Pain of Salvation
Interview mit Daniel Gildenlöw zu "Road Salt Two"

Interview

Pain of Salvation

Daniel Gildenlöw ist ein Querkopf, das dürfte jedem klar sein, der den musikalischen Werdegang von PAIN OF SALVATION verfolgt. Dass er darüber hinaus aber auch ein sehr intelligenter und angenehmer Gesprächspartner ist, der einen herrlich trockenen Humor pflegt, macht ein Interview mit ihm zu einer höchst unterhaltsamen Angelegenheit. Einmal in Fahrt gekommen, ist es dann schier unmöglich, den Schweden wieder zu stoppen, so dass nach einem knapp dreiviertelstündigen Gespräch immernoch eine Menge Fragen offen bleibt, während man das Gefühl hat, das bisher gesagte noch stundenlang vertiefen zu können. Wie man sich als Redakteur aus dieser misslichen Lage wieder heraus manövriert? Am besten vermutlich gar nicht – aber lest selbst!

Pain of Salvation

Hallo Daniel, danke für den Anruf.

Es ist mir eine Freude. Zumindest glaube ich, dass es das sein wird. (lacht)

Wir werden sehen. Ich bin ehrlich gesagt immer ziemlich nervös vor diesen Interviews. Geht es dir da ähnlich, wenn du der Presse ein neues Album vorstellst und noch nicht weißt, wie die Reaktionen ausfallen werden?

Früher habe ich immer gesagt, dass es mir nicht wichtig ist, was andere Leute von unseren Alben halten. Aber ich müsste lügen, um zu sagen, dass ich überhaupt nicht nervös bin. PAIN OF SALVATION-Alben waren noch nie leichte Kost und wir haben nie das gemacht, was die Leute von uns erwartet haben. Dadurch haben wir es uns selbst immer ziemlich schwer gemacht. Unsere Musik braucht eben ihre Zeit, deswegen stellen wir uns immer auf halbgare Reviews ein, weil wir wissen, dass die Leute normalerweise etwas länger brauchen, um zu verstehen, wie brilliant wir wirklich sind – da musst du jetzt aber einen Smiley machen, damit ich nicht total arrogant rüberkomme! ;o) (lacht)
Aber selbst, wenn man schon im Vorfeld damit rechnet, dass die Leute über ein neues Album die Stirn runzeln werden, will man tief in seinem Inneren eben doch Anerkennung für das ernten, was man macht. Das gilt wohl für jedes menschliche Wesen, es steckt so tief drinnen in jedem von uns und natürlich bin auch ich nicht frei davon. Ich will wirklich, dass jeder unsere Alben mag, aber das ist nicht der kreative Motor, wenn ich neue Musik kreiere. Ich möchte immer ein Album machen, das jeder liebt – und dann mache ich tatsächlich eine Scheibe, für das viele Leute im ersten Moment einfach nur ein verständnisloses „Häh?“ übrig haben. Ich weiß auch nicht, vermutlich wird dieser Zwiespalt immer existieren.

Wenn man so komplexe und emotional tiefgründige Musik macht wie du, kann man wohl einfach nicht von jedem gemocht werden.

Ich weiß. Und trotzdem will ich von allen geliebt werden. Das ist einfach ein Konflikt, der sich niemals lösen lassen wird. Ich könnte mich nie hinsetzen und die Musik machen, von der ich weiß, dass sie jeder mag. Das wäre einfach total falsch und ich könnte es selbst nicht lieben. Das macht eben alles so schwierig.

Verstehe. Bevor ich jetzt irgendetwas zu „Road Salt Two“ sage, würde ich gerne wissen, worin du selbst die größten Unterschiede zum Vorgänger siehst.

