Sólstafir
Interview mit Aðalbjörn Tryggvason zu "Köld"

Interview

Gut drei Jahre sind seit „Masterpiece Of Bitterness“ vergangen, das in unserer Redaktion zurecht in höchsten Tönen gelobt worden war. In dieser Zeit ist es SÓLSTAFIR überraschend schnell gelungen, ein neues Album einzuspielen. Trotzdem gestaltete sich die Arbeit an „Köld“ schwieriger als gedacht. Wie es dazu kam und was es sonst noch aus dem Camp der Isländer zu berichten gibt, erzählt uns Sänger und Gitarrist Aðalbjörn Tryggvason, der gerade in Glasgow lebt und uns aus der schottischen Arbeiterstadt anruft.

Euer neues Album “Köld” wird in Kürze veröffentlicht. Gab es schon Reaktionen auf das neue Album?

Na ja, ein paar. Das Album ist in Finnland schon in den Läden. Wir haben ja schon ein paar Reviews online gestellt, und die sind wirklich richtig gut. Aber wir warten natürlich darauf, dass es in Deutschland veröffentlicht wird, weil dort der größte Markt ist.

Aber ich nehme mal an, dass Ihr schon ein paar der neuen Stücke live gespielt habt?

Wir haben außerhalb von Island genau zwei Shows gespielt. In Deutschland haben wir auf dem Festung Festival zwei neue Stücke gespielt, genauso in Holland. Aber es ist immer schwierig, neue Stücke zu spielen, die niemand kennt. Deshalb wollten wir auch nicht zuviele Songs vorab spielen.

Gut. Lass uns einen Blick zurück werfen. Du hast in einem Interview gesagt, dass die Stimmung innerhalb der Band vor dem „Masterpiece Of Bitterness“-Album sehr schlecht war. Damals hattet Ihr keinen Plattenvertrag und wusstet nicht, wohin die Reise mit der Band gehen würde. Wie war die Situation, nachdem Ihr dieses Album veröffentlicht hattet?

Oh, sie war sehr gut, weil wir mit dem Album und uns zufrieden waren. Das hat eigentlich die Band gerettet. Ich stand kurz davor, SÓLSTAFIR aufzulösen und hatte schon angefangen, bei einer anderen Band zu spielen. Aber wir haben uns doch aufgerafft, die Songs aufzunehmen, weil wir sie einfach mochten. Aber das Ergebnis hat uns recht gegeben. Es war wie eine schwere Geburt, die sich lange hingezogen hat. Und selbst beim neuen Album „Köld“ ist es nicht anders. Wir sind bis an unsere Grenzen gegangen!

Ihr habt „Köld“ diesmal in Schweden aufgenommen, in den Music A Matic Studios in Göteborg. Was kannst Du über die Entscheidung verraten, dorthin zu gehen, und wie waren die Aufnahmesessions?

Wir haben uns hauptsächlich deshalb für dieses Studio entschieden, weil die Aufnahmesessions für „Masterpiece Of Bitterness“ so… [überlegt] unwirklich waren. Im Studio herrschte die ganze Zeit Frost, es gab keine Toilette, und vor der Tür grasten Pferde und Kühe. Und außerdem mussten wir jedesmal anderhalb Stunden dorthin fahren. Also wollten wie bei diesen Aufnahmen etwas anderes machen. Unser Bassist Svavar [Austman] war im Jahr davor in Schweden und hatte dort den Studiobesitzer getroffen. Spinefarm wollten zwar, dass wir für die Aufnahmen nach Finnland fliegen, aber dann bekamen wir ein gutes Angebot von diesem Studio. Und wir fanden die Idee nicht schlecht, dorthin zu gehen, weil es ein sehr komfortables Studio ist. Na ja, letztlich waren wir einen Monat dort und hatten jede Menge Spaß. Aber vielleicht haben wir zuviel getrunken…

…weil das Bier in Schweden billiger ist als in Island?

Joa, es ist vielmehr so, dass es in Schweden mehr Auswahl gibt. Du findest dort einfach mehr Pubs… Aber es war trotz allem auch eine schwierige Zeit. Weißt Du, es war die Zeit um Weihnachten, und einige von uns haben Familie. Und dann ist da die Dunkelheit, und um einen herum ist diese Weihnachtsstimmung, weswegen wir manchmal während der Aufnahmen aus Melancholie ziemlich viel getrunken haben.

