Simon Hawemann
Enemy Of The Music Business

Interview

Und warum wird sich dann weiterhin so über Spotify und Konsorten beschwert, wenn auch vorher mit dem Verkauf von CDs nicht viel eingenommen hat?

Man kann immer darüber streiten, was fair ist und was nicht. Finde ich die Ausschüttung von Spotify fair? Nein. Aber wenn ich sowieso schon nur Kleinstbruchteile von den Einnahmen von meiner Musik bekomme und das auch noch auf die Spotify-Streams angewandt wird, dann bekomme ich ja wieder fast nichts. Ich weiß jetzt nicht, was Spotify gerade den Labels für einen Stream auszahlt, aber wenn ich davon auch nur 40 Prozent bekommen von den Bruchteilen von einem Cent, dann ist es ja weiterhin unfair. Wenn man wenigstens seine Musik besitzen würde, wäre es ja etwas anderes. Ich besitze jetzt meine Musik und ich pack sie weiterhin auf Spotify und beklage mich auch nicht.

Bei WFAHM haben wir jetzt die LP herausgebracht und einen Preis festgelegt, aber auch bei dem Download haben wir den Fans überlassen einen Preis festzulegen. Und nicht, weil ich meine, dass meine Musik nichts wert ist. Ich hab ja Einblicke darin, wie sich das NIGHTMARER-Album digital verkauft hat und Season Of Mist berechnen 9,99 US-Dollar pro Download, wo man es sich aber auch mit einem Spotify-Abo für einen Monat für den selben Preis und somit auch Millionen anderer Alben holen kann. Oder du gehst auf Season Of Mists Youtube-Kanal und hörst es dir kostenlos an. Ich verstehe dann auch nicht die Preisstruktur, dass man dann noch einen Zehner für eine digitale Kopie hinlegen muss. Das ist ein mehrschichtiges System, wo man als Musiker ganz unten in der Hackordnung ist und die Industrie sich noch nicht mitentwickelt hat.

Aber das hat sie ja seit 30 Jahren nicht. Mein Onkel liest immer New Musical Express und da war Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger zur Einführung der CD ein Interview mit den Bossen von verschiedenen Plattenfirmen und die sagte, sie wollen die CD jetzt starten mit umgerechnet 30 DM pro Exemplar. Es wäre noch ein Nischenprodukt und wenn sie dann Massenware wäre, könnte man mit dem Preis runtergehen. Jetzt gehst du in den Läden deiner Wahl und ein Album kostet jetzt 18€. Der Preis ist innerhalb der letzten 30 Jahre nur gestiegen und nicht wie versprochen gefallen.

Ich sehe mich in erster Linie als Fan von Musik und weil ich so ein großer Fan bin, bin ich Musiker geworden. Ich bin auch bereit, für Musik Geld auszugeben. Ich weiß aber auch, dass ich die Realität wie Musikfans ihre Musik konsumieren, nicht abbilde. Das ist ja okay. Ich weiß aber auch nicht, ob es noch was bringt, sauer zu sein, weil manche Leute glauben, dass Musik keinen Wert hat. Unterm Strich hat man ja auch vorher nicht viel von dem Kuchen abbekommen. Ob ich jetzt nichts bekomme, weil es mein Plattenvertrag nicht zulässt oder weil sich jemand das Album kostenlos runterlädt, ist völlig egal, wenn man selber die Musik sowieso nicht besitzt. Wenn wir ehrlich sind, schaden illegale Downloads oder Uploads bei Youtube eher dem Label als der Band. Für die Band ist es eine Verbreitung der Musik, für das Label ist es ein Ausfall von Einkommen. Irgendwie besteht immer noch das Gefühl, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Ich bezweifel aber, dass es so ist.

Das hat ja spätestens da aufgehört als die Labels aufgehört haben Toursupport zu zahlen. Ich kann mich noch erinnern, dass bis Mitte oder Ende der Neunziger die kleinen Bands von den Labels auf Tour geschickt worden sind. Die Labels haben für die Bands zum Beispiel die Kosten am Bus getragen.

