Sodom
"...Dann ham’ wir gesacht, dat wir dat jetzt machen."
Interview
Das Ruhrgebiet ist schon eine kulturelle Oase. Eine Oase, die aus hässlichen und zweckmäßigen Betonklötzen sowie Industrie besteht, aber hey. Wer denkt schon nicht gerne an Ralf Richter, Piranha Bytes (R.I.P. Sweet Prince) , das Turock, die Zeche Carl, Pommes Currywurst, Trinkhallen und das Rock Hard Festival? Von den ganzen stumpfen und sympathischen Gestalten die dort ihr Unwesen treiben, nicht zu reden. Nur in diesem kulturellen Biotop konnte ein Mann wie Thomas Such, (aka Tom Angelripper) tatsächlich gedeihen. Als ehemaliger Malocher bleibt er auf ewig Teil dessen, was seine Heimat am Leben gehalten hat. Und als Gründer von SODOM, fungiert er immer noch als eine Art lebendiges Wahrzeichen des Ruhrgebiets. Anlässlich des Re-Releases des 92er Klassiker „Tapping The Vein“ haben wir uns nicht nur mit ihm, sondern auch noch mit dem ehemaligen Gitarrero Andy Brings zusammengesetzt. Letzterer ist musikalisch äußerst umtriebig und ebenfalls ein einzigartige Persönlichkeit, wie es sie nur im Pott geben kann. Da die beiden zwei echte Typen mit Ecken und Kanten sind, ist es klar, dass sie nicht immer einer Meinung sind. Doch weil sie gemeinsam mit stolz auf die Vergangenheit blicken können, ist es ein umso schöneres und interessanteres Gespräch geworden.
Viel Spaß!
Hallo.
Tom: Moin!
Oh, Andy ist auch da. Hat alles geklappt. Super. Mein Name ist Philipp und es ist eine Ehre euch zu treffen. Fangen wir direkt mit der ersten Frage an, wat?
Tom: Ich hab hier so n’ Echo drin … drin… drin…
Hä?
Tom: Nein, hahaha
Hast mich verarscht, wat?
Andy: Kleiner Running Gag bei uns.
Tom: Nein, kein Echo… Echo… Echo…
(Lacht) Okay, wir sind heute hier um ein bissel über den Re-Release von „Tapping The Vein“ und die damalige Zeit zu sprechen. Obwohl die „Persecution Mania“ und die „Agent Orange“ eure wohl bekanntestem Alben sind, hat die „Tapping The Vein“ den wohl größten Kultstatus. Sie wird von den Hardcore-Fans wohl am meisten gehört. Wann habt ihr gemerkt, dass das Ding einen Re-Release braucht?
Tom: Ganz lange schon. Es gab ja bisher keinen Re-Release davon.
Andy: Als wir einen Kontoauszug gemacht haben.
Tom: Sie sollte eigentlich schon 22 zum Jubiläum kommen… Viele wissen nicht, dass der Backkatalog von SPV nach BMG rübergewandert ist. Dann hatte BMG vor längerer Zeit die „Agent Orange“ re-releast, genau wie vor kurzem die „M16“. Da fing unsere Zusammenarbeit an… Doch dann gab es Vertragsprobleme. Die kann ich hier natürlich nicht so ausführlich erklären…
Musst du auch nicht.
Tom: Mit Andy hatte ich sowieso seit zig Jahren Kontakt. Wir waren im Grunde gut vorbereitet. Das ganze Material war schon da und wir hatten alles schon gesammelt. Dann ham’ wir gesacht, dat wir dat jetzt machen. Vertrag werden wir schon irgendwie zustande kriegen.
Okay. Cool. Das Ding ist ja in mehrerer Hinsicht signifikant. Es ist die letzte Platte, wo der Chris Witchhunter drauf trommelt. Und ihr habt das Ding bei Dieter Dierks im Studio aufgenommen. Habt ihr euch während der Aufnahmen gedacht „Woah, hier wurden die ganzen geilen SCORPIONS-Alben aufgenommen“ oder war euch das eher wurst?
Tom: (Zu Andy) Erzähl mal.
Andy: Ich weiß, dass der Chris ein Riesenfan des schwarzen Albums von METALLICA gewesen ist. Dieser große Drumsound – in diese Richtung sollte dat gehen. Was er natürlich nicht bedacht hat, ist, dass die meisten Lieder von SODOM und „Tapping The Vein“ Blinker links mit 220 KMH sind. Da muss man den großen Raum hinterher wieder rausdrehen, damit sich das alles nicht überlappt. Aber bei „One Step Over The Line“ und „Reincarnation“ merkt man schon, dass der Raum eine einzigartige Aura und Magie hat. Und man darf nicht vergessen: Damals gab es entweder kleine Scheißstudios oder sauteure und große Studios.