Was ist nach den Aufnahmen passiert? Das Album habt Ihr ja bereits im Dezember 2007 aufgenommen, und jetzt wird es endlich im Februar 2009 veröffentlicht…

Wir kamen Ende Dezember 2007 aus dem Studio, haben dann aber drei oder vier Monate kaum miteinander gesprochen. Wir waren einfach ausgebrannt. Wir sind dann ganz entspannt an die nächsten Schritte herangegangen, und zunächst stand der Mix des Albums an. Nach ein paar Monaten hat Sami von Spikefarm etwas Druck gemacht, aber als wir das Thema angehen wollten, war unser Wunschstudio nicht frei und so weiter. Schließlich sollte „Köld“ im September abgemischt werden, damit wir es noch im November veröffentlichen konnten, aber auch das haben wir nicht ganz geschafft. Na ja, wir haben einfach von Januar bis September gar nichts gemacht und die Arbeit dann von September bis November erledigt.
Aber für jemanden, der nicht in diese ganze Sache involviert gewesen ist, hat die Warterei jetzt ein Jahr gedauert. Mir kam das gar nicht so lange vor. Wir haben uns sozusagen in einen Schutzwall zurückgezogen und die Zeit ist einfach schnell vorbeigezogen.

Okay, wie muss ich mir das Bandleben überhaupt vorstellen? Wie oft probt Ihr, und wie schreibt Ihr überhaupt die Songs? Ich meine, Du lebst in Glasgow, Guðmundur [Óli Pálmason, Drums] in London und so weiter…

Ja, stimmt, wir haben seit November 2007 vielleicht dreimal geprobt. Und „Köld“ haben wir 2006 und 2007 geschrieben. Seitdem habe ich keinen einzigen Song mehr komponiert. Es ist nicht einfach, Songs zu schreiben, wir haben fast damit aufgehört. Mal sehen, wie es das nächste Mal klappt, hehe!

Das heißt, dass Ihr jetzt am meisten darauf wartet, dass „Köld“ endlich veröffentlicht wird?

Nein, wir sehnen uns danach, endlich nach Deutschland auf Tour zu kommen! Wir sind schon im Kontakt mit Tourbüros und Promotern, aber ich kann davon noch nichts verraten. Wir möchten das sehr gewissenhaft auswählen. Aber vielleicht klappt eine Tour bei Euch im Spätsommer – das wäre endlich mal wieder an der Zeit!

Lass uns mal auf das neue Album zu sprechen kommen. Warum bist Du mit dem Resultat von „Köld“ zufrieden?

Weil… [überlegt] ich immer große Visionen der Musik hatte. Stell dir weite Horizonte vor, riesige feuerspeiende Drachen und große Sinfonien, fliegende Noten – das habe ich alles vor meinem geistigen Auge gesehen und das wollten wir immer mit unserer Musik erreichen. Bei unserer CD „Í Blóði og Anda“ hatten wir schon einige Songs, die diese Bilder umgesetzt haben. Ich glaube, wenn wir es schaffen, dieses Gefühl vollendet durch unsere Musik auszudrücken, werden wir augenblicklich damit aufhören, Musik zu machen. Auf dem neuen Album sind wir insgesamt sehr nah dran. Beispielsweise bin ich sehr zufrieden mit dem letzten Song, „Goddess Of The Ages“ – das ist einfach richtig große Musik.
Manchmal dachten wir aber, wir würden es nicht hinbekommen. Wir haben uns so viel Zeit genommen. Ein Riff haben wir drei Stunden lang gespielt und dann in unserem Proberaum aufgenommen. Teilweise hatten wir ungefähr 15 Tonbänder mit nur sieben Riffs, und wir haben dann die Stelle rausgesucht, die am intensivsten war. Und wenn du dann drei Stunden dasselbe Riff gespielt hast und vor deinem geistigen Auge all diese Bilder auftauchen, dann ist das wie high zu sein, ohne dass man Drogen genommen hat. Es hat etwas davon, seinen Körper zu verlassen… Und das haben wir auf Band bekommen, weswegen ich zufrieden mit dem Album bin.

Ihr habt unglaublich große und weite Klanglandschaften erschaffen. Wenn Du „Köld“ mit einer Landschaft vergleichst, wie würde die Landschaft aussehen?

