Ostkreutz
Ostkreutz

Interview

OSTKREUTZ sind ein Phänomen und spalten das Auditorium wie der Klingelton-Terror von Jamba – entweder man liebt die Band oder man hasst sie abgrundtief und da ich zu der ersteren Sorte von Menschen gehöre, habe ich die Ostkreutze nach dem DIR EN GREY Konzert im Mai im bandeigenen Tourbus ein wenig ausgequetscht. Das Ergebnis kann man jetzt weiß auf schwarz nachlesen. Viel Vergnügen!

Moin Jungs, ihr habt gerade das DIR EN GREY Konzert als Support hinter euch gebracht (27.05., Berlin – Anm. d. Verf.). Was sind eure Eindrücke knapp 10 Minuten nach der Show? Zum Beispiel hättet ihr ausgebuht werden können, ihr habt ja keine Frauenkleider angehabt haha!

Tatsächlich hatten wir die Befürchtung, dass wir ausgebuht werden würden, weil wir im vorhinein 50 bis 100 Einträge von DIR EN GREY-Fans in unserem Gästebuch zu dem Konzert drin hatten. Wir wurden von den Fans aufs heftigste bedroht! (kommt mit bekannt vor – Anm. d. Verf.) Aber dann passierte Gott sei Dank Folgendes: Die Stimmung im Gästebuch hat sich irgendwann gewendet und dann haben DIR EN GREY-Fans, die Fans niedergemacht, die uns bedroht haben. Es gab also einen kleinen Krieg bei uns auf der Seite. Das Ganze war im nachhinein gar nicht so schlecht, denn so wurde ein wenig Stimmung gemacht – nichtsdestotrotz hatten wir von dem Konzert die Befürchtung, dass wir ausgebuht werden würden, aber dafür ist das Konzert großartig gelaufen! Da sind aber auf jeden Fall noch 20 bis 30 % mehr drin! Wenn man sich vorstellt, dass es alles OSTKREUTZ-Fans sind, die lauthals „GangBang“ oder „1,2,3 – Torwand“ mitsingen, dann ist es herrlich in solch einer Halle (Columbiahalle – Anm. d. Verf.) zu spielen.

Ihr habt übrigens „Massage“ nicht gespielt!

Das haben wir deswegen nicht gespielt, weil wir das zur Zeit gar nicht im Programm haben – der Song schläft zu sagen.

Aber er ist der geilste Track von der geilsten Single („GangBang“ – Anm. d. Verf.)!

Gut, wir nehmen das als Anregung und werden in der über-über-nächsten Show, also auf dem With Full Force den Song spielen. Nur wenn du natürlich da bist!

Ich fahr hin, ja! Wie kommt es eigentlich, dass man noch nie etwas von euch gehört oder gesehen hat und plötzlich seid ihr bei Warner unter Vertrag? Das mediale Interesse an OSTKREUTZ ist jedenfalls auch groß! Wo kommt ihr her?

Mich würde ja interessieren, was man so denkt wenn man uns sieht!

Also ich hätte gedacht ihr kommt aus dem ehemaligen Ostblock – wegen der genialen Sprache – bis ich dahinter gestiegen bin, dass es Fantasiesprache ist! Zuerst dachte ich ernsthaft, ihr seid des Deutschen nicht mächtig!

Wir haben natürlich starke Ostaffinität und ich wollte eigentlich aus dem Osten und russischer Rock-Sänger sein. Das war mein großer Traum, aber es war nicht umsetzbar, weil ich kein Russisch kann. Nach dem ich die Songs geschrieben habe, wollte ich sie auf jeden Fall aufnehmen, doch in Ermangelung der Russischkenntnisse habe ich halt in Fantasiesprache gesungen – so hat sich das im Prinzip alles ergeben. Medium (zuständig für den „audiovisuellen Terror“ – Anm. d. Verf.) teilt meine Ostaffinität. Wir beide haben Vorfahren aus dem Osten – ich aus Königsberg und er aus Riga. Auf jeden fall steckt uns das im Blut. Und wir sind beide begeisterte Wodkatrinker. Wir haben auch eine gewissen Affinität zu all den einfachen Dingen, wie einfacher Kleidung, Lärm, Benzin, Asphalt – das sind alles Sachen, die wir abfeiern!

Maximaler Minimalismus?

Ja,! Das finde ich sehr schön gesagt!!

Das erinnert mich ein bisschen an KRAFTWERK.

