Perish
"Ich glaube wir bewegen uns immer noch in einer sehr integren Szene"
Interview
Mit PERISH und ihrem Debüt „The Decline“ macht sich ein neues deutsches Projekt mit u.a. Musikern von LONG DISTANCE CALLING daran, die glorreichen 90er Jahre im skandinavischen Black-Death-Bereich wieder aufleben zu lassen. Wie alt die Idee schon ist, wie es zu der Liebe gerade zu dieser Musikrichtung gekommen ist und was sonst noch so auf dem Herzen liegt bei Bands, die abseits ihrer Hauptbands wahrgenommen werden wollen und vieles mehr gibt es im Interview mit Schlagzeuger Janosch Rathmer zu lesen. Viel Spaß!
metal.de: Hi, wie ist es denn zu dem neuen Nebenprojekt PERISH von euch gekommen? Ich gehe mal davon aus, dass der Gedanke während der Pandemie reifte?
JR: Die Ideen dazu mit unserem Gitarristen keimten bereits um 2010 herum. Da waren schon etwa fünf Songs fertig, wir hatten damals aber noch einen anderen Sänger. Der hat dann aufgehört und das hat sich alles ein wenig verworfen und während der Pandemie war die Zeit reif, um das wieder auf die Karte zu setzen. Wir haben nicht ganz bei null gestartet, aber im Prinzip in der Pandemie wieder angefangen. In dem Fall war das sogar sehr spontan, dass wir alle wieder Lust drauf hatten, uns mehr unseren musikalischen Ursprüngen wenn du so willst zu widmen, auch weil wir selber wieder vermehrt Musik aus der Richtung gehört und entdeckt haben und wieder Blut geleckt hatten.
metal.de: Das ist interessant, ich erinnere mich an ein Interview mit Florian (Füntmann, Gitarrist von LONG DISTANCE CALLING – Anm. d. Redaktion) vor etwa vier Jahren oder so zum neuen Album und auf die Frage nach einer Reunion von MISERY SPEAKS hat er das noch verneint. Jetzt sind PERISH natürlich eine andere Baustelle, aber ihr seid trotzdem wieder beim Metal angelangt.
JR: Bist du dir sicher? Florian hat eigentlich noch andere Nebenprojekte, unter anderem eine Grindcoreband, von daher würde mich das ein wenig wundern. Aber wenn du so schon weißt, wer bei PERISH dahinter steckt hat sich unser Vorhaben eigentlich ein wenig verabschiedet, denn wir wollten eben nicht, dass die Leute das nur als weiteres Nebenprojekt von LONG DISTANCE CALLING sehen, sondern unvoreingenommen an die Musik rangehen. Deswegen haben wir uns da auch in der Promo ein wenig bedeckter ohne unsere Namen gehalten, aber es hat scheinbar leider nicht viel gebracht (lacht). Aber ich kenne das auch selber von mir, gerade bei Debütalben, als Fan geht man bei einer neuen Band da anders heran als bei einer etablierten oder bekannten Band.
Auf einem Debüt hat man eigentlich noch die größten Freiheiten ans Songwriting heranzugehen und so weiter. Das finde ich eigentlich immer besser. Letzten Endes ist es aber natürlich, gerade auch von mir, meine musikalische DNA. Von Mitte bis Ende der 90er hab ich diese Musik verschlungen, es gab nichts anderes. Auch während der Pandemie habe ich viele alte Platten, die ich früher auf CD hatte, mir neu auf Vinyl geholt. Ein Beispiel dafür ist DAWN mit „Slaughtersun„, was ich so ein wenig wieder entdeckt habe und wir uns gedacht haben, auch mal wieder in genau diese musikalische Ecke vor zu wagen.
metal.de: Ja nun, in Zeiten des Internets ist das auch keine Leistung mehr, Querverbindungen zu ergooglen. Eine Frage die mir unter den Nägeln brennt, da du ja Schlagzeuger bist, wie wird das live sein? Gehst du in die Riege der singenden Schlagzeuger und falls ja, hast du da vorher Unterricht genommen oder so? Gibt es überhaupt Pläne PERISH auf die Bühne zu bringen oder soll es erstmal bei einer Studioband bleiben?
