Pure Reason Revolution
"Manchmal war meine Kreativität flach wie ein Pancake"
Interview
So schnell kann’s gehen. Beim ersten Hördurchlauf im Soundcheck habe ich das neue Album “Above Cirrus” der mir bis dato unbekannten PURE REASON REVOLUTION noch als langweiliges, durchschnittliches Geplätscher wahrgenommen. Mit Zuteilung der Review und gesteigerter Auseinandersetzung mit der Musik schlug Desinteresse in wohlwollende Anerkennung um. Als ich vom Promoter wegen eines Interview mit Sänger/Gitarrist Jon Courtney gefragt werde, zusage und mich noch intensiver mit der Musik befasse, geriert der luftig-leichte, ganz und gar unangestrengte und sehr atmosphärische Prog-/Art-Rock-Sound der Brit:innen sogar zum gegenwärtigen Genre-Highlight.
Wer noch nie von PURE REASON REVOLUTION gehört hat, sollte das nachholen, denn obwohl das Trio selten wirklich heavy ist, gefallen Teilen unserer Leser:innenschaft zwischen War Metal und Slam Death durchaus KARNIVOOL, DREDG, FLEETWOOD MAC und RADIOHEAD. Wer also anspruchsvolle Musik nicht mit technischen Kabinettstückchen und ruhige Töne nicht zwangsläufig mit Kitsch verwechselt, sollte nun lesen, was Jon zu sagen hat und im Anschluss einen Testlauf von “Above Cirrus” wagen.
Jon, herzlichen Glückwunsch zu dem tollen Album, das “Above Cirrus” wirklich geworden ist. Wie fühlt ihr euch nun, da es veröffentlicht ist? Habt ihr so etwas wie Druck verspürt, da “Eupnea” erst 2020 erschien?
Es freut mich sehr, dass dir das Album gefällt. Ich fühle mich immer ziemlich erleichtert, wenn ein Album veröffentlicht wird. Das ist ein kathartisches Erlebnis, denn ich muss die Songs dann nicht mehr immer und immer wieder anhören, um etwas zu verbessern; ich kann mich ein bisschen zurücklehnen und über die nächsten Schritte nachdenken. Zu “Eupnea” fehlte uns irgendwie das direkte Feedback der Fans in Form von Konzerten. Die Reaktionen in Reviews und auf Social Media waren allerdings gut.
Ich denke allerdings nicht, dass “Above Cirrus” großartig anders geklungen hätte, hätten wir es beispielsweise nach einer Tour komponiert und aufgenommen. Streckenweise sind wir etwas heavier geworden, aber auch etwas elektronischer. Ich denke nicht, dass wir jemals wieder unseren Stil verändern, wie wir es bei “Amor Vincit Omnia” getan haben. Das verschreckte zu viele Fans und trieb sie in die Flucht. Größere Stiländerungen werde ich für Nebenprojekte aufsparen.
War es eine Art Zuflucht von der pandemischen Welt, “Above Cirrus” zu kreieren? Im Sinne von: “Ich gehe ins Studio, betrete eine abgeschlossene Welt der Kreativität, wo nichts abseits der Musik zählt” und so weiter?
Es war wirklich eine Art Zuflucht vor der Pandemie. Ich habe allerdings eh immer viel Zeit allein im Studio verbracht, also bin ich an die Isolation bereits gewöhnt. Mein Leben hat sich ein bisschen seitwärts verschoben; meine Familie zog weg von Berlin in eine Hütte auf dem Land. Das war auch unser Safe Space, unser Refugium.
Während der Pandemie war es ein Auf und Ab mit der Kreativität. Mal war sie flach wie ein Pancake, an anderen Stellen war sie wahnsinnig intensiv. Ich habe mich in einem kleinen Studio in Frankfurt an der Oder bei der polnisch-deutschen Grenze verschanzt und über menschliche Beziehungen, die großen Fragen, die während der Pandemie aufkamen, geschrieben.