Also, es gab keinen Middle Ground….
Andy: Nicht so richtig. Zuhause aufnehmen ging auch nicht. Es sollte einfach der Next Step sein. War es dann ja auch. Witzigerweise war ich letztens das erste Mal seit 32 Jahren wieder im Dierks Studio um da ein bisschen die Luft zu schnuppern… Da hat sich nichts verändert. Der Raum ist der Raum. Natürlich atmet er Geschichte. Du weißt, dass in dem Raum wo du stehst, „Rock You Like A Hurricane“ gemacht wurde.
Geil.
Andy: Es hat eine Aura und Energie… Für mich ist das ganze SCORPIONS-Werk mit Dieter Dierks die Bibel. Die Hardrock-Bibel. Auch ACCEPT und die PLASMATICS waren da… Natürlich geht man da anders rein als in einen Bunker. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Als wir die Rechnung bekommen haben, waren wir dann aber nicht so froh.
Haha!
Andy: Mittlerweile ist das allerdings alles Folklore. Aber diese charakterstarke und unique Sound gehört genau so zu dem Album, wie die Songs.
Bringt mich direkt zur nächsten Frage. Was ich an der Platte geil finde, ist diese pulsierende Bassdrum. Wie habt ihr es hinbekommen, dass sie so klingt, wie sie klingt?
Tom: Da gibt es ein Video von. Andy hatte damals viel gefilmt. Ich glaub, wir hatten Teppiche vor die Bassdrum gelegt.
Andy: Unter anderem.
Tom: Bevor wir es gemacht haben, haben wir gehört, dass METALLICA teilweise auch Betonröhren aus dem Straßenbau davorgelegt haben.
Betonröhren?
Tom: Ja, wie du sie aus dem Tunnelbau kennst. Dafür waren wir natürlich offen. Wir wollten es probieren und nicht einfach nach Schema F arbeiten, so wie alle anderen. Wir wollten es besser oder noch ganz anders haben. Die METALLICA-Bassdrum vom schwarzen Album hat mich auch die ganze Zeit beschäftigt. Wie kann man so nen’ Sound kriegen? Auch wenn man ne alte VAN HALEN-Platte hört, denkt man sich „Wie kann man so eine Bassdrum hinkriegen?“ Dat haben wir versucht. Wir haben es jetzt nicht unbedingt so hingekriegt. Denn auch wenn man bei Dierks ist, ist klar, dass ACCEPT oder die Scorpions anders wie SODOM klingen. Wenn man nicht wüsste, dass wir im Dierks-Studio aufgenommen haben, würde man wahrscheinlich auch nicht auf die Idee kommen. Viele Sachen haben wir auch beim Harris (Johns, legendärer Produzent) aufgenommen. Wir haben viel rumexperimentiert. Es hat teilweise schon Tage gedauert, bis wir uns für etwas entschieden haben. Diese Experimentierfreude war auf jeden Fall immer da.
Andy: Ich kann ergänzen, dass das mit den Teppichen auf jeden Fall stimmt. Lange Teppiche, damit man noch Mikrophone ans Ende der Teppichröhre legen kann. Weil ich zum ersten Mal im großen Studio war, hat mich das alles wahnsinnig beeindruckt. Auch, dass alles so lange gedauert hat. Als ob das alles nix gekostet hätte. Da wurde wirklich alles mit einem Zirkel und Geodreieck vermessen. Die METALLICA-Bassdrum hatte auch einen leichten Click…
Das meinte ich auch, es hat so einen Click, der alles so pulsieren lässt.
Andy: Genau. Damals haben wir überlegt, „wie wir es machen können“, während man heutzutage einfach ein Sample darübergelegt oder es mit dem EQ bearbeitet hätte. Aber damals haben wir auch einen Bogen Pergamentpapier auf den Studioteppich getan. Dann wurde mit dem Fingernagel dagegengeschnippt um das Klicken aufzunehmen. Mittels primitiver Sampletechnologie, die mein Telefon heute vermutlich besser kann, wurden dieser dann auf jede Bassdrum gelegt. Da ging wohl leider auch ein ganzer Tag für drauf, der dann auch nur 3000 Mark gekostet hat. Aber all das, gehört mich zur Platte.
