Pharaoh
Die Mächte hinter dem Spiegel – Im Interview mit Matt Johnsen zu “The Powers That Be”

Interview

Der ewige Geheimtipp PHARAOH hat nach langer Wartezeit seit dem Vorgänger “Bury The Light” soeben sein nunmehr fünftes Album “The Powers That Be” veröffentlicht und damit nach WITHERFALL die zweite große Bombe im US Metal für dieses Jahr gezündet. Progressive, niemals selbstverliebte Songstrukturen, innovative Gitarrenarbeit und hochmelodische, zu keiner Zeit kitschige Vocals setzen eigentlich internationale Standards. Warum PHARAOH sich trotzdem eher als Studioband sehen, was es über Jon Schaffer zu sagen gibt und welche klassische deutsche Heavy-Metal-Band beim Songwriting eine Rolle spielte (und natürlich noch viel mehr) erzählt uns der sympathische Gitarrist der Band, Matt Johnsen, in einem tiefgründigen Interview, dass wir aus Gründen der Authentizität nicht kürzen wollten.

Pharaoh – The Powers That Be

Hey Matt! Zunächst mal tonnenweise Gratulation dafür, dass das Album endlich draußen ist. Die neun Jahre Wartezeit haben sich definitiv gelohnt.

Vielen Dank! Wir sind auch sehr aufgeregt darüber, dass die Leute es nun endlich hören können. Sorry, dass es so lange dauerte.

Warum hat es eigentlich neun Jahre gedauert, bis das Album erscheinen konnte?

Wie du dir vorstellen kannst, ist das die Frage, die gerade jeder hat, aber die Antwort ist ziemlich steigerungsfrei: Es gibt keinen besonderen Grund dafür, dass es so lange dauerte und die Zeit dazwischen fühlt sich, zumindest für mich, nicht groß anders an als die Zeit zwischen zwei unserer anderen Alben. Ich weiß natürlich, dass die Zeitspanne größer ist, aber ich schätze mal, das ist so, weil ich die ganze Zeit an dem Album gearbeitet habe. Oder zumindest daran gedacht habe, daran zu arbeiten.

Seien wir ehrlich. Bei uns gibt’s keine Kohle zu machen. Den Anreiz, schnell zu arbeiten, haben wir daher nicht. Wir haben Familien, Jobs, Leben und so weiter und die nehmen eben Vorrang ein. Durch unsere asynchronen Arbeitsweisen kam es dann dazu, dass sich die Verzögerung eines Bandmitglieds zu der eines anderen hinzuaddierte. Ehe wir uns versahen, war es überfällig, ein Album zu veröffentlichen. Entweder kommt das nächste Album viel, viel schneller oder überhaupt nicht raus.

Ich bin natürlich für schneller, aber momentan weiß ich genauso wenig wie du, wann wir das nächste Album machen, ha ha.

Alles in allem ist “The Powers That Be” ein relativ komplexes Album. Ihr habt es geschafft, die Progressivität von “Be Gone” und “Bury The Light” mit der epischen Eingängigkeit von “The Longest Night” zu verbinden, was es wie eine Essenz des PHARAOH-Sounds wirken lässt. Wie siehst du das?

Ich denke, wir sind bisher von Album zu Album komplexer geworden, was teilweise dadurch erreicht wurde, dass wir immer mehr Parts aufeinander geschichtet haben. Als wir dann “Bury The Light” mixten, war klar, dass da einfach zu viel los ist. Es gab so viele Gitarren-Overdubs, dass es fast unmöglich wurde, alles klar abzumischen.

Dieses Mal also versuchten wir das Feeling von Komplexität zu bewahren, ohne gleichzeitig so viele extra Parts zu benötigen. Das wiederum ließ den beiden ‘Chrisen’ [er meint Drummer Chris Black und Bassist Chris Kerns – Anm. d. Red.] mehr Raum sich zu entfalten. Wir haben etwas von der harmonischen Dichte durch rhythmische Komplexität ersetzt und wie immer wollen wir den Leuten auf den Schlips treten mit unseren Arrangements.

