Silent Skies
"Man kann seinen inneren Nerd nicht komplett abschalten."

Interview

Ich vermute also, der Aufnahmeprozess von „Nectar“ lief auf dieselbe Weise? Ihr habt beide in Euren Heimstudios gearbeitet und dann das meiste online erledigt – auch aufgrund der Pandemie?

Ja, wir haben alles in unseren eigenen kleinen Welten erledigt. Etwas, was bei diesem Album wirklich cool war ist, dass wir unser eigenes System entwickelt haben, Zoom zu verwenden. Wir haben quasi unser komplettes Studio an Zoom angeschlossen, so dass wir praktisch in voller Qualität hören konnten, was im jeweils anderen Studio passiert. Das ist ein großer Unterschied zu dem, was wir vor ein paar Jahren gemacht haben, als wir versucht haben mit Facetime, Zoom und Skype zu arbeiten, die Audioqualität aber wirklich furchtbar war und man kein wirkliches Gefühl dafür entwickeln konnte, was die andere Person macht. Als dann die Pandemie zuschlug war uns klar, dass wir einen Weg finden müssen, um den virtuellen Arbeitsprozess besser zu gestalten als beim letzten Mal, denn wir haben „Satellites“ auch bereits weitgehend virtuell erschaffen – es war nur ein deutlich weniger effizienter Prozess. Wir haben letztlich mp3-Dateien per E-Mail hin und her geschickt, was ein gewisses Maß an kreativer Verzögerung bedeutete. Du schickst etwas und die andere Person hört es dann vielleicht sechs Stunden später, liegt vielleicht nicht auf der gleichen Wellenlänge und du kannst dich nicht einfach mal eben hinsetzen und demjenigen erklären, was genau du mit etwas bestimmten erreichen wolltest. Die Gefahr von Missverständnissen ist also viel größer. Mit unserer neuen Methode konnte ich einfach, wenn ich einen Keyboard-Part ausprobieren wollte zu meinem Keyboard gehen und ihn spielen. Fünf Minuten später konnten wir ihn dann beide hören und sagen: „Das ist fast großartig, aber das ist was wir machen sollten, damit es wirklich großartig wird.“ Wir konnten das in dem Moment fixen und hatten direkt das Ergebnis. Deshalb haben es auch deutlich mehr Experimente in das Endergebnis geschafft, einfach weil wir in der Lage waren zu experimentieren und diese so gut wie möglich ausarbeiten konnten.

Das gleiche gilt für die Vocals, denn wenn Tom eine Gesanglinie ausprobieren wollte, konnte er einfach sein Mikrofon anschalten, eine Strophe aufnehmen und wir konnten direkt hören, wie es klingt. Wenn er mal in Ruhe arbeiten wollte, konnte er mich einfach Stumm schalten, ich konnte an meinen eigenen Sachen arbeiten und ihn Stumm schalten. Nach zehn Minuten kamen wir zurück und zeigten uns gegenseitig, was wir gemacht hatten. Einfach ein sehr praktischer kreativer Prozess, weil es super ist zusammen zu sein, aber gleichzeitig auch getrennt, wenn man mal seine 15 Minuten Privatsphäre braucht um etwas anderes zu erledigen. Aufgrund der Zeitverschiebung hatten wir praktisch 18- bis 20-Stunden-Tage. Wenn Tom in Europa ins Bett gegangen ist war es bei mir Nachmittag, ich konnte den ganzen Nachmittag und Abend arbeiten und wenn ich geschlafen habe, war es für ihn Morgen und er konnte arbeiten. Wenn man so will haben wir also praktisch rund um die Uhr gearbeitet, was vermutlich der Grund ist warum wir innerhalb von drei Monaten ein Album geschrieben, aufgenommen und produziert hatten, fertig um abgemischt zu werden.

Lass uns mal versuchen „Satellites“ und „Nectar“ ein wenig miteinander zu vergleichen. Ich finde „Satellites“ hat einen stärkeren Fokus auf Deinem Klavierspiel, ist außerdem ein bisschen weniger dramatisch und melancholisch als „Nectar“, das aber die deutlich kompakteren Songs hat. Würdest Du mir zustimmen? Was ist aus Deiner Sicht der größte Unterschied zwischen den beiden?