Tom: Das haben doch die Steuerzahler bezahlt und nicht die Musiker, oder? Wir haben natürlich gedacht der Steuerzahler bezahlt dat und wir können es ausgeben. (Grinst) Nein im Ernst: Das Dierks-Studio war natürlich schweineteuer. Aber es war geil, darin zu arbeiten. Ich glaub schon, dass ein Tag so 2500-3000 Mark gekostet hat. Da kommt halt schon wat zusammen. Wenn man zwei Wochen braucht ein Schlagzeug aufzunehmen, geht es dann schon ans Eingemachte. Aber egal. Man lernt daraus.
Wie lang wart ihr insgesamt im Studio?
Andy: Anderthalb Wochen. Beim Harris Johns haben wir ja Bass, Gitarre und Gesang gemacht.
Tom: …Aber bei den Schlagzeugaufnahmen, musste ich noch mitsingen.
Pilotsingen oder was?
Tom: Ja. Der Chris Witchhunter konnte es ja nicht ertragen, dass ich oben ne’ Kanne Bier am Hals hab und er muss unten arbeiten. Dann kam er auf die Idee, dass ich mich unten in eine Kabine stellen und jeden Take mitsingen muss. Wir haben es ja nicht mit ’nem Clicktrack gemacht, sonst hätten wir ja einfach eine Gesangsspur da durch laufen lassen können. Er wollte es halt für seine „Emotions“ und so und das „Feeling“.
Ha ha, das ist das erste Mal, dass ich von so etwas höre.
Tom: Ich habe es am Anfang auch gemacht, aber irgendwann dachte ich „Leck mich am Arsch. Wie oft soll ich Wachturm singen? Du kennst doch den Text.“ Dat war schwierig…
Andy: Ich habe in echtzeit Pilotgitarre dazu gespielt. Der Chris wusste sonst einfach nicht, wo er war. Da verraten wir auch jetzt kein großes Geheimnis. Ich habe ihm teilweise über Mikrofon die Tempowechsel angesagt. Bei „The Crippler“ zum Beispiel. „1,2,3,4 – Half Time!“ „1,2,3,4, – Schnell!“ „1,2,3,4, – Refrain!“ Aber das ist egal. „Whatever it takes“ würde man heute sagen. Dat war halt damals nötig. Genau so wie Harris Johns als Hobbypsychologe tätig werden musste. Du musst halt alles Notwendige tun um die Musik aufs Band zu kriegen. Dann war dat eben so.
Tom: Sobald der Harris gesagt hat „Band läuft.“ Hat der Chris komplett abgeschaltet. Er war komplett euphorisch, aber wenn es „Klack“ machte, dann kam nix. Das Band läuft 5 Minuten und keine Note drauf. Dann wieder zurückspulen … ich weiß, dass viele Musiker damit Schwierigkeiten haben. Wenn es ernst wird, schalten sie ab. „Ich kann dat nicht mehr.“ Um die Probleme die Witchhunter gehabt hat, wissen wir ja alle. Und das kam da alles zusammen. Private Probleme, Probleme mit Alkohol, dass immer wieder das Band umsonst läuft… Das ist ja keine Party. Klar haben wir auch mal unser Bier getrunken. Doch der Harris hat uns auch immer gesagt „Ihr müsst jetzt arbeiten.“ Harris hatte auch unsere erste Platte produziert, nach „Obsessed By Cruelty“. Da haben wir gemerkt, dass man auch vernünftig arbeiten kann. „Hört jetzt auf zu saufen, morgen früh gehts los.“ Weißte?
Also, ihr konntet teilweise nicht differenzieren was Party und was Arbeit war?
Tom: Überhaupt nicht! Das hört man auch an „Obsessed By Cruelty“. „Wie? Arbeiten? Bäh!“
Ich finde ja die „The Final Sign Of Evil“ von 2007 super… (Re-Recordings von „Obsessed By Cruelty“ samt Songs, die es aus finanziellen/zeitlichen Gründen nicht auf den Cut gemacht haben)
Tom: Ja, das hat ja damals ein Bekannter mit ihm gemacht. Da war der Witchhunter aber schon an so einem Punkt… Er hat nicht gesoffen, weil Party war, sonder er hat gesoffen, weil er dat braucht. Frust. Wenn ich alleine zu Hause 30 Boonekamp (kleine Bitterspirituosen) saufe, dann ist das nicht, weil Party ist.
Ohh…
Tom „The Final Sign Of Evil“ war auch dat heftigste, wat wir je gemacht haben.
Also, was die Arbeit anging?
