Simple Existenz
Simple Existenz
Interview
"Das Leben Vor Dem Tod" ist für mich rein persönlich eines der faszinierendsten Alben im bisherigen Jahr 2010 und dürfte auch nur schwer getoppt werden, zumindest was die Symbiose von Musik und Texten angeht. Da ist es natürlich logisch den Herren Zorn (Ex-NAGELFAR, EGO NOIR) mit einigen Fragen zu überhäufen, die er ausführlich und sehr sympathisch beantwortete. Aber lest selbst, was der Mann hinter SIMPLE EXISTENZ zu seiner Musik und vor allem seinem Konzept zu erzählen hat.
Ich war immer schon stolz und gespannt vor einer Veröffentlichung. Die Tatsache einer Soloveröffentlichung verändert allerdings etwas die Erwartungshaltung in Bezug auf das Feedback. In einer Band kann man sich bei bestimmten Entscheidungen gegenseitig stützen. Bei einer Veröffentlichung, die man im Prinzip vollständig selbst zu verantworten hat, ist man schon ein bisschen gespannter auf die Reaktionen. Vor allem, wenn man sich versucht durch keinerlei Genreklischees leiten zu lassen, sondern stattdessen die Musik so aufzunehmen, wie sie in einem ist, dann ist eine Vorwegnahme einer öffentlichen Bewertung etwas schwierig.
Alles in allem bin ich aber überwiegend Stolz, dass ich es geschafft habe, in einem Jahr den vorliegenden Longplayer zu komponieren, produzieren und zu veröffentlichen. Ich hoffe, dass ich weiterhin die Möglichkeit habe, derartige CDs zu produzieren, es macht wahnsinnig Spaß!
Mit SIMPLE EXISTENZ gehst du ja mehr oder weniger allein auf eine Reise, nach dem du über viele Jahre in anderen Bands aktiv warst, halte ich schon für interessant, warum du jetzt auf Solopfaden wanderst. Verträgt sich das Konzept von SIMPLE EXISTENZ einfach nicht mit der Konstellation Band oder ging es wirklich darum einmal etwas „allein“ zu machen?
Es war immer sehr interessant, in Bands zu spielen. Vor allem mit NAGELFAR, habe ich viele spannende Erfahrungen gemacht. Leider habe ich bisher in Gießen (hier lebe ich seit dem Studium) keine Menschen getroffen, mit denen man Simple Existenz auf die Füße stellen könnte. Vielleicht ist es aber auch gut so, dass ich nun keine Bandkollegen habe, denn Simple Existenz ist mein Baby und ich würde nur ungern Diskussionen über Riffs oder Textpassagen führen wollen. Wenn muss klar sein, dass ich entscheide. Da Musiker aber naturgemäß Exzentriker sind, wird es mir sicher schwer fallen entsprechende Menschen zu finden…
Auf „Das Leben Vor Dem Tod“ kann man Musik und Texte absolut nicht trennen und das, finde ich zumindest, macht das Album gerade so stark. Du gibst ein breites Spektrum an unterschiedlichen Themen, die alle den Menschen treffen, preis und gibst ihnen ebenso viele überraschende musikalische Wendungen. War es also zwingend, das Album auch in musikalischer Hinsicht so vielfältig zu gestalten, damit die Texte wirklich ihre Wirkung entfalten können?
Das würde voraussetzen, dass die Texte zuerst existierten und ich die Musik dazu komponiert hätte. Das Umgekehrte ist richtig. Ich habe immer zuerst die Stücke grob fertig gemacht, dann habe ich in irgendeiner Phantasiesprache darüber gesungen. Aus dieser Phase gibt es wirklich einige sehr witzige Exemplare. Was vielleicht die von Dir angesprochene Passung und die Vielfältigkeit erklärt ist die Tatsache, dass ich auf diese Phantasiesprachenintonation getextet habe. Am Ende kam dann immer irgendwas raus, was ich für veröffentlichungswürdig befand. Dieser Prozess hat manchmal nur 1 Tag gedauert, wie z.B. bei „Mein Licht“. Bei anderen Liedern, wie z.B. „Die See“ hat es Wochen gedauert, bis was Brauchbares dabei rum kam.
Letztendlich bin ich aber mit allen Liedern so ziemlich gleich zufrieden, da sie, jedes für sich einen Schnappschuss einer wichtigen Gefühlslage wiedergeben. Da ich mich – wie jeder Mensch – nicht immer gleich fühle, erklärt das vielleicht auch ein bisschen die unterschiedlichen Facetten des Albums.