Das ist insgesamt eine schwierige Balance, denn wir machen im Grunde keine originelle Musik. Wir sind eine US-Power-Metal-Band, aber ich persönlich finde, der Knochen ist noch nicht so abgenagt, wie einige Leute gern behaupten. In den Achtzigern gab es haufenweise Bands, die sich selbst in diesem nischigen Subgenre immer weiter steigern konnten und ich denke, das ist nur vorbei, weil die Leute aufgehört haben, es zu versuchen.

Diese Musikrichtung ist aus der Mode gekommen, Metal-Musiker generell haben bestimmte Lektionen vergessen und so wie die Trends kamen und gingen, sind die Leute einfach weitergezogen. Wenn irgendjemand versucht hat, diesen Stil wieder zu bedienen, waren es meistens neu-inszenierte LARP-Versionen von Achtziger-Bands. Wir haben immer versucht, die Grundsätze weiterzuentwickeln, ohne ihnen den Rücken zuzudrehen.

Wann habt ihr mit dem Songwriting angefangen? Die Scheibe klingt ziemlich frisch, aber auch so, als würde sie direkt an “Bury The Light” anschließen.

Die Songs wurden wirklich direkt aneinander währen der vergangenen Jahre komponiert. Chris Black und ich haben 2013 angefangen, an neuem Material zu arbeiten. Mit einer Gitarre und einer Festplatte voller unsortierter Riffs bewaffnet bin ich für ein langes Wochenende zu ihm nach Chicago geflogen und wir ballerten in seinem Proberaum einfach so unseren Kram raus. Wie eine richtige Band von früher. Bei dieser Session entstanden “The Powers That Be”, “Ride Us To Hell”, “Dying Sun” und “Lost In The Waves” sowie ein paar andere Songs, die wir nicht beendet haben.

Die später beendeten waren auch noch längst nicht in ihrer finalen Version, aber immerhin schon ausgereift genug, um für mich zu Hause daran weiterzuarbeiten. Während der folgenden Jahre habe ich Riffs hinzugefügt, Parts umarrangiert und so weiter, bis ich zur endgültigen Version der Songs fand. Chris Kerns hat seine Stücke auch frühzeitig geschrieben, aber ich kam ewig nicht dazu, von ihnen Demos zu machen und sie zu beenden.

Chris Black hat vor allem Anderen “Freedom” geschrieben und das ist mehr oder weniger so geblieben, wie es war. Jeder andere Song hingegen hat sich entwickelt, während wie die Demos machten und Texte und Melodien dazu schrieben. Als wir schlussendlich aufnahmen, veränderten sich die Songs noch mal. Als Chris seine Drumparts fertig hatte, entschloss ich mich, die Gitarrenparts noch weiter zu entschlacken, als das auf den Demos bereits geplant war. Statt wie seit “The Longest Night” immer drei Rhythmusgitarren aufzunehmen, hab ich dieses Mal nur zwei, je hart links und rechts gepannt, recordet.

Ich musste ein paar Harmonien neu setzen und andere Veränderungen an den Gitarrenarrangements vornehmen, aber als das einmal erledigt war, fühlten sich die Songs völlig neu für mich an. Diese Veränderung hat sich drastisch auf die Art, wie wir den Gesang für dieses Album schrieben, ausgewirkt. Also ja, wir haben angefangen, Sachen zu machen, die nicht weit von “Bury The Light” entfernt waren, sind aber im Studio auf völlig neue Ideen gekommen.

Die Magie der PHARAOH-Familie

Wie nahezu jede Band sind auch PHARAOH der Pandemie zum Opfer gefallen. Wie schlimm war es bei euch?

Nicht zu schlimm, ehrlich gesagt. Außer dem Gesang und ein paar Soli war zu dem Zeitpunkt als Corona anfing bereits alles aufgenommen. Wir haben sogar direkt vorm ersten Lockdown eine Vocal-Session gehabt. Ich glaube, Tim hat mein Haus eine Woche, bevor alles dichtgemacht wurde, verlassen. Also mussten wir dann ein paar Monate warten, während die Welt herausfand, wie schlimm die ganze Sache insgesamt war. Als dann der öffentliche Zugverkehr wieder lief, konnte Tim mich wieder besuchen.

Wobei der ganze Lockdown speziell das Aufnehmen der Vocals erleichtert hat, weil ich zu Hause arbeiten konnte und als Programmierer mehr Freiraum habe, meine Stunden zu verteilen. So konnten Tim und ich sehr produktiv sein. Ich habe in einem Zimmer gearbeitet, während Tim im anderen Zimmer an Lyrics und Melodien arbeitete oder sich den Kopfhörermix zum Aufnehmen zurechtschob. Wenn ich also fertig mit meinem Dayjob war, konnten wir direkt mit der Arbeit an PHARAOH beginnen.