Tom: Weil der durch war… Da sind wir froh, dat wir überhaupt irgendwelche Takes auf dat Band gekriegt haben. 92‘ ging et ja noch. Er konnte ja noch Schlagzeug spielen, so war dat ja nicht. Er war für mich der herausragende Trommler mit Persönlichkeit. Ein paar Stellschrauben haben ihm allerdings immer gefehlt. Dass er zum Beispiel wirklich konsequent arbeitet, dat konnte der nicht. Deswegen war das Dierks-Studio auch so teuer. Unser Manager hat es bezahlt … Es gab einen Lizenzvorschuss von der Plattenfirma. Davon wird es abgezogen. Da isset klar, dat da in den nächsten 30 Jahren kein Geld mehr für reinkommen wird.
Andere Frage über den Re-Release: Dem ganzen liegt nicht nur ein Remix des Albums bei, sondern auch noch zwei Live-Alben, die den Geist der damaligen Zeit gut einfangen. Andy, erzähl mal n bisschen darüber.
Andy: (Korrigiert) Drei Live-Alben! Tokio, Köln und…
Tom: Düsseldorf.
Wie bist du beim Remix vorgegangen? Was war der Approach?
Andy: Es ging mir nicht darum, das Album „besser oder „perfekter“ zu machen, weil es so steht, wie es steht. Der Sound ist eben auch ein wichtiger Teil der Magie. Doch ich wollte sozusagen „Sekundärliteratur“ dazu bieten. Stell dir vor, du würdest die Tür zu einem guten Proberaum aufmachen und du stehst auf einmal mitten in der Band und wir spielen es dir vor. Da explodiert natürlich auch mal was und nicht jeder Snareschlag ist gleich laut. Ich habe nämlich keine Samples draufgelegt, ich habe die Gitarren auch nicht gereampt. Ich wollte es nah ans Ohr holen. Bei Toms Gesang wollte ich, dass du das Gefühl hast, dass er vor dir steht und ins Gesicht spuckt. Wenn ein Solo von mir kommt, müssen die Plomben in deinem Mund knistern. Ich habe es natürlich aus dem ganzen Hall hinausgeholt, denn die Originalplatte ist sehr räumlich. Das ist sehr viel Reverb drauf. Ich wollte es sozusagen noch „authentischer“ machen. Ich hab die Einzähler drinnengelassen. Du hörst wie Chris es mit den Sticks oder der Hi-hat macht. Bei ein paar Songs habe ich andere Spuren gefunden. Bei „Reincarnation“ gibt es eine andere Gesangsspur. Die eigentlich originale. Wo Tom hoch singt. Im Studio hatte ich aber damals gemerkt, dass die Nummer irgendwie nicht richtig funktioniert. Doch ich dachte, dass wenn man sowieso eine Art „Compendium Piece“ liefert, auch die andere Gesangsspur zeigen kann. Dass man den Prozess demonstriert. Ich wollte es auch nicht „moderner“ machen. Denn nichts wäre schlimmer, als wenn man da SABATON-Samples auf die Snare legt oder die Platte noch geradezieht. Im Idealfall, ist sie jetzt noch „echter“ geworden. Chris hat ja in jeder Strophe noch ein „Tusch“ gespielt, an Stellen wo es nicht hinkommt. Es ging darum, dass man auch das letzte Klimperglöckchen noch hört und richtig eintauchen kann und in der Band steht. Ich kann mich nämlich gut erinnern, wie wir geklungen haben. Für die, die keinen Bock drauf haben, ist das Originalalbum eh drin. Es ist einfach nach 32 Jahren ein anderer Blick auf das Ding.
Es ist ja nicht so, dass das originale Album verdrängt oder gelöscht würde.
Andy: Das nervt mich nämlich bei MEGADETH. Bei Spotify existieren z.B. nur noch diese Remixe, die den Alben nicht gut getan haben. Die könnte man sich anhören, wenn es die Originale noch gäbe Eine Platte wie „So Far… So Good… So What“ lebt natürlich vom Kathedralenhall, in dem die Songs stehen. Dieser gehört zur Atmosphäre. Als Beiwerk nehme ich die neuen Mixe an. Aber wir wollen doch keinen Geschichtsrevisionismus betreiben.
Das fand ich auch bei der „Rust in Peace“ kacke. Ich hör mir die CD an und dann sind da auf einmal ganz andere Vocal-Spuren und Parts. Das ist dann nicht mehr das „Rust In Peace“ Album sondern was ganz anderes. Von daher verstehe ich, was du meinst. Anderes Thema: Was bei SODOM auffällt, ist, dass es bei euch oft personelle Veränderungen gibt. Es gibt aber keine öffentlichen Zankereien. Ihr beide habt euch nach der „Get What You Deserve“ getrennt. Dennoch sitzt ihr hier trotzdem zusammen und könnt über euer gemeinsames Werk reden. Woran liegt das eurer Meinung nach?
