Pripjat
Söhne Tschernobyls - Interview mit Kirill Gromada und Eugen Lyubavskyy zum Debütalbum

Interview

Pripjat

Thrash Metal wird bei der Kölner Band PRIPJAT großgeschrieben – wie ihr Debüthassbatzen „Sons Of Tschernobyl“ deutlich zeigt: Da gibt es messerscharfe Riffs, coole Songs, passende Texte gepaart mit Spielfreude und einem Hauch Unbekümmertheit. Klar, dass wir die beiden Gitarreros Kirill Gromada und Eugen Lyubavskyy zum Interview bitten mussten – darin äußern sie sich nicht nur zur thematischen Ausrichtung des Albums, sondern auch zu Plastikkettensägen, Sex mit Gitarren und dem Mysterium übernatürlicher Partyfähigkeit. Aber lest selbst!

Grüßt Euch, Jungs! Ihr werdet am Valentinstag Euer Debütalbum „Sons Of Tschernobyl“ veröffentlichen. Wie fühlt Ihr Euch gerade, wo die Aufnahmen abgeschlossen und die Platten und CDs aus dem Presswerk gekommen sind und Ihr Promo für das Album macht?

Eugen: Fantastisch. Es ist für uns alle die erste richtige Veröffentlichung. Da passiert so vieles im Moment, es ist einfach aufregend. Außerdem ist es auch die beste Phase für einen Musiker – die Kleinkriege um die Riffs im Proberaum sind alle ausgetragen – die Band hat gewonnen. Wir genießen das Feedback, welches bisher 100 % positiv war. Das wird hoffentlich nicht so bleiben! 🙂 Jemand muss uns scheiße finden, sonst wird das nie was.

Kirill: Ich hätte persönlich einfach nie gedacht, dass es soweit kommt, aber das Gefühl, sein Werk in der Hand zu halten, ist einfach überwältigend. Ich bin Stolz wie ein Vater!

Habt Ihr irgendeine Erwartungshaltung dahingehend, wie das Album rezipiert wird?

Eugen: Klar – es muss Ärsche treten! Wer auf Thrash Metal steht, muss schon taub sein, um wenigstens einigen unserer Songs nichts abgewinnen zu können. Aber es ist trotzdem so, dass man als Künstler bei der Veröffentlichung jegliche Kontrolle über die Rezeption seines Werks verliert. Das ist jetzt euer Album – macht damit, was euch Spaß macht. Ich empfehle Headbanging.

Kirill: Da kann ich mich nur anschließen.

Vorab zum Albumtitel: Warum eigentlich „Sons Of Tschernobyl“ und nicht „Sons Of Chernobyl“, wie die offizielle Schreibweise im Englischen wäre?

Eugen: Ach, ist doch alles Lautmalerei. Das ist ein ukrainisches Wort – wie auch immer man es transkribiert – es ist immer nur eine Annäherung. Und unsere gefiel uns am besten. Wir Ukrainer dürfen das! 🙂 Da ein Übersetzungsbeamter bei der Bearbeitung meiner Auswanderungspapiere vor 17 Jahren einen komischen Tag hatte, sind in meinem Nachnamen nun drei Ypsilons. Und noch eines in meinem Vornamen. Im Ukrainischen gibt es diesen Buchstaben gar nicht. In diesem Sinne – danke, du Arschloch!

Haha, vielleicht liest er es ja! Wie man unschwer hören kann, spielt Ihr Thrash Metal, und offensichtlich habt Ihr eine Vorliebe für KREATOR („Destruction Manifesto“) und SLAYER („Sons Of Tschernobyl“). Gibt es eine Gruppe, die Euch als Band am meisten geprägt hat?

