Paradise Lost
Interview mit Gregor Mackintosh zum 25-jährigen Bestehen
Interview
1988, als der Death Metal langsam sein Haupt erhob, gründeten sich PARADISE LOST im englischen Halifax. Jetzt, im Herbst 2013 soll gefeiert werden: Das 25-jährige Jubiläum der Band wird von einer besonderen Konzertreihe und einer ganz speziellen Veröffentlichung begleitet. Gregor Mackintosh, neben Sänger Nick Holmes die kreative Kraft des Quintetts, blickt im Zwiegespräch aus diesem Anlass auf alte Zeiten, auf Höhen und Tiefen einer bewegten Karriere, zurück.
Hallo Greg, PARADISE LOST haben eine spezielle Tour anlässlich des 25-jährigen Bandbestehens geplant – was können eure Fans erwarten? Neben den Klassikern auch alte beziehungsweise selten gespielte Lieder?
Ja, es werden die Stücke aus unserer gesamten Karriere sein, die bei einer Online-Umfrage auf Facebook unter unseren Fans die vordersten Plätze belegt haben. Auch mindestens ein, zwei Lieder, die wir seit mehr als 20 Jahren nicht mehr live gespielt haben, werden dabei sein.
Dann darf man ja gespannt sein. Hattet ihr denn innerhalb der Band schon eine Jubiläumsfeier im kleinen Kreis?
Nein, wir machen solche Sachen nicht. Wir gratulieren uns sogar nicht einmal zum Geburtstag.
Zur Jubiläums-Tour wird es auch eine Veröffentlichung namens „Tragic Illusion 25“ geben – der Titel ist eine Zusammensetzung aus dem Namen eures letzten Albums und dem eures „Frozen Illusion“-Demo. Was darf man hier erwarten?
Es wird von allem etwas geben: Ein neues, extra für diesen Anlass geschriebenes Lied („Loneliness Remains“), zwei Neuaufnahmen von uraltem Stoff („Gothic“ und „Our Saviour“) sowie eine Menge B-Seiten der letzten drei Alben, die teilweise schwer zu bekommen sind und unter denen sich einige Lieblingsstücke von so manchem Band-Mitglied finden.
Lass uns einmal einige Punkte aus den Anfängen von PARADISE LOST beleuchten, die vielen vielleicht weniger bekannt sind: Es soll Nick gewesen sein, der den Namen PARADISE LOST aufbrachte, weil er John Miltons Werk im Bücherregal seiner Eltern fand? Habt ihr zuvor auch schon andere Namen diskutiert? Und du hast damals das Band-Logo entworfen?
Ja, das müsste alles so stimmen. Es ist einfach alles schon so lange her. Ich war damals Drucker und so ergab es sich, dass ich die Demo-Cover zusammenstellte und druckte. Als wir ganz zu Anfang 1988 noch zu dritt waren, spielten wir mit ständig wechselnden Namen, schreckliches Zeug wie CORPSE GRINDER, MORBIUS und PROPHECY. Sobald wir aber zu fünft waren, entschieden wir uns glücklicherweise für PARADISE LOST.
[PARADISE LOST 1991]
Aaron ließ kürzlich in einer Presseinfo verlauten, dass ihr während eures ersten Auftritts ein SODOM-Lied nachgespielt habt. Erinnerst du dich noch, welches es war? Und welche anderen Sachen habt ihr damals so gecovert?
Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, welches Lied es war. Eine gelungene Interpretation jedenfalls war es nicht. Wir haben dann einige Jahre nichts mehr gecovert – bis zu „Death Walks Behind You“ von ATOMIC ROOSTER auf unserer „As I Die“-Single 1992. Klar, im Proberaum haben wir immer mal wieder zum Spaß das ein oder andere nachgespielt, etwa „The Tempter“ von TROUBLE.
War es das „Frozen Illusion“-Demo, das euch damals den Vertrag mit Peaceville Records brachte oder wie lief das 1989 ab? Hat Nick nicht sogar für das Label gearbeitet?
Ja, das „Frozen Illusion“-Demo kam damals im (Death-)Metal-Untergrund ziemlich gut an und das führte dazu, dass sowohl Hammy von Peaceville als auch Dig von Earache uns einen Vertrag anboten. Wir entschieden uns für Peaceville, weil die näher an unserem Wohnort saßen und auch mehr Punk-Flair besaßen. Nick hat tatsächlich eine Weile bei denen gearbeitet, er hat sogar das Layout des ersten AUTOPSY-Albums „Severed Survival“ entworfen.
Nach eurem „Lost Paradise“-Debüt 1990 erschien Anfang 1991 euer heute legendäres „Gothic“-Album, das einen großen Einfluss auf viele junge Bands hatte. Wie entstand das Album – steckte ein Plan dahinter oder war das Resultat doch eher Zufall? Wann habt ihr realisiert, dass ihr da mehr als eine Standard-Death-Metal-Scheibe aufgenommen hattet?
Wir probten zu der Zeit in der hintersten Ecke einer Autowerkstatt. Wir waren immer noch stark im Death und Doom Metal verhaftet, aber standen auch auf frühe Gothic-Musik wie THE SISTERS OF MERCY und SOUTHERN DEATH CULT. So versuchten wir, diese Stile zu einem Ganzen zu verschmelzen und „Gothic“ war das Resultat. Aber das geschah vielleicht eher beiläufig als wirklich geplant. Alles war sehr unschuldig und als die Platte veröffentlicht wurde, dauerte es eine Weile, bis wir und andere begriffen, was wir getan hatten.
Der Nachfolger, „Shades Of God“, wird in eurer Diskographie zwischen den beiden Meilensteinen „Gothic“ und „Icon“ gerne übergangen. Was denkst du über euer drittes Album? Kann es mit „Gothic“ und „Icon“ mithalten?