Ich habe nie einen Toursupport bekommen. Ich habe aber auch nie gefragt. Wir waren mit allen unseren Bands immer darum bemüht, alles selbst auf die Kette zu kriegen. Mir fällt da aber gerade ein, dass wir von Lifeforce Records für die US-Tour 2008 mit WAR FROM A HARLOTS MOUTH einen Karton mit 100 CDs bekommen haben, der uns nicht berechnet worden ist. Da kannst du dann in den USA 1000 bis 1500 US-Dollar von machen, haben aber gleichzeitig auf der Tour 10.000 Euro verloren. Das steht dann natürlich in keinerlei Verhältnis. Vorher hatten wir uns in Deutschland den Arsch abgespielt, um uns leisten zu können auf Tour zu gehen. Ich will mich darüber auch nicht beklagen, denn wir haben es gerne gemacht und haben uns selber dazu entschieden. Bei aller Beschwerde, niemand zwingt dich einen Plattenvertrag zu unterschreiben und niemand zwingt dich, auf Tour zu gehen. Ich hoffe, dass es jetzt durch Covid ein gewisses Umdenken bei den Bands gibt, zu verstehen, dass man mehr von den Aufgaben übernehmen muss, wenn man möchte, dass mehr Kohle bei einem hängen bleibt. Dann wird es allerdings auch immer mehr zu einem Job, Musiker zu sein und auf Tour zu gehen. Je mehr Aufgaben du übernimmst, desto weniger kann behauptet werden, es sei kein Job.

Du hast in den USA viele Bands, die saujung anfangen nichts als Musik zu machen, die auf Tour gehen und das College abbrechen, um Zeit dafür zu haben. Die können jetzt nicht touren und die haben meistens auch keine Plattenverträge, wo was hängenbleibt. Die können nur noch bei McDonalds arbeiten, um über die Runden zu kommen.

Das ist doch aber bei den alten Bands nicht anders. Irgendwer sagte mal im Interview zu mir „What else is Vinnie Stigma supposed to do?“ Der hat doch auch mit 15 Jahren angefangen Gitarre zu spielen und was soll er jetzt denn anders machen? Wie alt ist er? Der ist doch auch über 60, oder?

Gerade die Generation, die noch vom Musik machen in den Achtzigern und Neunzigern mehr Geld verdient hat. Auch für die ist es eine schwierige Situation und es wird nicht darüber gesprochen, dass für Musiker gar nichts mehr bleibt, wenn sie nicht touren können. Natürlich ist es auch selber verschuldet, denn ich erinnere mich auch daran als bei uns mit WFAHM der erste Plattenvertrag am Horizont auftauchte, wollten wir es unbedingt, denn wir wollten unbedingt touren. Das war der Lifestyle, auf den man Bock hatte und ich kann den Tatendrang auch verstehen, aber 15 Jahre später gibt es viele Sachen, die ich nicht mehr bereit bin zu tun. Dazu gehört es, einen Plattenvertrag zu unterschreiben, bei dem mir „18 Prozent des Nettoeinkommens pro verkaufter Einheit“ als Profitanteil abgegeben wird. Was soll ich mit diesen Cents? Fuck Off!

Ich will auch nicht alles schwarz malen, denn ich hab daran viele Jahre Spaß gehabt und mache weiterhin aktiv Musik. Man muss sich als Band überlegen, ob ich möglichst viele Leute erreichen will. Dafür gebe ich die Rechte an meiner Musik und an potentiellen Einnahmen ab. Dann erreiche ich halt viele Leute, mach aber gleichzeitig wenig Kohle. Oder ist es wertvoller zu sagen, dass ich davon nur einen Bruchteil erreiche, der aber Geld ausgibt, das direkt in meiner Tasche landet, wovon ich für die Band eine finanzielle Basis bilden kann, um zu existieren. Ich nehme lieber alles selber in die Hand ohne mich von anderen abhängig zu machen. Dafür erreiche ich weniger Leute, bekomme aber jeden Dollar selber und habe mehr Arbeit und setze mich tage- und wochenlang hin, um alles auf die Beine zu stellen. Lieber als alles abzugeben und darauf zu hoffen, dass ich genug Leute erreiche, um irgendwann mit dem Touren über die Runden zu kommen. Und es wird ja nicht einfacher.

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Quelle: Interview mit Simon Hawemann am 01.06.2020
11.08.2020

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