JR: Nein, es stehen sogar schon Shows, ich glaube aktuell sind vier bestätigt, weitere folgen. Aber ich werde nicht Schlagzeug spielen, ich hab da jemand in der Hinterhand dem ich total vertraue, von dem ich weiß, der kann das spielen und der hat da auch kein Problem mit. Manchmal kann es ja ein wenig komisch sein mit jemand in einer Band zu sein, der eigentlich das Instrument eingespielt hat. Ich glaube auch bei so einer intensiven Musik würde Energie verloren gehen, wenn ich mich auf beides konzentrieren müsste und so Sachen wie nur Schlagzeug und nur Gesang aufzuteilen erscheint mir da noch sinnvoller als bei einer Band wie LONG DISTANCE CALLING, wo sich das eher anbietet.
metal.de: Seid ihr euch beim Festlegen der Richtung und beim Songwriting schnell einig geworden? Ihr seid ja alle ziemlich in demselben Alter, von daher wird das Aufwachsen mit derselben Musik wahrscheinlich ähnlich gewesen sein, aber ich gehe davon aus, dass trotzdem einer die Zügel ein wenig in der Hand hält, wahrscheinlich du?
JR: Ja, stimmt, wir haben alle einen ähnlichen Background, bei mir ist es von uns dreien glaube ich am meisten der Black- und Death-Metal-Hintergrund, gerade Schweden und Norwegen, Florian kommt mehr aus der Richtung frühe MY DYING BRIDE und KATATONIA, was wie ich finde auch auf den Songs bei uns raus gehört werden kann, diese alten melancholischen Melodien zu „Brave Murder Day“-Zeiten. Unser anderer Gitarrist war auch früher ziemlich auf Schwedentod und auch Black Metal fixiert.
Aber da gab es keine großen Diskussionen, wir waren uns alle schnell einig. Man kennt das vielleicht aus anderen Bands, wo es einen Hauptsongwriter gibt, aber das war bei uns von Anfang an eigentlich relativ klar wie es klingen soll. Es ist sehr unverkopft und aus dem Bauch heraus entstanden, es war sehr spontan. Wir haben überlegt wie die Platte klingen soll, aber nicht wie die Songs sein sollen. Aber das hat dann auch nicht mehr lange gedauert und dann standen die Songs schon, das war eine sehr angenehme Erfahrung.
metal.de: Ihr habt ja auch viel von der Produktion alleine geleistet, ich gehe mal davon aus der ein oder andere hat bei euch ein Homestudio und das macht die Sache ein wenig einfacher, aber die Drums wurden glaube ich separat aufgenommen. Da wollte ich extra drauf eingehen, da mir wirklich der Drumsound auf diesem Album sehr gut gefällt. Seid ihr mit einer besonderen Vorstellung da ran gegangen?
JR: Ja, korrekt, ich habe bei einem Kumpel im Studio aufgenommen, ich hatte zwischenzeitlich selber ein kleines Studio, das musste ich leider aufgeben wegen Nachbarschaftsstress, aber plane nun, wieder eins selber für mich zu starten, so dass ich selber auch wieder meine Drums aufnehmen kann. Wir hatten sehr genaue Vorstellungen davon wie die Platte klingen soll. Also nicht absolut Garage wie alte DARKTHRONE, eher so in Richtung der Tägtgren- und Swanö-Produktionen, die auf uns schon immer sehr einflussreich waren.
Die klingen fett, ohne total überproduziert zu sein, sind aber trotzdem auch sehr verschieden voneinander und das war auch eigentlich unser Ziel und Anspruch, ohne das nun zu kopieren, aber auch einen druckvollen, aber nicht zu glatten Sound zu haben. Ich habe sehr viele Nächte mit Mischen verbracht und nach dem Master waren wir alle sehr happy damit. Die Studiosituation ist natürlich eine sehr gute Option Platten selber machen zu können. Manchmal ist es auch schwer Sachen abzugeben, wenn es „dein Baby“ ist. Gerade im Black Metal ist die Soundästhetik natürlich auch ziemlich vorgegeben. Du gehst eben halt mit Keller-Garagen-Sound ganz ans eine Ende des Spektrums oder hast wie Ende der 90er die krassen Produktionen wie von DIMMU BORGIR, es gibt einfach diese zwei Lager. Und wir wollten weder in das eine noch das andere so richtig rein, eher so dazwischen und das war eigentlich unser Ansatz.
metal.de: Ja, ich glaube es ist auch nicht leicht allen es immer ganz recht zu machen, gerade im Black Metal, für die eine Fraktion wird es nicht „kvlt“ genug klingen und für die anderen nicht modern genug.
