Pierce The Veil
Uns ist die Flucht geglückt
Interview
Mit „The Jaws Of Life“ haben sich PIERCE THE VEIL etwas mehr Zeit gelassen. Für die einstigen Emo-Core-Hardcorer war die Pandemie eine harte Klatsche, die die Band in ihren Grundfesten erschütterte aber auch dafür sorgte, dass sie die Dinge von anderen Seiten betrachten konnten und dies sich ebenfalls in den unterschiedlich gestrickten Songs der neuen Scheibe widerspiegelt. Fast so, als wolle man nach all den Down-Phasen jetzt demonstrativ zeigen, welche Bandbreite die Band noch zu bieten hat. Fast so, als wolle man zeigen, dass PIERCE THE VEIL nicht einfach noch da sind, sondern auch, dass es zu früh wäre, zu glauben, diese Band hätte sich genug ausprobiert. Warum PIERCE THE VEIL mit „The Jaws Of Life“ nicht nur Zähne zeigen, sondern auch Tracks bieten, die sich nicht so einfach kategorisieren lassen, über all das haben wir mit Jaime Preciado (Bassist und Background-Vocals) gesprochen. Das Interview könnt ihr auch als Video auf unserem You Tube-Channel finden.
Warum PIERCE THE VEIL sechs Jahre gebraucht und vielleicht auch benötigt haben:
Das war definitiv so nicht geplant. Normalerweise ist es bei uns so, dass wir zusammenkommen, uns über die neuen Songs, die neuen Ideen austauschen und daran anfangen zu arbeiten. Aber es sind viele Sachen in der Vergangenheit passiert. Die Pandemie, zum Beispiel, hat uns fast drei Jahre zurückgehalten. Und wir waren schon an dem Punkt mit den Arbeiten an neuen Sachen zu beginnen, als quasi bei der ganzen Welt auf „Stop“ gedrückt wurde. Also haben wir ebenfalls gestoppt und haben Abstand davon genommen, um herauszufinden, was wir eigentlich machen wollen. In der Zeit der Pandemie gab es viele Bands, die gerade dann besonders kreativ wurden und viele Sachen schrieben und produzierten. Für uns, für PIERCE THE VEIL, war es ganz anders. Für uns fühlte sich es an, als würden wir feststecken.
Wir haben über Zoom-Meetings Kontakt gehalten, versucht an den Songs weiterzuarbeiten, aber das waren nicht WIR. Nicht beieinander sein zu können war ziemlich hart für uns. Es ist viel passiert in den letzten Jahren. Wir haben alle geheiratet, unser Leben haben sich alle geändert. Ich denke diese Zeit war ein guter Zeitraum, um sich darüber klar zu werden, wo wir mit dieser Band hin wollen, was wir mit dieser Band wollen. Und jetzt, als wir wieder anfingen miteinander zu arbeiten, die Termine fürs Studio standen, war es, als würden wir wieder komplett von vorne anfangen, als wenn PIERCE THE VEIL eine neue Band wäre. Uns war sehr schnell klar, dass wir dieses Mal mit der Musik alles machen wollen, was wir immer schon probieren wollten. Unglücklicherweise hat es jetzt so viel Zeit gebraucht, aber wir haben diese Zeit gebraucht. Wir fühlen uns aktuell einfach wie eine brandneue Band. Wir fühlen uns wie Newcomer.
Über Schreibblockaden und das Gefühl im eigenen Kopf gefangen zu sein:
Sicherlich hat uns die Pandemie, und das Gefühl, was es mit sich brachte uns für einige Songs geholfen. ABER! Wir sind uns so nah und das wir uns dann in dieser Zeit nicht sehen konnten, das war einfach sehr hart für uns. Wir sind eine Band, die zusammen hockt und gemeinsam kreativ ist. Wir bereisen die Welt zusammen, wir jammen zusammen, wir gehen zusammen auf die Bühnen. Das war die schlimme Seite daran. Die gute Seite war, dass wir durch diese Zeit realisiert haben, dass wir dieses Zusammensein mit der Band und den Fans so sehr vermissen, dass sich die Freude, dass wir wieder touren können, auf den neuen Songs wiederfindet. Wir diesen Vibe darin vermitteln.
With a little help from my friends/ fans:
Wir haben fast vergessen, wie es sich anfühlt vor Menschen zu spielen, wir haben unsere Fans und die Menge so sehr vermisst, diese Live-Situation so vermisst, dass wir während der Arbeiten am Album Fotos von Fans ausdruckten und diese überall im Studio aufhangen, um wieder das Live-Gefühl zurückzuholen und uns daran zurück zu erinnern, warum wir das machen, was wir machen. Genau das ist die größte Belohnung für alles für diese Band: Live spielen zu können.