Eugen: Da wird dir jeder von uns was anderes erzählen. Das macht PRIPJAT auch aus – wir nehmen alles, was uns im Thrash begeistert, werfen es zusammen und genießen die Mische. Wir sagen auch nie – jetzt schreiben wir einen SLAYER-Song. Uns fehlt beim Schreiben höchsten mal auf, dass wir gerade unbeabsichtigt klauen. Dann ändern wir ein paar Sachen. Aber ganz ehrlich – wenn wir uns hier und da mal vor unseren Vorgängern verbeugen, ist das doch cool. Der Gedanke bei PRIPJAT war es, puren Thrash zu spielen. Wir bauen also weder Black- noch Death-Metal-Riffs ein. Obwohl ich das bei vielen Bands geil finde (SKELETONWITCH, REVOCATION). Bei dieser Einschränkung sollte es eigentlich keinen wundern, dass wir ab und an an die „Großen“ erinnern. Bisher hat sich aber auch keiner wirklich beschwert.

Kirill: Du musst es so sehen: PRIPJAT ist ein ganz großes Dankeschön an die wundervolle Musik, die uns die großen Jungs geschenkt haben. Und jetzt mal ganz ehrlich, wer rifft nicht gerne mal wie Mr. King, Mr. Petrozza oder Mr. Mustaine? 😉

In „Born To Hate“ ist anfangs ein Sprachsample zu hören: Wer ist da zu hören, und worum geht’s in dem Song?

Eugen: Das erzählt am besten der Overkirill, da er den Text dazu geschrieben hat. Den Anfangssample habe ich bei YouTube ausgebuddelt.

Kirill: Der Sample am Anfang ist der berüchtigte Serienmörder und Sektenanführer Charles Manson. Ich habe schon immer eine Sympathie für Verrückte gehabt und wollte auch schon immer mal über so jemanden schreiben. Der Song handelt um genau solche wahnsinnige Charaktere, die geboren wurden, um zu hassen.

Der Song „Liquidators“ handelt von den sogenannten Liquidatoren, die im explodierten Reaktor in Tschernobyl die strahlenden Trümmer weggeräumt haben. Deren Schicksal fasst Ihr (in der Ich-Form) mit den Zeilen zusammen: „40 seconds of glory – and then we die!“ Ganz schön krass …

Eugen: Ja, das ist einer meiner Lieblingstexte. Der Song entstand in unserer ersten Probe – da gab es weder einen Namen für die Band noch einen Bassisten. Wir haben auf das Riff gejammt und uns angegrinst – das war der Startschuss für all diesen Spaß. Die Lyrics sind meine Art, den Liquidatoren Danke zu sagen. Diese Menschen haben völlig selbstlos ein Todesurteil unterschrieben, indem sie auf das Dach des Reaktors liefen, eine Schippe Schrott hinunterwarfen und wieder runter rannten. Das hat schon für das Ende gereicht. Die erste Welle starb wenige Tage später auf eine furchtbare Weise. Viele wussten natürlich nicht einmal, welche Gefahr das war. Aber die meisten konnten sich das schon denken.

Ohne diese Männer, wäre Europa heute um einiges „strahlender“. Als Dank gab es eine Medaille und einen feuchten Händedruck mit einer lächerlichen Geldprämie. Es waren viele Zehntausende beteiligt. Als ich vor einigen Jahren in Kiew war, bekam ich eine Demonstration der heute noch lebenden Liquidatoren mit – die Regierung hat ihnen die Vergünstigung auf die öffentlichen Verkehrsmittel gestrichen. Aus dem Auge – aus dem Sinn. So sind wir Menschen nun mal. YouTube ist da übrigens sehr ergiebig – egal wie man Tschernobyl schreibt 😉

Welche Bedeutung hat das Reaktorunglück für Euch persönlich?