Schwer zu sagen. Ich hab mir inzwischen so sehr angewöhnt, zu sagen, dass das zweite Album düsterer ist, dass ich gar nicht mehr richtig darüber nachdenke, ob das überhaupt stimmt. Als ich anfing, Interviews zu „Road Salt Two“ zu geben, kam ich an den Punkt, wo ich das schon immer ganz automatisch sagte. Irgendwann hielt ich dann für einen Moment inne und dachte mir: Ist es wirklich düsterer? Oder habe ich mich nur daran gewöhnt, so zu denken? Denn als ich anfing, das „Road Salt“-Material zu schreiben und es dann auf zwei Alben aufteilte, hatte ich das geistige Bild von „Road Salt Two“ als düstereres Album vor Augen.
Zunächst dachte ich, dass „Gone“ auf dem Album sein würde, letztlich ist es aber nicht dort gelandet (das Stück wurde auf der „Linoleum“-EP veröffentlicht – Anm. d. Red.). Ich wusste aber, „Softly She Cries“, „Eleven“ und „Mortar Grind“, all diese Songs würden auf „Road Salt Two“ stehen. Es gab auch noch zwei weitere Stücke, die von der härteren Sorte waren, die wir allerdings gar nicht aufnahmen. Letztlich habe ich stattdessen versucht, eine Woche lang Abstand von dem Album zu gewinnen, weil ich immer irgendwann an den Punkt komme, wo mich alles, was ich mache, gewissermaßen aufzufressen beginnt. Um meiner geistigen Gesundheit willen muss ich dann einfach eine Weile lang aus dem Produktionsprozess ausbrechen.
Ich habe also eine Woche lang ohne jegliche Vorgaben oder Ziele Musik geschrieben. Ich musste einfach wieder Songs schreiben, weil ich so viel Zeit damit verbracht hatte, Musik zu strukturieren, abzumischen und aufzunehmen – und das Material existierte auch schon seit längerer Zeit. Während dieser Woche schrieb ich „1979“, „Through The Distance“ und „To The Shoreline“, die ebenfalls ihren Teil zu „Road Salt Two“ beitrugen. Und plötzlich begann ich zu denken, dass das Album vielleicht doch nicht so heavy ist. Es ist nicht mehr dasselbe Album, das ich im Sinn hatte, als ich beschloss, dass es ein härteres Album werden würde.
Ich denke aber immernoch, dass es auf den Ersthörer düsterer wirkt. Es hat nicht dieselbe Leichtigkeit, die „Road Salt One“ ausstrahlte, mit Stücken wie „She Likes To Hide“, „Sleeping Under The Stars“ oder „Curiosity“, die in stärkerem Maße an der Grenze zum Humor wandelten. Das gibt es in diesem Maße auf „Road Salt Two“ nicht, was darauf zurückzuführen ist, dass ich beide Alben als eine einzige, große Bewegung ansehe. Wenn man es mit einem Film vergleicht – einem, der viele verschiedene Stile und Bedeutungsebenen in sich vereint, wie wir es auch mit unserer Musik tun – würde man alles zum Ende hin üblicherweise weiterentwickeln und es in gewisser Weise seiner Auflösung entgegenstreben lassen. Daher würde man die meisten abgedrehteren Sachen eher in der ersten Hälfte finden, während man gegen Ende versucht, seine Punkte zu machen.
Aber natürlich haben wir „The Physics Of Gridlock“ am Ende von „Road Salt Two“, das ebenfalls schrullig und humorvoll daherkommt, aber dennoch eine der großen Schlussnummern ist, die bei PAIN OF SALVATION wohl einfach dazugehören. Es ist also schwer zu sagen, aber ich würde mich darauf festlegen, dass „Road Salt Two“ ein kleines bisschen düsterer ist als der erste Teil. Jetzt bist aber du dran, denn du hast das Album ja auch gehört! Habe ich recht mit meiner Einschätzung oder siehst du das ganz anders?

Pain of Salvation

Im Grunde beschreibst du das, was ich beim Hören des Albums empfunden habe, ziemlich präzise. Im ersten Moment dachte ich auch, es wäre düsterer und weniger unbekümmert als das erste „Road Salt“-Album. Aber nachdem ich es inzwischen mehrmals aufmerksam gehört habe, konnte ich die teilweise extrem düsteren und aggressiven Texte nicht im selben Maße wiederfinden. Auf „Road Salt One“ gab es einige richtig heftige Parts. Diese wurden – wie du bereits selbst gesagt hast – immer wieder mit einer ordentlichen Prise Humor kontrastiert, dennoch gingen sie richtig tief unter die Haut. Ohne jetzt ein Textblatt zum neuen Album gelesen zu haben, scheinen mir aber alle Konflikte des ersten Albums auf „Road Salt Two“ gelöst zu werden und zu einem versöhnlichen Abschluss zu kommen.

