Pharaoh
Die Mächte hinter dem Spiegel – Im Interview mit Matt Johnsen zu “The Powers That Be”

Interview

“The Powers That Be” – Seine Gäste, seine Einflüsse, seine Songs

Erneut habt ihr zwei gastierende Gitarrenvirtuosen auf der Platte, “Chewy” Mongrain von VOIVOD und wieder mal Jim Dofka. Wie ist euer Verhältnis, wie kam es zu dieser Kooperation?

Jim ist genau wie Matt Crooks Teil der erweiterten PHARAOH-Familie. Er ist derjenige, der uns mit Tim bekannt gemacht hat und einer meiner Gitarrenhelden, seitdem ich zum ersten Mal das PSYCHO-SCREAM-Tape, das er mit Tim in den Neunzigern gemacht hat, hörte. Er hat bisher auf jedem PHARAOH-Album ein Solo gespielt; die Frage ist immer nur ‘Welcher Song ist es diesmal?’ Ich liebe dieses Shredding-Gitarrenspiel, aber kann es selbst nicht so gut, also ist es geil, so einen Stunt-Gitarristen wie Jim dazuzuholen.

Seit “The Longest Night” hatten wir pro Album immer einen weiteren Gast-Gitarristen. Dafür versuchen wir immer, jemanden zu finden, den wir alle bewundern und der unseren Songs entgegen kommt. Bisher hatten wir immer Glück, doch diesmal gingen unsere ersten Versuche, jemanden zu akquirieren in die Hose. Als das gesamte Album bis auf ein Gastsolo vollendet war, kontaktierte ich Chewy, von dem ich seit dem ersten MARTYR-Album großer Fan bin. Er sagte sehr wohlwollend zu und lieferte in weniger als einer Woche ein Killersolo ab. Ich musste an ihn denken, als ich sein Quarantäne-Cover von DEATHs “Trapped In A Corner” sah, das er mit Leuten von BEHOLD THE ARCTOPUS, NERVOSA und THE BLACK DAHLIA MURDER aufnahm. Es war wie ein Zeichen von oben: ‘Hey Trottel, wieso kommst du nicht auf Chewy?’ Also bekam ich Chewy! Ich bin einfach ein riesiger Metal-Nerd und es kickt mich ohne Ende, diese Leute auf meinen Alben zu haben.

Welchen Gitarristen hättest du noch gern mit einem Solo auf einem Album, hast es aber noch nicht geschafft, mit ihm (oder ihr) zusammenzuarbeiten?

Ohne Frage Ron Jarzombek. Ich würde gern etwas schreiben, das so verrückt ist, dass ich nicht Rons Talent verschwende. Ehrlich, wenn ich die Wahl zu irgendeiner Musikrichtung hätte, wäre es etwas technisches wie WATCHTOWER oder SPASTIK INK [bei denen Jarzombek spielt – Anm. d. Red.]. Ich bin leider nicht talentiert genug. Aber vielleicht kann ich ein paar Riffs schreiben, die ihn etwas auf Zack bringen.

Wir hätten immer gern auch Buck Dharma von BLUE ÖYSTER CULT an Bord gehabt, es aber nie versucht. Neben Buck Dharma sind Tommy T. Baron von CORONER und Frederick Thordendal von MESHUGGAH weit oben auf unserem Wunschzettel. Ich persönlich hätte auch Andy Summers von THE POLICE tierisch gern mal auf einem meiner Alben. Ich würde gern hören, wie er ein paar seiner schimmernden, jazzigen Akkorde einspielt, die mich im Heranwachsen so beeinflusst haben. Also, wenn wir noch 50 weitere Alben machen können, haben wir echt keine Probleme, potenzielle Gäste zu finden.

Wenn wir mal ein bisschen über die neuen Songs sprechen wollen: Ich mag ein paar neue Vibes zwischen dem klassischen PHARAOH-Material. “Waiting To Drown” ist ein sehr effektiver, berührender Song. Nebenbei, Tim macht auch wieder ein paar erstaunlicher Dinge. Seine Stimme wird einfach immer besser!

Dieser Song hat uns alle überrascht! Chris Kerns war sich zunächst gar nicht sicher, ihn für PHARAOH zu benutzen, weil er so anders ist, als alles, was wir bisher gemacht haben. Es hat nicht viel Arbeit gekostet, ihn das fertige Produkt auf dem Album zu verwandeln. Tim hat eines Nachmittags, als ich gerade arbeitete, an dem Text geschrieben und das Ding dann die ganze Nacht lang eingesungen. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde und wurde einfach weggeblasen, als er anfing mit Singen.

Ich bin immer noch der gleiche Tim-Aymar-Fanboy, der ich schon vor Zeiten war. Seine Stimme hat sich natürlich ein Stück über die Jahre verändert, was nicht verwunderlich ist, da er schon seit etwa 25 Jahren für PHARAOH singt. Wir mögen das aber, wir haben uns ja alle verändert. Wir sind alle als Personen, als Metalfans und als Musiker anders als früher. Wir versuchen zwar, für PHARAOH gewisse Markenzeichen zu erhalten, aber auch deutlich herauszustellen, was uns von den Männern, die wir beim letzten Album waren, unterscheidet. Niemand kann PHARAOH beschuldigen, die immer gleiche Leier abzuspulen.

Ich musste ziemlich heftig lachen, als ich “Freedom” zum ersten Mal hörte. Hast du eine Vermutung, an welche klassische, deutsche Heavy-Metal-Band ich bei dem Song denken musste?

