Riverside
Riverside
Interview
Schnelllebigkeit hin oder her – es darf in der Tat festgehalten werden, dass RIVERSIDE mit ihrem vierten Langspielalbum “Anno Domini High Definition“ dieser Tage die polnischen Charts dominieren und die so genannte “flüssige Moderne“ und solider, abwechslungsreicher Hard Rock sich keineswegs ausschließen. Zwar reflektiert die Band den unsteten Charakter der Zeit, in der wir (zu) l(i)eben (verlernen), verliert dabei aber nicht ihr Gespür für schöne Melodien und ausdrucksstarke Songs. Gitarrist Piotr Grudzinski versucht, die Stimmung des neuen Albums in Worte zu fassen, bevor er sich an einen Traum aus seiner Jugend erinnert…
Um uns herum ändert sich vieles mit hoher Geschwindigkeit, und zwar nicht nur Produkte, ganz gleich ob es sich dabei um Computer, Autos oder Medizin handelt, sondern auch die Menschen befinden sich in einer permanenten Ruhelosigkeit, um neue Dinge zu ergattern. Sie jagen ihnen hinterher, vor allem dann, wenn ihnen die Nachbarn schon voraus sind. Das ist zumindest bei uns in Polen so. Man muss immer auf dem neuesten Stand sein.
Kann “Anno Domini High Definition“ als Neuanfang oder einfach als nächster logischer Schritt verstanden werden?
Beides trifft zu. Wir wollten auf jeden Fall etwas Neues machen und uns soweit möglich verändern, natürlich aber ohne dabei unseren eigenen Stil zu verlieren. Wir haben ein anderes Studio gewählt, mit einem anderen Engineer zusammen gearbeitet und unsere Ausdrucksform erneuert. Somit beginnt ein neues Kapitel, welches unsere ersten drei Alben etwas in den Hintergrund rücken lässt. Wir haben aber bereits auf der “Voices In My Head“ EP und der Bonus-CD zu “Rapid Eye Movement“ bewiesen, dass wir durchaus mit anderen, z.B. eher elektronisch geprägten Musikstilen vertraut sind. Dieses Mal wollten wir unser rockiges Gesicht zutage treten lassen.
Ist das eine Methode, um Euch davor zu bewahren, in Routine zu verfallen?
Das stimmt wahrscheinlich, denn wenn wir immer das Gleiche machen würden, wären wir schnell gelangweilt. Uns geht es immer noch vor allem darum, an der Musik Freude zu haben. Und das ist eine Sache, die auch die Hörer bemerken, ob wir wirklich mit Freude dabei sind. Ich weiß nicht, ob wir in fünf, zehn oder 20 Jahren einmal an den Punkt kommen werden, an dem wir nur noch spielen, um damit unser Geld zu verdienen, doch derzeit haben wir einfach viel Spaß.
Was Euch live zweifelsohne anzumerken ist und sich in den euphorischen Reaktionen der Fans spiegelt.
Ich bin wirklich noch nicht lange im Musikgeschäft, doch ich habe den Eindruck, dass die Leute keineswegs dumm sind und sehr schnell dahinter kommen, ob du auf der Bühne nur eine Rolle spielst, oder ob du wirklich du selbst bist. Wir sind in RIVERSIDE keine komplizierten Persönlichkeiten, sondern wir gehen auf die Bühne und teilen unsere Gefühle mit den Fans. Ich glaube es ist wichtig, dass die Menschen das ebenso fühlen wie die Tatsache, dass wir mit unserer Musik etwas zu sagen haben.
Wie bist Du einst dazu gekommen, eine Gitarre in die Hand zu nehmen?
Bei mir ist das ziemlich seltsam gelaufen. Als ich noch ein junger Teenager war, wollte ich Handballspieler werden. Ich besuchte eine Art Sportschule und hatte mein Leben darauf ausgerichtet. Als sich eine Karriere jenseits des Jugendsports abzeichnete, mussten wir uns medizinisch untersuchen lassen und eine nette Frau erklärte mir, dass ich nie professionell Handball spielen könnte, da ich Probleme mit meinen Augen hätte. Das hat mich damals erstmal absolut runter gerissen. Einige Monate später brachte mir meine Mutter eine Gitarre von ihrem Bruder mit und gemeinsam mit einem Kumpel aus der Nachbarschaft begann ich also, das Gitarrespielen zu lernen – und das mache ich bis heute. Allerdings habe ich nie daran gedacht, eines Tages in einer Band zu spielen. Ich wollte eigentlich ein Sportstar werden.