Die größten Auswirkungen hatte die Pandemie sicher auf den Inhalt der Texte, die wir direkt schrieben, nachdem alles begann. Es fühlte sich falsch an, überhaupt nur an andere Inhalte zu denken. Ein weiterer schwieriger Punkt war der Mix des Albums, weil wir Matt Crooks normalerweise einen vorbereiteten Basismix des Albums geben und ich dann in sein Studio in Virginia komme, wo wir ihn gemeinsam fertigstellen. Dieses Mal musste Crooks alles allein machen, was ihm aber ehrlich gesagt super gelungen ist. Wie du dir vorstellen kannst, habe ich starke Ansichten darüber, wie unsere Alben zu klingen haben, aber nicht sein technisches Wissen. Ich bin also nicht so wahnsinnig hilfreich im Studio. Ich kann sagen “So und so möchte ich es nicht auf dem Album haben”, aber ich kann ihm nicht sagen, wie es besser geht. Ich musste Matt also vertrauen, aber das lief gut, denn dies ist meiner Meinung nach sein bester Mix und der beste Mix in der Geschichte von PHARAOH. Deswegen werde ich beim nächsten Mal wohl auch darauf verzichten, ihn im Studio zu besuchen.

Eine der größten Stärken von PHARAOH ist, dass jedes einzelne Bandmitglied im Prinzip ein individueller Songwriter ist. Kannst du die einzelnen Mitglieder dahingehend charakterisieren?

Ich stimme zu, dass dies eine unserer Stärken ist. Ich kenne kaum eine andere Band, bei der die Mitglieder jeweils so viel eigenständig kreativ beitragen wie PHARAOH. Tim schreibt generell keine Riffs oder kompletten Songs – er schreibt üblicherweise Melodien und/oder Texte für bereits fertige Songs. Tim weiß, was er singen kann und ist in der Regel willens, sich mit schwierigen Gesangslinien selbst zu pushen. Chris Black schreibt ebenfalls viele Melodien und Texte für bereits auskomponierte Songs, aber natürlich auch eigenständige, komplette Stücke. Dieses Mal war der einzige Song, den er komplett schrieb “Freedom” und er war sich gar nicht sicher, ob er überhaupt auf das Album sollte, aber ich habe darauf bestanden. All’ unsere Alben haben mindestens einen geradeaus gehenden, straight rockenden Song, denn diese balancieren meine eher progressiven Stücke super aus. Seine Gesangsmelodien haben in Songs, zu denen ich die Musik schrieb, häufig die gleiche Funktion.

Chris und ich haben sehr unterschiedliche Stile beim Songwriting, doch über die Jahre haben wir gut gelernt, miteinander zu arbeiten und unsere Songs über das Level zu heben, das wir in der Lage wären, allein zu erreichen. Kerns hingegen ist so etwas wie unserer Überraschungsjoker. Man weiß nie, wie seine Songs ausfallen werden; sie ähneln nie denen von Chris Black oder mir. Seine Songs bringen uns alle an wirklich sonderbare Orte und haben das größte Überraschungspotenzial. Auf diesem Album ist “Waiting To Drown” das offensichtlichste Beispiel dafür.

Ich hingegen scheiße einfach nur Riffs aus, haha. In der Regel entscheide ich nur, welcher Part eine Strophe, ein Chorus und so weiter sein wird, aber ich mache mir kaum Gedanken um Vocals. Mein Ziel ist es, Riffs zu schreiben, die für sich stehen können. Egal, ob da jetzt Gesang drüber kommt, oder nicht und das versuche ich bei jedem Riff zu erreichen.

Euer Line-up hat sich in der gesamten Geschichte PHARAOHs nie verändert. Das führt mich zu der Annahme, dass ihr ein tolles, respektvolles Verhältnis untereinander teilt. Wie würdest du es beschreiben?

