Sanctuary
Endzeitstimmung und Duschmetal - Interview mit Warrel Dane und Lenny Rutledge zum Album "The Year The Sun Died"

Interview

Sanctuary

Wer hätte gedacht, dass SANCTUARY nach ihrem Split in den frühen Neunzigern noch einmal zusammenfinden und ein neues Album präsentieren würden? Jetzt steht der Nachfolger des 1989er-Album „Into The Mirror Black“ in den Startlöchern: „The Year The Sun Died“ ist eine richtig gute Platte geworden, die insbesondere Fans von NEVERMORE im Allgemeinen und Warrel Dane im Speziellen begeistern dürfte. Wir trafen Sänger Warrel Dane und Leadgitarrist Lenny Rutledge, die gut aufgelegt im Dortmunder Hauptquartier ihrer Plattenfirma Century Media über das Album, die letzten zwanzig Jahre, Grunge und die Kochkünste von Warrel plauderten.

Als Ihr die Band 2010 wieder habt aufleben lassen, waren nur ein paar Shows geplant. Was war der Grund, es noch mal zu versuchen?

Lenny: Wir haben wieder vermehrt miteinander gesprochen und ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. Nicht so eng, dass wir die ganze Zeit miteinander abhängen wollen, aber um zum Spaß Shows zu spielen. Anfangs war es nicht so ernst, aber die Chemie stimmte einfach, und irgendwann beschlossen wir, ein paar Songs zu schreiben.

Warrel: Ein paar Songs sind dann zu einem ganzen Album geworden.

Lenny: Wir hatten gerade zwei Songs fertig, als Warrel auf Tour war und mich von unterwegs anrief. Er sagte: „Ich habe gerade die Ankündigung rausgeschickt, dass wir ein neues Album veröffentlichen werden!“ – Ich dachte nur: „Wie wär’s, wenn du mir das erstmal gesagt hättest?“ (lacht)

Nach dieser Ankündigung musstest Du Dich also daran machen, die Songs zu schreiben…

Lenny: Genau, danach war es offiziell, dass ich mich reinknien müsste.

Warrel: Es war keine Pflichterfüllung für ihn, es war ein Liebesdienst.

Warrel war seit dem Split von SANCTUARY mit NEVERMORE unterwegs. Lenny, was hast Du in den letzten zwanzig Jahren alles gemacht?

Lenny: Zunächst war ich in einer Reihe kleinerer Bands. 1999 habe ich dann alles aufgegeben und mein Equipment verkauft. Ich hatte mit Musik und mit Metal abgeschlossen. Nach einer Zeit fing ich aber an, das Gitarrespielen zu vermissen. Also habe ich mir eine Akustikgitarre gekauft und spielte ziemlich viel darauf. Das hat mir eine neue Herangehensweise aufgezeigt, wie ich Gitarre spiele und Songs schreibe. Ich hatte sicherlich nicht vergessen, wie ich Metal spiele, aber ein paar Sachen musste ich mir von Neuem aneignen.

Als Ihr über die Wiedervereinigung gesprochen habt…

Warrel: (unterbricht) Wir nennen es nicht Wiedervereinigung, sondern Neuerfindung. Es gibt viel zu viele verdammte Wiedervereinigungen. Für uns ist es wie eine Neuerfindung, weil das neue Album sich von den anderen beiden so sehr unterscheidet, obwohl man immer noch hört, dass es dieselbe Band ist.

Lenny: Es klingt sehr frisch für uns. Vor allem durch die Produktion.

Warrel: Es ist erfrischend wie Duschgel, wir nennen es deshalb „Douche Metal“. (lacht) „Douche“ bedeutet in den Staaten übrigens Intimdusche.

War es geplant, mit zwei Gitarristen weiterzumachen?

Lenny: Wir sind eine Band mit zwei Gitarristen, ohne Zweifel. Das bringt einfach einen besseren Sound. Als wir dann einen zweiten Gitarristen gesucht haben, haben wir sofort an Brad Hull gedacht, weil wir mit ihm befreundet sind.

Wie würdet ihr ihn vom musikalischen Gesichtspunkt als Gitarrist beschreiben?

Warrel: Verdammt sexy!

Lenny: Für mich hat er einen eher angriffslustigen Ansatz. Wir ergänzen uns gut, weil wir ein bisschen anders sind. Ich bin eher derjenige, der auch mal improvisiert, er ist eher der technische Spieler.

Warrel: Er ist eher technisch, und Du bist eher emotional.

Warrel, Dein Gesang auf den alten Platten war teilweise sehr hoch, heute ist er…

Warrel: (betont) ‚Erwachsen‘ ist das Wort.

Also eine natürliche Entwicklung?

Warrel: Ich nehme es an. Ich kann immer noch „Battle Angels“ singen, und auch wenn wir die Gitarren ein wenig runtergestimmt haben, spielen wir den Song nach wie vor live. Wir möchten uns aber nicht wiederholen, jedes Album hat seine eigene Identität. Ich habe also bewusst ein paar hohe Passagen eingearbeitet, wo wir dachten, dass sie hinpassen würden. Einfach nur für den Effekt. Aber hätten wir versucht, „Refuge Denied“ nachzumachen, wären wir gescheitert.

