Simon Hawemann
Enemy Of The Music Business

Interview

Du hattest das Thema Streaming-Konzerte schon erwähnt. Denkst du, das könnte eine Zukunft haben? Facebook bastelt zum Beispiel an einer Plattform für bezahlte Streaming-Konzerte.

Ich glaube da nicht dran. Ich glaube da nicht dran, dass es eine Zukunft hat für Bands, um ihre Existenz zu sichern. Aus dem einfachen Grund, dass wir davon leben, das gleiche zu machen und das mehrfach zu reproduzieren. Wenn man in Berlin spielt und dann in Stuttgart, kann man das gleiche performen und wird beide Male dafür bezahlt, weil du vor verschiedenen Leuten spielst. Online schrumpft eine Tour auf ein Konzert zusammen, weil jeder die eine Streaming-Performance gucken kann. Nehmen wir mal die Zahlen unserer Tour aus dem letzten Jahr. Da waren im Schnitt 500 Leute da und es wird schwer 30 mal 500 Leute auf eine Streaming-Show zu bekommen, die das dann auch bezahlen wollen, es sei denn, du bist eine sehr große Band.

Bezahlwillig für den Eintritt, den du auch für das Konzert nimmst. Zwei oder drei Euro kann man sich ja noch vorstellen, dann hört es aber auch schon auf.

Aber welche Band kann denn dann davon leben? Gerade diese Mittelschicht der Bands, die eigentlich sonst nur vom Touren überleben, kann nicht vom Streaming überleben. Das sieht für mich nach einem vollkommen aussichtslosen Unterfangen aus. Es ist ja nicht endlos reproduzierbar, du machst eine Show und alle kennen deine Performance. Wenn du jetzt eine Band mit zehn Alben bist, kannst du noch alle Alben einzeln performen, aber auch dann ist es begrenzt und du kannst nicht erwarten, dann jeden Abend hunderte oder tausende Leute vor den Computer zu ziehen. Das ist vollkommen illusorisch.

Ich muss aber persönlich auch sagen, dass ich das nicht sehr spannend finde. Als klar war, dass durch Covid das Touren weg fällt, war klar, dass jeder jetzt die erste Idee haben würde zu streamen. Das liegt nahe, kann gemacht werden und man kann bis zu einem gewissen Grad damit auch kreativ sein, aber ich sehe jetzt gerade auch nicht so viele kreative Ansätze dabei. Momentan ist das alles sehr vorhersehbar und die Vorfreude auf und die Energie bei einem Konzert ist eh schwer zu übertragen. Ich sehe das überhaupt nicht als Ersatz, weder für die Fans, noch für die Bands.

Man muss auch über die finanzielle Seite reden und für eine Band, die bisher Peanuts für ihre Verkäufe bekommt, also 10 der 20 Cent pro verkaufte Einheit, weil sie so einen Vertrag unterschrieben hat, für die ist es vollkommen illusorisch davon leben zu können. Vorher musste sie 200 Konzerte im Jahr spielen um über die Runde zu kommen.

Ich denke gerade viel darüber nach ob durch Covid-19 die Musikindustrie umgekrempelt wird oder auch die Verlogenheit der Industrie gezeigt wird. HEAVEN SHALL BURN sind mit „Of Truth & Sacrifice“ auf Platz 1 der Charts eingestiegen, ohne dass ein Fan das Album in der Hand gehabt hat. Das waren alles Streams, MP3s und Vorbestellungen, die nicht pünktlich angekommen sind. Niemand hatte zum Release das Album in der Hand. Wie du schon sagtest, die Industrie macht sich gerade echt was vor.

Das ist auch mein Eindruck. Durch Covid werden gerade die Schwächen des Kapitalismus ganz klar aufgezeigt. Gerade hier in den USA ist alles zusammengebrochen und was den Kapitalismus ausmacht, sieht man sehr genau in der Musikindustrie. Vom monetären her ist ein Bruchteil bei den Bands und das Geld landet zum großen Teil bei den Labels. Das ist ja nicht neu. Doch jetzt fallen alle anderen Möglichkeiten weg, Geld zu verdienen und damit auch die Existenzgrundlage für Bands. Wenn es keinen Paradigmenwechsel gibt und Bands nicht anfangen ihre eigenen Strukturen aufzubauen, dann sehe ich für viele Bands keine Überlebenschancen.

Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen und ich habe in meinem Leben für kein Album, das ich über ein Label veröffentlicht habe, einen Paycheck bekommen. Und das waren immerhin fünf Alben. Du bekommst ein paar Tausend Euro Produktionsbudget und damit gehst du ins Studio, nimmst dein Album auf und bezahlst das Artwork. Das musst du dann in Cent-Beträgen wieder reinspielen bis du zum Break-Even kommst und dann wird dieser Anteil auch nicht angepasst und bekommst weiterhin nur Cents. Sagen wir mal, du bekommst 10.000 Euro Budget und wenn du das in 15 oder 20 Cent Schritten wieder reingeholt hast, weil du so viele Alben verkaufst, bekommst du ab dem Punkt weiterhin 20 Cent pro verkauftem physischen Tonträger. Bei einem digitalen Verkauf sind es meistens so 40 Prozent pro Digitalverkauf. Eigentlich bekommst du nur Almosen zugesteckt. Die Hoffnung von Bands ist es, dass sie durch ihre Verkäufe und ihren Plattenvertrag genügend Leute erreichen, um auf Tour gehen zu können und volle Läden zu haben, damit da dann etwas Geld in die Kasse kommt, um die Existenz zu rechtfertigen. Aber ohne das gibt es die Existenzrechtfertigung für viele Bands des Mittelstands der Metalbands nicht.

Ich wunder mich gerade, dass so wenige Bands gerade während Covid das Maul aufmachen und sagen, was Sache ist. Wir können ja so ein Patreon an den Start bringen wo wir 300 Euro im Monat durch fünf Bandmitglieder teilen können, wo wir uns dafür im Chat mit unseren Fans nackig machen müssen. Das ist doch aber auch keine Zukunft. Wie weit soll man damit kommen, wenn man nicht mal in der Lage ist, von dem Verkauf von Musik eine gewisse Basis zu erwirtschaften, um zu existieren. Ich hab auch noch keine Band gesehen, die mit einer Idee um die Ecke kam, wo man sich klar war, dass die Bands damit jetzt ihre Existenz sichern kann. Das geht nur bei den großen Bands, die fanatische Fans haben, die bereit sind für jeden Scheiß Geld auszugeben. Der Mittelstand an Bands wird leiden, ganz einfach.

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Quelle: Interview mit Simon Hawemann am 01.06.2020
11.08.2020

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