Das Geheimnis unseres Erfolges ist, dass wir uns nicht oft sehen, denke ich. Wir kennen uns natürlich schon Ewigkeiten und sind alle gute Freunde, aber wir leben weit weg voneinander. Nur Kerns und ich sehen uns regelmäßig; zumindest bis zum Beginn der Großen Plage. Unser musikalisches Arbeiten ist daher fast schon als ‘professionell’ zu bezeichnen. Wir alle wollen nur die bestmöglichen Alben für PHARAOH erreichen. Und wir sind alle in der Lage, darauf hinzuarbeiten, ohne dass unsere Egos im Weg stehen. Ich weiß nicht zu hundert Prozent, wie wir es geschafft haben, den Laden so lange am Laufen zu halten, aber ein bisschen Magie ist offenbar schon im Spiel.

V. l. n. r.: Chris Black (Drums), Chris Kerns (Bass), Matt Johnsen (Gitarre), Tim Aymar (Vocals)

“The Powers That Be” hat nicht nur saustarke Songs, sondern auch eure bisher beste Produktion. War das eine bewusst entschiedene Verbesserung?

PHARAOH sind nicht wirklich PHAROH ohne Matt Crooks, unseren lieben Freund, Producer und manchmal Live-Gitarrist. Unser erstes Album haben wir noch mit einem anderen Engineer in einem anderen Studio aufgenommen; aber als Matt sein Studio fertig hatte, waren wir immer dort. Er hat auch andere Bands betreut, aber definitiv die meiste Zeit mit uns verbracht. Je bessere Musiker und Songwriter wir wurden, desto besser wurde er auch als Toningenieur. Also klingt dieses Album in gewisser Weise besser, weil Matt bei der Produktion die meiste Übung hatte.

Wir haben aber auch in der Band gelernt, wie wir unsere Alben eher klingen lassen wollen und wie wir unsere Vorstellungen erreichen. Ich habe schon erwähnt, wie schwierig der Mix beim letzten Mal war. Die Entscheidung, die Arrangements ein bisschen zu straffen, schuf neue Möglichkeiten zum Ausprobieren beim Mixen und ich denke, Matt hat einen fantastischen Job gemacht.

Wir haben auch zum ersten Mal nicht in seinem Studio aufgenommen. Normalerweise würden Chris und ich nach Virginia reisen, wo er seine Drums aufnimmt, ich den Bass überwache und meine Gitarren aufnehme. Mit Tim habe ich sowieso seit “Be Gone” in meinem Haus aufgenommen. Dieses Mal hat Chris Black, wie zum Beispiel auch bei HIGH SPIRITS, alles in seinem eigenen Homestudio aufgenommen. So konnte er sich auf einen Song konzentrieren, ihn bestmöglich üben, aufnehmen und sich dann den nächsten Track vornehmen. Das Resultat spricht wohl für sich.

Ich habe zu Hause aufgenommen, aber das hat wohl alles verlangsamt, ha ha. Ich bin oft zu verkopft, wenn ich die Verantwortung habe, selbst zu recorden. Zum Glück kann ich das gerade gut genug, um Takes zu erreichen, die genauso gut sind, als hätte ich bei Matt Crooks im Studio aufgenommen. Ich brauche nur einfach länger. Aber insgesamt waren die Aufnahmen einfacher. Matt war auf den Mix besser vorbereitet und wir haben endlich jemanden zum Mastern gefunden, den wir wirklich gut finden, Dan Swanö. Nicht, dass unsere bisherigen Master schlecht gewesen wären, aber wenn es dazu kam, war ich nach den Aufnahmen meist viel zu ausgebrannt, die Qualität des Masters verlässlich beurteilen zu können. So lange sich keiner davon angegriffen fühlte, wurde das Master gebilligt. Dieses Mal haben wir zum ersten Mal eines erhalten, das wir alle wirklich mögen.

“The Powers That Be” – Seine Gäste, seine Einflüsse, seine Songs

Erneut habt ihr zwei gastierende Gitarrenvirtuosen auf der Platte, “Chewy” Mongrain von VOIVOD und wieder mal Jim Dofka. Wie ist euer Verhältnis, wie kam es zu dieser Kooperation?

