Shaded Enmity
Interview mit Joe Nurre zu "Hijo Perdido"
Interview
Das neue Album bietet wieder jede Menge Aggression. Warum bist Du so wütend? Hilft es Dir, Musik zu machen?
Ich bin in einer extrem religiösen Familie aufgewachsen, und habe einen Großteil meiner Kindheit in Isolation verbracht. Ich war viel allein, weil es mich frustriert hat, Dinge nicht so zu sehen, wie ich sie sehen sollte und deshalb zu niemandem eine Beziehung aufbauen konnte. Jahre später habe ich herausgefunden, was bei uns in der Kirche abgegangen ist und dass die Leute, denen ich vertrauen sollte, dreckige Lügner sind, die eigentlich in keine Kirche gehören. Da gab’s verheiratete Kantoren, die Mitglieder der Kirchengemeinde geschwängert und dann die Kinder verheimlicht haben. Es gab 13jährige Jungs, die sich an achtjährigen Jungs vergingen, Jugendgruppenleiter, die’s mit 13jährigen Mädchen getrieben haben. Und das alles in meiner Kirchengemeinde! Das hat mich alles ziemlich verwirrt, und im Alter von 16 bis 21 Jahren war ich ziemlich heftig auf Drogen. Ich war unzufrieden mit mir selbst und mit meinem Leben. Kurz vor den Aufnahmen zu „Thought and Remembrance“ (dem ersten Album -Ed.) bin ich total high zu den Proben gekommen, dann derbe abgestürzt und habe mich regelmäßig im Klo ausgekotzt. Trotz meiner Drogensucht habe ich während dieser Zeit das komplette Album geschrieben, kann mich aber überhaupt nicht daran erinnern. Rob und Eric haben vor den Aufnahmen gedroht, mich aus der Band zu werfen, also habe ich mich zusammengerissen und bin clean geworden, wenn auch nur für neun Monate. Als ich 21 war, habe ich dann entschieden, dass es so nicht weiter gehen kann und es endlich auch geschafft.
Die Jahre ziehen ins Land, und Dinge passieren in deinem Leben. Du gehst durch unglückliche Beziehungen, triffst falsche Entscheidungen, hast Ärger mit der Polizei, und alle diese Dinge werden zu dem Ärger, der dann seinen Weg in meine Musik findet. Ich denke an Dinge aus meiner persönlichen Vergangenheit und Gegenwart, wenn ich Songs für SHADED ENMITY schreibe. Ich kann keine Musik erschaffen, wenn draußen die Sonne scheint. Ehrlich gesagt kriege ich nichts zustande, wenn ich glücklich bin. Meine Wut ist der Treibstoff, der „Prayers“ und „Hijo“ befeuert. Diese Art Musik zu machen, ist für mich absolut therapeutisch. Ich bin mit mir und der Welt zufrieden, wenn ich ins Mikrofon schreien und auf meiner Gitarre spielen kann. Ich freue mich auf Proben und Konzerte, weil ich dann alles raus lassen kann. Simons Schlagzeugspiel macht unsere Musik sogar noch wütender, und wenn alles passt, kann es sehr intensiv werden.
Wenn Du mich fragst, dann klingen „Like Prayers…“ und „Hijo Perdido“ ja durchaus ähnlich. Nun will ich das auf keinen Fall als Kritik verstanden wissen, aber wie lange könnt Ihr diesen musikalischen Ansatz interessant gestalten? Wie viel und in welche Richtung kann sich die Band verändern und trotzdem noch SHADED ENMITY sein? Hast jemals mit dem Gedanken gespielt, neue Elemente in Eure Musik zu integrieren? Wie wird die Band nach, sagen wir mal: drei Alben klingen?
Ich kann verstehen, dass Du die Alben als ähnlich empfindest, schließlich wurden sie beide von mir geschrieben. Auch lag zwischen dem Schreiben beider Scheiben ein Zeitraum von nur sechs Monaten. Vor einiger Zeit habe ich ein paar Shows mit NEVERMORE gespielt, und danach viel Zeit mit siebensaitigen Gitarren verbracht, und ich kann dir schon jetzt verraten, dass das neue Zeug für sieben Saiten geschrieben wird. Auch wollen wir definitiv etwas technischer werden. Unser Trademark sind natürlich die melodischen Harmonien, und die wird’s immer geben. Ich denke, was auch immer ich schreibe, wird nach SHADED ENMITY klingen, auch wenn es immer mal wieder ein oder zwei Änderungen geben kann. Nach den drei nächsten Alben hätte ich den typischen SHADED-ENMITY-Stil gern soweit entwickelt, dass man unsere Musik auflegen kann und schon nach ein paar Takten weiß: „Ah, das sind SHADED ENMITY.“ Ich werde mich immer darum bemühen, die bestmögliche Musik zu erschaffen, die gleichzeitig so einzigartig wie möglich sein sollte. In der Zukunft würde ich gern mit Keyboards experimentieren. Damit übertreiben es zwar viele, aber wenn man das richtig macht, kann die Musik davon durchaus profitieren.
