Porta Nigra
Interview zu "Weltende"
Interview
Mit „Weltende“, ihrem bisher vierten Album, setzen sich PORTA NIGRA ganz groß in Szene. Bandkopf Tobias war bereit, ein paar Fragen zur Veröffentlichung zu beantworten und ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Ihr lest hier das ungekürzte Interview.
Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album „Weltende“. Wie fühlst Du Dich mit der Umsetzung und dem Ergebnis?
Hallo! Erstmal freut es mich, dass wir nach 10 Jahren mal wieder ein Interview zu PORTA NIGRA [für metal.de, Anm. d. Verf.] machen können.
Dieses Mal hatte ich einen Haufen sehr motivierter und talentierter Leute mit an Bord. Wir alle wollten das beste PORTA NIGRA-Album machen, zu dem wir derzeit in der Lage sind. Ein Klischee, aber so war es.
Es wirkt wie eine Klammer um unser bisheriges Schaffen und hat Elemente aus allen Phasen der Band. Also der schroffe, etwas verwirrende Stilmix der ersten beiden Alben, aber auch hin und wieder Black-Metal-Elemente, denn das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin.
Ihr habt wieder bei Markus in der Klangschmiede Studio E aufgenommen. Hat sich das bewährt? Wie lief die Zusammenarbeit?
Ich bin großer BETHLEHEM-Fan, vor allem von dem „Mein Weg“-Album. Daher wollte ich mit Markus zusammenarbeiten, denn er versteht auch „sonderbare“ Bands. Wir hatten in der Vergangenheit immer das Problem, dass in professionellen Studios die Meinungen zum Sound sehr vorgefertigt waren. Also Du hast einen Punk-, Metal- oder was auch immer Produzenten, der sich selbst nicht selten auch als Künstler sieht und nicht als jemand, der helfen sollte, eine Vision zu verwirklichen. Deswegen war beispielsweise Pytten (Grieghallen) meiner Meinung nach so erfolgreich, weil er die Kids, die in sein Studio gekommen sind, ernstgenommen hat. So hat er nebenbei Musikgeschichte geschrieben. Früher bei MEMBARIS haben wir immer ABIGOR-Platten mit ins Studio genommen und wurden ausnahmslos mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid angeguckt.
Zurück zu Markus: Er ist einer der ganz wenigen auf diesem professionellen Level in Deutschland, der versteht, wie man es machen kann. Er hatte sofort einen Old-School-Death-Metal-Klang im Sinn, mit sehr natürlichen und wenig bearbeiteten Marshall-Sounds. Dann habe ich so lange genervt, bis wir zu dem Ergebnis gekommen sind, das wir jetzt haben. Zwischendurch gab es Bier und viele Anekdoten aus drei Jahrzehnten im extremen Metal. Es war nicht langweilig.
„Weltende“ wirkt insgesamt wieder um einiges wütender als der Vorgänger „Schöpfungswut“. Wie würdest Du das beurteilen?
Objektiv betrachtet stimmt das so nicht, weil der Vorgänger mehr Blast-Beats hatte und „Weltende“ auch mit vielen langsamen, groovigen und atmosphärischen Passagen daherkommt. Aber der Gesang ist möglicherweise wütender. Ich kann das kaum beurteilen. Ich denke auch nicht in solchen Kategorien. Da sich PORTA NIGRA in der Peripherie von „extremen“ Metal abspielt, kann man sicher sagen, dass es aggressive Musik ist.
„Weltende“ ist die erste Platte mit neuem Drummer und die zweite Platte mit Sänger André. Inwiefern hat sich das auf den Erschaffungsprozess und die Umsetzung ausgewirkt?
Dazu hole ich etwas aus. Thomas, mein bester Freund und langjähriger Mitstreiter an Drums und Vocals, ist ein Black-Metal-Freak. Der hat diese Musik im Blut. Nach „Kaiserschnitt“ habe ich Material geschrieben, das noch viel mehr in diese Richtung geht und mit Black Metal eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Ich habe gemerkt, dass er bei den Proben und der Vorproduktion keine große Lust hatte, die Songs zu spielen. Also habe ich das Zeug auf Eis gelegt, denn man kann niemanden zwingen etwas zu spielen, was er nicht mag. So ist dann „Schöpfungswut“ entstanden, quasi als ein Kompromiss zwischen uns. Danach ist er ausgestiegen, um sich voll MEMBARIS zu widmen. Das hieß für mich, dass ich mit einem neuen Drummer wieder völlig frei war und machen konnte, was ich wollte. Jöschu Käser aus der Schweiz ist ein Tier, nicht nur an den Drums, und ich verdanke es ihm, dass es das Album überhaupt gibt. Mit Andi war die Arbeit wie vorher auch. Er ist sehr verlässlich und setzt ebenfalls hohe Standards für sich.