Über die Frage des Aufgebens:
Wir haben in keiner Sekunde daran gedacht mit allem aufzuhören. Das Thema lag nie auf dem Tisch. Für uns war tatsächlich immer nur die Hauptfrage: Wie wollen wir wieder zurückkommen. Das beängstigende für mich an der ganzen Situation war, dass ich nicht wusste, ob Live-Musik, Live-Shows jemals zurückkommen würden. Das hat mich sehr nervös gemacht. Wir arbeiten in einem Business, wo Menschenmassen notwendig sind. Je mehr Menschen, desto mehr weißt du, dass das was du machst, funktioniert. Es war eine verrückte Zeit. Wir wussten nicht was wir erwarten können. Jetzt waren wir gerade wieder drei Wochen auf Tour, konnten Freunde und Fans sehen und das war einfach nur fantastisch. Wir sind zurück. Besser denn je und bereit die Welt zu bereisen.
Warum „The Jaws Of Life“ anders ist:
Dieses Album ist speziell, wir versuchen viele neue Sachen. Das mag gut oder auch schlecht für den ein oder anderen sein, Aber man kann nie alle glücklich machen. Der Hauptgedanke war, uns mit dem Album glücklich zu machen. Bei den neuen Songs haben wir versucht es etwas reduzierter anzugehen. Die Riffs sind simpel aber kraftvoll, einfacher zugänglich vielleicht. Das ist grundsätzlich überhaupt nicht unser Stil. Normalerweise passiert in unseren Songs immer sehr viel; viele Gitarren, viel Schreien, viel Gesang. Genau. Das waren wir. Aber dieses Mal wollten wir es etwas reduzierter angehen. Vereinfachter. Das macht es vielleicht auch neuen Fans, die uns noch nicht kennen, einfacher Zugang zu diesem Album zu finden.
Tatsächlich war es für uns anstrengender diese schlichteren Songs zu erarbeiten, aber ebenso eine tolle Erfahrung. Wenn du aufhörst neues zu versuchen, kannst du nicht besser werden. Und deshalb haben wir es bei „The Jaws Of Life““ anders versucht.
Bei den Arbeiten haben wir selber auch danach geschaut, was wir früher gut fanden, gehört haben. Wie zum Beispiel der 90er Grunge. In meinem Fall Bands wie DEFTONES, RAGE AGAINST THE MACHINE, die mich sehr beeinflusst haben. Wenn du einen RAGE AGINST THE MACHINE Song nimmst: sehr einfach, sehr eingängig, du weißt direkt worum es geht und diesen Vibe wollten wir für „The Jaws Of Life“. Gleichzeitig war uns wichtig, dass jeder Track seinen eigenen, unterschiedlichen Sound hat. Wir wollen uns entwickeln und wachsen. Also haben wir die guten und schlechten Sachen genommen und sie zusammengemischt um besser zu werden, um weiter zuwachsen.
Die Arbeiten am Album mit Paul Meany:
Mit Paul zusammen zu arbeiten war ebenfalls eine neue Erfahrung und eine neue Sache, die wir mit „The Jaws Of Life“ ausprobierten . Es war das erste Mal, dass wir mit einem Produzenten zusammengearbeitet haben, der ebenfalls ein Künstler ist, also der Leadsänger einer Band. Paul Meany ist ja nicht nur Produzent sondern auch bei MUTEMATH. Eine Band, von der wir absolute Fans sind. Das ist schon anders, mit jemanden zusammenzuarbeiten, der nicht nur Musik produziert (aus technischer Sicht) sondern eben auch der Leadsänger einer Band ist. Das war schon sehr speziell. Wir haben von ihm einiges gelernt und auch einige Kämpfe mit ihm gehabt. Das ging dann hin und her: er wollte es so, wir wollten es so. Also „tanzten“ wir quasi miteinander um am Ende bei jedem Song die Balance zufinden. Wir haben alle voneinander gelernt.
Die Arbeiten als Produzent und Bassist:
Ich mixe und produziere gerne für Local Bands und helfe ihnen ein bisschen. Früher war das alles eine schwierige Angelegenheit. Du musstest jemand in der Musikszene sein, um in ein Studio gehen zu können. Die Zeiten haben sich geändert, ich meine heutzutage kannst du ein komplettes Album in deinem Schlafzimmer aufnehmen. Und das versuche ich den jungen Bands immer wieder bewusst zumachen. Du brauchst nicht viel um gute Musik machen. Heute kannst du das einfach mit einem Laptop machen. Ich helfe den kleinen Bands. Das ist niemals Arbeit für mich, sondern eigentlich eher Spaß. Ich bin immer bereit etwas neues dazu zu lernen. Wenn du in diesem Business denkst, du weisst schon alles, dann machst du etwas falsch. Du musst immer bereit sein etwas dazu zu lernen. Ich meine die Welt hat sich in den letzten 5 Jahren so drastisch verändert, da musst du einfach bereit sein damit Schritt zuhalten.