Tom: Es gab natürlich ne gewisse Funkstille. Es ist natürlich müßig über das ganze warum zu sprechen. Jahrelang hatten wir keinen Kontakt. Es fing glaube ich an, als wir die „Lords Of Depravity – Teil 1“ gemacht haben. Da haben wir überlegt, ob wir noch einige Ex-Musiker zu Wort kommen lassen. Wir hatten Kontakt zu Andy gesucht, woraufhin er für das Interview zugesagt hat. Das habe ich natürlich nicht persönlich gemacht, sondern unser Roadie. Ab dann hatten wir auch wieder ganz normal Kontakt und so. Man muss ja auch mal die Vergangenheit begraben. Seitdem haben wir auch relativ viel zusammen gemacht. Er hat ONKEL TOM produziert, eine SODOM-Platte haben wir bei ihm im Studio vervollständigt.
Andy: Es ging ja eigentlich noch viel früher los. 94 war ich raus, doch schon im Jahre 2000, mussten wir aus geschäftlichen Gründen sprechen. Die erste Zusammenarbeit war schon 2002 oder 2003. Da haben wir einen ONKEL TOM Song namens „Haralds Denkmal“ gemacht. Für den Gunther Gabriel Tribute Sampler.
Tom: War dat 2003? „Lords Of Depravity“ war doch auch 2003?
Andy: Ne, dat war später. Wir hatten halt nur ein bisschen Funkstille, denn zwischen uns stand wat. Aber uns als Menschen und als Freunde, hat uns dat nix anhaben können. Man muss das halt irgendwann bei Seite lassen. Wir haben immer gut zusammengearbeitet. Es war immer fruchtbar. Wir gucken gemeinsam immer in dieselbe Richtung. Wir sind unterschiedlich genug, doch haben immer die Schnittmenge, auf die es ankommt. Da bin ich glücklich und stolz drauf, weil es viele nicht schaffen. Die meisten hassen sich nach 30 Jahren und setzen sich eben nicht zusammen. Doch ich bin nicht auf der Welt um zu hassen. Tom wohnt in Gelsenkirchen, ich in Mühlheim. Dann treffen wir uns immer an der Zeche Carl. Wir stehen da immer zwei Stunden und quasseln. Das ist gut und richtig so.
Tom: Ich habe ja zu allen Ex-Musikern noch Kontakt. Wenn es zu einem Split kommt, ist da natürlich ein paar Jahre Ruhe. Doch die Wogen müssen irgendwann geglättet werden. Doch ich rede mit allen Ex-Musikern, die noch leben. Ob Bernemann, Bobby Schottkowski… Zu Makka hatte ich weniger Kontakt, doch man läuft sich über den Weg. Man quatscht halt trotzdem mal. Doch jeder geht halt seinen eigenen Weg. SODOM ist halt ein Gesamtkunstwerk und ich habe halt meine eigenen Ideen wie ich es weiter machen will. Da gibt es halt personelle Veränderungen. Gar keine Frage. Es ist meine Band und ich weiß am besten wie es funktionieren soll.
„Tapping The Vein“ kam 92 raus. Kurz danach kam eine Ära, in der die verschiedenen Thrash Bands anfingen, komische Musik zu machen. Doch SODOM ist nie von der Linie abgewichen. Wat sagt ihr dazu?
Tom: CELTIC FROST hat sich doch auch nie geändert, oder?
Ich weiß nicht, ob CELTIC FROST so populär wie ihr sind. Außerdem haben die nicht dieselbe Konsistenz.
Tom: Wir haben das eigentlich kaum mitgekriegt. Es gab damals schon Anmerkungen von der Plattenfirma „Lasst es mal anders machen.“ Und viele Bands, haben sich geändert. Zum negativen. Bei uns war die Linie aber immer klar. „Wir machen das so wie immer.“ Im Zweifelsfall noch härter. Da meinte einer: „Die Tapping The Vein ist noch härter als die Better Off Dead.“ Ja, warum auch nicht? Bei „Tapping The Vein“ hatten wir nach jeder Probe in der Regel einen Song fertig. Wir haben es so arrangiert, wie uns der Schnabel gewachsen war. Ich habe der Plattenfirma immer gesagt, „Musikalisch braucht ihr euch da gar nicht einmischen. Ihr habt eh keine Ahnung davon, wat wir machen. Wir machen die Platte fertig. Ihr bringt es raus oder lasst es bleiben.“ Klar, „Agent Orange“ war total erfolgreich. Dann wollten sie einen zweiten Teil davon haben, dann kam aber die „Better Off Dead“. Da waren sie auch ein bisschen enttäuscht. Doch jede Band hat ihr eigenes „Another Perfect Day“ Album.