Hey, dann haben wir das ja letztlich ganz gut rübergebracht. (lacht erfreut) Das entspricht ziemlich genau dem, was beabsichtigt war, und es freut mich, dass es offensichtlich funktioniert. Eines der Probleme – besonders bei einem Projekt wie diesem, das einen recht lange begleitet – ist es, dass man ein Teil des selbsterschaffenen Monsters wird. Es wird dann immer schwerer, die verschiedenen Bedeutungsebenen auseinander zu halten und dadurch ist es unmöglich, objektiv zu bleiben. Ich würde sogar sagen, dass es völlig unmöglich ist, jemals wirklich objektiv zu sein. Aber in diesem Fall steht einem selbst das wenige an Objektivität nicht zur Verfügung, das einem als menschliches Wesen überhaupt vergönnt ist.

Ich habe auch eine ganze Weile gebraucht, um das neue Album wirklich zu begreifen. Nach dem ersten Hördurchgang schien mir „Road Salt Two“ nicht nur düsterer und weniger unbekümmert, sondern auch weniger experimentell und kompakter zu sein. Erst nach mehrmaligem Hören wurde mir langsam klar, dass das Album nicht weniger Experimente enthält, sondern diese nur nicht so offensichtlich in Szene gesetzt sind.

Ja, das ist diesmal etwas subtiler. Ich denke, das umreißt die beiden Alben ganz gut. Das erste ist viel deutlicher maßgeschneidert, wohingegen das zweite zwar denselben Bauplan und dieselben Stimmungsbilder verwendet, dabei aber einen größeren inneren Zusammenhalt aufweist. Wie gesagt, wir nähern uns dem Ende und fügen alles immer enger zusammen. Das ist wie bei dem vorhin erwähnten Film, der sich nicht auf eine Richtung festlegen lässt. Da sind dramatische Szenen, komische Momente und auch die abgedrehten metaphysischen Elemente. Und üblicherweise verdichtet sich das alles gegen Ende und arbeitet auf eine Auflösung der dramatischen Parts hin. Die meisten humoristischen Szenen findet man üblicherweise am Anfang des Filmes, zum Ende hin werden die Gags hingegen etwas subtiler und manchmal auch cleverer.

Der Vergleich mit der Dramaturgie eines Filmes kam mir beim Hören von „Road Salt“ auch in den Sinn. Dieser cinematische Ansatz und die damit verbundene visuelle Komponente war ja schon immer ein wichtiger Teil von PAIN OF SALVATION.

Ich höre immer wieder, dass wir sehr cinematische Musik machen. Und dem kann ich nur zustimmen. Ich liebe Filme und ich liebe es, die Bedeutungsebenen verschiedener Kunstformen miteinander zu kombinieren. Es klingt immer sehr prätentiös, wenn man Musik als „Kunst“ bezeichnet, aber ich glaube, dass sie das im selben Maße ist, wie andere kulturelle Erzeugnisse. Ich benutze das Wort „Kunst“ hierbei nicht in einem intellektuell hochtrabenden Sinne, sondern um auszudrücken, dass es sich um eine kreative und künstlerische Arbeit handelt. Ich liebe Filme, die sich stilistisch nur schwer festlegen lassen und die dabei die unterschiedlichsten Elemente verwenden, so wie auch wir das tun und wie es das Leben eigentlich auch macht.
Das Leben ist nicht besonders… wie sagt man da, wenn man die Gefühle eines anderen mit großem Respekt behandelt? (überlegt) Rücksichtsvoll! Das ist vielleicht das passende Wort. Das Leben ist eine perfekte Anordnung göttlicher Willkür – oder wie immer man das nennen möchte. Früher in meinem Leben, als Teenager etwa, konnte mich das Leben ziemlich plagen, wenn etwas schlimmes passierte oder ich einfach einen schlechten Tag hatte. Wenn beispielsweise jemand, den man liebt, stirbt, kann die Sonne trotzdem weiterscheinen, die Hunde bellen trotzdem und die Tiere des Waldes produzieren weiter Nachwuchs. Alles geht einfach ganz normal weiter und das ärgerte mich früher sehr. Man möchte einfach, dass die Welt dem Drama in seinem eigenen Leben oder dem Leben der anderen folgt. Ich liebe Filme, die auf so etwas – genau wie das Leben – überhaupt keine Rücksicht nehmen.
Ich bin kein großer Horror-Fan, aber ich habe auf unserer letzten Tour „The Host“ gesehen. Da gibt es eine Stelle, wo quasi alle in einer Art Kirche oder irgendeinem anderen Gebäude festsitzen. Da kommt dann dieser Regierungstyp herein, um den Leuten zu erzählen, was Sache ist. Regierungstypen sind diejenigen, die wissen, wo es langgeht, die rutschen in so einer Situation nicht einfach aus und fallen hin – aber genau das passiert. Für mich ist so einfach das Leben, solche Dinge passieren einfach in der Realität. Das echte Leben folgt nicht der Dramaturgie der Ereignisse. Und ich denke, ich mag genau solche Filme, die einen stetigen Ausgleich zwischen Zerbrechlichkeit und Macht schaffen und zwischen Schönheit und Hässlichkeit und alles gewissermaßen einfach zusammenwerfen. So ist es eben, so wird uns das Mahl des Lebens einfach vorgesetzt und man kann es entweder essen oder auch nicht. Man kann es nicht einfach zurück in die Küche schicken und sagen: „Ich glaube, das ist die falsche Soße zu meinen Pommes.“ So funktioniert das nicht. Und diesen Aspekt versuche ich in meine Musik auch immer einzubringen.
Was ich auch noch zum Thema „Filme“ sagen wollte: Es gibt einige sehr musikalische Filme. Manchmal sieht man als Musiker und Komponist einen Film und erkennt einfach, dass derjenige, der den Film gemacht hat, Ahnung von Musik hat. Der Schnitt kann sehr musikalisch sein, der gedankliche Rahmen des Filmes entspricht einer musikalischen Komposition, und so weiter. Analog dazu mache ich Musik, die cinematische Strukturen aufweist, nicht, weil ich eigentlich lieber einen Film machen möchte, sondern eher weil ich der Musik gerne weitere Bedeutungsebenen hinzufügen möchte. Ich fände es großartig, ein gigantisches Video zu einem unserer Alben zu machen, aber dazu wird es vermutlich nie kommen.

