Protest The Hero
Interview mit Gitarrist Tim Millar
Interview
Mit ihrem neuen Album „Scurrilous“ haben die kanadischen Chaoten von PROTEST THE HERO bereits früh im Jahr einen vielversprechenden Anwärter auf die Top-Positionen zahlreicher Jahrespolls veröffentlicht. Mit dem Gitarristen Tim Millar sprachen wir über dessen abstruse Vorstellungen von Mathcore, ein paar kompositorische Tricks – und ein klein wenig auch schon über die Zukunft.
Hallo, Tim, ich hoffe es geht dir gut.
“Scurrilous” ist bisher vermutlich das Highlight eurer Karriere, und wieder einmal ist es so gut wie unmöglich, euch irgendeinem gängigen Genre zuzuordnen. Vermutlich ist das genau das, was ihr erreichen wolltet. Welche Musik inspiriert euch zu euren Meisterwerken des Chaos, welche Einflüsse lassen sich bei PROTEST THE HERO bei genauem Hinhören ausmachen?
Meiner Meinung nach gibt es ohnehin nur zwei Genres. Gute Musik und schlechte Musik. Ich höre mir Musik immer vollkommen unvoreingenommen an, egal wie es klingt, oder welchem Genre es angehört. Wenn sie mich emotional berühren kann, dann ist sie gut. Es ist nicht unsere Absicht, unklassifizierbare Musik zu spielen, möchten uns aber auch nicht in punkto Einflüsse einschränken lassen. Das schwierigste ist es für mich, eine Balance zu finden zwischen dem Versuch so viele Stile wie möglich in einen Song einfließen zu lassen und dem Anspruch, es flüssig klingen zu lassen. Ich persönlich höre sehr viel Jazz und klassische Musik, und ich glaube, wenn man aggressive Musik schreiben möchte, ist das Letzte was man tun sollte, aktuelle aggressive Musik zu hören. Das wird immer zu einem unbewussten Abschreiben führen.
Viele würden PROTEST THE HERO als Mathcore-Band bezeichnen, was es meiner Meinung nach aber nicht ganz trifft,. Ihr unterscheidet euch ja sehr vom Großteil dieser Bands, besonders aufgrund des Gesangs, der ja sehr vom traditionellen und progressiven Metal beeinflusst wurde. In Europa befinden sich viele traditionelle Metal-Fans unter eurer Anhängerschaft. War es von Beginn an euer Vorhaben, auch auf diese Weise von den Trend-Bands abzugrenzen, oder passierte das eher instinktiv?
Bei der Bezeichnung “Mathcore” habe ich immer ganz seltsame Bilder im Kopf. Da sehe ich Gleichungen und Rechnungen auf einer Tafel und die Musiker diskutieren darüber, wie sich mit einem musikalischen Element an eine bestimmte Formel anpassen lässt. Wir schreiben unsere Musik mit den Ohren, es gibt wenig Planungen und wir setzen uns hin und benutzen unsere Ohren, um herauszufinden, was uns gefällt und was nicht. Ich hasse das Wort “core”, so lange es nicht um den Kern eines Apfels zum Beispiel geht, und wir glauben, dass es den besten Metal in den 80ern gab. Wenn man einen Weg findet, einen modernen Sound mit alter progressiver Musik zu verbinden, dann erfindet man etwas neu, was ohnehin gut war, anstatt einen unbetretenen Pfad zu erzwingen oder anders zu sein, nur für den Umstand das Anders-Seins an sich.
Eure Band ist vergleichsweise jung. Wir war es für euch als Teenager möglich, Musiker zu finden, die das Talent und den Willen hatten, diese einzigartige Musik zu kreieren, und das beinahe ohne Anlaufzeit?
Ein bisschen Anlaufzeit hatten wir, aber wir sind so jung, dass es davon (Gott sei Dank) keine Aufnahmen gibt. Wir sind alle zusammen aufgewachsen und haben zusammen begonnen, Musik zu machen. Als wir alt genug waren, in eiin Studio zu gehen hatten wir immerhin schon fünf Jahre zusammen Musik gemacht, verschiedene Stile durchprobiert und etwas gefunden, mit dem wir zufrieden waren.
Ist es irgendwie möglich, uns einen Einblick in die Texte von “Scurrilous” zu geben?
