Paradise Lost
Interview mit Nick Holmes und Greg Mackintosh zu "Faith Divides Us, Death Unites Us"
Interview
Gothic Metal und Hochsommer passen nicht zusammen. Jedenfalls dann nicht, wenn Nick Holmes und Greg Mackintosh von PARADISE LOST für ihr neues Album einen Interviewmarathon hinlegen müssen, während die Thermometer in der Dortmunder Zentrale ihrer Plattenfirma Century Media knapp 30 Grad Celsius anzeigen. Greg sieht man die Anstrengung deutlich an: „Oh, mir ist es zu warm… Ich leide! Es ist der heißeste Tag, den ich je in Deutschland erlebt habe… Morgen werden wir in Spanien sein, da wird es sicherlich noch wärmer sein…!“
Wie sind bislang die Reaktionen auf das neue Album? Habt Ihr schon ein paar der neuen Stücke live gespielt?
Greg: Nun, bislang haben wir noch keinen Song live gespielt, weil die sonst alle vorab auf YouTube auftauchen, das macht dann alles keinen Sinn. Aber die Reaktionen der Fans auf die Stücke, die wir auf unser MySpace-Profil geladen haben, sind doch sehr positiv, sogar die Kommentare auf Blabbermouth.
Wie zufrieden seid Ihr mit dem neuen Album „Faith Divides Us, Death Unites Us“?
Nick: Sehr zufrieden, weil wir sehr hart an den Stücken gearbeitet haben und die Aufnahmesessions doch sehr intensiv waren.
Greg: Ich denke mal, es kann sich mit unseren drei besten Alben messen. Produktionstechnisch ist es definitiv das beste Album. Wir haben so viel Zeit darauf verwendet, einen Sound hinzubekommen, der sich von dem Klang dieser ganzen amerikanischen Metalbands abhebt: Wir wollten kein gepresstes Schlagzeug, gepresste Gitarren, die Lautstärke voll aufgedreht, so dass man von einer Lärmwand erschlagen wird. Wir wollten einen viel räumlicheren Klang haben, wo man die einzelnen Instrumente heraushören kann.
Was das Songwriting betrifft, sind wir diesmal bewusst unkommerziell vorgegangen, weil wir mit unserer Musik nicht in erster Linie 18-jährigen Kids der MTV-Generation gefallen wollen. Wir sind unglückliche Männer aus dem Norden Englands, die es einigermaßen vernünftig hinbekommen, unglückliche Musik zu schreiben.
Bei Euch ist es ja seit jeher so, dass ausschließlich Ihr beiden die Musik schreibt. Wie geht Ihr dabei vor?
Greg: Nick schreibt die Texte, ich die Musik. Aber wir sind so etwas wie eine Demokratie. Wir alle setzen uns zusammen und diskutieren das neue Material. Wir würden niemals Musik veröffentlichen, mit der nicht alle in der Band zufrieden sind. Zumeist starte ich mit einem Riff oder einer Melodie, dann kommt Nick mit einer Gesangslinie dazu, dann schickt er das wieder zurück, und so fort. Es geht immer hin und her. Und wenn es Nick, Aaron [Aedy, Rhythmus-Gitarre], Steve [Edmondson, Bass] und mir gefällt, arbeiten wir daran weiter.
Als Ihr mit dem Songwriting zum neuen Album angefangen habt, was hat Euch inspiriert?
Greg: Es sind auf jeden Fall einige Anleihen an unsere älteren Sachen dabei, früher Doom Metal, Death Metal. Es gibt aber auch Inspirationen von religiöser Musik, wie Hymnen. Nick und ich hatten die Idee, uns an Chorälen zu versuchen, an diesen sehr charakteristischen Progressionen von Kirchenmusik. Ich habe versucht, das auf der Gitarre zu adaptieren. Insgesamt ist „Faith Divides Us, Death Unites Us“ ein sehr lebendiges und dynamisches Album mit Höhen und Tiefen.
Wie würdet Ihr die Atmosphäre auf dem neuen Album beschreiben?