Ach, die „Another Perfect Day“ von MOTÖRHEAD.
Tom: Genau, die total underrated aber trotzdem total geil ist. Als Andy in die Band kam, hatte sich die Musik geändert. Er war jung und frisch, was man seinem Gitarrenstil auch anhört. Grundsätzlich galt „Je härter, desto besser.“ Die Härte kommt aber nicht davon, jetzt auf C runterzustimmen und noch einen Blastbeat zu machen. Die Härte kommt auch von dem Sound. Und machen wir es halt so wie immer.
Man kann von Andy ja auch nicht erwarten, dass er so klingt wie sein Vorgänger. Junger Typ, andere Persönlichkeit, anderer Stil. Da kann man auch nicht glauben, dass ihr dann so klingt wie auf „Agent Orange“.
Tom: Der Hoffmann klingt auch nicht wie Frank Blackfire. Der Hoffmann war immer sehr rockig. Doch wenn man die zweite ASSASSIN hört, spielt der ein richtiges Brett. Da klang der auch noch ganz anders. Da hat er was von Scott Ian gehabt. Obwohl er sich bei uns ein bisschen zurückgenommen hat, geht er auf „Shellfire Defense“ oder „Stalinorgel“ ziemlich ab. Die Produktion auf „Better Off Dead“ ist natürlich ein bisschen trockener im Vergleich zu „Tapping The Vein“, welche ziemlich im Hall steht. Bei Sodom muss es einfach eine harte Platte sein, egal wer da spielt.
Andy: In jedem Interview wird auch nach unseren Death Metal Einflüssen gefragt. Die gab es aber nicht. Vorhin hatte ich noch mit jemanden gesprochen, der meinte, dass damals CANNIBAL CORPSE, BOLT THROWER, DEICIDE und so rauskamen. Ich sagte ihm nur „Junge, ich schwöre auf mein Augenlicht meiner Mutter, dass ich keines dieser Alben kenne.“ Du könntest mir all diese Platten vorspielen, doch ich kenne keine davon. Ich bin ein Old-School Thrash Metal Kid. Ich bin sozialisiert mit HALLOWS EVE, SLAYER, MEGADETH, AGENT STEEL, ABATTOIR… Als die Death Metal Welle kam, hat es keinen von uns interessiert. Chris hat eh fast nur BRYAN ADAMS und HELLOWEEN gehört.
Was? BRYAN ADAMS auch?
Tom: Ja! Aber wir haben es halt wohl mitgekriegt. DEATH kannte jeder. POSSESSED war wohl die erste richtig gut hörbare Death Metal Band. Bands wie CANNIBAL CORPSE haben dann noch einen draufgelegt. Wir wollten aber auf keinen Fall so klingen wie CANNIBAL CORPSE. Die Sänger der Bands klingen alle gleich. Ich kann die Sänger bei solchen Bands kaum unterscheiden. Selbst wenn ich ein bisschen Growling mache, habe ich da meine eigene Stimme drin. Man erkennt mich immer noch. Das ist glaube ich auch das wichtigste bei einer Band. Das man einen Sänger mit Wiedererkennungswert hat. Und das hatten wir damals alle. Egal ob wir über Rock n’ Rolf, Mille, Schmier und wie sie alle heißen sprechen. Heute ist das ja komplett anders.
Als ich zuletzt auf einem Black Metal Konzert war, sah ich einen CD-Stand und staunte nicht schlecht. Zig Bands, doch sie alle hatten dieselben Schriftzüge, dieselbe Gestaltung und denselben Panda-Look. Wenn ich sie auflege, klingen sie auch alle gleich. Alles wird immer uniformer. Es muss halt etwas geben, was eine Band von der Masse abhebt.
Tom: Klar. Doch auch im Bereich des Death Metal ist es so. Die Art zu singen ist mehr oder minder immer dieselbe. Ich könnte es auch so übertreiben, sodass man mich gar nicht mehr erkennt. Natürlich hat dieser Stil auch seine Berechtigung. CANNIBAL CORPSE ist geil. Aber damals hat es uns halt nicht interessiert. Wie haben nie geguckt, was andere Bands machen. Wir sind einfach mit Scheuklappen durch. Wir machen halt so, wie wir Bock haben. Und dat macht uns aus. Der Wiedererkennungswert ist da. Man hört, es ist SODOM. Der Bass ist ein bisschen lauter…
Ein bisschen Lemmy-Style.