Das neue Album habt Ihr u.a. dadurch beworben, dass Ihr es komplett als Stream bereitgestellt habt. Komischerweise kann ich aber keine Seite finden, auf der man es in digitaler Form käuflich erwerben könnte. Nicht, dass ich mir mp3-Alben kaufen würde, aber irgendwie komisch ist das ja schon…
Wenn Du genauer hinsiehst, wirst Du feststellen, dass man „Like Prayers on Deaf Ears“ bei www.bandcamp.com digital für kleines Geld erstehen kann. Auch „Hijo Perdido“ wird’s da geben, wenn die CD endlich fertig ist. Außerdem werden in naher Zukunft beide Alben auch bei iTunes zu finden sein, denn ich weiß, dass viele Leute an der CD an sich nicht mehr interessiert sind sondern nur Futter für ihren iPod wollen. In Sachen Promotion habe ich nicht unbedingt Höchstleistungen für SHADED ENMITY erbracht, denn ich bin technologisch nicht so fit und mag es nicht, mich mit Computern rumzuschlagen.
Und von neu zu alt: Habt Ihr mal darüber nachgedacht, das neue Album auch auf Vinyl rauszubringen? 40 Minuten Spielzeit und acht Stücke sind ja im Prinzip perfekte Eckdaten. Und viele Leute dürften ob des musikalischen Gewitters eine kleine Pause sogar begrüßen.
Weißt Du, ich würde das Album sehr gern auch als LP rausbringen, aber ich bin absolut pleite. Ich hatte gerade genug Kohle, um von „Hijo Perdido“ 100 Cds pressen zu lassen. Irgendwann später vielleicht.
Wenn wir Grunge, Cascadian BM und SHADED ENMITY mal außen vorlassen, was sind Washingtons wichtigste Beiträge auf dem Gebiet der Gitarrenmusik? Gibt’s da irgendwelche Bands oder Projekte, von denen der Rest der Welt mal gehört haben sollte, irgendwelche Geheimtips, die mehr Aufmerksamkeit verdienen würden?
Wenn es eine Band gibt, die mehr Beachtung verdient hätte, dann ist es PHALGERON (www.reverbnation.com/phalgeron -Ed.). Mit denen teilen wir uns den Proberaum, und ich habe mir vor kurzem erst Auszüge aus ihrem (noch unfertigen) neuen Album angehört und fand das richtig gut. Ich denke, von allen Bands in Seattle ist PHALGERON wahrscheinlich die Truppe mit dem größten Potential. Ihr Gitarrist Tyler ist großartig, Bassist Lane hat es auch drauf, und Ian ist wahrscheinlich der vielversprechendste Trommler in Seattle. Auch ATISA (bei denen Joe Gitarre spielt… -Ed.) könntest Du Dir mal anhören, straighter MeloDeath.
So, das war’s für heute. Die letzten Worte gehören natürlich Dir. Wie wär’s mit einer weiteren Promorede? Kommt Ihr irgendwann nach Europa?
Danke für das Interview, es ist seit Jahren unser erstes. Ich möchte mich bei den Leuten bedanken, die unsere Alben erworben haben, besonders bei denen, die „Hijo Perdido“ vorbestellt haben. Wir würden sehr gern mal in Europa spielen. Eine kleine Tour im nächsten Jahr wäre super, ich habe aber keine Ahnung, wie realistisch das ist. Danke nochmal für Deine Unterstützung, ohne metal.de hätten eine Menge Leute wohl nie von uns gehört.
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Stile | Melodic Death Metal |
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Diese einerseits kompositorisch verspielte, andererseits auf die Zwölf gehende Band hat viel mehr Beachtung verdient. Andererseits gut, dass es solche Geheimtipps gibt. Be’lakor sind, wenn auch stilistisch anders, eine ähnliche Gewichtsklasse.