Schade eigentlich. Aber falls doch, welche Regisseure kämen beispielsweise für „Road Salt – The Movie“ in Frage?

Das ist schwierig, jetzt hier ein Album aus dem Gesamtkonzept herauszupicken, denn unsere Fans sehen die Unterschiede womöglich deutlicher als wir selbst. Ich bezweifle, dass ein Film, der nur auf einem Album basiert, die gesamte Seele von PAIN OF SALVATION beinhalten könnte, obwohl sie in jedem einzelnen Album enthalten ist. Wenn ich mich auf einen Lieblingsregisseur für „Pain Of Salvation – The Movie“ festlegen müsste, wäre Spike Jonze eine gute Wahl. Und natürlich lande ich bei solchen Überlegungen immer bei den Coen-Brüdern, denn nur wenig von dem, was sie gemacht haben, ist nicht absolut göttlich. Und sie machen immer – oder zumindest so oft, dass ich „immer“ sagen kann, ohne Angst zu haben, das zu sehr zu verallgemeinern – Filme, die all diese unterschiedlichen Elemente haben. Man kann sich keinen von ihren Filmen ansehen und ihn nur als Komödie oder nur als Drama sehen, sie haben immer all diese unterschiedlichen Aspekte. Und sie entwickeln sich immer um Charaktere und um Zufälligkeiten herum, aber die Zufälligkeiten scheinen immer eine Richtung oder ein Ziel in weiter Ferne zu haben.
In gleicher Weise wäre wohl Douglas Coupland derjenige, der das Buch zu unseren Alben schreiben müsste. Er ist wesentlich düsterer als die Coen-Brüder, aber er macht auch das, was ich so liebe, dass er Leute schreckliche Dinge erleben lässt und trotzdem geht das Leben weiter und sie müssen mit den neuen Situationen klarkommen und sie arbeiten weiter und funktionieren auf ihre eigene, seltsame Weise. Coupland vermittelt ebenfalls immer das Gefühl von Zufälligkeiten und führt seine Figuren einem Abschluss entgegen, was ich sehr mag. Seine Geschichten sind immer gleichermaßen zufällig wie von ihren Charakteren gesteuert, was ich sehr schätze.

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Wenn wir schon von Musik und Filmen als Kunstformen sprechen, muss ich dich auch nach dem Video zu „Where It Hurts“ fragen. Ich mochte es, weil es ziemlich eindrucksvoll, kontrovers und provokativ war. Offenbar sahen das einige andere Leute weniger positiv und sorgten dafür, dass es auf YouTube zensiert wurde. Kannst du nachvollziehen, warum sie das getan haben?