Um mal bei der musikalischen Vielfältigkeit zu bleiben, du hast ja hauptsächlich in Black Metal Bands gespielt und ein Einfluss aus diesem Bereich ist ja nicht von der Hand zu weisen, doch du hast noch viel mehr zu bieten. Ich hab immer wieder von Vergleichen zu den BÖHSEN ONKELS, IN EXTREMO, RAMMSTEIN usw. gelesen und gehört. War es dir wichtig, mit SIMPLE EXISTENZ musikalisch auch weit offener zu Werke zu gehen bzw. anders gefragt, hätte der Black Metal für dich nicht genug Raum zur Entfaltung geboten?
Ich habe das auch gelesen. Menschen neigen dazu, aus relativ oberflächlichen Eigenschaften der Musik Vergleiche abzuleiten, weil sie es nicht aushalten etwas für sich stehen zu lassen. Sie glauben, sobald sie es einordnen, hätten sie es verstanden. Das ist nicht mehr als eine Bequemlichkeit des Verstandes!
Der Vergleich zu den BOEHSEN ONKELZ und zu IN EXTREMO, wird wohl vor allem durch meine Stimme zustande gekommen sein. Ich denke der Vergleich zu RAMMSTEIN ist bedingt durch das Chor-Keyboard bei „Der sterbende Mann“. Außerdem ist allen Bands gemeinsam, dass sie deutsche Texte haben. ANSONSTEN ABER NICHTS! Wenn man auf einer solchen Basis vergleicht, könnte man auch behaupten, dass IMMORTAL wie ABIGOR klingen, was natürlich vollkommener Müll ist.
Zu Deiner Frage: Ich habe versucht mich auf überhaupt kein Klischee oder Konzept festzulegen. Ich habe wirklich das aufgenommen, was in meinem Kopf, meinem Herz und meinem Bauch war, ohne es in irgendeiner Weise auf Genretauglichkeit oder „Antionkelzhafigheit“ zu prüfen.
Um mal auf das Konzept hinter „Das Leben Vor Dem Tod“ zu kommen, welches ich ebenfalls mehr als interessant finde. Du hat mit deiner Namenswahl ja bereits klar gemacht, als was du den Menschen betrachtest, nun klingt das erstmal sehr negativ. Doch beim betrachten der Texte und auch beim Hören der Musik, kommen noch ganz andere Dinge zur Sprache, welche die Bezeichnung SIMPLE EXISTENZ zunächst erst einmal nicht suggeriert. Neben der Kritik an der Menschheit zur Überheblichkeit zeigst du auch angenehme Dinge wie Sex auf, oder spannendes wie neue Abenteuer und Wege zu beschreiten. Also frage ich mich, ob ich richtig interpretiere, wenn du den Menschen oder das Leben des Menschen als endliches Wesen, welches sich oft selbst im Wege steht, aber doch einige angenehme Facetten hat, beschreibst? (Um es mal kurz zu fassen, ich denke, dazu hätte ich auch etliche Seiten Schreiben können 😉
Schön, dass Du das fragst!
Der klassische Satanismus und der Satanismus der Black-Metal-Szene basiert vor allem auf der Idee, die durch das Christentum gesetzte Allmacht Gottes auf das Individuum zu übertragen. Daraus schließen einige Satanisten, dass für Sie keine Regeln (außer der Regel: „folge deinem eigenem Willen“) gelten. In Bezug auf diese Überzeugung stimme ich dem Satanismus zu, nur schließe ich sie aus einer anderen Prämisse. Ich denke, man sollte tun, was man will, weil es keine besondere Bedeutung hat, was du tust. Entscheidend bei meiner Überlegung ist, dass die Unterscheidung zwischen gutem und bösem Verhalten überflüssig wird, da wir zu einfach sind, um überhaupt nur ansatzweise zu verstehen, was gut und böse eigentlich sein soll. Das ist – näher betrachtet – ein sehr befreiender Gedanke. Daher der Optimismus!
Das Christentum hat die Endlichkeit und die Sterblichkeit des Menschen immer als Bürde interpretiert, die es gilt durch RICHTIGES Verhalten im Jenseits zu überwinden. Ich interpretiere die Endlichkeit, Sinnlichkeit, Tollkühnheit, Verliebtheit, Gewalt, Sterblichkeit usw. als Gewinn, als Aufforderung zum Genuss, zum Reisen, Lieben usw.; letztendlich als Aufforderung zu tun, was man will! Daher rührt auch der Titel der CD. Es kommt auf das Leben vor dem Tod an, hier wird gelebt!
Vollkommene Freiheit wird es nie geben, aber der Gedanke der simplen Existenz befreit! Denn solange ich tue, was ich für richtig halte, handele ich immer richtig!