Und nun bist Du auf einem guten Weg zum Gitarrenhelden…
Nein, ich denke nie darüber nach, ein Held auf der Gitarre zu sein, höchstens in meinen Träumen. Ich schätze meine Fähigkeiten realistisch ein und im Vergleich zu anderen Gitarristen bin ich wirklich schwach. Ich glaube jedoch auch, dass ich einen eigenen Weg gefunden habe, mich auszudrücken, der mir gefällt. Und für mich ist es umso schöner, dass er auch anderen Menschen gefällt.
Welche Reaktionen auf Eure Musik überraschen Dich eigentlich?
Ich kann wirklich nicht mehr hören, dass wir angeblich wie PORCUPINE TREE klingen. Unsere Musik ist doch total unterschiedlich, selbst wenn wir stilistisch nahe liegen. Dass die Leute aber schon anfangen, dass Aussehen von Mariusz mit dem von Steven Wilson zu vergleichen, ist wirklich nur noch blöd. Vor allem das Internet gibt den Menschen die Möglichkeit, einfach etwas von sich zu geben und selbst dabei unsichtbar zu bleiben. Die Menschen nehmen sich in dieser Anonymität wahrscheinlich mehr heraus als in der Situation von Angesicht zu Angesicht. Das Internet hat zu mehr Freiheit geführt, doch das hat nicht nur positive, sondern auch negative Seiten.
Kommen wir mal zurück auf die Vorzüge der heutigen Technik: wenn Du die derzeitigen Aufnahmemöglichkeiten mit denen der Siebziger Jahre vergleichst, dann bist Du doch bestimmt froh, dass Du sie nutzen kannst, oder?
Ich weiß es nicht, denn ich habe in den Siebzigern kein Album aufgenommen und daher fällt es mir schwer, einen Vergleich anzuvisieren. Ich würde jedoch annehmen, dass es in den Siebzigern für Musiker deutlich schwieriger war als heute. Die analogen Aufnahmegeräte haben nicht so viele Versuche erlaubt. Damals mussten die Musiker wirklich gut spielen und auch im Studio teilweise miteinander spielen können. Heute gewährt einem der Computer unzählige Versuche und im Grunde ist nahezu alles möglich, so können selbst einzelne Töne verbessert werden. Ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, dass die Menschen dadurch fauler werden, aber zumindest bequemer. Einem vergleichsweise schlechten Musiker ist es heute möglich, durch eine entsprechende Nachbearbeitung seiner Aufnahme als Virtuose zu glänzen. In der Vergangenheit musste man in der Tat ein Virtuose sein, um ein sehr gutes Resultat zu erzielen, heute helfen bei Bedarf Computerprogramme weiter.
Wenn heute solche riesigen Möglichkeiten auf der einen Seite zur Grundausstattung gehören, wie groß wird dann auf der anderen der Druck, ein in jeder Hinsicht perfektes Album aufzunehmen?
Ich fühle mich einfach wohl mit diesen Möglichkeiten und sie gehören nun mal einfach zu der Zeit, in der ich lebe. Natürlich bin ich – und so geht es jedem in der Band – ständig bestrebt, besser zu werden. Die Vergangenheit wird sich nicht wiederholen und ich finde es auch kompliziert, mir über etwaige Vergleiche den Kopf zu zerbrechen.
Dann stell Dir doch einfach mal vor, Du schlägst im Jahr 2022 ein Rockmusik-Lexikon unter dem Buchstaben “R“ auf, um den Eintrag zu RIVERSIDE zu lesen. Was würdest Du dort gerne lesen und was käme einem Alptraum gleich?
