem Album mag ich es aber immernoch und um das zu unterstreichen, habe ich es selbständig überarbeitet und in einer alternativen Version als Bonus-Track für den Re-Release von „Silence“ verwendet. Genauso haben wir es mit „Letter To Dana“ für den „Ecliptica“-Re-Release gemacht. Beide Songs unterscheiden sich nun deutlich von der ursprünglichen Fassung und genau das war der Grund dafür, sie noch einmal zu überarbeiten.
Geht es dir öfter so, wenn du alte Songs von euch hörst, dass du dir überlegst, was du alles hättest besser machen können?
Immer! Selbst als wir die Stücke von „Stones Grow Her Name“ für die kommenden Live-Shows geprobt haben, sind mir bereits wieder neue Sachen eingefallen, wo ich mir denke: „Verdammt, das hätte ich auf dem Album SO machen sollen!“ Aber es ist eben wie es ist und ich bin immernoch glücklich mit jedem Album, das wir veröffentlicht haben. Mit der Zeit entdeckt man immer wieder durch Zufall bessere Varianten, etwas bestimmtes umzusetzen, und möchte dann Veränderungen vornehmen. Aber live kann man das ohnehin immer machen.
Was SONATA ARCTICA in meinen Augen von allen anderen Bands unterscheidet, sind deine einzigartigen Gesangsmelodien. In der Regel entscheidest du dich bewusst gegen eine offensichtliche Art der Melodieführung und überraschst mit völlig unvorhersehbaren Wendungen. Was machst du da beim Komponieren anders als all die anderen Bands?
Ich weiß es nicht. Es macht mir einfach Spaß, mich selbst zu überraschen. Ich fühle mich immer als totaler Versager, wenn ich ein Lied schreibe, das jemand auf Anhieb mitsingen kann. Mir geht das nämlich oft so, wenn ich neue Musik höre, insbesondere bei finnischer Volksmusik, diese Alte-Leute-Schunkel-Musik – „Schlager“-Musik! Das ist so vorhersehbar, genau wie alte Rock’n’Roll-Songs, wo man immer wieder dasselbe wiederholt und nur den Text ändert. Ich hasse dieses Zeug und versuche mich so fern davon zu halten wie möglich und mir selbst völlig neue Dinge einfallen zu lassen.
Ich mache es mir dadurch nicht leicht und das führt auch dazu, dass ich nie Songs in Reserve habe. Jedes Mal, wenn ich genügend Stücke beisammen habe, um ein Album zu veröffentlichen, nehmen wir ein Album mit SONATA ARCTICA auf und veröffentlichen es. Tatsächlich arbeite ich gerade auch an meinem Solo-Album, alle Songs, die ich habe, werden also später einmal ihren Platz dort finden. Wir haben einfach unseren eigenen, eher langsamen Veröffentlichungs-Rhythmus. „The Days Of Greys“ haben wir vor drei Jahren veröffentlicht und das ist eine lange Zeit im Musik-Business.
Da du gerade dein Solo-Album erwähnst, wirst du da auch selbst Gitarre und andere Instrumente spielen oder weißt du schon, mit dem du zusammenarbeiten wirst?
Ich denke, ich werde einfach die besten verfügbaren Leute finden, um alles einzuspielen. Es wäre ziemlich cool, auch Gastsänger auf dem Album zu haben, aber das weiß ich noch nicht, weil das alles noch sehr fragmentarisch ist. Ich habe einem meiner Freunde, der ein wirklich guter Gitarrist ist, einige Demos vorgespielt und er könnte auch auf dem Album spielen. Das ganze Projekt steckt aber noch in den Kinderschuhen. Ich habe beispielsweise ein paar Drummer, die Interesse daran hätten, mitzumachen. Ich selbst werde aber nicht zu viele Instrumente selber spielen, hauptsächlich Keyboards. Mein Gitarrenspiel ist so mittelmäßig, dass es nur zum Komponieren von Liedern reicht.
Ok, dann lass uns noch kurz auf eure kommenden Live-Aktivitäten zu sprechen kommen. Ihr spielt im Sommer wieder einige Festival-Shows, allerdings keine davon hier in Deutschland. Vermutlich können wir aber mit einer Tour im Herbst rechnen, oder?
Ja, wir sind vermutlich ab November unterwegs und haben da auch eine Menge Shows in Deutschland. Unter anderem auch in Berlin, wo wir bislang noch nie gespielt haben oder wenn, dann vor sehr langer Zeit. Allgemein werden wir auf der nächsten Europa-Tour einige Orte besuchen, wo wir noch nie gespielt haben. Natürlich auch die bekannten, aber wir versuchen neue Regionen zu erschließen und unsere Tournee-Routen zu erweitern.
Dass wir diesen Sommer keine Shows in Deutschland haben, ist komisch. Ich hatte damit gerechnet, ein paar Festivals bei euch zu spielen, aber wir buchen die Shows ja nicht selbst. Wir gehen einfach dahin, wo wir hingeschickt werden. Wirklich merkwürdig, das muss der erste Sommer seit Jahren sein, wo wir nicht nach Deutschland kommen.