Jim ist genau wie Matt Crooks Teil der erweiterten PHARAOH-Familie. Er ist derjenige, der uns mit Tim bekannt gemacht hat und einer meiner Gitarrenhelden, seitdem ich zum ersten Mal das PSYCHO-SCREAM-Tape, das er mit Tim in den Neunzigern gemacht hat, hörte. Er hat bisher auf jedem PHARAOH-Album ein Solo gespielt; die Frage ist immer nur ‘Welcher Song ist es diesmal?’ Ich liebe dieses Shredding-Gitarrenspiel, aber kann es selbst nicht so gut, also ist es geil, so einen Stunt-Gitarristen wie Jim dazuzuholen.

Seit “The Longest Night” hatten wir pro Album immer einen weiteren Gast-Gitarristen. Dafür versuchen wir immer, jemanden zu finden, den wir alle bewundern und der unseren Songs entgegen kommt. Bisher hatten wir immer Glück, doch diesmal gingen unsere ersten Versuche, jemanden zu akquirieren in die Hose. Als das gesamte Album bis auf ein Gastsolo vollendet war, kontaktierte ich Chewy, von dem ich seit dem ersten MARTYR-Album großer Fan bin. Er sagte sehr wohlwollend zu und lieferte in weniger als einer Woche ein Killersolo ab. Ich musste an ihn denken, als ich sein Quarantäne-Cover von DEATHs “Trapped In A Corner” sah, das er mit Leuten von BEHOLD THE ARCTOPUS, NERVOSA und THE BLACK DAHLIA MURDER aufnahm. Es war wie ein Zeichen von oben: ‘Hey Trottel, wieso kommst du nicht auf Chewy?’ Also bekam ich Chewy! Ich bin einfach ein riesiger Metal-Nerd und es kickt mich ohne Ende, diese Leute auf meinen Alben zu haben.

Welchen Gitarristen hättest du noch gern mit einem Solo auf einem Album, hast es aber noch nicht geschafft, mit ihm (oder ihr) zusammenzuarbeiten?

Ohne Frage Ron Jarzombek. Ich würde gern etwas schreiben, das so verrückt ist, dass ich nicht Rons Talent verschwende. Ehrlich, wenn ich die Wahl zu irgendeiner Musikrichtung hätte, wäre es etwas technisches wie WATCHTOWER oder SPASTIK INK [bei denen Jarzombek spielt – Anm. d. Red.]. Ich bin leider nicht talentiert genug. Aber vielleicht kann ich ein paar Riffs schreiben, die ihn etwas auf Zack bringen.

Wir hätten immer gern auch Buck Dharma von BLUE ÖYSTER CULT an Bord gehabt, es aber nie versucht. Neben Buck Dharma sind Tommy T. Baron von CORONER und Frederick Thordendal von MESHUGGAH weit oben auf unserem Wunschzettel. Ich persönlich hätte auch Andy Summers von THE POLICE tierisch gern mal auf einem meiner Alben. Ich würde gern hören, wie er ein paar seiner schimmernden, jazzigen Akkorde einspielt, die mich im Heranwachsen so beeinflusst haben. Also, wenn wir noch 50 weitere Alben machen können, haben wir echt keine Probleme, potenzielle Gäste zu finden.

Wenn wir mal ein bisschen über die neuen Songs sprechen wollen: Ich mag ein paar neue Vibes zwischen dem klassischen PHARAOH-Material. “Waiting To Drown” ist ein sehr effektiver, berührender Song. Nebenbei, Tim macht auch wieder ein paar erstaunlicher Dinge. Seine Stimme wird einfach immer besser!

Dieser Song hat uns alle überrascht! Chris Kerns war sich zunächst gar nicht sicher, ihn für PHARAOH zu benutzen, weil er so anders ist, als alles, was wir bisher gemacht haben. Es hat nicht viel Arbeit gekostet, ihn das fertige Produkt auf dem Album zu verwandeln. Tim hat eines Nachmittags, als ich gerade arbeitete, an dem Text geschrieben und das Ding dann die ganze Nacht lang eingesungen. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde und wurde einfach weggeblasen, als er anfing mit Singen.

Ich bin immer noch der gleiche Tim-Aymar-Fanboy, der ich schon vor Zeiten war. Seine Stimme hat sich natürlich ein Stück über die Jahre verändert, was nicht verwunderlich ist, da er schon seit etwa 25 Jahren für PHARAOH singt. Wir mögen das aber, wir haben uns ja alle verändert. Wir sind alle als Personen, als Metalfans und als Musiker anders als früher. Wir versuchen zwar, für PHARAOH gewisse Markenzeichen zu erhalten, aber auch deutlich herauszustellen, was uns von den Männern, die wir beim letzten Album waren, unterscheidet. Niemand kann PHARAOH beschuldigen, die immer gleiche Leier abzuspulen.