Haha, ich würde mich zunächst freuen, wenn ich RIVERSIDE überhaupt in einem solchen Lexikon finden würde, denn das würde beweisen, dass der Autor Notiz von uns genommen hat, auch wenn er uns vielleicht nicht als wichtig empfindet. Hm, was würde ich gerne darin lesen… kann es sein, dass du mit der Frage darauf hinaus willst, wie ich die Zukunft der Band einschätze?
He, ich stelle hier die Fragen! Aber wenn Du schon fragst: ja, darauf wollte ich hinaus.
Und ich gehöre zu den Menschen, die im Hier und Jetzt leben. Zu weit in die Zukunft zu denken, gefällt mir nicht, denn ich bin mit dem glücklich, was ich in der Gegenwart habe. Wenn sich in der Zukunft Schönes ereignet, dann freue ich mich darüber, aber ich freue mich auch einfach gerne über das, was ich bis jetzt erreicht habe. Ich weiß noch nicht mal, ob ich zum Beispiel lesen möchte, dass RIVERSIDE zur Speerspitze des Progressive Rock zählen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich als eine Art Held in einer ganz großen Band gesehen werden möchte. Ich bin heute zufrieden und das reicht mir auch.
Mit einem solch bemerkenswerten Bewusstsein gehörst Du zumindest nicht zu den Sklaven der flüssigen Moderne. Kannst Du schon sagen, wann Ihr wieder auf Tour geht?
Wir beginnen mit einigen Festivals im Sommer in Polen, Finnland, Spanien und Deutschland, wo wir auf der Loreley spielen. In September gehen wir zunächst in Polen auf Tour und spielen dort rund 25 Konzert, bevor wir im übrigen Europa auch so 20 bis 25 Gigs spielen, aber ich kann noch keine Details nennen.
Gibt es Musiker, mit denen ihr gerne mal zusammen ins Studio gehen würdet?
Bislang haben wir immer dann auf andere Musiker zurückgegriffen, wenn wir bestimmte Sounds aufnehmen wollten. Es ging uns dabei immer nur um den Klang, nicht aber um die Musiker an sich. Auf “Rapid Eye Movement“ wollten wir ethnic percussions integrieren, auf dem neuen Album Posaunen, denn diese Instrumente passten einfach zum Rest der Musik. Ich glaube nicht, dass wir es nötig haben, irgendwelche berühmten Musiker einzuladen, denn wir fühlen uns mit unserer eigenen Spielweise pudelwohl. Vielleicht geht es Mariusz mit seinem Solo-Projekt LUNATIC SOUL anders.
Besuchst Du eigentlich noch Handball-Spiele?
Leider nicht, ich schaue sie mir nur im Fernsehen an. Das liegt vor allem daran, dass Handball in Polen nicht so populär wie in Deutschland ist und in der Stadt, in der ich lebe, gibt es momentan kein Team. Als unsere Nationalmannschaft die Europa- und Weltmeisterschaft gespielt hat, habe ich das natürlich im Fernsehen verfolgt.
Zu guter letzt möchte ich Dir noch die Grüße eines Freundes übermitteln, mit welchem ich eines Eurer Konzerte besucht habe: ein Rockmusik-Fan aus dem autistischen Spektrum, der selten viele Worte verliert, von Eurer Musik aber begeistert ist und dem es wichtig war, dass ich Euch das wissen lasse.
Vielen Dank! Ich möchte noch von einem unserer Fans in Polen erzählen, der so um die 15 Jahre alt und auch autistisch ist. Die ganze Familie besteht aus RIVERSIDE-Fans und sobald wir in der Nähe spielen, besucht der Junge unsere Konzerte, kommt manchmal sogar auch auf weiter entfernt stattfindende Shows. Wir haben uns mit ihm getroffen und ich kann nur sagen, dass ich von dieser Störung nicht viel weiß. Wie du schon sagst, neigen diese Menschen nicht gerade zum Reden, aber dieser Junge verständigt sich über einen Computer. Auf einem der Konzerte drückte er uns einen Zettel in die Hand, auf welchem er seine Gedanken über RIVERSIDE zum Ausdruck gebracht hatte und ich hätte fast zu heulen begonnen. Mich hat das sehr berührt.
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