Thematisch geht es erneut in die Abgründe, die der erste Weltkrieg geschaffen und hinterlassen hat. Die Affinität zu dieser Epoche besteht ja von Anfang an. Aus welchem Aspekt hast Du dieses Mal die Texte geschrieben? Warum hat dieses Zeitalter so eine tiefe Bedeutung für Dich?
Es ist genau genommen kein Album über den Krieg, sondern eine Hommage an die Expressionisten dieser Zeit. Heym, Trakl, Hoddis und andere. Der Expressionismus an sich ist schon sehr düster, schizophren und grenzüberschreitend. Wenn man sich aber überlegt, dass viele dieser jungen Dichter in sehr jungen Jahren auf den Schlachtfeldern von Belgien und Frankreich elendig krepiert sind, teilweise noch mit dem Stift in der Hand, gibt das ihren Texten nochmal eine extra Dimension menschlicher Abgründe. Das wollte ich in einem Album verarbeiten.
Warum genau diese Epoche so einen nachhaltigen Einfluss hat, kann ich gar nicht so genau sagen. Es gab damals sicherlich viel Reibung, viel Umbruch. Ideologien haben sich herausgebildet und große Katastrophen nahmen ihren Weg. Nicht der schlechteste Stoff für eine dramatische Erzählung in Verbindung mit extremer Musik.
Gibt es eine besondere Verbundenheit Deinerseits zu dieser Epoche? Siehst Du da einen roten Faden, der sich durch alle Veröffentlichungen zieht? Wird es textlich in dieser Richtung weitergehen?
Ich habe in Bamberg deutsche Literatur studiert. Jeder, der die Stadt kennt, weiß, dass sie eine magische Ausstrahlung hat. Die Zeit war auch deswegen besonders, weil ich in Verbindung gekommen bin mit vielen obskuren Texten, in denen ich mich regelrecht verloren habe. Fin de Siècle, Dekadenz-Literatur, Die Kosmiker, Kleist, Schwarze Romantik etc. waren der perfekte Stoff in Verbindung mit meinen musikalischen Vorlieben Dark Ambient, Industrial und Black Metal. Wenn ich heute an diese Zeit denke, scheint das wie ein Traum. Was ich gelernt hatte, konnte ich aber kaum im realen Leben nutzen. Als ich MEMBARIS 2011 verlassen habe, um ein eigenes Projekt zu starten, wollte ich endlich all diese Quellen nutzen, um sie in meiner Musik zu verarbeiten.
Also mein Faible für diese Zeit kam über die Literatur. Ich bin definitiv kein Kriegs-Freak, der hundert Bücher zu dem Thema im Schrank stehen hat.
Häufig sind es schlicht die Worte, die mich faszinieren. Beispiel Kosmiker-Kreis: Ein obskurer Geheimbund aus München um die Jahrhundertwende. Eigentlich kann man die Ideen dieser wirklich wahnsinnigen Leute gar nicht ernst nehmen, aber Ihre Sprache hatte eine ganz besondere Durchschlagskraft. Da tun sich gewaltige Bilder in meinem Kopf auf und ich will dann Musik dazu schreiben.
Mir ist absolut bewusst, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die damit etwas anfangen können.
Die Texte sind weiterhin in deutscher Sprache gehalten. Siehst Du Euch da noch einmal etwas anderes ausprobieren?
Sag niemals nie, aber ich glaube, ich könnte meinen eigenen Stil niemals in Englisch rüberbringen. Mein Gefühl sagt mir, PORTA NIGRA wird weiterhin deutsche Texte haben.
Deine Texte sind sehr bildhaft, metaphorisch, aber auch profan, blutig und ausdrucksstark. Hast Du hier Deinen ganz ureigenen Weg gefunden auch Elemente von Künstlern wie Trakl, Heym oder Benn zu verarbeiten, um daraus für PORTA NIGRA etwas ganz Individuelles zu machen? Die Texte sind inhaltlich nicht immer direkt verständlich, sondern zielen viel auf die Wirkung beim Hörer. Bestes Beispiel: Ein Song wie „Triebgeschwärme“, der trotz seiner Bildhaftigkeit sehr viel Raum für Interpretationen lässt. Hast Du das bewusst so umgesetzt?