Als es von YouTube gelöscht wurde war ich schon irgendwie überrascht, rückblickend war es aber wohl zu erwarten gewesen. Ich hatte immer den Eindruck, dass wir ein Video gemacht hatten, bei dem wir im Versuch, unsere Botschaft rüberzubringen, so mutig waren wie wir nur konnten. Dieses Video zu machen und darin zu spielen, war eine große Mutprobe. Ich dachte, das würde die meisten Probleme machen. Mich ausziehen, nackt vor einer Kamera zu sitzen, dabei ein Herz in der Hand zu halten, mit Blut beschmiert zu sein und beim Fake-Sex gefilmt zu werden – wenn wir das geschafft hatten, was kann dann noch an einer Veröffentlichung auf YouTube schiefgehen? (lacht) Ich war überrascht, dass das letztlich die Ursache dafür war, dass wir das Video nicht wie geplant ins Internet stellen konnten.
Im Rückblick ist es aber eigentlich offensichtlich, das Video hat alles, was für eine Zensur nötig ist. Die Verantwortlichen interessiert es eben nicht, ob eine tiefere Bedeutung oder ein hoher künstlerischer Anspruch dahintersteht. Ihnen ist es egal, wieviel Zeit wir hineingesteckt haben, um den Bildern einen bestimmten Look zu verleihen, sie sehen die Schönheit unseres Werkes nicht, wobei diese natürlich auch wieder Ansichtssache ist. Das Video enthält Nacktheit, Sex, Gewalt und Blut – und das sind vermutlich genügend Gründe, um es zu zensieren. Dennoch war es ärgerlich, als es passierte. Ich dachte nachdem das Video fertiggestellt war, hätten wir es geschafft. Als wir das Drehbuch zum ersten Mal diskutiert haben, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, wie wir das hinkriegen sollten.
Ich schaue mir grade zum dritten Mal die kompletten „Seinfeld“-Staffeln an und ich finde es großartig, was alles an ziemlich gutem Bonusmaterial auf den DVDs mit drauf ist. Eine der Episoden endet damit, dass George Costanzas Vater sich versehentlich auf eine aus Pasta – es müssten Fusilli sein – gefertigte Skulptur von Jerry Seinfeld setzt, so dass diese in seinem Hintern feststeckt. Im Bonusmaterial werden diese ganzen Leute interviewt und – man muss dabei immer bedenken, dass wir uns hier in Amerika befinden – alle sagen im Prinzip: „Ich kann nicht glauben, dass wir das hier zur Primetime im amerikanischen Fernsehen zeigen, diesen Fusilli-Jerry in Goerges Vaters Hintern.“ Diese Szene mussten sie natürlich mehrmals aufnehmen und man sieht eigentlich nichts, weil es hinter einem Sofa stattfindet. Und der Schauspieler von George Costanza – ich glaube er heißt Alexander Lucas (knapp daneben, Jason Alexander heißt der gute Mann – Anm. d. Red.) – sagt im Interview: „Jedes mal, wenn wir zu der Stelle kamen, wo Georges Vater auf die Skulptur fiel und anfing zu schreien, fragt ich mich, was zum Teufel wir hier überhaupt machen.“
Und so in etwa fühlte auch ich mich bei den Aufnahmen zum „Where It Hurts“-Video. Ich saß da nackt vor der Kamera mit einem Rentier-Herz in meiner Hand, das von einem Techniker, der sich hinter mit versteckte, mit einer Luftpumpe zum Schlagen gebracht wurde. Das ganze klang in etwa so… (Daniels macht extrem asthmatisch klingende Stöhn-Geräusche) …und ich saß da sieben Stunden lang auf dem harten, mit weißem Papier ausgekleideten Fußboden. Und ich wurde von all diesen Kameras gefilmt, während sie das Stück in doppelter Geschwindigkeit abspielten, damit wir so eine Art Zeitlupen-Effekt hinkriegten, ich musste also meine Lippen zu etwas bewegen, was sich wie ein Schlumpf anhörte. Und wie ich da so saß, kam mir eben dieser Gedanke in den Sinn: „Was zur Hölle machen wir eigentlich hier?“ Da fiel mir auf, dass vermutlich in der gesamten Menschheitsgeschichte, seit der Entstehung der Welt niemals zuvor jemand so etwas gemacht hatte. Es fühlte sich also absolut einzigartig an und ich dachte, ich muss den Moment voll auskosten, da ich wohl der erste und möglicherweise auch der letzte Mensch auf Erden bin, der sich in dieser Situation wiederfindet.
Der Drehort war auch ziemlich ungewöhnlich, denn die Filmcrew hatte eine Gemeindehalle in Nordschweden gemietet. Ich weiß nicht, ob ihr sowas in Deutschland auch habt, aber die kann prinzipiell jeder mieten und dort Treffen veranstalten oder dergleichen, also eine Art halb-öffentlicher Raum. Und während wir unser Video aufnahmen, war da gerade mal zwei Räume weiter eine Seniorengruppe. Ich weiß nicht, was sie da gemacht haben, vielleicht Näharbeiten oder sowas. Jedenfalls überlegte ich mir, was wohl passieren würde, wenn einer von ihnen plötzlich die Türe öffnen würde – weil er sich in der Tür geirrt hätte oder so etwas – und wir filmen hier etwas, das wie ein total durchgeknalltes satanistische Ritual wirken muss. Viele Kameras und eine Menge Papier überall, um den gesamten Raum weiß zu machen, dann dieser abartige, hochfrequente Highspeed-Schlumpfsong… Und zum Ende hin kam natürlich noch das Model dazu, Ida-Lisa Hellström, die im Video meinen weiblichen Gegenpart spielte. Sie war natürlich auch nackt und blutbeschmiert. Ich glaube, wenn sich wirklich einer dieser Senioren in der Türe geirrt hätte, hätte er einen Herzinfarkt gekriegt und wäre gestorben.

