Satyricon
Interview mit Satyr zu "The Age Of Nero"
Interview
SATYRICON gehören seit nunmehr 15 Jahren zu den prominentesten Vertretern des norwegischen Black Metal. In dieser Zeit haben sie dieses Musikgenre nicht nur entscheidend mitgeprägt, sondern mit Alben wie „Rebel Extravaganza“ in andere Richtungen gezerrt oder mit „Volcano“ und „Now, Diabolical“ überflüssiger Schichten entledigt. Das neue Album „The Age Of Nero“ ist dagegen weniger revolutionär, sondern nimmt den Faden von „Now, Diabolical“ erstaunlich selbstverständlich wieder auf, ohne das Vorgängerwerk zu übertreffen. Bandleader Satyr erklärt uns im folgenden Interview, warum er das neue Werk dennoch für perfekt hält, was er von Live-Shows in Deutschland gelernt hat und inwiefern sich der Albumtitel auf die heutige Zeit bezieht.
Bitte beschreibe „The Age Of Nero“ in wenigen Worten!
Es ist ein recht episches Album. Es klingt für mich einfach groß, nicht nur vom Klang her, sondern auch von den Strukturen. Es ist ein sehr kraftvolles Album, es ist atmosphärisch, die Substanz ist sehr düster. Wir denken, dass es zu diesem Zeitpunkt einfach das ultimative SATYRICON-Album ist. Es vereint einfach alle unsere Stärken. Für uns ist es mehr wie eine Reise denn eine Ansammlung von Songs. Das ist immer mein Ziel gewesen, ein Album zu kreieren, das als Ganzes wahrgenommen wird. Sicherlich gibt es bestimmte Songs wie „Commando“ oder „Black Crow On A Tombstone“, die für sich stehen und funktionieren. Aber einige Songs muss ich einfach im Kontext mit den anderen hören, um das richtige Gefühl für sie zu bekommen.
Kannst Du das noch einmal genauer ausführen, inwieweit „The Age Of Nero“ das ultimative SATYRICON-Album ist?
Es ist in dem Sinne das ultimative Album, dass es sehr gut die Natur der Band einfängt. Klar, jeder sagt, dass das neue Album immer das beste ist, das denken wir von „The Age Of Nero“ auch, aber es fängt die Essenz und die Stärken der Band perfekt ein. Es bündelt alle unsere Stärken, es reflektiert die Identität von SATYRICON. Es ist einfach das, wofür SATYRICON stehen.
Du sagst, dass „The Age Of Nero“ die Essenz von SATYRICON ist. Ich habe gelesen, dass diesmal Snorre Ruch [THORNS] in das Songwriting involviert gewesen ist. Welchen Einfluss hatte er auf das neue Material?
Es ist so, dass ich Snorres Band THORNS seit vielen Jahren koproduziere, dass ich für sie Lyrics schreibe und teilweise singe. Ich nehme für THORNS’ Musik die Rolle eines Ratgebers ein. Da das sehr fruchtbar ist, arbeiten wir manchmal auch an Songmaterial für SATYRICON zusammen. Er kann dabei sehr interessante Dinge beitragen, manchmal einfach nur als Brainstorming-Partner. Diesmal haben wir diese grundsätzliche Herangehensweise etwas ausgebaut. Diesmal wollte ich, dass er dabei ist, wenn ich arbeite. Und das aus mehreren Gründen: Zum einen ist er technisch sehr beschlagen, wenn es um Demo-Aufnahmen und Harddisk-Recording geht. Dadurch konnte ich mich mehr auf die Musik konzentrieren. Außerdem vertraue ich sehr auf seine Analysen. Er ist dafür der ideale Partner, weil er einerseits SATYRICON-Fan ist, uns andererseits aber auch aus der Distanz richtig einordnen kann. Er versteht einfach die Natur der Band. Ich habe also das Album komplett alleine geschrieben, aber er hat auf anderen Ebenen dazu beigetragen, das beste aus mir herauszukitzeln.
Wenn Du dann die Musik schreibst, wann bindest Du Frost [Drummer bei SATYRICON] mit ein?