Was ich an “Above Cirrus” sehr schätze, ist, dass es insgesamt ein sehr leichtfüßiges Album ist. Es gibt zwar auch bittersüße Melancholie, doch insgesamt finde ich das Album leicht, hoffnungsvoll, beinahe ätherisch.
Interessant, dass du das sagst. Das könnte etwas mit dem Umzug von der Stadt aufs Land zu tun haben. In den letzten Jahren hat sich vieles geändert, Prioritäten verlagert, etc. Ich suche Frieden und Heiterkeit heutzutage. Ich akzeptiere Dinge, wie sie sind und versuche, dem Hamsterrad zu entkommen. Ich lebe im Tag und im Moment und fühle mich aktuell leichter ums Herz. Das fand möglicherweise Einzug in die Musik. Hoffnung muss den melancholischen Aspekt in unserer Musik überschatten und wenn du sagst, du empfindest unser Album als ätherisch, dann würde ich sagen, haben wir unseren Job richtig gemacht.
Auf jeden Fall. Ohne, dass ich das begründen könnte, wäre die perfekte Situation, um dieses Album zu hören auf der Spitze eines hohen Berges mit kühler, frischer Luft in den Lungen oder am Strand, im Angesicht eines herrlichen Ozeanstrandes. Was wäre dein perfektes Szenario für “Above Cirrus”?
Um das himmlische Level zu erreichen, musst du in der Tat auf einem sehr hohen Berg mit hochpreisigen Kopfhörern sein, haha [die Reihe von Wortspielen mit ‘top’ und ‘high’ lässt sich im Deutschen schwer wiedergeben – Anm. d. Red.]. Wenn ich erst einmal ein Album beendet habe, dann höre ich es in der Regel selbst nicht mehr so gern, weil ich es davor schon zig Mal hören musste. Trotzdem schaute ich beim Hören gern Thomas-Hicks-Videos [US-Amerikanischer Leichtathlet – Anm. d. Red.]. Das gab dem Album etwas Neues für mich.
Das Material auf “Above Cirrus” ist insgesamt sehr vielseitig. Dennoch ist “Phantoms” ein herausragender Song. Was hat euch zu dieser Nummer inspiriert?
Ich vermische generell gern Licht und Schatten und setze Akzente bei den Extrema. Mein alter A&R sagte mal zu mir: “Wenn es weder ergreifend, noch schön ist, ist es Mist.” “Phantoms” nimmt dich mit zu diesem ergreifenden Moment, während “Curel Deliverance” pure Schönheit darstellen soll. Wenn in deinem Manifest “Keine Grenzen!” steht, kommt es am Ende immer irgendwie vielseitig heraus, während wir hoffen, dennoch kohärent und konsistent zu bleiben.
“Phantoms” kam direkt, nachdem ich “New Kind Of Evil” schrieb, was viel Zeit zum Arrangieren und Komponieren benötigte. Ich brauchte etwas schnellere “Erlösung” und war nach ungefähr zwei Tagen fertig mit dem Song. Es war einfach das, was ich in dem Moment brauchte, um den Prozess des Albums voranzubringen.
Du sagtest, dass sich die Texte um Beziehungen drehen. Mir ist aufgefallen, dass es in den Lyrics häufig um Konflikte geht. Ich meine nicht zwei Menschen, die sich verbal streiten, sondern eher konfligierende Ideen und Gedanken. Linguistisch gesehen arbeitest du mit Antithesen, Antonymen und Paradoxa. Ist die Musik manchmal absichtlich so geschrieben, dass sie das reflektiert?
Mein Schreiben beschäftigt sich häufig von allein mit Beziehungen: Wie können wir in einem Moment so zärtlich miteinander umgehen und uns wenige Augenblicke später schon halb zerfetzen? Das Erhabene und das Gemeine, das hoffentlich in Optimismus und Hoffnung endet. Bindung, Verlust der Bindung, wieder zueinander finden… wir kämpfen, wir lieben. Ich bin sehr froh darüber, Musik als Kanal für diese Empfindungen zu haben. Hätte ich das nicht, würde ich wahrscheinlich implodieren.