JR: Es muss einfach passen, es gibt Bands die verstecken sich hinter dem ein oder anderen. Manche kaschieren spielerisches Können mit einem Rumpelsound, wo du die Riffs eh nicht mehr auseinander halten kannst und bei anderen passt dieser Sound dann aber wieder total gut zur Ästhetik.
metal.de: Was macht für dich denn die Faszination an Black und Death Metal der 90er aus, sowohl musikalisch als auch die Ästhetik?
JR: Es gibt glaube ich eine Seite die wir alle haben, die man in dieser Musik am besten ausleben kann. Es gibt im Black Metal eine emotionale Ebene die etwas ausdrücken kann, was in anderen Musikrichtungen meiner Meinung nach weniger oder weniger gut gesagt werden kann. Das sind natürlich die negativen Seiten, die sich natürlich auch in den letzten Jahren auch bei uns ein wenig angestaut haben. Jeder fragt ja in den Interviews ja „Hat euch die Pandemie beeinflusst bei diesem Projekt?“. Natürlich, in irgendeiner Weise schon, ich denke jeder Musiker wurde durch die Pandemie in welcher Art auch immer irgendwo kreativ beeinflusst. Unsere Texte auf dem Album sind ja auch sehr negativ gehalten und dieses Ausleben geht im Black Metal einfach am besten.
Wobei ich denke, dass man da aufpassen muss, es nicht zu weit abdriften zu lassen. „Anti Human, Anti Life“ war ja damals so ein Motto der Szene und hat teilweise zu Auswirkungen geführt von denen ich denke, dass sie in der Metalszene nichts zu suchen haben. Wenn irgendwelche Bands meinen, sie müssten sich hinter irgendwelchen totalitären Regimen oder Ideologien verstecken, hat das meiner Meinung nach nichts mit Freiheit oder Rebellion zu tun, sondern ist eher das genaue Gegenteil.
Um einen herum ist aber so viel Scheiße passiert, dass die Musik für uns ein guter Katalysator war, diese negativen Gefühle auszudrücken und da es auch mit vielen momentanen Entwicklungen der Spezies Mensch es nicht gut vorwärts geht und da hat das mit der Ausrichtung für uns einfach gepasst.
metal.de: Es spielt ja auch auf relativ aktuelle Themen an, die zwar nicht explizit erwähnt werden, aber jeder der Lesen kann und ein wenig Medien die letzten 2 bis 3 Jahren verfolgt hat wird sich da seinen Teil zu denken können, „Breathless“ fällt als Beispiel mir dazu ein.
JR: Ja, natürlich, aber auch da ist das eigentlich nur exemplarisch als Beispiel zu nennen. Es könnte auch allgemeiner darüber sein, was für eine Scheiße passieren kann, wenn man Menschen zu viel Macht gibt. Es ist aber bewusst eher so vage gehalten, da vielleicht wieder Menschen ankommen die wieder Fragen dazu stellen und dann muss sich eine Band wie wir zu Dingen äußern oder erklären auch wenn man das gar nicht möchte oder bezweckt hat.
metal.de: Black Metal als Genre ist nicht unbedingt bekannt dafür, auf Liveaktivitäten fokussiert zu sein und wenn, muss das „Setting“ stimmen. Oft sind es auch einige wenige ausgesuchte Konzerte, um die „Exklusivität“ zu wahren. Würdest du als Musiker in der Band sagen, du brauchst das Livespielen, gehört das untrennbar mit dazu?
JR: Nein. Ich bin auch jemand der nicht sagt, ich mache Musik um live zu spielen, obwohl ich das durchaus gern tue. Wir wollen schon entscheiden und gezielt aussuchen, was für Konzerte wir spielen, da wir glauben dass das für uns Sinn macht und gut funktionieren wird. Natürlich macht man Musik auch um live zu spielen. Black Metal einmal außen vor, wenn du neun von zehn Musikern fragst sagen dir neun Leute sie machen den Scheiß um live auf der Bühne zu stehen und nicht um im Studio zu sitzen. Bei mir ist das eher anders herum. Ich spiel gern live, macht mir aber genauso viel oder noch mehr Spaß im Studio die Energie und Ideen heraus zu lassen.
