Holy Moses
Alles über das neue Album und gleichzeitige Aus der Band

Interview

Wir schreiben das Jahr 1993. Ein milchgesichtiger, hagerer Junge, gerade dem Welpenalter entwachsen, hält fasziniert ein Tape mit einem selbstgemalten Cover in der Hand. Darauf ist das unverkennbare und relativ leicht zu lesende Logo der Aachener Thrash-Metal-Band HOLY MOSES zu erkennen. Darunter wurden offenbar mit einem Kugelschreiber die Konturen einer Gasmaske gezeichnet und wie ein mahnendes Ausrufezeichen prangen in blutroten Lettern die Worte „World Chaos“ am unteren Bildrand. Dabei handelt es sich natürlich um das vierte Studio-Album der Teutonen-Thrasher, allerdings beinhaltet die Musik das extremste, was sich der Adoleszent nur vorstellen kann. Lange bevor Bands wie JINJER oder ARCH ENEMY auch nur eine fixe Idee waren, brüllte sich bei HOLY MOSES Sabina Classen nämlich mit einer unverkennbaren Stimmgewalt die Seele aus dem Leib und das war im testosterongeschwängerten Milieu des Heavy Metal immer noch ein Novum. Knapp vierzig Jahre nachdem die Band das Licht der Welt erblickte, verkündet sie mit der Veröffentlichung des anstehenden Albums „Invisible Queen“ das gleichzeitige Aus. Das alleine ist nicht der Grund, warum wir uns mit Frontrau Sabina Classen zu einem Gespräch verabredeten, aber dennoch musste sie Rede und Antwort stehen, wieso es keine weiteren HOLY MOSES-Alben mehr geben wird.

Hi Sabina, wie geht´s?

 Hi. Gut soweit. Ich habe mir von der letzten Show in Spanien zwar eine Erkältung mitgebracht, aber es ist zumindest nicht das große C…

Also „Invisible Queen“ ist ja mal ein Brett, oder?

 Ja (lacht)!

Und ausgerechnet jetzt kommt die weniger gute Nachricht, dass Ihr nach über vierzig Jahren und vierzehn Alben Schluss machen wollt. Und viele fragen sich natürlich: Warum eigentlich?

Gute Frage. Schon vor der Pandemie hatten wir überlegt, zum 40. Geburtstag aufzuhören. Das war 2021 und wir waren schon voll im Songwriting. Natürlich liebe ich HOLY MOSES, die Band war über vierzig Jahre lang mein Leben. Andererseits möchte ich aber nicht auf der Bühne sterben. Jetzt bin ich noch voller Kraft und Energie. Man könnte die ganze Sache wie ein Kaugummi in die Länge ziehen. Aber jetzt ist einfach ein guter Zeitpunkt, einen Schlussstrich zu ziehen. Weißt Du, ich bin wirklich so dankbar für die Zeit. Wir haben damals als Schulband angefangen und durften so viele Alben machen und auf der ganzen Welt spielen… Viele Bands finden nach so einer Zeit einfach nicht den richtigen Schlusspunkt. Dieses Jahr werde ich auch 60 und das ist doch ein rundes Ereignis und der beste Zeitpunkt für das letzte Album und die letzten Konzerte. Ich möchte mich selbst und die Zeit mit MOSES in guter Erinnerung behalten und nicht als Thrash-Metal-Oma enden.

Seit 2008 sind die Pausen zwischen den Album-Veröffentlichungen auch immer länger geworden. Waren das rückblickend schon erste Vorboten, dass Ihr zunehmend müde geworden seid?

Ach, ab ob man das als „müde werden“ bezeichnen kann, weiß ich nicht. Aber HOLY MOSES haben immer kompromisslose, nicht einfach zu hörende Musik gemacht. Das bedeutet, dass wir sehr viel proben mussten, um das auf den Punkt zu bringen. Wir haben auch nie überall gespielt, was gegangen wäre. Ganz einfach, um uns die Freude daran zu bewahren. Vor vielen Jahren haben wir uns dafür entschieden, nicht von der Musik leben zu wollen und zu müssen. Wir haben also alle unsere „normalen“ Berufe und da ist es  stets eine Herausforderung, als Band gut zu sein.

Lass uns über „Invisible Queen“, Euer aktuelles und gleichzeitig letztes Album sprechen. Die Evolution seit „Queen Of Siam“ bis heute finde ich enorm. Der Rumpel-Thrash der Anfangszeit ist Stück für Stück bedingungslosem Technical-Death-Thrash gewichen. Wo siehst Du die Verbindung zwischen dem ersten und dem letzten Album? In beiden Titeln sprecht Ihr von einer Königin… 

Die „Queen Of Siam“ wurde nach der Königin unseres damaligen Bassisten benannt. Er hatte sich in Thailand verliebt und den Text zu dem Song geschrieben. Damals wussten wir natürlich noch nicht, welche Bedeutung HOLY MOSES einmal haben würden. Die anderen haben immer gesagt, ich sei die „Queen Of Thrash“, weil ich die erste Frau war, die gegrölt hat. Insofern habe ich während einer Probe gesagt, dass ich mich unsichtbar mache. Pete (Peter Geltat, Gitarre – Anm. d. Red.) meinte dann, die Queen würde sich also invisible machen und damit stand der Album-Titel. Allerdings wollte ich keinen Text schreiben, in dem ich mich selbst als Königin bezeichnete, also meine Pete: „Mach Dir mal keine Sorgen, den Text schreibe ich Dir auf den Leib. Für das, was Du für die Szene geleistet hast.“ Technisch gesehen, haben wir in all den Jahren natürlich einen Quantensprung hingelegt und das war auch schon auf der „The New Machine Of Liechtenstein“ (1989) zu hören, als Andy (Classen und Ex-Ehemann von Sabina – Anm. d. Red.) immer besser spielen konnte. Damals studierte er Mathematik und Informatik und ich dachte immer, es läge daran, dass er Primzahlen mochte (lacht). Uli Kusch war zudem ein Mega-Drummer und die beiden haben Tag und Nacht geprobt. Damals waren andere Bands im Pott oder Amiland weiter und wir wollten einfach besser werden. Der Rote Faden in all den Jahren war aber sicherlich, dass wir keine Trends bedienen wollten und ohne Kompromisse das machten, worauf wir Bock hatten.