Ich muss den Song oft nach dem Schreiben analysieren, um zu erarbeiten, worum es gehen soll, denn bis dahin ist es nur ein Strom der Kreativität. Natürlich ist Zorn oder Frust der Hintergrund für die härteren Passagen bzw. Anmut und Schönheit Inspiration für die ruhigeren Passagen. Bitte aber interpretiert Musik und Texte so, wie ihr es für richtig haltet. Es hätte keinen Sinn, wenn ich das vorgebe.
Achtet ihr eigentlich bei der Aufteilung der Gesangspassagen zwischen Chloë und dir auf den Inhalt? Übernehmt ihr da manchmal sozusagen “Rollen”, die ihr darstellt, oder wird der Gesang nur aufgrund musikalischer Kriterien arrangiert?
Grundsätzlich nicht, jedenfalls nicht absichtlich. Der Gesang wird arrangiert, wie er am besten zur Musik klingt. Andererseits fand ich auf “Eupnea” gut, wie Chloë die ersten Zeilen von “Maelstrom” singt – als würde eine Mutter ihrem Kind vorsingen. Also passiert vielleicht unbewusst schon, was du vermutetest.
Wenn ihr dann nun on the road gehen werdet, habt ihr im Prinzip zwei neue Alben im Gepäck, die es live zu präsentieren gilt, statt nur einer Platte, wie es traditionell in prä-pandemischen Zeiten üblich war. Wie schwer ist es jetzt, eine Setlist zu kreieren, die den Ansprüchen an beide Platten plus euer älteres Material gerecht wird?
Ja, mit zwei Platten zu touren, ist wirklich ein wenig seltsam. Wir versuchen einfach eine sinnvolle Mischung aus alt und neu zu erreichen, damit alles in Balance bleibt. Glücklicherweise sind unsere Lieblinge auch die Favoriten der Fans, was es etwas einfacher macht.
Zwischen 2011 und 2019 lagt ihr insgesamt acht Jahre auf Eis. Wenn du nun euren zweiten Karriereabschnitt mit dem ersten Lauf vergleichen müsstest – wie würde dein Fazit aussehen?
Wir hatten PURE REASON REVOLUTION wirklich beendet, es gab keinen Plan, wieder zusammenzukommen. Ich hatte das nicht richtig bedacht, wir waren eigentlich noch in der Findungsphase damals. Ich hatte irgendwie den Gedanken, uns vom Sound auf “The Dark Third” wegzubewegen und so vielleicht neue Hörerschichten zu erreichen.
Hat leider nicht geklappt. Stattdessen haben wir Fans verschreckt und in die Flucht gejagt, während wir alle möglichen neuen Stilrichtungen erkundet haben. Nun sind wir irgendwie im Progressive-Rock-Bereich und fühlen uns sehr wohl damit. Wir versuchen weiterhin, die Möglichkeiten des ohnehin weiten Genres auszureizen, mögen diesen Bereich aber grundsätzlich. Trotzdem denke ich, dass wir noch weitere Hörerschichten erschließen können. MUSE-Fans haben uns noch nicht auf dem Schirm, Fans von RADIOHEAD möglicherweise ebenso noch nicht. Denen können wir aber vielleicht etwas bieten.
Gewiss. Hoffentlich ergibt sich dahingehend eine lukrative Tour für euch. Die berühmten letzten Worte gehören dir.
Danke für dieses interessante Interview und hört euch mal PURE REASON REVOLUTION an, wenn ihr uns noch nicht kennt. Wir klingen wie MUSE, die FLEETWOOD MAC boxen. Oder PINK FLOYD die die SMASHING PUMPKINS zerlegen. Irgendwas in die Richtung …