Aber natürlich wollen wir auch gern live spielen, es geht uns aber nicht darum, nun möglichst schnell einmal um die Welt zu touren und unseren Namen raus zu bekommen, sondern es muss passen und auch für uns natürlich Spaß machen. Das ist mir auch für die Qualität wichtig, die Soundqualität, den optischen Look umzusetzen und so weiter. Und wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht geht, dann wird es halt nichts. Ich hätte beispielsweise meine Probleme damit, um 12 Uhr mittags auf einem Festival diese Art von Musik zu spielen, das ist irgendwie auch unstimmig. Wenn so ein Slot aber nur vorhanden ist, kannste zusagen oder absagen, wobei wir bei so was dann eher absagen würden. Das fühlt sich für uns falsch an.
metal.de: Das bedeutet letzten Endes ja auch Mehrarbeit und das können sich oft ja auch nur Bands einer gewissen Größe erlauben: Aufwändige Show, Bühnenbild, eigenen Mischer, eigene Beleuchtung und so weiter, spielt das für euch auch eine Rolle?
JR: Also die ersten Shows von uns sind natürlich Supportslots auf kleinen Indoorsachen, aber trotzdem werden wir unseren eigenen Soundmann und Licht mitnehmen um möglichst dem nahe zu kommen, was wir uns als Idealsituation vorstellen. Und wenn das bedeutet, dass jeder von uns dafür draufzahlt, muss man halt probieren es über Merch wieder rein zu bekommen und sonst hast du einfach Pech gehabt. Aber ich finde, wenn man sieht dass eine Band eine Art „Vision“ hat ist das auch persönlich für mich als Zuschauer wesentlich ansprechender als wenn man bei einer Performance das Gefühl hat, die sind nur da um später am Abend noch ein Bier mitnehmen zu können. Was auch total ok ist, aber wir haben da einfach einen anderen Anspruch. Mal schauen wie es läuft.
metal.de: Je nachdem wie die Resonanz aussieht, wollt ihr mit PERISH dann weitere Pläne verfolgen, neue Platte, Liveaktivitäten ausweiten oder bleibt das erstmal eine Art „Nebenprojekt“ von euch? Derer habt ihr ja schon recht viele allesamt in der Band.
JR: Ich habe Schwierigkeiten Dinge halb zu machen, auch wenn ich aus Zeitgründen leider gezwungen bin, vieles halb zu machen. So wie ich mich kenne und wenn alles mit dem Release gut läuft – und danach sieht es im Moment aus – können wir uns zeitnah wieder hinsetzen und anfangen neue Songs zu schreiben. Jetzt wo ich in Zukunft dann auch mein eigenes Studium haben werde steht dem eigentlich nichts mehr im Wege. Vor ein, zwei Wochen hat unser Gitarrist mir auch schon neue Songideen zugeschickt. Wir haben ja keinen Zeitdruck und wenn wir genug Material haben, was unseren Qualitätsansprüchen genügt und sich gut anfühlt, dann nehmen wir was neues auf, das ist der Plan. Es ist aber nicht so, dass wir sagen wir haben nun ein Album aufgenommen, dann erst mal zehn Jahre Ruhe und dann können wir über ein zweites nachdenken… da sind wir glaube ich nicht die Typen für.
metal.de: Apropos Alben. Heute lohnt sich das wahrscheinlich für Bands weniger finanziell gesprochen, aber gerade in dieser Musikrichtung sind so Dinge wie Demos, Splits, EPs ja natürlich historisch weit verbreitet. Heute ist das eher selten. Wären das Formate, die ihr euch alternativ auch vorstellen könntet? Oder macht es für euch mehr Sinn, komplettes Material zu sammeln und dann auf LP zu gehen?
JR: Ich persönlich steh auf so etwas, ja. Wenn die Qualität stimmt bin ich da durchaus offen für. Es gibt ja so EPs wo man das Gefühl hat, da hat die Band gerade noch die B-Ware zum letzten Album zusammen gekratzt, so etwas reizt mich eher nicht. Aber wenn die Bedingungen stimmen bin ich auch durchaus Splits oder EPs gegenüber nicht abgeneigt. Das ist ja das schöne bei uns, da wir die Sachen selber machen können und da recht frei sind.
metal.de: Gibt es für euch gewisse Veranstaltungen die ihr euch im Hinblick auf die Musikrichtung am ehesten vorstellen könntet für weitere Liveshows in Zukunft? Bei einem CULTHE-Fest etwa ist es ja etwa fraglich, ob es überhaupt noch stattfinden kann?