Wie würdest Du die Musik auf „Invisible Queen“ beschreiben ohne dabei das Wort Thrash Metal zu verwenden?

Da steckt ganz viel drin. Einmal findet sich alles aus vier Dekaden HOLY MOSES. Das Album besitzt eine hohe Aggressivität und Power. Auch die letzten zwei, drei Jahre Pandemie mit Lockdowns und so weiter stecken in den Songs. Dieses „wieder raus wollen“ und den dicken Finger zeigen. Ich wollte beim Gesang nicht fühlen, dass es das letzte Album wird. Ich wollte genau da hin, wo ich früher war. Ich wollte das junge, spritzige und gleichzeitig in gewisser Weise naive noch einmal erreichen und einfach ins Mikro reinbrüllen. Freiheit ist in diesem Kontext auch ein gutes Stichwort.

Ist das Album ein Ausrufezeichen? 

Ja, absolut. Für mich ist „Invisible Queen“ das beste Album für einen Schlusspunkt. Damit wollten wir noch einmal zeigen, wer und was wir sind. Und ich denke die Platte ist deshalb authentisch, weil wir einfach losgelegt haben, ohne zu viel nachzudenken.

Denkst Du, „Invisible Queen“ ist das beste HOLY-MOSES-Album?

Ich glaube schon. Natürlich, jedes Album hatte seine Zeit. „Finished With The Dogs“ hätten wir 1987 auch nicht besser hinbekommen. Aber für den Moment und nach all den Jahren ist „Invisible Queen“ ein Album, das die Geschichte absolut abrundet. Ich denke, es steckt alles darin, was uns jemals ausgemacht hat.

Die aktuellen Songs erinnern oft an progressive Bands wie MESHUGGAH. Das macht man sicherlich nicht einfach zu einem Hauptjob nebenher. Wie sind denn die Rollen beim Songwriting verteilt? 

Pete und Thomas (Neitsch, Bass – Anm. d. Red.) sind hauptsächlich für das Komponieren verantwortlich, unser Drummer Gerd (Lücking – Anm. d. Red.) wiederum für die Produktion und das Mastering. Nachdem wir alle in unterschiedlichen, weit voneinander entfernten Städten leben, haben wir gerade während des Lockdowns Files hin und her geschickt. Für die Vocal-Recordings bin ich ins Stage One Studio zu Andy Classen gegangen, weil ich immer noch einen Old-School-Producer brauche, der mir in den Arsch tritt und sagt: „Das kannst Du besser“. Ansonsten ist die Platte über die letzten drei Jahre hinweg in absoluter Self-Made-Manier entstanden. Weil Du MESHUGGAH erwähnst: 2019 durften wir als Support mit ihnen spielen. In Interviews haben die Jungs immer wieder behauptet, sie seien auch von HOLY MOSES beeinflusst worden. Jens Kidman hat mal gesagt, dass ihn die Alben in den 1980ern regelrecht vom Hocker gehauen haben. Da scheint es irgendeine Verbindung zu geben. Jens hat auch einen Song mit eingesungen. Die große Überraschung ist nämlich, dass alle Songs von „Invisible Queen“ zusätzlich noch einmal mit anderen Sängern veröffentlicht wird und die Platte als Doppelalbum erscheint. Bobby von OVERKILL, Tom Angelripper (SODOM), Gerre (TANKARD), Ingo von ASSASSIN und einige Mädels, die ich ausgesucht habe, sind da zu hören. Zum Beispiel die Dani von HEADSHOT oder Diva Satanica von BLODDHUNTER. Das sind alles Freunde und Wegbegleiter und wir sind sehr dankbar, dass sie diese abgefahrene Idee mitgemacht haben.

Galerie mit 15 Bildern: Holy Moses - The Final Reign Tour 2023 in Übach-Palenberg

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04.04.2023

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2 Kommentare zu Holy Moses - Alles über das neue Album und gleichzeitige Aus der Band

  1. ClutchNixon sagt:

    Ehm… Habt ihr die beiden vorab veröffentlichten Songs gehört? Dieses Album dürfte doch überhaupt nicht erscheinen, weil Verarsche am Fan und so. Sabinas Leistung ist, Legendenstatus hin, oder her, einfach mal die komplette Katastrophe. Und der halbgare Versuch diese beschissenen Songs mit noch beschisseneren Vocals von anderen Sängerinnnen und Sängern retten zu lassen ist zwar ne nette Idee, aber ein Tribute – Cover Album wäre m.E. die fairere Alternative.

  2. doktor von pain sagt:

    Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen einzigen Song von Holy Moses gehört. Bei einem Metalquiz hätte ich immerhin sagen können, dass deren Sängerin Sabina Classen heißt und dass die Thrash spielen. Darüber hinaus hört mein Wissen über die Band aber auch schon auf.