Nick: Es ist ein sehr düsteres Album. Wir haben versucht, diesen melancholischen Touch hinzubekommen, den wir immer haben. Gleichzeitig wollten wir aber die Extreme wieder ein wenig mehr ausloten. Deshalb haben wir auf dem Album jede Menge Melodien und gleichzeitig sehr harsche Passagen. Aber generell ist es einfach so, dass wir wissen, was unsere Musik ausmacht. Das ist ein Lernprozess, der sich mit jedem Album fortsetzt: Man merkt, was funktioniert und was nicht. Aber wenn man etwas Neues ausprobiert, weiß man natürlich nie vorher, ob es gut funktioniert. Das neue Album macht da keine Ausnahme.
Greg: Für mich ist die Atmosphäre auch sehr düster. Ich hatte die Aufnahmen vor der Listening Session einen Monat lang nicht mehr gehört, und danach kam mir das Album noch düsterer vor, als ich es in Erinnerung hatte. Es ist ein sehr elendes und unglückliches Album, nichts, was einem Pop-Fan gefallen könnte. Und wir wollten genau so ein Album machen und haben es meiner Meinung nach erreicht.
Der Titel des Albums, „Faith Divides Us, Death Unites Us“, ist ja in seiner Aussage sehr direkt. Was bedeutet er für Euch und warum habt Ihr ihn als Albumtitel gewählt?
Nick: Eigentlich bezieht sich die Zeile nur auf den Refrain des Titeltracks, und wir wollten ursprünglich das Album ganz anders nennen. Es geht darum, dass Menschen ebenbürtig geboren werden und dass das beim Sterben nicht anders ist. Wenn jemand gläubig ist, ist das schön und gut, aber wenn sich jemand dadurch über andere erhebt, kann ich das nur ablehnen.
Greg: Ich finde es schon ein wenig ironisch, dass wir einen so atheistisch klingenden Albumtitel haben, während die Musik und das Artwork doch sehr religiös beeinflusst sind. Es ist aber eine sehr direkte Aussage, die eigentlich selbsterklärend ist. Wenn Du Dir die Texte in den Songs durchliest, wirst Du erkennen, dass sie nicht nur schwarz und weiß sind. Es sind einfach nur Beobachtungen aus dem Leben. Wir erklären nicht, dass wir besser sind als andere. Ich war immer Atheist, aber vor einigen Jahren war ich mal eine Zeitlang sehr eifersüchtig auf Leute, die an etwas glauben. Ich dachte, es müsste doch sehr schön sein, diese Stütze zu haben, gerade wenn du niedergeschlagen bist. Dann habe ich ein Interview mit einem dieser religiösen Publizisten gelesen, und er sagte: „Wenn du keinen Gott in deinem Leben hast, keine Moralvorstellungen, wie kannst du dann ein erfülltes Leben haben?“ Ich fand das sehr bevormundend und unwissend. Ich kann doch selbst beurteilen, was gut und böse ist, und wann ich gut zu anderen bin und wann nicht. Ich weiß doch selbst, wie ich ein erfülltes Leben lebe, ohne dass ich zu jemandem in den Himmel heraufschaue.
Diesmal seid Ihr für die Aufnahmen nach Schweden gejettet, um in den Fascination Street Studios in Örebro bei Jens Bogren aufzunehmen. Wie seid Ihr auf Jens Bogren gekommen und wie verlief die Zusammenarbeit?
Greg: Ich wurde schon häufig gefragt, ob wir mit Jens zusammenarbeiten wollen, weil er die aktuellen Alben von OPETH und AMON AMARTH aufgenommen hat. Der einzige Grund war aber, dass er letztes Jahr unsere Live-DVD „The Anatomy Of Melancholy“ abgemischt hat. Wenn Du gehört hättest, was wir ihm gegeben haben und was er daraus gemacht hat… es war einfach gute Arbeit. Wir haben ihn niemals getroffen, aber das war der Grund, warum wir diesmal in seinem Studio aufnehmen wollten. Und dann waren wir in Örebro, mitten im Nichts, alles war schneebedeckt… Viele Leute sagen ja, dass sie die Abgeschiedenheit mögen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich hatte da aber das Gefühl, mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, es war wirklich harte Arbeit!