Tom: Na, er klingt aber nicht völlig nach MOTÖRHEAD. Und auch nicht nach VENOM. Sondern eben wie SODOM.
Andy. Das ist glaube ich auch der Grund, warum sich gerade junge Fans auf unsere Musik stürzen. Ich kann nirgendwo hingehen, ohne dat 18-20-Jährige mir erzählen, wie geil sie die Sachen von früher finden. Ich frage sie auch, warum sie es so sehen. „Was gefällt euch so an der alten Scheiße?“ Dann sagen die, dass es eben so ist, dass nicht alle Bands gleich klingen. Jede Band hatte ihren eigenen Sound und ihren eigenen Charakter. Nicht jede Band hat dasselbe Snare-Samples und Gitarren-Profiles benutzt. Alles hatte noch einen eigenständigen Sound. Manche Alben hatten sozusagen „eine schiefe Nase“. Auch „Tapping The Vein“ ist kein gerades Album. An manchen Stellen explodiert sie regelrecht. Und die ganze Band ist am Brennen. Heutzutage ist halt alles so kerzengerade. Jeder Gesang ist geradegezogen, dass sich da auch ja keiner dran stört. Und das war früher nicht so.
…Früher war tatsächlich alles besser.
Ja! (Lacht sich kaputt) Mal eine völlig andere Frage. Es ist ja nicht nur so, dass sich die Musik vieler Künstler verändert, sondern auch die Persönlichkeiten. Wie steht ihr angesichts eurer lyrischen Themen dazu, dass ein Typ wie Campino von DIE TOTEN HOSEN, auf einmal Werbung für Waffenlieferungen und militärische Aktionen macht?
Tom: Macht er das?
Ja, er hat darüber geredet, dass er den Wehrdienst nicht mehr verweigern würde und sich auch für Waffenlieferungen eingesetzt.
(Zitat 1: „Ich persönlich habe den Kriegsdienst 1983 verweigert. Das würde ich heute unter diesen Umständen, wenn ich jetzt meine Einberufung bekäme, wahrscheinlich nicht mehr tun“ und Zitat 2: „Das hat dann leider auch etwas mit Aufrüstung zu tun. Wir können es uns nicht leisten, völlig wehrlos gegenüber Despoten zu sein“ – so unser CDU- und Rheinmetall-Punk Campino)
Tom: Er ist ja eigentlich ein Punker gewesen. Das ist er heute natürlich nicht mehr. Wenn wir über ihn oder andere aus der Musikbranche reden, können wir ein Thema nur dafür aufmachen … So wie der Wind weht, so ist Campino. Da wo in der Talkshow ein Stuhl frei ist, da sitzt er. Chris Witchhunter hat damals gerne DIE TOTEN HOSEN gehört. „Hier kommt Alex“ lief ja rauf und runter.
Schlecht war das alles nicht.
Tom: Ich denke, dass Politik da nicht reingehört, obwohl ich auch gesagt habe, „Nicht mehr mein Land“. Ich komm aus den 60ern-90ern. Früher war alles besser und heute war alles Scheiße. (Grinst) Da kann ich ja nix für. Das ist meine Meinung, also ist das so.
Andy: (Widerspricht deutlich) Da möchte ich auch mal was zu sagen. Ich weiß glaube ich, worauf du dich beziehst. Campino bei Lanz, letzte Woche, oder?
Ne. Ich meinte eher davor schon. Weil Leute wie er, waren früher zu Recht gegen Konzerne. Doch das sind sie jetzt nicht mehr. Jetzt sitzen sie in Talkshows und ich finde das komisch.
Andy: Also, entweder machen wir das Thema jetzt richtig auf oder wir machen es lieber jetzt zu. Ich bin wirklich kein Hosen- oder Campino-Jünger, doch bei Lanz fand ich ihn echt gut und nicht unreflektiert. Da kann man nicht einfach draufhauen und sagen „Er war früher so und jetzt anders.“ …Aber lassen wir das lieber zu.
Stimmt, lasst uns lieber nicht über so was zanken.
Tom: Wir können aber über Grönemeyer reden … Oder Kunze! Kunze ist der einzige, der Tacheles redet. Der wird in keine Talkshow mehr eingeladen. Weil der sagt „Leckt mich am Arsch mit euren Gender-Scheiß.“ HEINO ist auch einer, der die Wahrheit darüber sagt.
