Rise Of The Northstar
Interview mit den Manga-Moshern
Interview
Nun nehmen wir doch mal an, ihr spielt in einer Band. Es läuft ganz gut für euch: Über die Jahre habt ihr schon ein paar EPs rausgebracht, werdet unter der Hand als Geheimtipp in Sachen Thrash gehandelt, ihr habt euren eigenen, unverkennbaren Sound, super Qualität, alles selbst gemacht und schon mehrere Länder bereist. Dann dürft ihr irgendwann bei Festivals auftreten, beispielsweise auch auf dem SUMMER BREEZE OPEN AIR 2014 – nichts „Großes“, einfach nur eine Show auf der Camelstage am Donnerstag Nachmittag. Bei strahlendem Sonnenschein werdet ihr von einer kleinen, aber partytauglichen Meute erwartet, die eure Lieder größtenteils auswendig kennt und ihr gebt auf der (Mini-)Bühne alles – wie immer. Immer mehr Leute bleiben stehen und feiern mit, kaum einer von ihnen kennt euch oder eure Songs wirklich, aber das tut nichts zur Sache: Es wird geschubst, gerammt, gesprungen, geschrien und man huldigt euch bis zum Schluss mit Circle Pits. Gelungene Show, Beifallsbekundungen, als ihr einigermaßen zerstört von der Bühne geht – und da steht dann jemand von Nuclear Blast und will euch auf dem hauseigenen Roster.
Klingt nach Märchen? Ist es irgendwie auch. Genau das – oder zumindest eine ähnliche Geschichte – ist der Truppe von RISE OF THE NORTHSTAR passiert und Drummer Hokuto No Kev beantwortet ein paar Fragen zu den Geschehnissen und der Band an sich.
Natürlich muss immer darauf hingewiesen werden, dass sich die Herren alles hart erarbeitet haben. Das Cover stammt aus Vithias Feder, die Produktion ist handgemacht – das wiederum haben zwar die meisten Bands durchgemacht, aber bei ROTNS liegt ein stimmiges Gesamtkonzept vor: Sie haben nicht nur ihren eigenen Stil und ihre eigenen Interessen im ersten Album verbaut, sie haben auch ihr eigenes Auftreten, ihre ganz eigene Show, die sie von vorn bis hinten durchziehen. Denn was fällt als erstes auf, wenn man RISE OF THE NORTHSTAR sieht? – Sie tragen ziemlich ungewöhnliche Uniformen. „Man nennt sie Gakurans, japanische Schuluniformen. Wir tragen sie bei jedem Auftritt, aber nicht normal, sondern wie so genannte Furyos – mit kürzeren Jacken, großen Hosen und unseren Sneakers. Das ist in japanischen Schulen strikt verboten.“
RISE OF THE NORTHSTAR – die Furyos unter den Bands
Und es passt zur aufgefahrenen Attitüde: Furyos sind die schwarzen Schafe der japanischen Jugend. Sie leben nach eigenen Regeln, sind schlecht in der Schule, kümmern sich nicht um ihre Zukunft, prügeln sich vornehmlich und nehmen es mit dem Gesetz nicht ganz so ernst. Aber es geht RISE OF THE NORTHSTAR nicht nur darum, den Rest der Welt aufzumischen, sie teilen auch in großes Interesse: Mangas. „Es steckt noch mehr hinter den Furyos: Wenn man Shonen-Mangas, also die Mangas für japanische Jugendliche, hauptsächlich Jungs, liest, stellt man fest, dass diese Furyos sich nicht den Erwartungen ihrer Umwelt fügen wollen, sie wollen ihr eigenes Leben mit ihren eigenen Regeln führen. Das ist, um was es ROTNS geht: Wenn wir diese Uniformen tragen, bilden wir eine Einheit gegen den Rest der Welt und all ihre aufgezwungenen Regeln. Wir haben unsere eigenen Ziele, Regeln und bestimmen unseren eigenen Weg.“
Es ist also nicht nur ein „Thema“, sondern eine Einstellung – und die ist live sofort zu spüren. Man macht auf dicke Hose, aber es passt irgendwie. Laut eigenen Aussagen ist es dabei egal, ob die Show nun auf einem Festival vor tausenden Fans oder in einem kleinen Club mit intensiverem Fankontakt gespielt wird. „Wir machen keine Scherze, wenn wir sagen: ‚Wir gegen den Rest der Welt!‘ Die Leute werden geradezu gezwungen stehen zu bleiben und uns zuzuhören, mitzumachen, weil wir energiegeladene Shows abliefern. Auf der Bühne lassen wir alles raus, all unsere Wut und unsere Aggressionen. Ich für meinen Teil zerstöre immer einen Teil meiner Drum-Kits bei einer Show! Bei unserer Tour in Tokyo habe ich beim ersten Gig bereits beim dritten Song meine Bassdrums regelrecht zerstört. Keine vier Tage später in Osaka ist es wieder passiert – und vier Tage sind eine wirklich sehr kurze Zeit für dieses Equipment, haha! Die ganzen Becken und Sticks zähle ich ja schon gar nicht mehr…“ Und dass sie gut sind, in dem was sie tun, bringt er passend auf den Punkt: „Nuclear Blast wollte uns nicht, nachdem sie eine CD von uns gehört haben – sie wollten uns, nachdem sie uns live gesehen haben! Das heißt schon Einiges, denn auf der Bühne kannst du nicht tricksen!“
Natürlich schaut man sich auch ein wenig um. Wenn doch an anderer Stelle gerne mal die Frage aufkommt, wer genau jetzt mit RISE OF THE NORTHSTARs Art von Musik etwas anfangen kann, steht man schnell vor dem „Das ist ziemlich neumodisch, das kann nur für die Kiddies sein!“ Hat sich für mich ehrlich gesagt nicht so angefühlt und auch Hokuto sieht größere Möglichkeiten: „Ich glaube dass ‚Welcame‘ sowohl für Metal- als auch Hardcore-Fans interessant ist. Auch Leute, die Crossover, Fusion oder Nu-Metal hören, Manga- und Japan-Fans, Leute aus den 80ern und 90ern – all diese Leute soll das Album ansprechen.“
Der Name des Albums ist dabei auch wieder eine Anlehnung an einen der Lieblings-Mangas der Jungs mit dem Namen „Rookies“. „In dieser Geschichte begrüßt einer der Hauptcharaktere den neuen Klassenlehrer mit einem Baseball – besser gesagt mit einem Baseball, den er ihm mit voller Wucht ins Gesicht schleudert. Auf dem Ball steht groß ‚Welcame‘, weil der Typ… naja, er spricht nun mal kein gutes Englisch. Wir sprechen auch nicht wirklich gut Englisch, wir wissen das und müssen uns damit wohl abfinden, haha!“ „Welcame“ also? – Passt, denn einem Schlag ins Gesicht gleicht im Prinzip auch das Album.