Eugen: Eine sehr persönliche. Einen Monat vor meiner Geburt ist das Ding hochgegangen. Meine Ma ist deswegen nach St. Petersburg geflohen, und da kam ich auch zur Welt. Das AKW hat mich schon im Mutterleib geprägt. Aber es gibt auch Vorteile – ich habe übernatürliche Partyfähigkeiten erworben. Aber im Ernst – das Thema beschäftigt mich heute noch sehr. Ich hatte oft Träume, in denen ich durch Strahlung sterbe. Ein sehr gruseliges Gefühl. Wenn wir durch unsere Musik das Thema wieder etwas präsenter mache, bin ich froh. Aber wir sind keine politischen Aktivisten. Wer mit uns nur feiern will, sollte das unbedingt tun!

Kirill: Meine Schwester, Eugen und auch ich sind sogenannte „Chernobyl Kinder“. Ich bin etwas jünger als der liebe Party-Eugen, aber ich gehöre zu der Generation, die quasi in dieses Umfeld reingeboren wurden. Ob mir irgendwann eine Tentakel aus dem Arsch wachsen wird, weiß ich nicht. Meine Schwester leidet bis heute an gewissen gesundheitlichen Schwierigkeiten nach diesem Unglück. Kurz gesagt: es ist irgendwie immer präsent, und man hat immer im Hinterkopf dass die Geschichte Auswirkungen auf einen haben könnte. Bis dahin riffe ich, rauche meine Zigaretten und bereite weitere musikalische Anschläge auf die Welt vor 😉

Den Bandnamen PRIPJAT habt Ihr dem Ort entlehnt, der dem Unglücksreaktor in Tschernobyl am nächsten lag und heute offiziell verlassen ist. Jeder kennt vermutlich die Bilder aus dem Fernsehen von den fluchtartig verlassenen Wohnungen, Schulräumen und dem Rummelplatz. Warum habt Ihr gerade diesen Namen für Eure Band gewählt?

Eugen: Ich hatte eine Liste mit möglichen Namen. In engerer Auswahl stand auch „Nuclear Chainsaw“. Aber dann haben wir bemerkt, dass es in Italien schon eine Thrash Band mit dem Namen gibt (natürlich!). Daraus ist dann ein Song geworden. Die Plastikkettensäge ist unser Bühnenmaskottchen. Den Namen PRIPJAT mag ich sehr gerne – er ist eigenständig, bedeutungsschwer und unverbraucht.

Ich finde, Thrash Metal ist die Stilrichtung im Metal, die am besten geeignet ist, um die radioaktive Bedrohung auszudrücken. Wie seht Ihr das? Und ist Thrash Metal dann eigentlich noch zeitgemäß, wo alle Welt nur noch von Netzsicherheit und Abhörskandalen spricht?

Eugen: Ich schreibe gerne politische Texte. Das ist meine Art, den ganzen Müll zu verarbeiten, mit dem man täglich zugeballert wird. Und Thrash ist eine aggressive Musik – das passt also perfekt. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass wir eine politische Band sind. Wer uns kennt, weiß, dass wir eigentlich Metalhippies sind. Musik ist unser Leben, und das Leben ist schön, trotz allem. Wir machen das hauptsächlich, weil es uns Spaß macht. Wir tun uns auch mit dem Bösegucken ziemlich schwer 🙂 Was die Aktualität angeht – Strahlung ist sehr geduldig. Skandale sind doch schon morgen vergessen. Aber unser Versagen auf der atomaren Ebene – das bleibt auch ohne Nachrichtenpräsenz.

Kirill: Klar, die Hochzeit des Thrash war in den 80ern aber es gibt immer noch einen Haufen Thrash Metal-Bands. die wirklich modernen Kram spielen (z.B. HAVOK) die einen heute noch umhauen.

Wofür steht der Begriff Thrash Metal für Euch?