Ich musste ziemlich heftig lachen, als ich “Freedom” zum ersten Mal hörte. Hast du eine Vermutung, an welche klassische, deutsche Heavy-Metal-Band ich bei dem Song denken musste?

Chris sagte, der Song wäre vom ersten Teil eines obskuren Death-Metal-Samplers der frühen Achtziger beeinflusst, aber für mich klang er eher wie ein X-WILD-Stück. Denken wir an die gleiche Band?

Das ist eine schöne, sehr nerdige Referenz, weil die Band, an die ich dachte, RUNNING WILD ist. (Anm.: X-WILD war ein kurzlebiges Projekt dreier Ex-RUNNING-WILD-Musiker.)

Erteile ich als Amerikaner gerade einem Deutschen eine Lehrstunde des Power Metals? Das hier war der “obskure” Death-Metal-Sampler, von dem ich sprach. Kapitän Adrian [das RUNNING-WILD-Maskottchen – Anm. d. Red.] würde dich für deine Ignoranz kielholen, har har! [Matt schickt mir einen Link zum Metal-Archives-Eintrag des “Death Metal”-Samplers von Noise Records aus dem Jahre 1984, auf dem RUNNING WILD mit zwei Stücken am Anfang stehen. Ich muss zugeben, diesen Witz auf Anhieb nicht kapiert zu haben – Anm. d. Red.]

Chris und ich sind beide riesengroße RUNNING-WILD-Fans und ja, “Freedom” ist eine bewusste, liebevolle Nachahmung des Stils. Das beste RUNNING-WILD-Album ist natürlich “Death Or Glory” und der ganze Run von “Port Royal” bis “Masquerade” ist einfach unverschämt großartig; alles bis “The Rivalry” einfach toll. Als Rolf mit einem Drumcomputer gearbeitet hat, ging alles bergab und die aktuellen Alben sind hauptsächlich peinlich. X-WILD sind auch gut, kommen aber in keiner Weise an die RUNNING-WILD-Klassiker heran. BLAZON STONE ist auch eine gute Tribute-Band, meiner Meinung nach.

Mein Favorit des Albums wäre wohl “Lost In The Waves”. Beim Lesen des Textes musste ich an Geflüchtete in Gummibooten auf dem Meer denken, aber ich könnte auch falsch liegen. Hast du eine Idee, was Chris uns hier sagen wollte?

Die Texte bei PHARAOH bedienen sich häufig phantastischer Elemente und sind allegorisch; daher geht es nicht zwingend um ‘reale’ Menschen hier. Es ist aber nicht schwer, deine Lesart des Textes nachzuvollziehen. Obwohl der Song mit der Zeit nicht unbedingt optimistischer wird, ist die Hauptaussage, dass die Umsetzung von Gerechtigkeit oft langsam und schwer ist. Aber Gerechtigkeit wird unausweichlich und unaufhaltsam kommen.

Metal hat generell die unglückliche Tendenz, die reale Welt als schlechten Ort, der schlecht zu Metalfans ist, auszuschließen. Zu viele Metalbands behandeln ausschließlich Fantasy und Realitätsflucht. Ich wünschte, mehr Bands wären willens, die Fassade des harten Kerls fallen zu lassen und sich einfühlsam mit den Problemen der echten Welt zu befassen.

Mit Songs wie “Dying Sun” und “I Can Hear Them” sind die abschließenden Lyrics des Albums auch nicht allzu optimistisch, geradezu apokalyptisch. Gleichzeitig ist die Musik beeindruckend schön. Hat euch die Zeit mit den Jahren pessimistischer werden lassen?