Wenn wir uns das Ganze nun einmal von der Business-Seite aus anschauen würden, habt ihr jetzt das Sequel zu „Road Salt One“ veröffentlicht und müsstet damit natürlich auch das Video toppen. Glaubst du, dass das überhaupt möglich wäre?

Ich denke, wir machen dann einen Film, wo wir in einem Helicopter herumfliegen und dann vielleicht Tokyo in die Luft jagen. Und gegen Ende begehen wir dann alle vor laufender Kamera kollektiv Selbstmord. Das einzige, worüber wir uns noch Gedanken machen müssen, ist, wie wir danach dann das nächste Album machen. Wir müssen dann wohl irgendeinen Wettbewerb veranstalten, durch den wir die freigewordenen Plätze in der Band neu vergeben können, damit eine neue PAIN OF SALVATION-Band bereitsteht, um das Ruder zu übernehmen, nachdem wir uns alle umgebracht haben. Aber irgendwie ist das auch nicht so der Bringer… (lacht)
Nein, ernsthaft, unsere Absicht war ja nie, zu provozieren oder die Leute mit einem total verrückten Video zu schockieren. Daher verspüre ich auch keinerlei Verlangen, in dieser Hinsicht noch einmal einen draufzusetzen. Natürlich wollen wir uns selbst übertreffen, ich will immer bessere Musik machen und auch immer bessere Videos. Aber ich glaube, wir müssen die Nacktheit und all das nicht mehr toppen. Wir machen einfach ein Video, dass zum Song passt, welcher Song auch immer das sein wird. Aber danke, dass du uns jetzt so unter Druck setzt! (lacht)

Pain of Salvation

Klar, nur unter hohem Druck wird aus Kohle ein Diamant. Jetzt muss ich aber mal einen Moment nachdenken, unsere Interview-Zeit ist schon fast um und ich hätte noch so viele Fragen.

Ich weiß, ich rede zuviel. (lacht)

Im Gegenteil, das macht viel mehr Spaß als immer nur „ja“ oder „nein“ als Antwort zu bekommen. Ihr zählt ja auch zu den wenigen Bands, bei denen ich gerne die ganzen Credits im CD-Booklet lese, weil man da deinen großartigen Sinn für Humor herauslesen kann. Aber beim Blick auf die „Who To Blame“-Section der jeweiligen Songs, bekomm man den Eindruck, dass du etwa 70 bis 80 Prozent der gesamten Arbeit – Gesang, Instrumente, Aufnahme – alleine machst.