„The Jaws Of Life“ und das Licht am Ende des Tunnels:
Der Grund, warum wir das Album „The Jaws Of Life“ genannt haben, war der, dass wir das es sich für uns so anfühlte, als wenn die Welt in den letzten, vergangenen Jahren seine Zähne in uns gegraben hatte. Die Welt hatte sich festgebissen, du fühlst dich gefangen und realisierst, dass du nicht flüchten kannst und als sich dann alles wieder besserte war es für uns als wäre uns die Flucht geglückt, wir sind dem zupackendem Kiefer entkommen. Wir fühlten uns wieder gut, konnten quasi die Sonne wieder sehen, positiv denken. Wir fühlten uns wieder gut bei dem Gedanken daran, was uns noch alles in der Zukunft auf uns zukommen mag. Auch wenn die Aufnahmen zum Album nicht immer einfache Zeiten waren, alleine schon weil wir viel experimentierten und auch nicht immer alles so geklappt hat, was wir wollten. Wir waren wieder fähig das Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Der etwas andere Song: „Pass The Nirvana“ :
Dieser Song war der erste Song, der für „The Jaws Of Life““ fertig wurde. Wir haben uns den Song angehört und direkt gedacht: Das wird wild! “Pass The Nirvana“ war direkt eine Nummer, bei der wir nicht warten konnten, sie zu veröffentlichen. Gerade weil der Song so anders ist, konnten wir es nicht abwarten, die Fans damit etwas zu schocken. Es ist ein Post-Pandamic-Track. Viele Sachen, die für uns als Teenager normal waren, konnten diese Kids während der Lockdowns nicht machen: Abschlussbälle, Abschlussfeiern, Parties. All diese Dinge, die du als Teen machst und die so was wie kleine Meilensteine für dich sind, an die du dich für immer erinnerst. Ich meine ich kann mich noch genau an solche Situationen erinnern, aber den Teens in der Zeit wurde diese Erinnerung einfach genommen. Der Song ist sehr aggressiv und sehr anders. Zum Beispiel benötigt einfach nicht jeder Track Schreie und nicht jeder Track benötigt Gesang. Bei diesem Album haben wir jedem Track die Möglichkeit gegeben so zu klingen, wie es sich richtig angefühlt hat. So sind die Songs alle auf ihre Art speziell und besonders.
Die Guilty Pleasure- Sache:
Ok, lass mich überlegen. Was für einen Song höre ich, wenn ich eine gute Zeit haben möchte? FLEETWOOD MAC mit „Dreams“. Ja!! Ich weiß auch nicht, irgendwas an dem Song bringt mich immer dazu gute Laune zu haben. Wenn ich die Drums höre, den Rhythmus… Ja ich weiß nicht. Aber auf jedenfall „Dreams“ von FLEETWOOD MAC.
Wes Borland war der Grund:
Wes Borland war tatsächlich der Grund, warum ich angefangen habe Gitarre zuspielen. Ich wollte immer in einer Nu Metal Band sein. Ich habe mir sehr oft Limp Bizkit-Shows angesehen. Ich liebte seine Performance. Neben der Tatsache, dass Wes ein unfassbar guter Musiker ist, ist er auch ein super Performer und Entertainer. Ich dachte sofort: „Wow, das will ich auch, “ und fing an Gitarre zu lernen. Aber, nein, ich könnte nie der nächste Wes Borland sein. Das scheitert schon daran, dass meine Augen diese farbigen Kontaktlinsen nicht vertragen. Ich meine, ich habe es echt versucht. Viele Male. Aber meine Augen fangen immer direkt an zutränen und werden rot. Ich denke, dass ist eines der Gründe, warum ich es nie in die Nu Metal-Szene geschafft habe…hahahaha.
Letzte Sätze für die metal.de -Leser:
Ein Dankeschön an alle Fans, egal ob ihr uns seit Jahren treu seid oder neu dazukommt. Unser neues Album „The Jaws Of Life“ ist draußen.Ich hoffe wir sehen uns alle spätestens nächstes Jahr live.
Wir bedanken uns bei Jaime Preciado für das Gespräch.