“Dying Sun” ist ein sehr persönlicher Song, in dem es weniger um die Welt als beschissenen Ort geht, sondern darum, die Welt als beschissenen Ort wahrzunehmen. Es geht um falsche Nostalgie, die darauf beharrt, dass früher alles besser war. Wir bei PHARAOH sind keine jungen Leute mehr; wir sind lange dabei und wir haben Einiges gesehen. Das mittlere Alter ist hart. Älter werden ist hart. Und im Metal ist es einfach nicht üblich, darüber zu schreiben. Metal ist eigentlich die Musik junger Menschen, aber seien wir ehrlich: Metal selbst ist alt. Selbst die jungen Bands jetzt spielen im Grunde genommen alte Musik. Aber wer singt wirklich übers Älterwerden und darüber, mit den leeren Verheißungen des ‘ewigen Metal-Jungbrunnens’ klarzukommen? LIZZY BORDEN sang “Me Against The World”, aber wenn wir das realistisch zurückverfolgen, zweifle ich daran, dass die Geschichte zugunsten LIZZYs ausgehen würde.

Klar, das letzte Jahr hat es uns allen fucking leicht gemacht, sich in Selbstmitleid zu suhlen. Genau an diesem Punkt wurde “Dying Sun” geschrieben und ich wollte es trotzdem am Ende trotzig, widerständig halten. Blutig und ungebrochen und so weiter.

Die Texte zu “I Can Hear Them” hat Chris Black geschrieben und ich habe ihn nie gefragt, worum es darin geht. Ich interpretiere sie immer gern für mich, so wie jeder andere sie hören würde. Ich denke, “I Can Hear Them” passt wirklich als Begleiter für “Dying Sun”. Der Unterschied ist, in “Dying Sun” möchte das lyrische Ich durch den stickigen Schleier seiner eigenen Biografie brechen. In “I Can Hear Them” möchte es den erniedrigen und zum menschlichen Wohlbefinden selten zuträglichen Umständen unserer gesellschaftlichen Welt widerstehen.

Ich weiß nicht, ob irgendjemand von uns solche Texte ohne Covid-19 geschrieben hätte, aber sie sind inzwischen auch losgelöst von diesem Ereignis zu verstehen.

„Jon war in der US-Metalszene eine Punchline und ein Witz.“

Ihr sagtet, der Titel “The Powers That Be” habe etwas mit den politischen Umständen der letzten Jahre in den USA zu tun. Kannst du das näher erläutern?

Viele von uns im Westen verdanken ihre komfortable Situation einem System, das von Ausbeutung und Leiden anderer profitiert. Und wenn du dich beschwerst, steht das System immer hinter dir und fragt: ‘Was? Nicht zufrieden mit deinem Internet und deinem Smartphone? Mit den Klimaanlagen und leckerem Takeaway-Essen? Worüber beschwerst du dich? Wenn es dich ernsthaft stört, kannst du dich all dieser schönen Dinge auch entledigen!’

Irgendeinen Verantwortlichen suchst du, aber egal, wie viele Wege du suchst, du wirst nie zu EINEM Verantwortlichen am Ende des Dickichts finden. Es ist desorientierend, sich so machtlos in der mächtigsten Gesellschaft, die die Menschheit je hervorgebracht hat, zu fühlen. Du wirst verrückt, wenn du versuchst die Person, Institution oder den Prozess zu finden, der uns das alles eingebrockt hat. Das sind die ‘höheren Mächte’ [‘The Powers That Be’ – Anm. d. Red.].

Sie tragen Spiegel als Masken und sagen dir am Ende, du seist das Problem. Uns bleibt nur, ohnmächtig wütend zu sein bis wir mit dem letzten Geleit ‘Ihr habt es nicht anders verdient’ in einem Massengrab verscharrt werden.

In den letzten Jahren gab es eine massive Spaltung in der US-Amerikanischen Gesellschaft. Ist das in den letzten Monaten besser geworden?

Es scheint so, als würde manches langsam besser werden, aber das könnte auch Wunschdenken der nicht-verrückten Mehrheit der Nation sein. Die USA sind in einem schlechten Zustand und viel zu wenige Menschen können überhaupt begreifen, wie schlimm Ausmaß und Widerspenstigkeit der aktuellen Probleme sind. Ich bin noch nicht bereit, die amerikanische Demokratie auf das Totenbett zu erklären, aber ich denke schon, dass es die Möglichkeit eines großen Zusammenbruchs gibt. Das macht mir wirklich Angst.

