Rise Against
"Es sind finstere Zeiten im Augenblick."

Interview

Im Bereich Melodic Hardcore gibt es momentan niemanden, der RISE AGAINST auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. Derzeit touren die Vier aus Chicago mit den Bands ALKALINE TRIO, THRICE und THE GASLIGHT ANTHEM durch Amerika. Wir haben mit Front-Sänger Tim McIlrath telefoniert, der am Telefon noch etwas müde klang. Aber das ist auch nicht verwunderlich, schließlich haben RISE AGAINST am Abend zuvor ein ausverkauftes Konzert gegeben.

Rise Against

Hallo Tim! Schön dich zu hören. Euer Album „Appeal To Reason“ ist schon seit Oktober auf dem Markt. Wie sind denn so die Reaktionen bis jetzt?

Also, es war auf Platz Drei in den Billboard Charts hier in Amerika. Außerdem haben wir über 100.000 Alben in den letzten vier Wochen verkauft. Wie du siehst, sind die Reaktionen außerordentlich gut gewesen, ebenso die Reviews.

Ich finde, dass RISE AGAINST auf „Appeal To Reason“ ein wenig langsamer klingt als auf dem Album „The Suffer and The Witness“. Würdest du mir da zustimmen?

Naja, eigentlich nicht. Weißt du, „Collapse“ zum Beispiel ist ein schneller Song, „Kotov Syndrome“ auch. Die Lieder sind nicht langsamer, eher breiter gefächert. Wir haben alles Mögliche ausprobiert, um so viele unterschiedliche Lieder in diesem Album unterzubringen.

Ein Song, der wirklich hervorsticht, ist das Lied „Hero Of War“, der erste Akustik-Song seit „Swing Life Away“. Worum geht es in dem Song?

Ich sah einen Dokumentarfilm, „The Ground Truce“. Es ist ein Dokumentarfilm über Soldaten aus dem Irak, die nach Hause kommen und die das Leben nicht mehr in den Griff bekommen. Sie müssen ständig an diesen Krieg denken. Das war ein echt bewegender Dokumentarfilm. Und ich dachte, das ist eine Geschichte, die überall in Amerika erzählt werden sollte. Eine Geschichte darüber, wie die Soldaten über den Krieg im Irak denken. Ich dachte mir, dass das alles in einem Lied dokumentiert werden sollte. Ich schrieb also dieses Lied, um zu dokumentieren, was in der Welt im Augenblick los ist, gerade jetzt, gerade hier, und was los ist mit den Soldaten im Irak.

Die Gitarren klingen etwas fetter als auf dem Vorgängeralbum. Vor allem eure aktuelle Single „Re-Education (Through laboratory)“ klingt zu Beginn wie ein Metal Song.

Oh, wir lieben Metal. Wir sind zwar keine Metalband, aber wenn wir so klingen, wie eine, ist das cool. Metallica zum Beispiel ist meine Lieblings-Metalband.

Um was geht es in dem Song „Re-Education“? Weißt du, ich als Deutscher muss bei dem Lied an die Arbeitslager der zwei Diktaturen denken, die wir leider hatten.

Na ja, so ist es immer noch zum Teil in China. China hat solche Umerziehungslager, in der alle möglichen Menschen einsitzen: Dissidenten, Menschen, die ein starkes Wertegefühl haben, aber auch Prostituierte oder Verbrecher wie Diebe. Das hat mich wirklich getroffen. Es ist mit den Visionen von George Orwell vergleichbar. Und solche Umerziehungslager gibt es in der ganzen Welt. Der Titel des Songs hängt aber auch mit dem stumpfen Lebensstil zusammen, den wir alle leben. Ich denke, irgendwann müssen wir die Rechnung dafür bezahlen. Weißt du, die Arbeit hat alle unsere Prioritäten verschoben. Wir leben nur noch, um zu arbeiten und eigentlich müsste man aufstehen und dagegen kämpfen. Ich hab also versucht, eine Parallele zu den Arbeitslagern und zum Arbeitssystem der Moderne zu zeichnen.

Ich finde, die Songtexte auf „Appeal To Reason“ sind wirklich finster. „Collapse“ klingt schon fast apokalyptisch und in „Entertainment“ singst du, dass das Ende bald kommt. Glaubst du, dass die moderne Gesellschaft am Ende ist?

Es sind finstere Zeiten im Augenblick. Es ist doch schwierig, jeden Morgen die Zeitung zu holen ohne zu merken, dass wir in beängstigenden Zeiten leben. In vielerlei Hinsicht kollabiert die Welt schon seit Jahrzehnten, schau dir doch die Umwelt an, und wir werden die richtigen Leute brauchen, um die Sache wieder in den Griff zu bekommen.