Um nun wieder zur Musik zurückzukommen: Gemixt hat diesmal Zeuss, der schon Größen wie HATEBREED, EMMURE und MADBALL in Händen hielt, der Sound ist astrein und fühlt sich nicht nach dem „ersten Mal“ an. Aber man fragt sich natürlich, ob „Welcame“ anders ist als seine Vorgänger – anders als „Tokyo Assault“ von 2009 und „Demonstrating My Saiya Style“ aus dem Jahr 2012. Klar ist es ein Unterschied, ob man eine EP oder ein ganzes Album macht, aber haben sich RISE OF THE NORTHSTAR denn ihrer Meinung nach weiterentwickelt und mehr gewagt? „Es ist wie eine Saiyajin-Transformation.“ [Dragon Ball Z? Ernsthaft? – Anm. d. Verf.] „Wir wollten mehr Solos, thrashigere Ecken, mehr Gimmicks, mehr Hip Hop und mehr Härte [und mehr Karate? – Anm. d. Verf.]. Wir haben auch versucht, in jeden Song etwas Einzigartiges zu stecken, was ihn unverkennbar macht und das hat gut funktioniert: Wir haben einen Rock’n’Roll-Song, einen Beatdown-Song, auch einen mit einem Französischen Teil oder speziellem Refrain.“
Wie die Songs dann letztendlich bei ROTNS wirklich entstehen, ließ sich an dieser Stelle nicht herausfinden, die Geschichte mit den 365 Tagen in einem Panic-Room kaufe ich Hokuto nämlich nicht ganz ab – wohl aber, dass sie alle jederzeit ihr Bestes geben.
„Kinder“ der 80er, 90er, Supersayajins und WU TANG CLAN
Was man allerdings schon vorab erahnen kann, ist zumindest eine Antwort auf die Nachfrage, was denn zuhause so für Musik läuft: „Hauptsächlich Sachen aus den 80ern und 90ern. RAGE AGAINST THE MACHINE, MACHINE HEAD, PANTERA, aber natürlich auch Hip Hop wie WU TANG, ONYX, MOBB DEEP. Wir haben alle irgendwie die gleichen musikalischen Wurzeln, aber unterschiedliche Favoriten. Vithia ist eher im Hip Hop beheimatet und mag alles, was etwas mehr Groove hat. Eva-B kommt aus der Tech-Death-Ecke, aber mag auch Bands wie PERIPHERY. Fabulous Fab ist eher an Hardcore interessiert, Air One ist definitiv unser Thrasher und ich persönlich stehe total auf Soundtracks von Videospielen!“ Das erklärt auch ohne weitere Zugabe die Vielfalt auf „Welcame“.
Aber wie geht es nun weiter? Und was für Highlights haben sich bei RISE OF THE NORTHSTAR eingeprägt? Auch hier kommt eine klare Antwort: Man wolle sich natürlich auch mal über den großen Teich wagen, aber im Prinzip geht es darum, egal, wo man die Chance dazu bekommt, den Boden einzureißen und die Meute munter aufzumischen. „Wir wollen überall spielen! Wir sind hier, um die Welt zu erobern! Aber ich glaube, du kannst dir fast denken, was bis jetzt am Aufregendsten für uns war… Unser großes Ziel war es immer durch Japan zu touren – das haben wir bereits getan, sogar schon zweimal als Headliner. Also ist unser nächstes Ziel in dieser Richtung dann das Koshien-Stadium in Osaka!“ Da kommt sie wieder raus, die Leidenschaft für Japan. Sie zieht sich durch, wie ein roter Faden.
Die letzten Worte unseres Gesprächs muss man dann allerdings als Original-Zitat gelesen haben, denn normalerweise bedankt man sich an dieser Stelle für das Interview, oder tauscht die üblichen Floskeln aus. Aber RISE OF THE NORTHSTAR wären nicht RISE OF THE NORTHSTAR, wenn es nicht ein klitzekleinwenig anders wäre (die deutsche Übersetzung erspare ich an diesem Punkt, denn das letzte Wort dürfte sich selbst erklären und auch den wichtigsten Teil der Aussage liefern): „We are RISE OF THE NORTHSTAR – Out from nowhere, against the adults‘ world and all the established codes. We have our own rules, our own codes and our own ambitions… WELCAME!“
Furyos, in der Tat.