Auf der deiner Myspace Seite hast du in einem Blog dir selbst Fragen gestellt, bzw. in einem gewissen Maße deine eigene Existenz zu erörtern versucht. Nun frage ich mich, da dort steht „[…]so wie jeder, definitiv nichts bedeutendes bewegen oder verändern können.“, ob es nicht schon etwas bedeutendes ist, zumindest in einem gewissen Sinne, wen man anderen Menschen mit seiner Musik etwas mitgibt, ihn zum Nachdenken anregt, ihn seine Gefühle ausleben lässt, ist das nichts besonderes und nicht genau das Gegenteil der angeprangerten „Überheblichkeit“, also eher „übertriebene Bescheidenheit“? Oder gilt das, ganz abseits des künstlerischen Aspekts in vielerlei anderer Hinsicht, beispielsweise auf die Natur, meinetwegen auch Weltpolitik?
Was ist die Bedeutung davon, wenn die eine Ameise der anderen eine Behausung baut? Was ist die Bedeutung davon, wenn der eine Pavian dem anderen das Fell laust oder wenn der eine Bonobo, aus Aggression, das Weibchen seines Konkurrenten begattet? Was ist die Bedeutung davon, wenn der Fluss ins Meer fließt oder Regen vom Himmel fällt?
Die Natur hat keine Bedeutung, wir geben sie ihr. Warum sollte es beim Menschen anders sein? Zudem, wenn man sich so die vielen unterschiedlichen Bedeutungen anschaut, die wir den Geschehnissen bereits gegeben haben, kann sich der Gedanke aufdrängen, dass die Bedeutung der Dinge etwas äußerst beliebiges ist. Und eines ist sicher, Bedeutung wird mit dem Menschen aussterben. Bis dahin sollten wir schauen, dass wir den Dingen und uns selbst nicht zu viel Bedeutung beimessen!
Wenn ich Musik mache, dann folge ich meiner Natur. Es ist sogar so, dass ich vor einer Komposition einen regelrechten Druck in mir verspüre, der dann über die Instrumente seinen Ausdruck findet. Den Eindruck, den diese Musik dann erzeugt, nennst Du ihre Bedeutung, dabei habe ich mir nur Luft gemacht.
Um daran gleich anzuschließen, mich fasziniert das Konzept wirklich, da es viele Fragen aufgreift,die sicherlich nicht nur ich mir ständig stelle. In „Helden Dieser Welt“ klingt es fast wie eine Aufforderung, etwas zu tun, also in einer Gemeinschaft und nicht als Einzelwesen, liege ich da ungefähr richtig? Wenn ja, traust du den Menschen in einer größeren Gemeinschaft, mit dem gleichen Ziel, wirklich Veränderungen zu?
Wirklich tolle Frage, gut recherchiert! Da hast Du einen sehr schönen Widerspruch herausgearbeitet! Zusammengefasst: Wenn man nicht bedeutendes bewegen kann, wie lassen sich dann Heldentaten verrichten?
Bei dem Konzept der simplen Existenz, geht es um die Position, die der Mensch quasi an sich hat. Bei Helden dieser Welt, geht es um die Frage, was wir heute noch mit dem Heldenkonzept anfangen können. Denn wie Du sicher festgestellt hast, habe ich keine Antwort auf die Frage, wer oder was die Helden(taten) dieser Zeit sind, gegeben. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt gefragt, warum es keine Helden (mehr?) gibt, wo die Welt doch „relativ“ hilfebedürftig ist, oder nicht? Ich glaube, dass liegt daran, dass niemand weiß, wie er die Sache anfangen soll, dass die Menschen, mit ihrer eigenen Scheiße, schlichtweg komplett überfordert sind. Auch wieder ein Indiz für die Dummheit der Menschen (mich natürlich eingeschlossen)!
Wie es scheint, lässt sich im Moment nicht viel bewegen!
Bevor es aber völlig ausufert möchte ich noch ein paar andere, eher standesgemäße Fragen loswerden. Zunächst einmal, wie wird es mit SIMPLE EXISTENZ weitergehen? Sind weitere musikalische Taten zu erwarten und vor allem, werden sie dem Konzept, welches „Das Leben Vor Dem Tod“ hat, folgen? Sprich, ist SIMPLE EXISTENZ also mehr oder minder an ein Konzept gebunden oder lässt du dir da Handlungsspielraum?
Sowohl als auch!