Du bist der Vater von zwei Kindern. Ihr seid häufig auf Tour und du siehst sie nicht für Monate. Verarbeitest du das in deinen Songtexten?

Sicher, meine Kinder sind ein großer Teil meines Lebens. Auch das Touren beeinflusst mich stark. Aber man sollte so Zeilen wie „Child, I’m coming home“ nicht wörtlich nehmen. Die sind eher metaphorisch gemeint und sollen Platz für Interpretation lassen.

Der Video-Clip zu „Re-Education“ ist so eine Mischung aus FIGHT CLUB und CLOCKWORK ORANGE. Ähnlich wie FIGHT CLUB endet auch euer Video-Clip: Eine ganze Stadt wird in die Luft gesprengt. Findest du das als Botschaft nicht problematisch?

Nein, überhaupt nicht. Am Anfang des Clips gibt es ein Zitat von John F. Kennedy. Er hat mal gesagt: „Wer eine friedliche Revolution verhindert, macht eine gewaltsame Revolution unausweichlich.“ Und das ist das Zitat, das wirklich die Aussage des Videos auf den Punkt bringt. Ich meine, wenn man aufhört, auf die Öffentlichkeit zu hören, wenn man aufhört, auf die Leute zu hören, dann fangen sie an, verrückte Sachen zu tun. Das ist die Botschaft und die ist überhaupt nicht problematisch.

Ich möchte kurz über die Präsidentenwahl sprechen. Barack Obama hat gesagt, dass der Wandel nach Amerika gekommen ist. Würdest du dem zustimmen, oder ist das nur eine leere Phrase?

Nein, ich stimme vollkommen zu, dass der Wandel nach Amerika gekommen ist. Wenn das nicht so wäre, würden wir jetzt John McCain als Präsident haben. Zum Glück wurde er nicht gewählt. Ich denke, dass wir mit Obama viel besser dran sind.

Das Album heißt „Appeal To Reason“, Appell an die Vernunft, genau wie eine sozialistische amerikanische Wochenzeitung des letzten Jahrhunderts. Warum?

Ich hab es, wie du schon gesagt hast, von einer sozialistischen Zeitung aus dem 20. Jahrhundert, aus der Zeit der Post-Industrialisierung. Die Zeitung hat für Arbeitsreformen gekämpft, denn die Arbeiter mussten bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten und auch so etwas wie ein freies Wochenende gab es nicht. Der Name der Zeitung hat mich echt getroffen: ‚Appell an die Vernunft, yeah, das macht Sinn.‘ Außerdem passt es gut zu den entsprechenden Idealen des Punkrock.

Glaubst du, dass ihr mit Eurem Appell erfolgreich seid?

Der Beweis ist doch schon da: Das Publikum, das zu unseren Konzerten kommt und unsere Alben mit nach Hause nimmt. Das ist für mich Beweis genug.

Vielen Dank für das Interview. Irgendwelche abschließenden Gedanken?

Vielen Dank an unsere deutschen Fans, wir können es nicht erwarten, nach Deutschland zu kommen. Wir werden im Frühling durch Deutschland touren und wir können es echt nicht erwarten, dort zu sein.

Galerie mit 18 Bildern: Rise Against - Rock am Ring 2023
23.11.2008

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3 Kommentare zu Rise Against - "Es sind finstere Zeiten im Augenblick."

  1. Hardcore sagt:

    Der Interviewer hat ja nun echt mal selten doofe Fragen gestellt. Kein Gespür für Geschichte, keine Ahnung von Politik. „Die zwei Diktaturen die wir in Deutschland hatten“, ist ja wohl eine unglaubliche Relativierung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Das die Gesellschaft in der DDR unfrei war stimmt natürlich, aber das gleichzusetzen mit Konzentrationslagern ist dumm und gefährlich. Zum Glück gibt Tim die richtigen Antworten. Appeal to reason, rise against!

  2. Bastian sagt:

    Eine Diktatur ist auch ohne Konzentrationslager eine Diktatur, ums Relativieren ging es dem Interviewer ganz sicher nicht. Und Arbeitslager (von denen im Text die Rede war) bzw. Zwangsarbeit gab’s natürlich auch in der DDR. U.a. für IKEA.

  3. Hans-Hubert sagt:

    Was wir heute erleben, ist auch eine Diktatur. Die Diktatur der Wirtschaft, des Euro, der EG. Das wird uns als Demokratie verkauft, hat aber damit nicht mehr viel zu tun.