JR: Wir sind mit den Veranstaltern befreundet und das CULTHE-Fest ist tatsächlich fraglich momentan, aber die wollen durchaus im Winter wieder etwas machen, das ist ja direkt hier bei uns in Münster. Das wäre definitiv für uns denkbar, aber es gibt auch kleinere Undergroundfestivals oder größere Festivals wie das Party.San, was passen würde. Ich finde man muss schon ein wenig aufpassen, wo man spielt und wo man nicht spielt, also beim Steelfest wirst du uns eher nicht sehen, aber ich halte es im Black Metal für problematisch, dass du schnell in Ecken gestellt werden kannst für Situationen, für die du selbst vielleicht wenig kannst. Ich denk da an die alte ULTHA-Geschichte… ein, zwei mal mit den falschen Bands zusammen auf dem Billing gewesen und schon gab es den ausgeprägten Shitstorm. Wenn ich auf dem Party.San spiele und da spielen zwei, drei „problematische“ Bands, dann wäre das für mich ok.
Es gab auch im Backstage München in letzter Zeit Probleme mit Bands und der Antifa, wo ich auch nur mit dem Kopf geschüttelt habe, das ging entschieden zu weit. Nur weil eine Band mal irgendwo sich wegen Corona komisch geäußert hat oder mit irgendeiner anderen dubiosen Band zusammen gespielt hat muss man nicht gleich komplette Veranstaltungen canceln und unter Generalverdacht stellen. Das finde ich persönlich übertrieben. Wenn ich aber auf einem Festival spiele wo ganz klar dem NSBM zuzuordnende Bands spielen, kann ich mich halt auch nicht mehr rausreden. Das ist keine Grauzone mehr, sondern das sind gestandene Nazis und so etwas wäre natürlich Tabu. Aber sonst gibt es echt coole Veranstaltungen im Untergrundbereich so bis ein-, zweitausend Leute, veranstaltet mit Herzblut. Das Baden In Blut wäre da ein Beispiel für mich, wo wir mit unseren anderen Bands auch spielen. Und auf kleinen, coolen Szenefestivals würde ich schon gerne spielen, du kommst in einen Austausch mit anderen Bands, anderen Leuten, kannst selber vielleicht auch neue Bands entdecken, wir sind ja selbst auch immer noch Fans. In dem Genre muss man aber leider tatsächlich vielleicht noch mal ein zweites mal genauer hinschauen, was da so unterwegs ist, als wenn du Punkrock spielst.
metal.de: Definitiv. Vieles ist natürlich heutzutage freier, aber gleichzeitig auch irgendwie wieder einschränkend, sei das bei eben wie schon angesprochenen Liveveranstaltungen, aber vielleicht auch online. Also in dem Sinne, dass es mehr Ausdrucksformen, Medien, Genres gibt, vielleicht auch nicht mehr so die klassischen Gatekeeper von früher wie das Rock Hard, sondern viele persönliche Blogs, Onlinemagazine und so weiter, aber auch natürlich Fans, die sich etwa Neuerungen bei Bands oder generell im Metal verschließen. Das meinte ich auch vorhin mit: Man kann es den Leuten nicht recht machen.
Für einige ist ein Album zu sehr auf Linie und zu wenig experimentell und vorwärtsdenkend, für andere schon zu viel, für manche die Produktion viel zu klinisch, für andere viel zu schlecht und so weiter. Auch wir Metalpostillen sind ja eigentlich der natürliche Lebensraum für diese Debatten und damit ja eigentlich der natürliche „Feind“ einer jeden Band, da man natürlich ja auch gutes Feedback bekommen möchte und das ja auch nicht immer der Fall ist. Gibt es so Dinge, die euch an Reviews oder generell an Metalmedien richtig aufregen? Spielen solche Medien überhaupt noch eine Rolle? Ihr habt ja beispielsweise eure erste Single auch direkt über YouTube rausgehauen und nicht vorher irgendwo groß angekündigt.
JR: Ich find das eigentlich total gut, dass es so etwas noch gibt. Wenn ich merke, Leute haben sich mit meiner Musik beschäftigt und stellen mir Fragen dazu, dafür bin ich total dankbar. Natürlich teilen die vielleicht nicht immer meine Meinung und du hast auch Recht, es gibt auch definitiv unter Schreibern auch schon eher fragwürdige Gestalten oder Rezensionen. Und wenn es dann vielleicht einmal eine Rezension gibt die mir nicht so gefällt ist das halt so. Musik ist ja immer noch Geschmackssache. Über gute Reviews freue ich mich natürlich. Am Ende mach ich das ja genauso, ich höre und kaufe ja selber gerne Musik und manchmal hat die Lieblingsband vielleicht abgeliefert, manchmal aber vielleicht auch nicht. Ich denke Metal ist immer noch eine Sparte, wo das Drumherum wichtig ist, wo Leute gerne Rezensionen lesen, sich austauschen, sich ein Rock Hard oder Deaf Forever kaufen, was auch immer sonst tun.
