Paradise Lost
"Das Album wird während einer Apokalypse veröffentlicht."

Interview

Die Songs, von denen du nicht ganz weißt, woher sie kommen, hast du ja erwähnt. Könntest du uns aber mal einen kleinen Einblick in Songs geben, von denen du weißt, wieso du sie so geschrieben hast, und die dir besonders wichtig sind?

Greg: „Fall From Grace“, das gerade auch als Video rausgekommen ist, kommt „Medusa“ stilistisch wahrscheinlich am nächsten. Der Grund dafür ist, dass das der erste Song war, den ich für „Obsidian“ geschrieben habe. Es gibt immer diesen Song, der quasi ein Brückensong ist. Ein Song, der eine Verbindung zum Vorgängeralbum herstellt. Das ist „Fall From Grace“, und ich finde, der hat einige gute Hooks und ist ein sehr traditioneller PARADISE LOST-Song. Mir gefallen Nicks Vocals im Refrain sehr gut. Ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert, weil der Refrain musikalisch gesehen heavier wird, gesanglich aber sehr subtil und leicht ist. Das ist eine coole Dichotomie.

Ich mag auch „Ravenghast“ sehr, den letzten Song. Einfach, weil er irgendwie ein wenig bombastisch ist, ohne den schmalen Grat zum Kitsch zu überschreiten. Das ist eine Grenze im Gothic Metal, die mir immer Sorgen macht, und die viele andere Bands überschreiten. Das macht mir irgendwie Angst, zu kitschig und unsere eigene Parodie zu werden. Ich hoffe, das ist uns bisher nicht passiert. Ich teste diese Grenze aber ab und zu gerne aus. Und so ein Song ist „Ravenghast“.

Der Opener „Darker Thoughts“ ist einer der interessantesten Tracks für mich. Der war quasi ein Unfall. Ich habe eigentlich ein Intro für das Album geschrieben, das gar kein Song werden sollte. Ich habe es Nick geschickt und ihn gefragt, wie sich das Intro bisher so macht. Er hat es mit einer Gesangsspur zurückgeschickt und es klang eher nach FLEEDWOOD MACK oder so. Davon war ich eher verstört, aber je öfter ich es angehört habe, desto besser gefiel es mir, und so haben wir es zu diesem Song weiterentwickelt. Mir gefällt, dass es ein Song ist, der aus zwei Hälften besteht. Der könnte an keiner anderen Stelle auf dem Album stehen. Wenn die Leute das Album auflegen, werden sie sich denken, „was zur Hölle ist das?“ Und dann kommt der typische Sound von PARADISE LOST auf halbem Weg.

Galerie mit 14 Bildern: Paradise Lost - Summer Breeze Open Air 2018

Es gibt manchmal Stücke, von denen man nicht erwartet, dass sie funktionieren. Zum Beispiel „Hope Dies Young“. Als wir das Demo gemacht haben, hatte ich eher gedacht, dass es ein Bonustrack wird, statt eines Albumtracks. Als wir ihn dann aber im Studio aufgenommen haben, hat alles angefangen, Sinn zu ergeben. Das passiert uns normalerweise nicht. Normalerweise können wir Songs von Anfang an genau einschätzen. Welche stark sind und welche nicht. Dafür ist ein anderer Song, „Hear The Night“, jetzt ein Bonustrack. Der Grund ist, dass er musikalisch sehr ähnlich zu „Ravenghast“ ist. Das ist zwar eigentlich der Stil, der mir gefällt, aber ich verstehe auch, dass man nicht zwei solche Stücke auf einem Album haben kann. Man muss an das Album als Ganzes denken.

Kommen wir mal zum Titel und zum Artwork. Das Artwork hat mich sofort an viktorianische Geheimbünde erinnert. Mit der Musik oder den Texten hat das aber so gar nichts zu tun.

Greg: Lustig, dass du viktorianische Geheimbünde erwähnst. Daran hatte ich persönlich noch gar nicht gedacht und du bist auch die Erste, die das sagt. Ich weiß aber genau, was du meinst. Die viktorianischen Geheimbünde haben die ganzen Symbole verwendet, die wir auch verwenden, und sie haben sie aus den gleichen Quellen entlehnt. Nämlich alte, heidnische, vorchristliche Ikonografie in England. Das kommt daher, dass der Stein Obsidian oft eine Rolle in der alten europäischen Mythologie und Folklore gespielt hat.

Cover Artwork von PARADISE LOST "Obsidian"

Cover Artwork von Paradise Lost „Obsidian“

Das war die Vorgabe, die wir dem Künstler gegeben haben. Wir wollten diese vorchristliche Ikonografie, als die Menschen noch Tiere und Bäume verehrt haben. Nicht, dass das unserem Glauben entspricht – ich bin durch und durch Atheist – aber es ist eine interessante historische Periode und die Ikonografie ist fantastisch. So kam auch der Titel „Obsidian“ ins Spiel, und „Ravenghast“, was ursprünglich mal der Albumtitel werden sollte.

Ich kann aber genau nachvollziehen, wie du auf viktorianische Geheimbünde kommst. Ich finde es auch immer toll, wenn jemand etwas komplett anders interpretiert als wir, es aber genau so viel Sinn ergibt. Eines unserer Ziele war schon immer, Artworks und Songs zu machen, die den Leuten nicht zu viel vorgeben, sondern sie ihre eigenen Interpretationen finden lassen.

Damit wären wir durch. Gibt es von deiner Seite etwas hinzuzufügen? Die Frage, was als Nächstes für PARADISE LOST ansteht, habe ich angesichts der aktuellen Situation mal gestrichen…

Greg: Ich Moment hängt alles etwas in der Luft. Es ist sehr merkwürdig, sich in dieser Zeit um Presseangelegenheiten zu kümmern. Als ich angefangen habe, Interviews zu „Obsidian“ zu geben, was erst zwei, drei Tage her ist, habe ich mich gefragt, ob ich wirklich Werbung für ein Album machen soll, wenn so viel mehr auf dem Spiel steht. Ich habe mich fast schuldig gefühlt. Dann habe ich mit einigen Leuten darüber geredet und realisiert, dass es sogar noch wichtiger sein könnte, es in dieser Zeit zu veröffentlichen. Denn vielleicht ist Kunst – also Musik, Filme, Bücher und so weiter – etwas, das die Menschen gerade in dieser Situation brauchen. Damit beantworte ich natürlich nicht die Frage, sondern philosophiere nur darüber, was gerade abgeht. Ich glaube, es gibt eigentlich nichts hinzuzufügen, außer, das Album wird während einer Apokalypse veröffentlicht.

Vielen Dank für das Interview, und alles Gute!

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Quelle: Gregor Mackintosh, Paradise Lost
04.05.2020

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