Mir hat auf eurer „Live In Finland“-DVD der Akustik-Set ziemlich gut gefallen. Wollt ihr so etwas auch auf der kommenden Tour machen oder war das eher eine einmalige Angelegenheit?
Wir haben tatsächlich vor, in Zukunft häufiger solche Akustik-Sets zu spielen. Ich weiß, dass das nicht immer möglich ist. Es gibt da Einschränkungen durch die Mischpulte in einigen Locations, sofern wir nicht unser eigenes mitbringen. Wenn wir Support-Bands haben, brauchen die ihre eigenen Kanäle und so weiter. Es ist also nicht so einfach, aber es wäre großartig, so oft wie möglich einen Akustik-Set oder sogar einmal reine Akustik-Shows in Musikläden oder dergleichen zu spielen. Besonders mit den neuen Stücken, weil die sich sehr leicht in ein solches Umfeld einpassen lassen.
Auf der „Live In Finland“-DVD hattest du offensichtlich auch großen Spaß an diesen ganzen „Behind The Scenes“-Aufnahmen, die du zu einem guten Teil selbst mit deiner Handy-Kamera gemacht hast.
Ja, ich mag das Filmen und auch den ganzen Editing-Prozess. Die Qualität ist vielleicht nicht berauschend, aber dafür hat man alle Freiheiten und es macht großen Spaß. Der erste Gedanke, als ich unsere Südamerika-Tour auf diese Weise dokumentierte, war, dadurch unseren Familien zeigen zu können, was wir tun und wo wir sind, und auch selbst eine Erinnerung an die Tour zu haben. Irgendwann meinte dann jemand, man könnte das Ganze im Internet veröffentlichen, was bei den Fans auch ziemlich gut ankam. So kam das alles ins Rollen und „Kakkoslaatu Productions“ wurde gegründet.
Du hast aber keinerlei Ambitionen, selbst einmal einen großen Kinofilm zu machen?
(lacht) Irgendwann wäre das vielleicht einmal cool. Ich habe viel Spaß am Fotografieren und Filmen. Ich habe sogar eine gewisse Grundausbildung in dieser Richtung erhalten, was man den Tour-Dokus nicht wirklich ansieht. Trotzdem macht es mir viel Spaß, auch wenn es eine Menge Zeit frisst, dieses Material zu erstellen. Ich denke aber, dass es das wert ist. Einigen Fans hat es ziemlich gut gefallen, obwohl die Qualität nicht überragend ist, aber genau darum geht es ja bei der ganzen Sache. Der Name meiner kleinen Filmfirma, „Kakkoslaatu Productions“ bedeutet auf Finnisch so viel wie „zweitklassige Produktion“.
Siehst du es auch als Option für SONATA ARCTICA, eure Musik in einer Art Cross-Media-Projekt mit einem Spielfilm zu verbinden, wie es eure Landsleute NIGHTWISH gerade mit „Imaginaerum“ tun?
Zumindest nicht in diesem Umfang. Wir haben einige noch unausgereifte Ideen, die irgendwann einmal in Form eines Filmes umgesetzt werden könnten, aber ich denke, es ist besser, wenn ich da nicht weiter drüber rede. Ich will es nicht verschreien, ich will, dass es wirklich wahr wird.
Ich frage vor allem deshalb, weil man ja auch bei euren Musikvideos eine Entwicklung hin zu komplexeren Geschichten sehen kann, insbesondere wenn ich an „Flag In The Ground“ denke.
Bei diesem Video hatten wir ein großartiges Team aus Polen, „Grupa 13“, die wahre Wunder vollbracht haben. Wir hatten überhaupt nichts zu tun mit der Entwicklung der Geschichte, sie hatten einen wunderbaren Regisseur, der das alles umsetzte und die Handlung perfekt an den Liedtext anpasste. Das war einfach fantastisch, ich mochte diese Art ein Video zu machen von Anfang an. Es wäre großartig, wenn wir das Geld hätten, um in dieser Art etwas in Spielfilmlänge zu machen. Aber wie NIGHTWISH gerade bewiesen haben, ist das verdammt teuer und nimmt eine Menge Zeit, Resourcen und Leute in Anspruch. Das ist definitiv etwas, was ich alleine niemals stemmen könnte. Man braucht professionelle Unterstützung und viel Geld. Wenn wir mal so viele Alben verkauft haben wie NIGHTWISH, dann vielleicht. (lacht)
Alles klar, dann wär’s das von meiner Seite. Gibt es noch etwas, was du euren Fans hier in Deutschland mit auf den Weg geben möchtest?
Ja klar, da kriegst du diesselbe Antwort wie alle anderen, die diese Frage stellen: Ich hoffe, ihr hört euch das neue Album an und ich hoffe, ihr werdet es mögen. Wenn ihr es mögt, schickt mir eine E-Mail, wenn ihr es nicht mögt, schickt Henkka eine E-Mail! Und ich hoffe, ich sehe euch alle auf Tour!
Alles klar, dann vielen Dank für das Gespräch, Tony!
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