Eugen: Es ist wilde, adrenalingeladene Musik, die auf die Bühne gehört! Ich kann dir gar nicht so genau sagen, welche Elemente genau das Entschiedene sind. Der „tuka-tuka-tuka“-Beat auf jeden Fall. Und Soli! Viel zu wenige Bands spielen sie heutzutage noch. Oder brauchen für das Schreiben einen Taschenrechner. Thrash ist einfacher gestrickt und ist einfach eine schön authentische Richtung. Ich mag es, dass ich mich einfach einstöpseln und losbrettern kann. Kein Imagegehabe, keine Schminke, keine „Rituale“.

Kirill: Thrash hat für uns dieselbe Bedeutung wie für unsere alten Helden. Thrash ist schnell, kompromisslos und asi!

Wie seht Ihr die gegenwärtige Situation in der Ukraine, die ja derzeit in der Medienberichterstattung durch die Gegensatzpaare Regierung/Opposition, Janukowitsch/Klitschko und pro-russisch/pro-westlich geprägt ist?

Eugen: Da habe ich mir schon viele Gedanken zu gemacht und sogar ein kurzes Interview bei Funkhaus Europa dazu gegeben. Ich skype auch regelmäßig mit meinem Dad und meiner Tante – beide wohnen in Kiew. Ich bin sehr angetan von den Ukrainern – sie sind lange geduldig, aber wenn sie mal angepisst sind, dann richtig. Bei Europa bin ich aber sehr skeptisch. Man muss sich immer fragen – wem nützt das? Die Ukraine ist für unsere Wirtschaftsbosse und somit auch die Politiker nur ein weiterer unerschlossener Markt, den man gerne von Russland abkoppeln und zu sich holen würde. Damit sie dann auch Coca Cola trinken und Monsanto Gen-Gift anbauen. Die Menschen in Kiew kämpfen um Grundrechte, nicht für Europa.

Nochmal kurz zurück zur Band und Euch als Gitarristen: Habt Ihr da einen Favoriten?

Eugen: Für mich ist der Song wichtig. Lieblingsgitarristen habe ich nicht. Diese ganzen Virtuosen gehen mir am Arsch vorbei. Ich hab auf einem Festival mal in einen YNGWIE MALMSTEEN-Gig reingeschaut – was für eine Scheiße! Wieso setzt sich der Typ nicht einfach alleine auf die Bühne und holt sich vor dem Spiegel einen runter?

Kirill: Also ich finde so einige Gitarristen geil, aber so wirklich ein Idol oder ähnliches habe ich nicht. Ich konzentriere mich eher darauf wer der geilere Songwriter ist. Obwohl – wenn ich ein zweites Mal darüber nachdenke – würde ich sagen, dass Marty Friedman (ex-MEGADETH) wirklich, wirklich sexy spielt 😉 Hört euch „Tornado Of Souls“ und „Lucretia“ von der „Rust In Peace“ an. Der Mann und seine Gitarre haben wirklich wundervollen Sex.

Zuletzt eine Frage zu Euren Liveaktivitäten: Wieviele Auftritte liegen hinter Euch und was bedeutet es für Euch, den Proberaum zu verlassen und live zu spielen?

Eugen: Live bedeutet alles! Wir nehmen jeden Gig an, ob unter einer Brücke oder auf einem Festival. Auf der Bühne zu rocken ist für mich der Grund, in einer Band zu spielen. Wir haben schon an die 30 Gigs gespielt. Im April gehen wir für zwei Wochen auf Tour. Hauptsächlich Deutschland, aber auch Österreich und Tschechien. Das wird der Wahnsinn – kommt vorbei uns überzeugt euch selbst!

Kirill: Wenn ich Live auf der Bühne stehe, vergesse ich mich selber und in meinem Kopf schwirrt nur „Born to Hate … I was born to FUCKING HAAAAAAAAAAAAAAAAATEEEE!“ 😉

Das war’s auch schon! Wollt Ihr noch was loswerden?

Eugen: Vielen Dank für das Interesse! Bleibt heavy, bleibt interessiert, glaubt niemandem 😉

Kirill: Tom Araya for President!

10.02.2014

- Dreaming in Red -

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