Dieses Mal habe ich einen großen Teil der Musik in einer einsamen Hütte von einem Freund komponiert. Meistens bin ich dort alleine oder zusammen mit Snorre gewesen. Immer dann, wenn ich den Eindruck hatte, dass eine Idee konkret genug ist, haben wir von der Basis eine mp3-Datei aufgenommen. Dazu habe ich die Drumtracks programmiert und schließlich Frost gebeten, diese zu lernen. Es ist grundsätzlich so, dass ich eine Vorstellung davon habe, wie später der Song klingen soll. Deswegen denke ich, dass ich Frost erstmal eine Grundlage bieten muss. Aber oft hat er auch noch ganz andere Ideen für die Gestaltung seines Drummings.
Zwischen diesen Trips in die Hütte, die ich innerhalb eines Jahres gemacht habe, haben wir immer wieder geprobt. Und irgendwann kam der Punkt, wo ich gefühlt habe, dass die Grundlagen für alles erschaffen wurden. Von da an haben wir in unserem Proberaum in Oslo weitergearbeitet. Dort haben wir fast jeden Tag geprobt, damit sich die Tracks möglichst tight anhören und schließlich die angestrebte Perfektion erreichen.
Für die Aufnahmen seid Ihr nach Los Angeles gejettet, um Euch unter die Fittiche von Joe Barresi zu begeben. Das haben ENSLAVED beispielsweise bei ihrem aktuellen Album auch gemacht. Wie seid Ihr auf ihn gekommen?
Ich kenne Joe Barresi bereits seit 2001 und hätte ihn gerne schon bei „Volcano“ miteinbezogen. Wir sind aber immer in Kontakt geblieben. Und irgendwann fragten mich TURBONEGRO für ihr Comeback-Album nach ihm, und ich habe den Kontakt hergestellt. Das hat sich dann hier in Norwegen rumgesprochen, und so sind auch die Jungs von ENSLAVED auf ihn gekommen. Aber der einzige, der ihn über die Jahre schon gekannt hatte, war ich. Aber ich hatte mit ihm noch nie gearbeitet. Als dann das neue Album langsam Konturen annahm, dachte ich wieder an Joe Barresi. Wir haben dan einfach telefoniert und alles festgezurrt. Ich habe das Album selbst produziert, und seine Fähigkeiten haben wir im Mix eingesetzt. Er ist ein old school Sound-Engineer, der auch mixen und produzieren kann. Er kann einfach alles und es ist eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Welche Unterschiede siehst Du zu Eurem letzten Album „Now, Diabolical“?
Ich finde es immer schwer, meine Alben zu vergleichen, weil ich den Charakter dieser beiden Scheiben so unterschiedlich finde. Wir sind dieselben Musiker, dieselben Songwriter – selbst wenn wir Folkmusik spielen würden, würdest Du Ähnlichkeiten zu SATYRICON entdecken. Man kann es mit guten Büchern vergleichen. Nimm beispielsweise Bücher von Bret Easton Ellis, der unter anderem „American Psycho“ geschrieben hat. Seine Bücher sind nicht durch eine durchgehende Handlung verbunden, aber einige Charaktere tauchen in seinen anderen Büchern wieder auf. Manchmal nur in nebengeordneten Rollen, dann wieder sehr prominent. Jedes einzelne Buch hat seine eigene Story, aber es gibt immer wieder Gemeinsamkeiten, und so sehe ich auch unsere Alben. Es gibt also ein übergeordnetes SATYRICON-Universum und die Alben sind einzelne Handlungen in diesem Universum.
Was hat es mit dem Titel des neuen Albums auf sich?
Der Albumtitel hat zwei Seiten. Das Wort „nero“ kommt aus dem Italienischen und bedeutet „schwarz“. Ich glaube, eine Menge von der Dunkelheit, die viele Leute in dem Album finden, die dunklen Gefühle, kommen daher, wie ich die Welt um mich herum sehe. Ich habe immer gesagt, dass ich das Konzept des Armageddon in der Apokalypse sehr faszinierend finde. Es ist etwas, das eines Tages Realität werden könnte. Das ist für viele Bands ein sehr mythisches Thema, das gerade im visuellen Bereich aufgegriffen wurde. Ich glaube aber inzwischen, dass es keine mythische Sache mehr ist, sondern vielmehr sehr real geworden: Es gibt überall auf der Welt Kriege. Es gibt Naturkatastrophen, Erdbeben, Tsunamis, das Abschmelzen der Polkappen. Und schließlich kam noch die Finanzkrise hinzu. Nein, ich glaube nicht, dass die Welt nächstes Jahr zugrunde geht. Es ist aber so, dass diese mythischen Dinge gar nicht mehr so entfernt erscheinen. Es kann sein, dass sich die Dinge langsam entwickeln und schließlich zum Niedergang der Menschheit führen, oder es ist etwas, was in einem einzigen Ereignis kumuliert. Ein Dritter Weltkrieg mit der Technologie von heute würde ungleich verheerender sein als der Zweite Weltkrieg.