Ja, da stimme ich Dir zu. „Nectar“ ist effektiver. Die Songs sind geschrieben um effektiver zu sein. Eine Sache ist, dass der Mix viel stärker auf den Song fokussiert ist, so dass vor allem die Dinge, die den Song gedeihen lassen im Mittelpunkt stehen. Sehr häufig sind das Vocals, aber wenn es einen sehr wichtigen Piano-Part gibt, wird das auch deutlich. Auf der anderen Seite, lässt das Klavier, wenn es eben nicht im zentralen Fokus des Songs steht, auch die anderen Elemente übernehmen. Weil wir auch wollten, dass die Songs ein bisschen mehr von einer antreibenden Energie bekommen, gibt es einen höheren Anteil von Synthesizern, elektronischer Percussion und dieser Art von Dingen.

„Satellites“ kann sich dagegen eher ausbreiten und das Klavier ist mit weitem Abstand das wichtigste auf dem Album. Alles andere ordnet sich praktisch dem Klavier unter. Auf „Nectar“ hingegen ist der Song an sich das wichtigste und alles andere muss sich dem unterordnen. Ich denke, das ist auch offensichtlich aufgrund der Art und Weise, wie die Leute auf das Album reagieren. Sie scheinen viel stärker darauf zu reagieren als auf „Satellites“, ich denke weil die Songs sie stärker berühren, was eine großartige Sache für uns ist.

Silent Skies - Bandfoto 2021

Ich finde, dass die Songs auf „Nectar“ generell melancholisch und teilweise auch ziemlich traurig sind. Trotzdem transportieren sie irgendwie eine gewisse Hoffnung, etwas in das man eintauchen möchte und sich hinterher besser fühlt. Ist das etwas, was Ihr im Hinterkopf hattet, um sicher zu gehen, dass es nicht nur Trauer und Verzweiflung in den Songs gibt?

Ja, da stimme ich Dir zu, dass genau das passiert, wenn ich mir das Album wieder anhöre. Die Art, wie wir Musik schreiben ist aber komplett instinktiv, wir verlassen uns da so weit wie möglich auf unser Bauchgefühl. Wir denken also nicht darüber nach ob etwas zu traurig oder auf der anderen Seite zu fröhlich sein könnte. Es geht nur um eine ehrliche Reflexion davon, wo du als Künstler und als menschliches Wesen stehst. Wie wohl so ziemlich jeder auf dieser Welt haben auch Tom und ich Dunkelheit und Licht in uns. Was also herauskommt, wenn du Musik machst, die eine so authentische Reflexion von dir selbst ist wie möglich, ist Musik die beides reflektiert, die Dunkelheit und das Licht. Wenn wir versuchen würden Musik zu schreiben, die einfach nur fröhlich ist, ohne die harten Seiten des Lebens zu berücksichtigen, würde das genau so unaufrichtig sein, als wenn wir etwas komplett depressives ohne jeden Funken Hoffnung schreiben würden. Ich weiß, dass es Leute gibt, die ihr Leben so leben und das soll kein verurteilendes Statement gegen sie sein, aber das ist einfach nicht wie Tom und ich ticken. Wir versuchen immer zu kämpfen, versuchen etwas besseres aus diesem Leben zu machen. Das kann man auch an den letzten beiden EVERGREY-Alben sehen. Sie sind ein Manifest an die menschliche Kraft, schwere Zeiten durchzustehen. Nicht einfach nur die schweren Zeiten einzusaugen und das ist es dann. „Nectar“ ist auch eine Reflexion dessen, denn das ist woran wir als Personen glauben.

Ich dachte eigentlich, dass SILENT SKIES ein reines Studioprojekt wären. Allerdings habe ich vor kurzem gelesen, dass Ihr Shows spielt bzw. zumindest welche geplant habt – natürlich nicht einfach in diesen Zeiten. Welche Art von Shows wollt Ihr denn spielen?