Die von dir angesprochenen Gatekeeper gibt es ja doch noch. Es ist vielleicht nicht so krass wie früher ohne Internet, auf der anderen Seite gibt es selbst bei denen immer noch die Möglichkeit, dass Bands dort ein Forum bekommen können, was sie sonst nicht bekommen könnten. Das gibt die Möglichkeit auch noch mal eine kleine Band zu pushen. Und das, weil ein Magazin sie geil findet und da nicht dick Marketingbudget hinter steht oder eine Anzeige gebucht wurde. Solange man auch als Band noch dieses Gefühl hat, dass das passiert, finde ich das cool. Falls irgendwann mal das Gefühl eintreten sollte, dass die dicksten Labels mit der meisten Kohle sich für die großen Bands ihre Reviews einkaufen, kippt das sicherlich, aber das sehe ich ehrlicherweise nicht. Hype kann ja durch vieles ausgelöst werden, vielleicht nur ein Musikvideo bei YouTube das viral geht.
Und das kann dir eigentlich kein Heft oder kein Multiplikator mit bekanntem Namen verschaffen, das sind oft einfach Zufälle. Ich glaube wir bewegen uns immer noch in einer sehr integren Szene. Es gibt ehrlich gesagt wenig Länder wo Hefte und das Drumherum noch so populär sind wie in Deutschland. Ich mach das ja auch gerne, ich geh auf eure Webseite oder zur Konkurrenz und gucke einmal die Woche, was es spannendes Neues gibt und lese mir auch Rezensionen durch, einfach um auf dem Laufenden zu bleibenden. Ich nutze zwar auch Streaming und entdecke so neues, aber da werden dann Playlisten nicht mehr geupdatet oder so, also das kann auch manchmal einfach weniger gut sein. Da lese ich lieber eine gute Review, hör bei Gefallen rein und kauf mir dann das Album. Und solange es noch so läuft, bekommt doch jeder das, was er möchte: Wir als Band und ihr als Magazin.
metal.de: Danke, geht runter wie Öl und ist schön zu hören. Ich habe persönlich nämlich den Eindruck, dass das ganze Drumherum immer unwichtiger wird und dieser Mittelsmann zwischen Fan und Band immer mehr ins Hintertreffen gerät. Bands tauschen sich heute über Social Media direkt aus, es gibt weniger die Hardcorefans, die regelmäßig die Kolumne ihres Lieblingsredakteurs lesen oder so.
JR: Da gebe ich dir Recht, es wird definitiv weniger. Aber dennoch findet es ja noch statt. Es gibt Genres, da findet es gar nicht mehr statt. Vergleich das mal im HipHop, da ist so etwas tot, also wirklich tot.
metal.de: Ich hab mich nur gewundert, ob so Sachen wie Reviews in Magazinen für Bands überhaupt noch irgendeinen Mehrwert bilden, gefühlt ist alles direkter geworden. Es gab auch Diskussionen während Corona, ob sich die Metalszene nun „gesundschrumpft“, wobei ich das die vollkommen falsche Denkweise finde. Denn eine Szene kann nur gesund sein – auch mit großen Bands und Festivals und Namen – in deren Schatten dann mehr Diversität praktiziert werden kann.
Fällt auch das weg oder wird weniger, hilft das eigentlich keinem, Bands oder Veranstalter können sich ohne große Namen und ausbleibende Besucher vielleicht keine spannenden neuen Bands leisten und so weiter. Und Diveristätsverlust ist meiner Meinung nach immer schlecht für eine Szene. So – vielleicht ein bisschen die Brücke zu eurem Album „The Decline“ schlagend – sehe ich die Zukunft ehrlicherweise nicht wahnsinnig rosig. Ob das alles in fünf bis zehn Jahren immer noch so toll ist wie wir es jetzt gewohnt sind… abwarten.
JR: Das weiß ich auch nicht. Ich mache schon lange Musik und immer aus einer sehr idealistischen Sichtweise heraus, als mein persönlicher Ausdruck. Das klingt verrückt, aber während der Pandemie wusste ich nicht, ob ich überhaupt noch am Ende des Monats Geld auf dem Konto habe, also es war wirklich existenziell für viele Künstler, mich mit eingeschlossen. Auf der anderen Seite hat es eben NICHT dazu geführt, dass ich mir gesagt habe, auf die ganze Scheiße mit Musik hab ich keinen Bock mehr. Es war eher das Gegenteil, eine „Jetzt erst Recht“-Einstellung hat sich da für mich ergeben. Solange es so ist und ich Musik machen will und mir das etwas gibt, werde ich das weiterführen.
