Rivers Of Nihil
"Ich bin mir ziemlich sicher, an dem Ort habe ich damals meine erste Zigarette geraucht."
Interview
metal.de: Ja, als Soundtrack für ein Spiel oder einen Film kann ich mir das Album auf alle Fälle vorstellen! Ich bin mehr oder minder durch Zufall über einen deiner Twitch-Streams gestolpert, wo du über die Field Recordings gesprochen hast, die du glaube ich zusammen mit Stephen Lopez gemacht hast (der auch im Video zur Single „Focus“ auftaucht – Anm. d. Redaktion). Mir sind die ehrlicherweise bei den ersten Runden mit dem Album gar nicht aufgefallen, obwohl sie durchaus wahrnehmbar sind. Wie ist es dazu gekommen und wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Brody: Das hat mich bislang noch niemand gefragt. Field Recordings sind etwas, worauf ich vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal drauf aufmerksam wurde und begonnen habe, das irgendwie in den Schreibprozess einzubeziehen. Stephen war sogar bereits in einem anderen Video von uns zugegen: Nämlich in „Where Owls Know My Name“ als Monster. Stephen ist schon lange ein guter Freund von uns und hat uns damals auf Tour gefahren und unser Merch gemacht. Er macht das sogar bei unserer kommenden Tour nächste Woche wieder. Er ist ein sehr alter Freund von mir und während dem Lockdown haben wir zusammen oft „Lost Places“ besucht. Ganz in meiner Wohnnähe gibt es eine alte verlassene Fabrik aus den 1930er Jahren und es ist ein ziemlich toller Ort.
Diese riesigen, verfallenden Hallen und die Soundästhetik im Inneren, etwa das Echo, sind schon wahnsinnig cool. Ich habe bereits davor schon Field Recordings hier und da aufgenommen, um sie später für meine Musik zu benutzen. Während unserer Touren, aber auch zuhause in meiner Heimatstadt Reading in Pennsylvania habe ich oft einen kleinen Rekorder bei mir gehabt und alle möglichen komischen Geräusche aufgenommen. Und als wir in dieser verlassenen Fabrik waren hat Stephen mich darauf gebracht: Warum nehmen wir für das neue Album nicht hier neue Field Recordings auf?
Er hat auf Sachen drauf gehauen oder eine Tür zugeschlagen, ich hab das aufgenommen und dann später im Studio zuhause bearbeitet. Es gibt diesen mechanischen, fremden Sound, der sich im Hintergrund mit durch das Album zieht. In gewisser Weise holt das den Hörer nach Reading, Pennsylvania, wo wir leben. Diese Sounds ins Album einzubinden kam erst sehr spät im Schreibprozess auf, aber ich bin sehr froh, dass wir uns dafür entschieden haben, es fügt dem Sound eine komplett neue Ebene hinzu.
Es gibt dem ganzen definitiv einen persönlichen Touch, denn ich hab in der verlassenen Fabrik rumgehangen seitdem ich ein Kind war, zusammen mit meinen Freunden während der High-School-Zeit. Ich bin mir auch ziemlich sicher, da meine erste Zigarette geraucht zu haben. Es ist definitiv ein wichtiger Teil meines Lebens gewesen.
metal.de: Es gibt natürlich Genres, vielleicht Folk oder diverse Black-Metal-Bands, wo das Sampling bzw. Field Recordings der Natur, etwa Bäche, Wind in den Bäumen und so weiter, keine Seltenheit darstellen. Aber das ist mir noch nicht bei vielen modernen Metalbands wie euch untergekommen. Lustigerweise habe ich eine andere Review in Vorbereitung, wo auch sehr massiv Field Recordings von industriellen Werkzeugen genutzt und diese dann stark verfremdet worden sind in der Postproduktion.
Scheinbar probieren immer mehr Bands das aus. Interessant auch, dass manche Bands die Extrameile gehen, denn sicherlich könnte man auch einfach digitalen Sample-Libraries nutzen. Aber ihr geht raus, nehmt auf und verfremdet bzw. bearbeitet das dann noch, was alles Extraarbeit ist. Warum, glaubst du, machen sich Bands diese Mühe?
Brody: Gute Frage. Ich glaube, besonders viel „menschliches“ in dein Album einzubauen wird immer wichtiger in diesen Zeiten. Vor allem in einem Genre, das dank moderner Produktion und dem berühmten „Grid-Symptom“, Quantisierungen und so weiter immer digitaler, kälter und plastischer klingt. Es kann schon sehr „computerisiert“ werden in gewissen Genres. Und Geräusche aus der echten Welt mit einzubeziehen, die vielleicht nicht gerade aufs Grid in ProTools passen, bringen ein menschliches, mehr natürliches Element mit hinein. Die Musik „atmet“ mehr, ist gefühliger auf diese Weise und klingt nicht mehr so klaustrophobisch.
Oder vielleicht sogar noch klaustrophobischer, je nachdem was du aufgenommen hast (lacht). Wie du schon sagtest, Field Recordings oder auch Sampling existiert ja schon lange in anderen Genres, auch Industrial oder Techno und es macht einfach Spaß mit weiteren Möglichkeiten rumzuprobieren. Ich denke, man kann es schon fast als ein extra Instrument behandeln. Bands haben etwa Filmsamples schon sehr lange in ihre Musik mit hineingepackt, also warum nicht das Geräusch vom vorbeifahrenden Zug neben deinem Haus aufnehmen? Das ist genau das, was ich getan habe.
Ich kann die Schienen dieser Zugstrecke von meinem Sitzplatz aus sehen. Das gibt einfach einen persönlichen Touch auf einem Album. Denn das Album wird wahrscheinlich auch noch da sein, wenn du selber als Künstler und Mensch einmal weg bist und so ist ein Teil von dir und deiner Geschichte auch ein wenig konserviert. Es wird dann immer noch auf Platte oder digital oder was auch immer es in der Zukunft für neue Medien geben wird existieren.
metal.de: Hast du bereits eine Bibliothek im Hintergrund aufgebaut, so dass du für ein neues RIVERS OF NIHIL-Album oder vielleicht andere Projekte darauf zurückgreifen kannst? Oder recordest du bedarfsgerecht, wenn es in dem Moment gebraucht wird?
Brody: Es ist etwas sehr intuitives. Wenn ich irgendwo ein cooles Geräusch höre, nehme ich es auf und nutze es für irgendwas. Aber ich hab so gut wie alles was ich hatte für die neue Platte nun genutzt. Das macht die dann schon irgendwie besonders. Ich habe keinen riesigen Ordner, wo ständig neue Recordings rein kommen, das passiert schon sehr organisch. Als ich auf Tour in Schweden war habe ich etwa diesen mahlenden, dröhnenden Sound einer Eismaschine in der Umkleide aufgenommen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das beim Ende vom Song „Tower 2“ mit drauf ist auf dem Album.
Aber ich bin eigentlich ständig auf der Suche nach neuen Sounds. Sobald der Release des neuen Albums sich ein wenig gelegt hat und ich wieder im richtigen Headspace bin, werde ich wieder rausgehen und neue Sounds aufnehmen. Für das neue Album hab ich entweder Sachen gezielt aufgenommen oder alte Recordings ausprobiert und wenn es gepasst hat, hat es gepasst und wenn nicht, hab ich das eben nicht mit raufgenommen. Es war eine sehr experimentierfreudige Stimmung im Sinne von „Probier aus und schau was passiert“.
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Stile | Progressive Metal, Progressive Rock |
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