Ich bin nicht der Typ, der über seine Gefühle oder Alltagsdinge schreibt. Das wäre mir zu direkt und profan. Es gibt aber insbesondere auf den ersten beiden Alben durchaus Texte, die sehr konkrete Dinge beschreiben. Ich nenne mal „Megalomaniac“, „Der Spiegel“, „Femme Fatal“, „Die Mensur“ oder „Hepatitis Libido“. Dass die Texte abstrakter geworden sind, teile ich mit Dir. Das ist vielleicht eine Abwehrhaltung, weil ich mich nicht komplett seelisch ausziehen will. Meine Freunde beispielsweise wissen sehr genau, was hinter „Fin de Siècle“ steht. Sehr reale Dinge.
Dass „Weltende“ abstrakter ist, liegt eventuell auch an den Quellen, die ich für dieses Album genutzt habe. Wobei ich Lyrik mag, die zwar verschroben ist, aber immer auch einen Bezug zu etwas Realem hat. Ich schätze beispielsweise den frühen Gottfried Benn mehr als den späteren. Die „Morgue“ wirkt eindringlicher auf mich, weil es reale Geschehnisse schildert. „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“. Da läuft es mir kalt den Rücken runter. Natürlich hat Benn als praktizierender Arzt hier ein echtes Erlebnis geschildert.
Nicht zu unterschätzen ist sicher auch der Einfluss von gewissen Bands wie TOTENMOND, BETHLEHEM oder ganz alte DAS ICH.
In den einzelnen Songs habt Ihr viele deutschsprachige gesprochene Parts eingestreut, die sehr gut ins Gesamtbild passen. Kannst Du uns dazu ein wenig mehr erzählen? Woher stammen die Zitate/Textzeilen? Wer hat sie eingesprochen?
Das Problem beim Expressionismus ist, dass diese Epoche so lange zurückliegt und es kaum brauchbare Tondokumente gibt. Ich wollte aber unbedingt wieder in diese Richtung gehen, ähnlich wie bei „Kaiserschnitt“. Vielleicht spielt hier auch mein Faible für alte MINISTRY mit rein.
Die meisten Samples stammen von Oskar Werner, dem bekanntesten und wohl auch besten österreichischen Schauspieler seiner Zeit. Werner hat einige expressionistische Texte auf dem Festival „Gedichte gegen den Krieg“ in einer Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1981 gesprochen. Er war bekannt dafür, dabei regelrecht auszurasten. Ähnlich wie Kinski. Perfekter Stoff für mein Album. Beim Zwischenstück „Bestienschlund“ hört man Gottfried Benn, wie er sein eigenes Gedicht „Verlorenes Ich“ rezitiert. Mit unnachahmlicher Kälte und Melancholie.
Mit dem Cover habt Ihr Euch dieses Mal für ein Werk von Käthe Kollwitz entschieden, welches zum Beispiel auch bereits von Bands wie PANZERFAUST verwendet wurde. Hat das Bild oder die Künstlerin eine besondere Bedeutung für Euch, gerade auch in Zusammenhang mit „Weltende“?
Ursprünglich wollte ich von Otto Dix „Selbstbildnis als Mars“ verwenden. Das perfekte Bild, gemalt wenige Tage vor seinem Antritt zur Front. Leider ist das Gemälde nicht frei verfügbar und man muss einen bürokratischen Spießrutenlauf ableisten, um an die Nutzungsrechte zu kommen, die am Ende einfach zu teuer für mich waren. Ich finanziere PORTA NIGRA komplett alleine und war nach den Aufnahmen finanziell am Ende. Ich konnte das nicht mehr bezahlen. Die zweite Wahl war Käthe Kollwitz. Ihre Bilder liegen in der Public Domain und wir waren eigentlich sehr glücklich mit dem Ergebnis. Bis wir das Album angekündigt haben und die Leute meinten, dass das Cover schon mal verwendet wurde.
Wir wussten das nicht. Niemand, der daran gearbeitet hat, wusste es. Das war ein heftiger Schlag in die Magengrube, denn uns ist eine exklusive Darstellung bei PORTA NIGRA immer extrem wichtig. Wir sind beim ersten Album beispielsweise extra nach Paris geflogen, um Bandfotos in einer Wohnung zu machen, die original so eingerichtet war wie vor 100 Jahren, um diesen „Fin de Siécle“-Vibe einmal möglichst authentisch zu erleben. Jean von Metaztasis hat uns originale Klamotten aus der Zeit organisiert. Bei „Kaiserschnitt“ haben wir nach langen Verhandlungen eine Fotosession bei einer schlagenden Verbindung gemacht, einfach um in diese Welt einmal einzutauchen und nicht einfach „nur“ Songs darüber zu schreiben. Schlagende Verbindungen sind sowas wie Geheimbünde. Die wollen keine Besucher und schon gar keine Bands, die Fotos bei ihnen machen. Ich habe über ein Jahr daran gearbeitet, dass wir diese Möglichkeit bekommen. Was ich damit sagen will: Es spielt sich viel im Hintergrund ab und wir wollen in die Atmosphäre des jeweiligen Albums wirklich eintauchen, weil ich glaube, dass sich das auszahlt. Für das Cover von „Schöpfungswut“, das in der Metal-Szene äußerst schlecht ankam, habe ich ein Vermögen ausgegeben.