Und wenn dann keiner die Platte kaufen will oder auf Konzerte kommt, dann ist das schade, aber ist halt so. Man guckt auch als Band, was funktioniert. Klappt der Stream, war die Promo gut, gibt es Merchandise, es gibt heutzutage ja viel mehr was man als Band beachten kann und worum man sich kümmern muss, im Gegensatz zu früher. Und das wichtige ist, du musst dann auch am Ball bleiben, dich auf verschiedenen Spielwiesen austoben, Dinge machen, die du vielleicht gar nicht machen möchtest, aber die gehören nun mal dazu. Aber wenn du mich fragst, die Tatsache, dass wir uns hier unterhalten und über unsere Musik sprechen finde ich viel besser und interessanter als mir jetzt irgendeinen coolen neuen Social-Media-Post auszudenken, das bin einfach nicht ich. Ich hoffe deshalb, dass so etwas auch noch lange besteht, du dir vielleicht ein Interview durchlesen kannst in einem Magazin und Reviews.
Auf der einen Seite liest du oft Interviews wo du dir denkst, hätte man sich jetzt auch sparen können, auf der anderen Seite gibt es welche die echt gut sind, wo ich neue Dinge erfahren will von den Leuten, deren Musik ich mir anhöre, die ich auch wissen will. Vielleicht hat man gewisse Dinge anders verstanden oder interpretiert oder Leute vorverurteilt und manche Interviews können dann echt erhellend sein, in die ein wie auch andere Richtung. Dann gibt es natürlich noch so Formate wie Musikpodcasts und so. Es ist glaube ich auch eine Generationenfrage, ich bin mit den ganzen Heften wie Metal Hammer aufgewachsen und hab mir das regelmäßig gekauft. Dann gab es eine Phase wo das komplett eingestellt wurde und in der letzten Zeit, unter anderem in der Pandemie, hab ich auch wieder damit angefangen mir Hefte zu kaufen und zu lesen.
metal.de: Wenn wir gleich mal dabei bleiben: Ein Format wie ein Podcast, was natürlich etwas tiefer in die Materie geht, wäre das etwas, was du zu einem normalem Interview bevorzugen würdest? Ich würde dir Recht geben, dass manche Interviews tatsächlich – und da bin ich auch nicht ganz unselbstkritisch – eher wenig Mehrwert haben. Es ist manchmal schwer sich gute Fragen auszudenken oder in eine Band und die Materie einzuarbeiten. Gibt es in der Hinsicht etwas wie deine persönlichen schlimmsten Interviews oder doofsten Fragen oder so etwas?
JR: Puh, das ist schwierig zu beantworten. Ich finde es gibt keine schlimmen Interviewfragen, es gibt eher so Konstellationen wo du merkst, dass entweder die eine oder andere Seite keinen Bock darauf hat und da wird dann wahrscheinlich nicht viel bei rum kommen. Da ist auch das Format zweitrangig, ob abgedrucktes Interview oder Podcast. Wenn man nichts zu erzählen hat oder keinen Bock hat, ist das auch vollkommen ok. Es gibt auch genug Künstler von denen ich gar kein Interview lesen wollen würde (lacht). Vielleicht macht das dann einem auch manchmal die Band ein wenig kaputt.
Auch gerade im Black Metal gab es jüngst glaube ich ein gutes Beispiel mit KANOENFIEBER, wo es eine riesen Aufregung darum gab, dass Noise ja eigentlich aus dem Pop-Punk-Umfeld kommt. Wenn es nur so einen Müll gibt als Folge der Aufmerksamkeit, kommt da nichts vernünftiges bei rum. Man merkt einfach, ob jemand was zu sagen hat oder nicht.
metal.de: Vielleicht auf PERISH bezogen, das ist musikalisch ja doch eine andere Spielweise als bei LONG DISTANCE CALLING oder anderen Projekte von dir und euch. Wenn du an das Songwriting gehst, ist das sehr anders?