Ich weiß nicht, wie sehr wir das jetzt vertiefen dürfen. Wir wollen doch nicht gecancelt werden …
Tom: „Bei uns im Backstage gab es immer Nutten, Koks und frische Erdbeeren. Aber die Erdbeeren waren schwer zu bekommen.“ sagte er. (Lacht sich kaputt)
(Lässt sich von ONKEL TOMs Lachen anstecken, versucht sich aber zu beherrschen) Nächste Frage: Der bekannteste Song auf „Tapping The Vein“ ist „Wachturm“. Es ist eine MOTÖRHEAD-mäßige Nummer, die einen deutschen Text hat. Es geht um die Zeugen Jehovas. Ich warte ja auf so einen Besuch, weil ich gerne mit denen diskutieren würde. Was ist die Story dahinter und was habt ihr da erlebt?
Tom: Die Story hat eigentlich der Chris Witchhunter erlebt. Er hatte eine Freundin, die bei den Zeugen Jehovas war, genau wie ihre Eltern. Sie waren halt bei den Versammlungen dabei und versuchten ihn von der Musik wegzubringen. Die hat auch seine Platten zerbrochen und hat ihm gesagt „Ihr macht satanische Musik, das muss aufhören.“ Dat Problem war, dat Witchhunter hin und her gerissen war. Zwischen der Liebe zu seiner Perle und der Liebe zu seiner Musik. Er konnte sich nicht entscheiden und das war das Problem. Die haben auch bei mir früher schon geklingelt. Ich hab sie sogar mal reingelassen. Da habe ich noch am Brößweg gewohnt. Ich wollte mir dat einfach mal anhören. Die einfach mal erzählen lassen. Dat ist aber halt ne Katastrophe. Der Text ist aus meiner Sicht geschrieben, aber er war dazu da, dem Chris einen eigenen Song zu geben. Gegen die Zeugen Jehovas. Obwohl, es ist nicht unbedingt „gegen“ sie. Es ist halt problembehaftet, als Musiker in so einer Sekte drin zu sein. Das haben wir bei Chris am eigenen Leib erlebt. Ich denke, dass wir ihn dadurch verloren haben.
Oh, krass…
Tom: Und es ist halt ein doofer deutscher Text. Hätte man bestimmt besser machen können, aber damals war dat so.
Es macht aber Spaß.
Tom: Lyrisch hätte man bestimmt mehr herausholen können. Wir spielen es hin und wieder und die Leute lieben es. Warum auch immer.
Andy, noch eine Frage an dich. Wenn ich mir die Leads auf „Tapping The Vein“ anhöre, sind sie sehr wild und nicht melodic. Was war der Approach? Hat dich Kerry King beeinflusst?
Tom: Ne, finde ich bei ihm nicht. Kerry King? Ne.
Ich finde, dass der Stil nicht sehr komponiert und ähnlich energetisch ist. Deswegen.
Tom: Der Kerry King kriegt kein Solo ein zweites Mal so hin. Aber dieses schnelle und aggressive ist auch Andy. Das fand ich aber auch geil. Das vermisse ich heute auch teilweise.
Andy: Ich bin kein studierter Gitarrist. Heute bin ich natürlich bewanderter als mit 20. Doch ich habe auch jetzt nicht 30 Jahre geübt, um noch mehr Skalen zu beherrschen. Ich habe immer gesagt „Zu viel Wissen verklärt den Blick.“ Ich möchte kein Musiker sein, der im Studio sitzt, sich wat ausdenkt und dabei auf den Quintenzirkel guckt und sich fragt „Ist das phrygisch oder nicht?“ Ich mache es einfach, dass es sich geil anhört. Extreme Musik muss ein paar Kriterien erfüllen. Untenrum muss einem die Buchse flattern. Der Punch muss stimmen. Dat muss einfach knallen. Bei einem Solo geht es mir nicht darum zu zeigen, dass ich fein geübt habe, sondern darum etwas anzubieten was den Charakter des Songs unterstreicht. Ich kann es halt nicht so wie Manny Schmidt von RAGE und GRAVE DIGGER… Er ist so eine Art Speed Metal MICHAEL SCHENKER. Ein Solo ist wie ein Bilderwechsel. Der Gitarrist kommt rein und brät einfach weg. Zwei Gitarristen die für mich wichtig sind, sind ROSS THE BOSS und AKIRA TAKASAKI.
AKIRA TAKASAKI werde ich googlen. Vielen lieben Dank! Das war echt cool. Bald könnt ihr es lesen.
Beide aus einem Mund: Alles klar!
Ciao!