Chris sagte, der Song wäre vom ersten Teil eines obskuren Death-Metal-Samplers der frühen Achtziger beeinflusst, aber für mich klang er eher wie ein X-WILD-Stück. Denken wir an die gleiche Band?

Das ist eine schöne, sehr nerdige Referenz, weil die Band, an die ich dachte, RUNNING WILD ist. (Anm.: X-WILD war ein kurzlebiges Projekt dreier Ex-RUNNING-WILD-Musiker.)

Erteile ich als Amerikaner gerade einem Deutschen eine Lehrstunde des Power Metals? Das hier war der “obskure” Death-Metal-Sampler, von dem ich sprach. Kapitän Adrian [das RUNNING-WILD-Maskottchen – Anm. d. Red.] würde dich für deine Ignoranz kielholen, har har! [Matt schickt mir einen Link zum Metal-Archives-Eintrag des “Death Metal”-Samplers von Noise Records aus dem Jahre 1984, auf dem RUNNING WILD mit zwei Stücken am Anfang stehen. Ich muss zugeben, diesen Witz auf Anhieb nicht kapiert zu haben – Anm. d. Red.]

Chris und ich sind beide riesengroße RUNNING-WILD-Fans und ja, “Freedom” ist eine bewusste, liebevolle Nachahmung des Stils. Das beste RUNNING-WILD-Album ist natürlich “Death Or Glory” und der ganze Run von “Port Royal” bis “Masquerade” ist einfach unverschämt großartig; alles bis “The Rivalry” einfach toll. Als Rolf mit einem Drumcomputer gearbeitet hat, ging alles bergab und die aktuellen Alben sind hauptsächlich peinlich. X-WILD sind auch gut, kommen aber in keiner Weise an die RUNNING-WILD-Klassiker heran. BLAZON STONE ist auch eine gute Tribute-Band, meiner Meinung nach.

Pharaoh Bandfoto 2021

Mein Favorit des Albums wäre wohl “Lost In The Waves”. Beim Lesen des Textes musste ich an Geflüchtete in Gummibooten auf dem Meer denken, aber ich könnte auch falsch liegen. Hast du eine Idee, was Chris uns hier sagen wollte?

Die Texte bei PHARAOH bedienen sich häufig phantastischer Elemente und sind allegorisch; daher geht es nicht zwingend um ‘reale’ Menschen hier. Es ist aber nicht schwer, deine Lesart des Textes nachzuvollziehen. Obwohl der Song mit der Zeit nicht unbedingt optimistischer wird, ist die Hauptaussage, dass die Umsetzung von Gerechtigkeit oft langsam und schwer ist. Aber Gerechtigkeit wird unausweichlich und unaufhaltsam kommen.

Metal hat generell die unglückliche Tendenz, die reale Welt als schlechten Ort, der schlecht zu Metalfans ist, auszuschließen. Zu viele Metalbands behandeln ausschließlich Fantasy und Realitätsflucht. Ich wünschte, mehr Bands wären willens, die Fassade des harten Kerls fallen zu lassen und sich einfühlsam mit den Problemen der echten Welt zu befassen.

Mit Songs wie “Dying Sun” und “I Can Hear Them” sind die abschließenden Lyrics des Albums auch nicht allzu optimistisch, geradezu apokalyptisch. Gleichzeitig ist die Musik beeindruckend schön. Hat euch die Zeit mit den Jahren pessimistischer werden lassen?

“Dying Sun” ist ein sehr persönlicher Song, in dem es weniger um die Welt als beschissenen Ort geht, sondern darum, die Welt als beschissenen Ort wahrzunehmen. Es geht um falsche Nostalgie, die darauf beharrt, dass früher alles besser war. Wir bei PHARAOH sind keine jungen Leute mehr; wir sind lange dabei und wir haben Einiges gesehen. Das mittlere Alter ist hart. Älter werden ist hart. Und im Metal ist es einfach nicht üblich, darüber zu schreiben. Metal ist eigentlich die Musik junger Menschen, aber seien wir ehrlich: Metal selbst ist alt. Selbst die jungen Bands jetzt spielen im Grunde genommen alte Musik. Aber wer singt wirklich übers Älterwerden und darüber, mit den leeren Verheißungen des ‘ewigen Metal-Jungbrunnens’ klarzukommen? LIZZY BORDEN sang “Me Against The World”, aber wenn wir das realistisch zurückverfolgen, zweifle ich daran, dass die Geschichte zugunsten LIZZYs ausgehen würde.

Klar, das letzte Jahr hat es uns allen fucking leicht gemacht, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Genau an diesem Punkt wurde “Dying Sun” geschrieben und ich wollte es trotzdem am Ende trotzig, widerständig halten. Blutig und ungebrochen und so weiter.

Die Texte zu “I Can Hear Them” hat Chris Black geschrieben und ich habe ihn nie gefragt, worum es darin geht. Ich interpretiere sie immer gern für mich, so wie jeder andere sie hören würde. Ich denke, “I Can Hear Them” passt wirklich als Begleiter für “Dying Sun”. Der Unterschied ist, in “Dying Sun” möchte das lyrische Ich durch den stickigen Schleier seiner eigenen Biografie brechen. In “I Can Hear Them” möchte es den erniedrigen und zum menschlichen Wohlbefinden selten zuträglichen Umständen unserer gesellschaftlichen Welt widerstehen.

Ich weiß nicht, ob irgendjemand von uns solche Texte ohne Covid-19 geschrieben hätte, aber sie sind inzwischen auch losgelöst von diesem Ereignis zu verstehen.

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Quelle: Matt Johnsen / Fotos: Scott Kinkade
18.06.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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