Ich gebe keine Kommentare über soziale Zustände ab, denn SATYRICON stehen für Spiritualität. Deswegen sage ich nicht: Das ist richtig und das ist falsch, das machen RAGE AGAINST THE MACHINE. Aber ich beobachte sehr argwöhnisch all das, was da draußen passiert und versuche diese dunkle und sinistre Grundeinstellung in die Musik einfließen zu lassen.
Aber es gibt auch eine metaphorische Seite als Referenz zum römischen Kaiser Nero. Nero hat das Römische Reich, eines der größten Reiche überhaupt, durch schiere Verrücktheit an den Rande des Abgrunds geführt hat. Die Geschichte, dass er Rom anzünden ließ und zugeschaut hat. Und dasselbe könnte man von uns heute auch sagen.
Es gibt aber keine Verbindung zu der Begebenheit, dass Kaiser Nero Petronius, den Autor des „Satyricon“, zwang, Selbstmord zu verüben?
Nein.
Welche Idee steckt hinter dem Cover-Artwork und wie ist der Bezug zum Albumtitel?
Es ist ein gigantischer Adler zu sehen, der seine Flügel ausbreitet. Im Hintergrund wirst Du die dunklen Wolken bemerkt haben. Es ist einfach eine gute Visualisierung dessen, worüber ich gerade sprach.
Ihr habt vor kurzer Zeit die „My Skin Is Cold“-EP herausgebracht. Für wen war diese EP eigentlich gedacht?
Von der musikalischen Seite ist es so, dass wir „My Skin Is Cold“ vorab aufgenommen hatten, und dann für das Album neu arrangiert und aufgenommen. Dann hatten wir noch zwei Stücke, die wir für „Volcano“ aufgenommen hatten, die aber nur auf der Vinylversion vertreten waren, weil die CD sonst zu lang geworden wäre. Wir fanden sie aber immer stark. Die anderen Songs haben wir in Norwegen aufgenommen mit kompletter Blechbläser-Sektion.
Wir wollten all diese Songs zusammen auf einem Release für Sammler herausbringen. Du kannst die Songs auch über iTunes vertreiben, aber was den Release zu etwas Besonderem macht, ist doch das Packaging. Ich bin völlig begeistert davon. Es sieht irgendwie aus wie ein schönes Buch.
Ihr habt als eine norwegische Black-Metal-Band von vielen angefangen, habt Euch aber immer weiter entwickelt und neue Richtungen eingeschlagen. Inwiefern spielen SATYRICON heute noch Black Metal?
Ich glaube, mit SATYRICON haben wir eine Stellung erreicht, dass die Leute uns einfach als SATYRICON wahrnehmen, und nicht mehr so stark auf Etiketten schielen wie Black Metal oder Death Metal. Das ist für mich eine großartige Sache, weil ich nicht als Sprecher eines Genres angesehen werden möchte. Ich möchte aufgrund der Musik, die ich erschaffe, wahrgenommen werden. Wir versuchen, in unserer Musik Veränderungen vorzunehmen, und sind darin vertieft, SATYRICON in unbekannte Regionen vordringen zu lassen. Sich weiterzuentwickeln heißt aber nicht, dass wir andere Dinge aufgeben. Man könnte es mit einem großen Haus vergleichen, und wir möchten ein neues Stockwerk errichten, weil es uns Spaß macht. Wir hoffen, dadurch andere Künstler zu inspirieren.
Aber wenn man SATYRICON mit anderen Bands vergleicht, dann ist es doch so, dass SATYRICON die Einflüsse oder neuen Elemente eher reduziert, während Bands wie KEEP OF KALESSIN sich für andere Einflüsse immer weiter öffnen.