Ich weiß. Und ich hasse es eigentlich. Ich versuche schon mein ganzes Leben lang, Arbeit zu delegieren. Manchmal funktioniert das auch ganz gut, wie beispielsweise bei Lars (Ardarve – Anm. d. Red.), der die Fotos gemacht hat. Wir beide ergänzen uns und arbeiten gut zusammen. Er kommt mit einer Idee an, auf die ich dann antworte, worauf dann wiederum er antwortet… Das ist wie ein ziemlich positiver Kreislauf oder eine Spirale, und so sollte es auch sein, auf diese Weise lasse ich mir Arbeit abnehmen. Aber es ist verdammt schwierig, eine solche Verbundenheit bei anderen Leuten zu finden. Ich stoße nur selten auf Menschen, mit denen ich so zusammenarbeiten kann, dass ich das Gefühl habe, sie verstehen genau, was ich will, oder die sogar mit etwas noch besserem ankommen. Ich bin ziemlich gut darin, Ideen so lange hin und her zu drehen, dass es richtig schwierig ist, einen neuen Blickwinkel auf eine Idee zu finden, bei der ich schon zu einem Schluss gekommen bin. Ich lebe dann einfach schon so lange mit der Idee und bin mit dem Ergebnis total zufrieden.
In der Anfangszeit von PAIN OF SALVATION sind wir für die Aufnahmen in ein Studio gegangen und haben dort eine Menge Zeit und Arbeit darauf verwendet, den Tontechnikern und Produzenten klarzumachen, was wir wollten. Wir wollten nie das, was zum jeweiligen Zeitpunkt gerade am angesagtesten war. Da gab es also jedes Mal ein großes Konfliktpotential, wenn wir ins Studio gingen. Und der Sound stellte dann meistens eine Kompromisslösung dessen, was die Grundintention war, dar. Und ich habe erlebt, dass viele von diesen Idealen später zu Trends wurden – womit ich jetzt aber definitiv nicht sagen will, dass wir die Trendsetter waren. Uns gefiel wohl einfach immer schon recht früh ein Stil, den es in dieser Form aktuell nicht gab, der dann aber später populär wurde. Ich habe dasselbe Problem, wenn ich mir Jeans kaufe, da kann ich mir immer die Hosen kaufen, die ich vor fünf oder zehn Jahren gerne gehabt hätte.
Heute muss man ja auch nicht mehr zwei Häuser voll mit Aufnahmeequipment besitzen, früher war das schwieriger. Daher bin ich inzwischen an dem Punkt angelangt, dass ich die Produktion und den Mix selbst erledige, bis ich jemanden finde, der mich mit seiner Arbeit total umhaut. Im Prinzip basiert der Sound der beiden „Road Salt“-Alben auf einem Klangideal, einer Vision, die ich vor einigen Jahren hatte. Es gab diesen Sound aber nirgends, man konnte ihn einfach nicht finden. Das war ein großes Problem. Ich fragt ziemlich viel herum, ob jemand ein Studio kannte, wo sie etwas in der Art machen konnten. Aber ich fand keine überzeugenden Optionen, daher hab ich es einfach selbst in die Hand genommen. Da steckt eine Menge an Frustration und Zeit drinnen und ich fände es großartig, wenn ich jemanden finden würde, der die Produktion übernehmen könnte. Aber so jemanden habe ich einfach noch nicht gefunden.

Ok, die Zeit ist dann leider auch schon rum. Gibt es zum Abschluss noch etwas, was du deinen Fans hier in Deutschland sagen möchtest?

Ich freue mich schon tierisch darauf, wieder live spielen zu können. Für alle, die PAIN OF SALVATION noch nie live gesehen haben, dürfte das ein einzigartiges Erlebnis sein. Und wenn es Leute gibt, die uns immer beinahe gemocht haben, bei denen es aber noch nicht richtig „klick“ gemacht hat: Kommt einfach zu unseren Shows, wir geben euch den entscheidenden Schubser. Ich hoffe, wir sehen auch eine Menge neuer Gesichter, wenn wir wieder live in Deutschland spielen.

Ihr spielt ja zusammen mit OPETH, was meiner Meinung nach eine perfekte Kombination darstellt.

Das haben mir schon, bevor wir die Tour geplant haben, eine Menge Leute gesagt und hinterher ebenfalls. Da muss also wohl etwas dran sein. (lacht)

Absolut, ich freue mich schon drauf! Vielen Dank für das Gespräch, Daniel!

Ich danke dir und einen schönen Abend noch!

Pain of Salvation

04.10.2011

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