„The Year The Sun Died“ klingt also anders?

Warrel: Ich denke, dass das Album eine schwere Doom- und Goth-Atmosphäre hat. Ich mag beide Stilrichtungen, aber das war keine Absicht. Die Musik, die Lenny geschrieben hat, hat meine Gesangslinien in diese Richtung geleitet. Und daher ist auch mein Gesang tiefer. Aber am Ende des ersten Songs habe ich noch einen Schrei eingebaut. Ich hoffe, dass das die Leute glücklich macht. (lacht)

Lenny: Das Material ist definitiv nicht lustig.

Warrel: Nein, es transportiert eine verdammte Endzeitstimmung.

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Wofür steht der Titel des Albums?

Warrel: Das Album kann man am besten als bombastische, apokalyptische Sinfonie umschreiben. Es ist ein wenig wie ein Konzeptalbum. Es geht um den Weltuntergang und eine Prophetin, die Leonore heißt. Als kleines Kind merkt sie, dass sie die Macht hat, Leute zu kontrollieren. Und sie nutzt die Macht und predigt das Ende der Welt.

Ihr habt mit Produzent Zeuss gearbeitet. Wie war die Zusammenarbeit?

Warrel: Erstaunlich. Normalerweise arbeitet er ja mit Metalcore-Bands, und wir hören uns ja nicht wie eine Metalcore-Band an. Er hat aus „The Year The Sun Died“ ein richtig heavy klingendes Album gemacht. Zeuss hat es hinbekommen, die Gitarren so fett klingen zu lassen, als wenn du volle Kanne mit einer riesigen Räucherwurst am Kopf getroffen wirst.

Lenny: Zeuss war schon in den Achtzigern ein Fan der Band. Als er dreizehn war hat er uns live zusammen mit MEGADETH gesehen. Er hat dann Century Media kontaktiert und sein Interesse daran bekundet, unser Album produzieren zu dürfen.

Es wird häufig kolportiert, dass die Grunge-Welle Anfang der Neunziger zum Ende von SANCTUARY geführt habe.

Lenny: Ja, das wird häufig so verkürzt dargestellt. Aber das entspricht nicht der Realität. Es mag so gewesen sein, dass die Plattenfirma zu uns gesagt hat, dass wir mehr in diese Grunge-Richtung gehen sollten, aber das hätte niemals funktioniert. Niemand hätte es akzeptiert. Der Grund, warum wir auseinandergebrochen sind, war vielmehr, dass wir nicht mehr gut miteinander klargekommen sind, dass wir zuviel getrunken und uns zuviel gestritten haben. Also der ganz normale Mist, der jeder Band irgendwann mal passiert, und wir sind dann an einem bestimmten Punkt implodiert.

Warrel: Vieles, was unter dem Label Grunge geführt wird, ist brillant. „Dirt“! – eins der besten Alben überhaupt. Oder MOTHER LOVE BONE, obwohl sie keine Grunge-Band waren. Dahinter verbergen sich so unterschiedlich klingende Bands.

Lenny: Das war halt diese Mediensache. Plötzlich wurden alle möglichen Bands unter diesem Label zusammengefasst, plötzlich trug jeder karierte Flanellhemden. Das Ganze wurde aufgebauscht.

Lenny, wie ist es für Dich, wieder vor großem Publikum zu spielen?

Lenny: Es kommt auf den Tag an…

Warrel: Bekommst Du davon einen Ständer?

Lenny: Es sollte jedenfalls! (lacht) Es ist aufregend, manchmal bin ich auch ein wenig nervös…

Warrel: Wann zum Teufel bist Du denn mal nervös?

Lenny: Ich weiß nicht…

Warrel: Genau.

Letzte Frage, Warrel: Du hattest in den Neunzigern zusammen mit Jim Sheppard (Bass) ein Restaurant – das habt Ihr wieder aufgegeben?

Warrel: Ja, wir mussten uns entscheiden – Musik oder Restaurant. Das ist ein Vollzeitjob. Als wir 1997 auf Tour waren, wurde dort wie verrückt geklaut. In der Bar war der ganze Alkohol verschwunden, und die Kosten für das Essen sind durch die Decke gegangen. Aber ich liebe es nach wie vor zu kochen. Ich habe ja Italienisch zu kochen gelernt. Mein Meister Vincenzo hat mir beigebracht, wie man Pizzateig in die richtige Form bringt. Er sagte: „Das Geheimnis ist, den Teig wie die Vagina einer Frau zu behandeln. Wenn du den Teig sanft behandelst, wird er sich für Dich öffnen.“ Das werde ich nie vergessen.

Danke für das Interview!

Galerie mit 15 Bildern: Sanctuary - Bang Your Head!!! 2017 - Warm-Up Show
02.10.2014

- Dreaming in Red -

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