Ich glaube gerade weil es so unterbewertet ist, würden die meisten aus der Band „Shades Of God“ als ihr Lieblingsalbum bezeichnen. Auch ich liebe diese Platte, aber sie besitzt vielleicht nicht diese Individualität, die „Gothic“ und „Icon“ auszeichnet. Mit „Gothic“ machten wir uns auf zu neuen Ufern, mit „Icon“ fanden wir später unseren Stil. Mit „Shades Of God“ hatten wir einfach Spaß.
„Icon“ wird oft als makelloses Metal-Album bezeichnet. Was würdest du heutzutage, genau 20 Jahre nach der Veröffentlichung, daran anders machen?
Es ist gut so wie es ist. Der Entstehungsprozess wäre natürlich heutzutage ein anderer: Das Liederschreiben hat sich durch das Internet verändert. Damals spielte ich Passagen auf Band ein und zeigte es dann bei den Proben der restlichen Truppe. Heute spiele ich Passagen auf ein virtuelles Band und schicke sie den anderen per E-Mail. Bei Aufnahme und Produktion ist der Unterschied noch größer: Die ersten fünf Alben haben wir alle live und analog auf Band aufgenommen. Jetzt wird alles digital gemacht. Beides hat Vor- und Nachteile, am Computer kannst du an allem so lange herumbasteln, bis alles perfekt klingt. Aber ich bevorzugte die altmodische Art, wo nicht alles perfekt war, aber dafür Authentizität und Atmosphäre besaß.
Mit „Icon“ und seinem etwas glatteren Zwilling „Draconian Times“ seid ihr Mitte der neunziger Jahre zur äußerst populären Metal-Band gewachsen; nicht wenige sagen, es war der Höhepunkt eures Ruhmes. Was denkst du, welchen Status hätten PARADISE LOST heute, wenn ihr 1997 mit „One Second“ und insbesondere 1999 mit „Host“ nicht den experimentellen, kontroversen Pfad eingeschlagen, sondern den metallischen weiter verfolgt hättet? Glaubst du, PARADISE LOST wären heute vielleicht so groß wie METALLICA oder IRON MAIDEN?
Für jede METALLICA gibt es eintausend ANVILs. Ich denke nicht, dass konstantes Wiederholen der Weg zum Erfolg ist; es funktioniert lediglich bei einer Handvoll Bands unter Millionen. Wenn wir uns Ende der neunziger Jahre nicht verändert hätten, gäbe es PARADISE LOST heute nicht mehr – denn Fließbandarbeit, die es dann geworden wäre, muss doch fast zwangsläufig zur Frustration führen.
Habt ihr die Mittneunziger denn auch selbst als eure absolute Hochphase wahrgenommen?
Ja. Man kann schon sagen, dass unser Headliner-Konzert auf dem heute legendären Dynamo Open Air 1995 vor über 100.000 Zuschauern der Höhepunkt unserer Karriere war. An diesem Tag kam einfach alles zusammen, alle unsere Freunde und viele gute Bekannte aus anderen Bands waren dort. Zudem war dieses eine riesige Festival jenes, was wohl am ehesten als das Woodstock des Metal bezeichnet werden kann.
Und was war im Gegensatz dazu der Tiefpunkt eurer Karriere?
Die frühen 2000er-Jahre waren definitiv der Tiefpunkt. Wir kamen nicht miteinander klar, hatten Label-Probleme und persönliche Baustellen. Wir waren wenig fokussiert und hatten unsere Identität verloren. Ja, wir standen damals wirklich haarscharf vor der Auflösung.
So kam es glücklicherweise aber nicht und seit 1990 haben PARADISE LOST mittlerweile 13 Studioalben veröffentlicht. Wenn du dich für zwei davon entscheiden müsstest, die dir am liebsten sind, welche wären dies und wieso?
„Shades Of God“ – weil ich denke, dass es ein ungeschliffener Diamant ist. „Icon“ – weil es PARADISE LOST definiert.
Kannst du schon etwas zu Album Nummer 14 sagen? Das sehr erfolgreiche „Tragic Idol“ liegt jetzt ja auch bald anderthalb Jahre zurück. In welche Richtung wird das neue Material gehen?
Wir werden uns nach den Jubiläumskonzerten im Herbst an das konzentrierte Schreiben machen. Ich habe bereits einige Ideen, aber ich weiß noch nicht, ob sie sich umsetzen lassen. Ich würde mit dem kommenden Album gerne in eine etwas andere Richtung gehen als zuletzt, aber wir werden nicht krampfhaft etwas Ausgefallenes tun, nur um etwas Ausgefallenes zu tun. Wenn, dann kommt es von ganz alleine.
Was denkst du, wie lange PARADISE LOST noch existieren werden? Wie lange wird das Feuer brennen? Werden wir euch 2023 noch auf der Bühne stehen sehen, wenn ihr alle schon in euren Fünfzigern seid?
Wer weiß das schon. Ich dachte nicht, dass wir überhaupt so weit kommen, dass PARADISE LOST so lange bestehen. Mein Death-Metal-Projekt VALLENFYRE, das ich seit einigen Jahren betreibe, hat meine Liebe zur Musik und zum Metal wieder völlig entfacht und mich auch bezüglich PARADISE LOST wieder sehr enthusiastisch werden lassen. Wir haben unseren eigenen Stil, was in der heutigen Metal-Szene sehr selten ist. Wir sollten das nicht leichtfertig aufgeben.
Greg, danke für das Gespräch und alles Gute für die anstehende Tour.
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Stile | Death Doom Metal, Death Metal, Doom Metal |
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