Nun, ich mag es generell nicht, über andere Bands zu sprechen. Aber generell gibt es viele Bands, die sich selbst als technische Musiker beweisen wollen. Dadurch verkomplizieren sie die Dinge aber eher. Sie möchten, dass man ihnen auf die Schulter klopft, weil sie so gute Drummer sind oder so wahnsinnig gute Gitarrenspieler. Aber sie verwenden neue Dinge, die ihre Musik nicht notwendigerweise besser machen. Ich glaube aber, dass es einige Bands gibt, die verstanden haben, dass neue Einflüsse eigentlich nur dann gut sind, wenn sie die musikalische Integrität bewahren. Diese Diskussion habe ich mit den Jungs von DARKTHRONE und Snorre von THORNS geführt. Im Metal wird oftmals die Essenz der Musik vernebelt durch unnötige Details, die nicht im Bezug zum eigentlichen Kern stehen. Es bedeutet ja nicht, dass Du eine Sache machen musst, wenn Du sie machen kannst. Ich glaube, wenn Du Dich ausschließlich auf die Kernelemente konzentrierst, kann das sehr interessant und kraftvoll sein. SATYRICON ist aber eine Band, die auch Sachen für die musikalische Unterhaltung tut, aber eher auf eine unterschwellige Art. Selbst wenn wir im Song „Die By My Hands“ einen Männerchor benutzen, selbst wenn wir im Song „Den Siste“ Bläser einsetzen, heißt das nicht, dass wir die nun auf dem gesamten Album einsetzen müssen, weil wir für die Musiker viel Geld bezahlt haben. Wir setzen sie in genau diesem Moment ein, weil es der Atmosphäre dient.
Um ein wenig bei dem Stichwort ‚Atmosphäre‘ zu bleiben: Gibt es eine perfekte Umgebung oder Situation, in der man „The Age Of Nero“ hören sollte?
Es ist auf jeden Fall ein Album, das seinen Fokus auf den Kern legt, dabei aber auch unterschwellig viel zu bieten hat. Das bedeutet, dass es weiter wächst, je häufiger man es hört. Viele Leute haben mir das bestätigt. Wenn Du es Dir über Kopfhörer anhörst, wirst Du immer neue Dinge entdecken. Generell ist es auch so, dass ich das Album als Ganzes ansehe und alle Songs im Kontext sehe. Das ist meines Erachtens sehr wichtig für das Album.
Aber dafür muss man nicht in einer einsamen Hütte sein…
Nein, ich habe mir das Album in verschiedenen Situationen angehört, und ich glaube, das funktioniert mit jedem guten Metal-Album. Ich höre auch viele Ambient-Sachen, aber die funktionieren einfach nur in einer bestimmten Atmosphäre, um das meiste aus dem Album herauszuziehen. Ich glaube, dass Metal-Alben da flexibler sind. Ich mag es eigentlich am liebsten, solche Musik laut in meinem Wohnzimmer zu hören. Das bringt dann auch die Größe des Albums besser zur Geltung. Aber die aggressiveren Songs vom Album höre ich mir auch gerne in meinem Auto an.
„The Age Of Nero“ wird Mitte November veröffentlicht, und danach startet Ihr, um durch Europa und Amerika zu touren. Welche Erwartungen hast Du an die Tour?
Zunächst werden wir für vier Shows nach Indien fliegen. Das wird sehr interessant, weil wir dort noch nie gewesen waren. Danach startet unsere Headlinertour in Europa, die bis Weihnachten andauern wird. Weißt Du, die Shows auf der „Now, Diabolical“-Tour in Deutschland gehörten zu den Besten auf der ganzen Tour. Ein Grund dafür war, dass wir als Band in dieser Livesituation die Perfektion, die wir sonst an den Tag legen, ein wenig vernachlässigt haben und uns auf die Energie des Moments konzentriert haben. Wir haben verstanden, dass die Leute bei den Shows auch ihren Spaß haben wollten, ihr Bier trinken, headbangen und einfach die Sau rauslassen. Als wir das besser verstanden haben, sind wir darauf eingegangen und dann entstand eine Wechselbeziehung. Gerade bei den Shows in Deutschland hat das sehr gut funktioniert. Und bei den neun Shows hier in Deutschland hoffe ich das wiederholen zu können. Es ist sozusagen eine gemeinsame Anstrengung. Und ich bin sehr gespannt darauf, dies neu zu erleben. Und ich garantiere Dir, dass der Rest der Band genauso denkt.