Dazu musst Du wissen, dass Jens wirklich von 9 bis 17 Uhr arbeitet. Ich kenne keinen anderen Produzenten, der einen so klar geregelten Arbeitstag hat wie er. Wir stehen üblicherweise gegen Mittag auf, fangen um zwei an und bleiben bis drei Uhr nachts. Bei Jens war es aber so, dass kurz nach fünf der Toningenieur gehen durfte, aber morgens vor neun auch da sein musste. Das hat uns anfangs richtig sauer gemacht, aber nach zwei Wochen hatten wir uns daran gewöhnt. Wir haben nichts getrunken – weil es auch nichts gab – wir haben aufgehört, uns zu streiten, wir haben Gewicht verloren, wir haben aber besser gearbeitet. Also musste an dieser Arbeitsweise wirklich was dran sein, haha! Es ist nicht so, dass ich es gemocht habe, aber wenn ich das Ergebnis höre, dann hat es sich gelohnt. Ich würde sogar wieder so arbeiten, auch wenn es kein Spaß war!
Auf dem Album habt Ihr mit Peter Damin einen Sessiondrummer eingesetzt. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Greg: Das kam durch Jens. Peter Damin ist ein reiner Sessiondrummer. Wir haben ihn auch nicht getroffen, bevor wir ins Studio gingen, ich habe ihm aber drei, vier Wochen vorher Dateien mit den neuen Stücken geschickt. Er ist ein Mann mit acht Armen. Ich habe noch nie vorher mit einem Sessiondrummer zusammengearbeitet, aber er kann wirklich alles spielen, was du willst, von Jazz über Rock bis Metal. Und für uns war das natürlich auch eine sehr schöne Erfahrung zu sehen, wie sich die Songs dadurch noch einmal weiterentwickeln. Später haben wir das Album Adrian [Erlandsson, ex-CRADLE OF FILTH, AT THE GATES, THE HAUNTED] vorgespielt und er meinte nur: „Oh, da müssen mir noch ein paar Arme wachsen, bis ich das spielen kann!“
Gutes Stichwort: Kurz vor den Aufnahmen zum neuen Album habt Ihr Adrian Erlandsson in die Band geholt. Wie seid Ihr in Kontakt gekommen?
Greg: Adrian spielt Schlagzeug bei BRUJERIA, und wir waren mit CARCASS auf Tour. Jeff Walker, der in beiden Bands spielt, hat Adrian dann erzählt, dass wir immer noch einen Drummer suchen, und ihm nahegelegt, bei mir anzurufen. Wir haben dann zusammen gejammt, und nach drei oder vier Songs haben wir dann gemerkt, dass er zu uns passt. Der größte Unterschied zu Jeff Singer ist, dass Adrian ein Metal-Drummer ist. Er passt einfach wunderbar zu uns, ist in unserem Alter, hat denselben Humor wie wir, und außerdem ist er schon lange im Musikgeschäft. Er weiß genauso wie wir, wie die Dinge im Musikbusiness laufen, und dann kannst du sie nicht mehr richtig ernst nehmen. Wir verbringen eigentlich die meiste Zeit damit, über irgendwelche Sachen zu lachen.
Wir haben zwar noch nicht mit ihm getourt, aber schon ein paar Festivals gespielt, und das hat bislang richtig gut geklappt.
Endlich einmal geklappt haben auch ein paar Auftritte mit ANATHEMA und MY DYING BRIDE, die Ihr letztes Jahr zu Eurem 20-jährigen Jubiläum gespielt habt. Was war das für eine Erfahrung für Euch?
Nick: Für Fans der drei Bands war das sicherlich ein tolles, kraftvolles Package. Es ist eigentlich eine Schande, dass es so lange gedauert hat, bis wir zusammen auf Tour gegangen sind. Aber uns hat es Spaß gemacht. Wir haben ANATHEMA zwar ab und zu auf Festivals getroffen, aber schon lange nicht mehr abgehangen. Es war ziemlich lustig.
Greg: Und vielleicht gibt es ja irgendwann in der Zukunft noch einmal die Möglichkeit, das im Rahmen einer Mini-Tour zu wiederholen. Dann könnten wir auch in London, Paris und in vielen weiteren Städten auftreten.
Jetzt steht aber im Herbst erst einmal eine ebenfalls sehr reizvolle Tour mit SAMAEL und GHOST BRIGADE an, die Euch quer durch Europa führen wird. Danke für das Interview!
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Stile | Death Metal, Gothic Metal |
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