Wir wollten unsere Musik immer schon live spielen. Selbst bevor „Satellites“ heraus kam haben wir schon darüber gesprochen, das zu tun. Allerdings war es auch vor einer zweijährigen globalen Pandemie schon schwierig, so etwas zu koordinieren, wenn eine Hälfte der Band für fünf Monate eines typischen Jahres unterwegs ist und ich mit Studioprojekten ebenfalls stark eingespannt bin und Verpflichtungen zu Hause habe. Was das bedeutet ist, dass wenn wir eine Show spielen – und ich sage, wenn und nicht ob, denn wir werden das möglich machen – wollen wir keine Kompromisse eingehen. Wir wollen nicht irgendeine mittelmäßige Show zusammenstellen, nur damit wir sagen können, dass wir live gespielt haben. Das bedeutet, dass wir ein bisschen anspruchsvoll sein müssen, was die Angebote angeht, die wir bekommen. Wir haben ein paar coole Angebote bekommen und arbeiten daran, daraus etwas möglich zu machen.

Wir haben aber auch unsere Ideale, was für eine Art von Show wir spielen möchten. Klar, wir würden sehr gerne auch etwas außerhalb von Metal-Shows spielen, mit Künstlern wie ÓLAFUR ARNALDS die auch touren, aber deren Touren etwas anders sind als im Metal-Bereich. Es gibt dort für gewöhnlich keine Vorbands, das ist mehr wie eine Theatervorstellung. Es gibt aber auch Raum für uns mit Künstlern wie LEPROUS oder KATATONIA auf Tour zu gehen. Es ist einfach nur wichtig, dass die Atmosphäre in der wir live spielen – wie auch immer die aussehen und sich anfühlen mag – gut zu dem passt, wer wir sind. Das schließt aber eine Club-Show mit einer Metal-Band definitiv nicht aus. Es muss sich einfach richtig anfühlen. Was auch immer passiert, wir müssen ein bisschen wählerisch sein, wie wir eine SILENT SKIES-Show umsetzen können.

Auf eine gewisse Weise hast Du das schon beantwortet, aber: Von welcher Art von Publikum bekommt Ihr am meisten Feedback? Kommt das hauptsächlich aus dem Bereich Metal oder seht Ihr da eine große Vielfalt, von Pop-Fans über Metalheads bis hin zu Neoklassik-Liebhabern?

SILENT SKIES hat genug musikalische DNA aus verschiedenen Genres, dass es diese Kreuzwirkung haben könnte um, sagen wir mal Fans von ADELE, ÓLAFUR ARNALDS oder all andere dieser unterschiedlichen musikalischen Welten, die Tom und ich lieben, zu erreichen. Am Ende des Tages sind wir aber einfach glücklich, wenn Menschen auf unsere Musik reagieren. Es ist nicht wirklich wichtig, wer sie sind. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die dachten wir verfolgen die Idee, aus dem Metal entkommen zu wollen oder wir denken, dass dies keine Musik für Metal-Fans sei, was wirklich weit weg von der Wahrheit ist. Wir sind Metalheads und Metal-Musiker. Den Respekt unserer „Home-Community“ zu haben, um sie mal so zu nennen, ist wirklich eine wunderbare Sache, für die wir sehr dankbar sind.

Aber natürlich sind wir auch immer daran interessiert andere Märkte abzuklopfen. Ein weiterer großartiger Markt wäre also Musik für Film und TV. Da wir so stark von filmischer Musik inspiriert sind, wäre das ziemlich passend. Dahingehend sind Tom und ich jetzt in eine etwas andere Richtung gegangen. Wir schreiben in letzter Zeit viel Videospielmusik, für eine Firma namens „Saber Interactive“ aus den USA. Wir schreiben also jetzt Musik für Bewegtbild, was ziemlich cool für uns ist, aber komplett unterschiedlich zu SILENT SKIES. Das erlaubt uns einfach eine andere Ecke zu erforschen, was wirklich Spaß macht.

Vielen Dank für Deine Zeit, Vikram.

Cool mit Dir zu sprechen!

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Quelle: Interview mit Vikram Shankar / Silent Skies
21.02.2022

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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