Ja, ich kann verstehen, wenn andere unser Album beispielsweise mit einer Wüstenlandschaft vergleichen. Ich sehe das allerdings nicht so. Natürlich bin ich schon einmal durch Island gefahren und habe mir diese ganze weite, karge Landschaft mit den Eisfeldern und Vulkanen angesehen, während ich unsere Musik gehört habe. Aber ich verbinde das nicht mit unserer Musik, mit Musik von anderen aber schon. Das ist in etwa so, als wenn ich farbenblind bin und andere mich fragen, mit welchen Farben ich unsere Musik verbinde. Andererseits ist es nachvollziehbar, wenn andere Leute diese Verbindungen sehen.

Das Album beginnt mit einem instrumentalen Stück, dem achteinhalb Minuten langen „78 Days In The Desert“ – ich nehme an, dass es dann eher um ein Gefühl geht als eine bloße Beschreibung?

Dieser Song hat keinen Text, aber ursprünglich hatte er einen Text, den wir nicht verwendet haben. Der Text hat einfach nicht gepasst, der Song hat ihn sozusagen abgewehrt… [überlegt] Ja, Du hast wahrscheinlich recht, es hat etwas davon, mit einem Auto durch eine Wüste zu fahren und dort verschiedene Sachen zu fühlen… [überlegt] Aber andererseits ist der Song sehr vielschichtig und lässt sich nicht nur mit einer Sache verbinden…

Okay, ich habe gelesen, dass „Köld“ übersetzt „extrem kalt“ bedeutet…

Ja, ich weiß gar nicht, woher das kommt. Es heißt einfach nur „kalt“, aber im Isländischen gibt es unterschiedliche Formen dieses Wortes, abhängig vom Geschlecht der bezeichneten Sache. Und „köld“ ist die weibliche Form.

Verstehe. Inwiefern ist der Titel des Albums mit dem Coverfoto verbunden?

Nun, der Albumtitel ist zunächst mit allen Songs verbunden, hat aber auch etwas mit dem Foto auf dem Cover zu tun…

Das Foto hat Guðmundur aufgenommen, und es zeigt zwei Frauen…

…eigentlich ist es nur eine Frau… [überlegt] Nun, das Album handelt vom Tod oder, anders ausgedrückt, vom Dahinschwinden. Das wird durch das Foto ausgedrückt und das zieht sich durch alle Texte.

Der Song „Necrologue“ handelt vom Verlust eines Freundes…

Das ist richtig. Weißt Du, das war ein Freund unseres Bassisten, und ich habe ihn auch seit ein paar Jahren gekannt. Er war ein guter Musiker und hat oft mit uns abgehangen. Und eines Tages ruft mich Svavar an und sagt, dass sich dieser Freund das Leben genommen hat. Wir haben eigentlich nicht vorgehabt, darüber einen Song zu schreiben, aber dann hatten wir zehn Bänder mit Riffs und wir alle fühlten das gleiche… Dann habe ich ein paar Zeilen geschrieben. Die Vorgehensweise bei diesem Song war einfach anders als bei den anderen… [überlegt] Ich singe auch sehr unterschiedlich, mit einer sehr tiefen Stimme.

Okay. Um in die Gegenwart zu kommen: Was sind Eure nächsten Pläne?

Nun, es wird so sein, dass wir vor dem Sommer zwei Gigs spielen. Im Sommer treffen wir vier uns alle in Island, wo wir auf einem Festival auftreten, übrigens mit unseren Freunden von TYRANT. Dann werden wir ein paar Wochen proben, das erste Mal seit zwei Jahren. Im August werden wir hoffentlich auf ein paar weiteren Festivals spielen. Und ab September werden alle von uns in London leben.

Wirklich?

Oh ja, wir werden dann von England aus operieren.

Was macht Ihr in London?

Gummi [Guðmundur] ist dort an einer Kunsthochschule, der Bassist wird auch an einer Hochschule studieren, was ich mache, weiß ich ehrlich gesagt noch gar nicht. Und unser zweiter Gitarrist [Sæþór M. Sæþórsson] wird in Island bleiben, weswegen wir für diese Zeit einen anderen Gitarristen anheuern werden. Und im September werden wir auf eine Europatour aufbrechen. Darüber darf ich noch nichts verraten, aber wir werden mit einer deutschen und einer amerikanischen Band touren.

Okay, und neue Songs sind noch nicht in Sichtweite?

Nein, Mann, ich habe seit November 2007 nicht einmal daran gedacht. Das macht mich zwar nicht froh, aber ich kann das nicht beeinflussen. Anders ausgedrückt: Ich kann Songs nur dann schreiben, wenn die Musik zu mir kommt.

Dann hoffe ich einfach mal, dass Dich bald wieder die Muse küsst! Danke für das Interview!

19.02.2009

- Dreaming in Red -

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