Wenn es jetzt Leute auf Social Media gibt, die meinen wir hätten das Cover von „Weltende“ gestohlen, dann ist das schlicht Unsinn. Es waren ein paar scheiß Tage. Das Label war sauer. Meine Kollegen waren enttäuscht und nicht zuletzt war ich einfach nur niedergeschlagen. Aber jetzt bin ich drüber hinweg.
Wie arbeitet Ihr generell bei PORTA NIGRA an einem neuen Album? Kommt das eher von einer treibenden Kraft oder einem Kollektiv?
Die treibende Kraft bin ich und ich schätze mich sehr glücklich, dass es talentierte Leute gibt, die offenkundig Lust haben, sehr viel Arbeit da reinzustecken, meine Ideen lebendig werden zu lassen. Alleine könnte ich es nicht.
Bist Du selbst tief in der Metalszene verwurzelt und siehst Dich auch heute noch genau dort verortet oder gibt es noch weitere Einflüsse?
Zu meiner Zeit bei MEMBARIS, immerhin 13 Jahre, war ich mehr involviert, weil wir ja auch live gespielt haben. Ich erinnere mich an Gigs mit SAMAEL, SHINING, SECRETS OF THE MOON, ANTAEUS … Der ganze Krempel, der damals angesagt war. Nicht so mein Ding.
Ich war in meinem Leben auf vielen Konzerten und kenne zumindest die lokale Szene hier einigermaßen gut, alleine aus dem Grund, weil mir viele aushelfen und irgendwie bei PORTA NIGRA involviert sind.
Ich muss aber sagen, dass ich nie wirklich ein echter Black-Metal- oder Metal-Typ war. Ich hatte nie lange Haare oder eine Kutte oder dergleichen. Heute bin ich ziemlich isoliert, gehe kaum noch auf Konzerte und habe eigentlich nur zu meinen Freunden und Jorn von Soulseller Kontakt.
Was musikalische Einflüsse angeht: Ich bin sehr offen und höre sehr viele unterschiedliche Sachen. Meine absoluten Lieblingsbands sind wohl KRAFTWERK, KILLING JOKE, BLACK SABBATH, ELEND, TOTENMOND und DODHEIMSGARD. Wie Du siehst, alles sehr unterschiedlich. Ich glaube ich bin schnell gelangweilt und könnte niemals nur Death Metal hören zum Beispiel. Vielleicht klingt PORTA NIGRA auch deswegen teilweise etwas schizophren.
Ihr veröffentlicht jetzt bereits die zweite Platte auf Soulseller. Wie fühlt sich die Zusammenarbeit an? Seid Ihr da gut aufgehoben?
Sowohl Debemur Morti als auch Soulseller sind für eine eher kleine Band wie PORTA NIGRA absoluter Luxus. Da kann ich mich nicht beschweren. Jorn ist ein „No-Bullshit“-Typ. Nicht rumlabern, einfach machen. Das gefällt mir.
PORTA NIGRA war von jeher eine Projektband – denkst Du das wird sich irgendeinmal ändern und Ihr stellt da etwas auf die Bühne? Wie geht es nach Veröffentlichung und Promotion der Platte weiter für PORTA NIGRA? Gibt es da schon Pläne?
Ich habe kein Interesse daran live zu spielen. Ich arbeite am fünften Album. Was die Promo angeht: Das macht mir ehrlicherweise ein bisschen Angst, denn alles findet heute digital statt und es gibt diese unglaubliche Masse an Veröffentlichungen. Ich hoffe, dass auch das fünfte Album als CD und LP veröffentlicht werden kann, denn nur digital würde sich für mich komisch anfühlen. Ich kaufe Musik immer physisch. Irgendwie lohnt es sich doch am Ende. Man hört es anders.
Vielen Dank für eine atemberaubende Platte, die weiterhin fordert und hoffentlich auch bald kräftig auf dem Plattenteller dröhnt. Alles Gute für Euch! Hast Du noch etwas, das Du loswerden möchtest?
Danke für das Interview und hört mal in die neue Platte rein.