Ich werde sicher noch einige CDs produzieren, hoffe ich. Wie sich die Musik anhört, die ich in Zukunft machen werde, kann ich noch nicht sagen. Ich werde es weiterhin so halten, dass ich aufnehme was mir gefällt. Insofern nehme ich mir jeden Spielraum, denn je größer der Spielraum, desto mehr Freiheit sich auszudrücken. Das ist das Konzept dem „Das Leben vor dem Tod“ folgt und dem werde ich weiter folgen. Insofern werde ich meinem Konzept treu bleiben.
Etwas anderes ist mir ebenfalls bei mehrmaligem Hören aufgefallen, sogar sehr positiv. Das ganze Album harmoniert trotz seiner Vielseitigkeit großartig und bekommt dadurch eine „gemeinschaftliche Seele“, aber auch jeder Song an und für sich kann unabhängig von den anderen Songs problemlos überleben und fesseln. War es dir wichtig, dass jeder Song für sich selbst stehen und atmen kann, auch abseits der anderen?
Das Album ist musikalisch einfach passiert. Ich habe weder versucht, möglichst eigenständige Lieder zu machen, noch wollte ich etwas Einheitliches. Ich habe die Gitarre in die Hand genommen und Lieder geschrieben, sie aufgenommen und dank der Hilfe vieler netter Menschen die vorliegende CD veröffentlicht. Ich hoffe sie gefällt, mehr nicht!
Eine andere eher allgemeine Frage ist, kannst du dir vorstellen, SIMPLE EXISTENZ auch mit mehr Musikern auszustatten und eventuell auch Live zu spielen?
Ich bin gerade dabei ein live Line-up auf die Beine zu stellen. Ich würde sehr gerne live spielen, aber z.Z. erscheint es noch in weiter Ferne. Es gibt nichts Geileres als auf der Bühne zu stehen und die Musik in einem kleinen verschwitzten Raum, einer eingeschworenen Gemeinde von Willigen zu präsentieren; danach einen zu trinken und sich im Abend zu verlieren.
Du hast einige Gäste auf „Das Leben Vor dem Tod“. U.a. Jander und Sturm, aber auch eine gewisse Jasmin, welche in „Auf der Jagd“ zu hören ist. War es dir wichtig Freunde und Weggefährten auch mit in das Album einzubeziehen und war das von Anfang an geplant oder war es eher eine spontane Entscheidung, welche sich erst nach dem Songwriting herauskristallisierte, sprich, das diese Stimmen einfach passen würden?
Das zweite ist definitiv der Fall. Die Zusammenarbeit mit Sturm von WELTENBRAND hat sich aus meiner Lehrtätigkeit in der Uni ergeben. Dort lernte ich Sturm kennen und wir fingen an ein bisschen zusammen zu jammen. Aus dieser Zeit ist WELTENBRANDs „Leere“ / EgoNoirs „In dunklen Hallen“ und mein „Im Frühjahrsschnee“ entstanden. Er war es auch, der mir Unterstützung beim Gesang gab, schließlich war das eigentlich noch nie mein Steckenpferd. Zudem half er mir dabei, mein Equipment so weit auszubauen, dass eine brauchbare Produktion möglich wurde. Dafür sei ihm gedankt. Die Zusammenarbeit mit Jasmin ergab sich eher zufällig. Ich half damals bei WELTENBRAND live aus. Sie spielte dort Drums und so kam das Eine zum Anderen…
Die Idee, Jander zu fragen, den Gesang und den Text für ein Lied beizusteuern, kam mir die dem letzten Rock Hard Interview. Ich dachte mir, „wenn er bereit ist, nochmal ein NAGELFAR-Interview zu geben, dann ist er sicher auch gewillt sein nochmal zu singen“. Gedacht getan! Also schrieb ich Ihn an, um ihn zu fragen, ob er vielleicht Lust und Zeit hätte seinen Gesang und einen Text beizusteuern. Es war ein Wagnis, was sich aber letztendlich mehr als bezahlt gemacht hat (schließlich hatte er seit damals nie wieder seine Stimmbänder derart malträtiert). Im Nachhinein ist mir auch dadurch klar geworden, dass NAGELFAR seit dem Ausscheiden von Sveinn und Jander (ein Stück weit!) nur noch eine leblose Hülle war. Diese Art von Emotionen kann nur er transportieren!
So, damit das Interview unsere Leser nicht gänzlich überfordert, möchte ich hier erstmal abschließen und mich sehr für das Interview bedanken und dir alles gute wünschen. Wie immer gehören dir die letzten Worte.
Mir hat es große Freude gemacht, Dir Rede und Antwort zu stehen. Also vielen Dank für Dein intensives und ehrliches Interesse an der Formulierung spannender Fragen.
Genießt Euer Leben vor dem Tod,
ZORN!