JR: Musik ist ja ein Katalysator für Emotionen die raus wollen. Es ist auf der einen Seite anders, auf der anderen eigentlich gar nicht. In dem Fall von PERISH war es so, dass erst alle Songs instrumental standen und wir Demos hatten. Mit diesen hab ich mich halt hingesetzt und hab dafür die Lyrics geschrieben, hab mir überlegt wie passender Gesang sein könnte und so weiter. Es stand schon ein grobes Konzept bei PERISH, von daher war es einfach wichtig, die Stimme und Lyrics auf den Song anzupassen. Aber es war viel unverkopfter, als das jetzt vielleicht klingt. Wir standen im Proberaum und zwei Songs waren eigentlich schon fast fertig. Natürlich verfeinert man das noch einmal während der Produktion, hier eine Melodie geändert, da einen Part vielleicht gekürzt oder länger gemacht, vielleicht sogar neu eingespielt, weil man nicht ganz zufrieden war.
Aber sonst gab es Songs, deren Grundgerüst innerhalb einer Stunde stand. Und das ist finde ich immer das Besondere gerade an Debüts, ohne Druck und ohne Reibereien einfach aus dem Bauch heraus Songs zu schreiben und das dann auf Platte zu bannen und ich finde jetzt im Nachhinein das hört man der Platte auch an. Natürlich hört man wo wir her kommen, aber es ist trotzdem sehr natürlich und unverkopft. Die Songs sind quasi aus uns herausgesprudelt, es war glaube ich einfach der passende Zeitpunkt und all der Druck der sich über die Zeit angestaut hat, konnte sich nun entladen.
metal.de: Musstest du dafür noch einmal extra üben, sei es für das Schlagzeug oder den Gesang? Damals meinte Florian etwa im Interview zur neuen LONG DISTANCE CALLING, dass er wahrscheinlich für schnelles Tremolo-Spiel eh keine Ausdauer mehr hätte und sich das wahrscheinlich neu antrainieren müsste.
JR: Ich habe in der Tat noch mal von befreundeten Schlagzeugern mir noch einmal ein wenig Doublebass-Unterricht geben lassen um das aufzufrischen und die Sachen spielen zu können. Aber jetzt bin ich auch wieder drin. Das bringt mich auch als Musiker weiter, andere nach Hilfe zu fragen, mich selber aufzunehmen, sehr selbstkritisch zu sein. Mir macht das nichts aus, das ist für mich kein Übel sondern der Grund weshalb ich Musik mache. Um sich selber weiter zu entwickeln.
metal.de: Hattest du eine besondere Übungsroutine oder nimmst du einfach nur auf und schaust was für Parts du verwenden kannst?
JR: Ja, ich hab in der Tat eine Übungsroutine für diese Platte gehabt, unter anderem für Doublebass, ich hab auch auf dem Pad viel gespielt. Einfach um auch wieder ein wenig mehr Power zu haben. Wir haben nicht großartig mit Triggern und Samples gearbeitet, deswegen war eine gleichmäßige Konsistenz bei den Schlägen schon sehr wichtig. Ich hab zwischendurch auch immer ein wenig so für mich gespielt. Ich hab ein Schlagzeug bei mir stehen und bald auch wieder meinen eigenen Übungsraum, das ist ganz nett. Das hat mich weiter gebracht und war auch echt spaßig.
metal.de: Von der Ästhetik her: Was muss ein guter Schlagzeugsound für dich haben, vielleicht auch auf einer Black Metal Platte?
JR: Er muss ein bisschen eigen sein. Es ist immer die Frage was man will. Es gibt sehr rohen, fies klingenden Sound, den ich bei manchen Bands total geil finde, solange das jemand spielt, der das auch kann. Vielleicht nicht komplett Garage, so dass ich Snare und Bassdrum nicht mehr unterscheiden kann, aber wenn jemand hinterm Kit sitzt der weiß was er tut kann der Sound auch total fischroh für mich sein. Auf der anderen Seite ist ein grosser, halliger Sound wie bei einem „Storm Of The Light’s Bane“ natürlich auch geil, die Platte hat ein wenig so einen gewissen Schlagzeugsound im Black Metal geprägt.
Gerade wenn man die Tom-Rolls hört weiß jeder Bescheid, wurde tausendfach kopiert. Aber auch in anderer Hinsicht ist das Album natürlich ein Klassiker. Es gibt glaube ich auf YouTube eine Dokumentation mit Dan Swanö über die Aufnahmen zu dem Album, sehr cool. So lange Eigenständigkeit mitschwingt ist mir das ziemlich egal, denn diese Musik braucht einfach eine gewisse Eigenständigkeit. Einfach nur zu kopieren was alle anderen machen ist zu wenig, das wird schnell langweilig und gleichförmig.
metal.de: Damit wären wir dann auch schon durch, danke dir für deine Zeit, viel Erfolg mit „The Decline“ und PERISH!