Nie zuvor waren die Worte von DAMN THE MACHINEs ‘Fall Of Order’ so deprimierend wahr:

Most of all I fear the fall of order
Wealth and white man came, catastrophe again
Most of all I’ll cry for the losing race
Madness joins the chase, the humans live disgrace
Down in the absence of law

Viele Europäische Metalfans waren geschockt von den Aktionen eines gewissen Mr. Schaffer diesen Januar. Kanntet ihr euch persönlich? Was denkst du darüber?

Ich habe Jon ein paar Mal getroffen, aber schon länger nicht mehr. Wir wurden einander 1997, als sie mit JAG PANZER und THE QUIET ROOM in den Staaten auf Tour für “The Dark Saga” waren, vorgestellt. Keith Menser von MYSTIC FORCE war ja kurzzeitig in der Band, beziehungsweise ist auf den Fotos im Booklet des Albums zu sehen und kam von Baltimore nach Philadelphia, um die Show zu sehen und stellte uns vor.

Damals war ich Fan von ICED EARTH, obwohl ich “The Dark Saga” im Vergleich zu “Burnt Offerings” (was bis heute mein Favorit ist) als Rückschritt empfand. [Und damit hast du vollkommen Recht, Matt. – Anm. Johannes Werner] Wir haben aber, glaube ich, nur Heavy-Metal-Smalltalk betrieben. Ich habe ihn ein paar Mal bei anderen Konzerten gesprochen und sie viele Male live gesehen.

Jon war in der US-Metalszene eine Punchline und ein Witz, zumindest für uns prätentiöse Underground-Kenner. Also nein, seine Inhaftierung kam nicht wirklich überraschend. Ich halte ihn für ein rassistisches Arschloch, das eine ordentliche Strafe verdient. Ihn sich aber so schnell von seinen ‘Oathkeepers’ abwenden zu sehen, einer White-Supremacy-Organisation, die Repression und Gewalt fetischisiert, ist wirklich ein Fall von köstlicher [auf deutsch] Schadenfreude. Mir wird er nicht fehlen.

Gibt es eine Chance, dass ihr nach Europa zurückkommt? Die Fans hier dürsten nach Konzerten von PHARAOH.

Wenn du mich persönlich meinst, unbedingt ja. Ich kann es kaum erwarten! Matt Crooks und ich wollten auf die nächste Ausgabe des KEEP-IT-TRUE-Festivals gehen, wie eigentlich schon 2020. Aber die Band? Ich weiß nicht. PHARAOH war als Studioprojekt gedacht und obwohl wir ein paar Shows gespielt haben, würde ich nicht unbedingt sagen, dass sie besonders toll waren. Manche waren ernstzunehmend scheiße.

Das Hauptproblem ist, ein Live-Line-up aufzustellen und mit diesem proben zu können. Chris Kerns hat gar kein Interesse, live zu spielen, also müssen wir ihn ersetzen und wir brauchen einen zweiten Gitarristen. Matt Crooks hat das bisher übernommen, aber der lebt auch weiter weg von mir, also bleibt das ein logistisches Problem. Ich würde gern mehr Shows spielen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das je stattfinden wird.

Mein Traum wäre eine eine kurze Tour mit allen vier PHARAOHs und Crooks; das ist nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Aber sag niemals nie. Meine Zeit ist aber vermutlich besser darauf verwendet, das nächste Album zu schreiben, statt die Dudes zu Gigs zu überzeugen. Um eines zu sagen: Niemals seit dem Debütalbum waren unsere Songs so gut live spielbar wie mit dem aktuellen Album. Selbst “The Longest Night” auf zwei Gitarren zu reduzieren war schwierig, bei Sachen von “Be Gone” und “Bury The Light” ist es teilweise gar nicht möglich. Das neue Album hingegen dürfte live wunderbar funktionieren.

Danke für deine Zeit, Matt und eure großartige Musik!

Danke, dass ihr uns die Stange haltet. Wir wissen das echt zu schätzen. Ich hatte nie Sorge, dass wir zu lange für ein Album brauchen, denn wir sind eine Underground-Band und diejenigen, die nach uns suchen, werden uns immer finden. Wir hätten viel tun können, um unsere Fanbase zu erweitern, aber ich bin einfach nur glücklich, dass die Leute, die PHARAOH kennen, genießen was wir tun. Am Ende will ich dafür in Erinnerung bleiben, ein kleines Bisschen Glück ins Universum gebracht zu haben.

Quelle: Matt Johnsen / Fotos: Scott Kinkade
18.06.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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