Ja, wir hatten diesmal zum ersten Mal Konzept oder ein spezielles Thema. Jeder Song der Scheibe hat ein anderes Thema, es macht aber Spaß, eine Sammlung verschiedener Gedanken zu haben und etwas aktuellere Ideen verarbeiten zu können, ohne an das Konzept gebunden zu sein. Rody hat zu sieben Songs die Texte geschrieben, so dass sich Arif und er die Arbeit ein bisschen geteilt haben. Beide haben unterschiedliche Stile, was es wiederum sehr interessant macht. Es geht unter Anderem um Sex Tapes im Internet, Krebs, Rauchen aufgeben und einfach darum, in einer Band zu spielen und auf Tour zu sein.
Auch hinter dem Cover-Artwork steckt ja ein tieferer Sinn. Was hat es denn damit auf sich?
Das Bild ist von Arifs Großvater, Jafar Petgar. Es stammt aus den 50ern und wir fanden es nett, ein hübsches Kunstwerk zu verwenden, das einen Bezug zu einem Bandmitglied hat. Das gibt dem Ganzen etwas sehr Persönliches, und außerdem fanden wir es interessant, diesem Gemälde, das wir so lieben, ein bisschen neues Leben einzuhauchen, weil es in Nordamerika nie sonderlich beliebt war, Es ist toll, dass wir dafür so viel positives Feedback erhalten und viele Menschen die Schönheit zu schätzen wissen, die es einfängt.
Bei den ersten beiden Durchgängen wirkt “Scurrilous” noch sehr teschnisch, die Melodien entwickeln sich erst Stück für Stück. Faszinierend finde ich aber, dass es vom ersten Moment an irgend etwas gibt, was die Aufmerksamkeit des Hörers in der Art und Weise auf sich zieht, dass man sich das Album immer und immer wieder anhören möchte, fast wie eine Art Sucht. Wie habt ihr denn diesen Umstand hinbekommen, gab es für diesen fast magischen Faktor eine Formel?
Das Wort Sucht gefällt mir. Seltsam ist, dass wenn wir versuchen, einen Song auf gängige Art und Weise zu strukturieren, uns das nie gelingt. Wir legen aber viel Wert auf das Songwriting, und manchmal bauen wir einen Song sozusagen zu einer Art Refrain am Ende auf. Wir wollten auf “Scurrilous” auch mal etwas wiederholen, und hatten dabei immer den Song an sich im Kopf. Wir haben dann eine Möglichkeit gefunden, manche Dinge auch mehrfach in einen Song einzubauen, aber jedesmal, wenn wir eine Idee erneut aufgreifen, haben wir sie minimal verändert. So geben wir dem Hörer genau so viel von einem bestimmten Teil des Songs, dass er sich darin einfinden kann, aber wir wiederholen das nicht bis zum Gehtnichtmehr. Wenn man diesen einen Part im Kopf behält und noch einmal hören will, dann muss man sich den Song nochmal anhören. (Ah, so funktioniert das – der Verf.).
Wenn ihr ins Studio geht, wie viel Arbeit an den Songs habt ihr da im Vornherein erledigt und wie viel Spontanität ist “erlaubt”? Seid ihr die Perfektionisten, für die man euch allgemein hält?
Dieses Album war so gut wie fertig geschrieben, als wir ins Studio gingen. Wir wussten mehr oder weniger wie jeder Song klingen sollte. Der Teil mit dem Perfektionisten kam dann, wenn etwas nicht richtig klang. Bei den meisten Songs konnten wir unsere Vorstellungen umsetzen, manchmal aber auch nicht, und dann muss man im Studio kreativ sein. Wenn etwas nicht funktioniert, dann gibt es einen Grund dafür, und diesen Grund muss man finden. Und hinterher immer noch mit den Veränderungen zufrieden sein, das ist die Kunst.
Wie lange glaubt ihr, könnt ihr diese herausfordernde Musik noch spielen, und am Wichtigsten: Wie könnt ihr noch besser werden?
Für mich geht es darum, reifer zu werden. Jedes Album fängt einen Abschnitt in der Karriere einer Band ein und wenn wir an der nächsten Scheibe arbeiten, versuchen wir nicht,, den Vorgänger zu übertreffen, sondern denken an das, was wir bisher noch nicht gemacht haben. Ich kann noch viel lernen als Gitarrist, und für mich ist es eine ständige Herausforderung, verschiedene Spielweisen zu erlernen. Ich weiß, was ich nicht kann und wo ich mich verbessern kann, und bei den Anderen aus der Band ist es genauso. Wir möchten uns an unseren Instrumenten verbessern, dadurch werden wir reifer, und das Ergebnis klingt immer wie PROTEST THE HERO, allerdings ein bisschen anders als vorher.
Danke für das Inteview, alles gute für die Zukunft und ich hoffe, ihr kommt bald wieder nach Deutschland.
Deutschland war immer großartig zu uns und wir kommen irgendwann in diesem Sommer in dein tolles Land.