Ja genau. Das hat viel mit KRAFTWERK zu tun… (Plötzlich fährt der Tourbus, in dem das Interview stattfindet los! – Anm. d. Verf.)

Tschüs!!

Hahaha. Tschüs! Ja, wir zeigen dir jetzt unsere Heimat. Hahaha! …wo waren wir jetzt?

…KRAFTWERK.

Ach richtig. KRAFTWERK, LAIBACH (die Band kommt aber aus Slowenien/Jugoslawien – Anm. d. Verf.), KRAUTROCK und all diese Dinge – dafür steht Deutschland international – für diese Art von Minimalismus. Das ist natürlich auch eine Art von Kunst! Vordergründig rockt man, aber dahinter versteckt sich natürlich noch mehr. OSTKREUTZ ist ganz klar eine Verbeugung vor diesen Bands.

Und wie kommt ihr damit zu Warner?

Das war ja gar nicht beabsichtigt, wir wollten ja eigentlich nicht zu Warner. Erst mal wollten wir nur Musizieren und dann kam Medium mit seinen Visual Effects und dann hat es sich plötzlich so ergeben, dass Warner und zwei andere große Labels im Spiel waren. Das hat uns dann einfach fortgetragen. Wir haben uns dann für Warner entscheiden, obwohl viele zu uns meinten, macht das nicht mit einem Major, sondern mit einem Indie Label, doch wir hatten keine Lust zu warten, als wir merkten da geht was. (Der Bus bewegt sich wieder – Anm. d. Verf.)

Muss ich eigentlich Angst um mein Leben haben?

Hahaha! …Das mit Warner hat es sich halt so ergeben. Sie waren begeistert von uns und wir, wie man sieht, von ihnen!

Und habt ihr ein Tape zugeschickt oder ist Warner an euch herangetreten?

Es funktioniert ja nie so, dass man sich direkt bewirbt, sondern man wird von jemandem anderen vorgestellt – am besten noch von jemandem, von dem man es gar nicht vermutet. Und genau so ist es bei uns eingetreten. Wir wurden von jemandem empfohlen, von dem wir es gar nicht vermuteten und das ist jetzt natürlich ein guter Freund! Dem schulden wir noch einige Kästen Wodka.

Was mich so verwundert ist, dass Warner eigentlich Mainstream-Mucke macht. Seid ihr Massentauglich?

Ich würde sagen ja! Wenn man eine Halle mit Leuten füllt, die zu der Musik feiern… Unsere Musik ist für Jung und Alt. Sie ist sicherlich auch für Leute zwischen 30 und 40, die früher ACDC geil fanden und jetzt aber Familienväter sind und uns geil finden. OSTKREUTZ ist wie eine Frischzellen-Kur.

Ich bin auch der Meinung, dass es was sehr Frisches, Neues ist. So etwas hab ich noch nie gesehen!

Es ist massentauglich und vor allem international interessant. Das Feedback, das wir von Warner International, also von den ganzen Warner Satelliten bekommen, ist einfach grandios! Da gibt es tatsächlich Interesse in mehreren Ländern und dass wir heute mit DIR EN GREY aufgetreten sind, ist kein Zufall. Unsere Musik soll auch in Japan und in New York stattfinden.

Eure Shows sind auf riesige Konzerthallen ausgelegt, ich glaube ihr seid nicht Club-tauglich. Ihr könnt ja nicht in einem kleinen Club plötzlich 20 Fernseher auf die Bühne hinstellen.

So wie wir grad durchstarten, sind Club Gigs gar nicht angedacht. Es ist auch logistisch auch ein großer Aufwand – es muss ja viel bewegt werden. Unsere Shows sind tatsächlich auf eine bestimmte Hallengröße ausgelegt. Ab einem Fassungsvolumen von 500 wird OSTKREUTZ erst interessant. Ein Konzert in einem Club, in den nur 50 Leute passen, macht weder den Leuten, noch uns Spaß – das ist zu klein.

Aber ihr müsst ja irgendwie klein angefangen haben!

Nein, wir haben gleich auf dicke Hose gemacht! Wir wollten nicht durch die Clubs tingeln, sondern haben uns ordentlich Fernseher gekauft und ordentlich PA gemietet und haben geschaut, dass von vornhinein der volle Wumms da ist. Das ist im Interesse der Sache!

Trotzdem seid ihr noch relativ unbekannt. Stell dir vor, ihr habt ne riesige Halle angemietet und keiner kommt.

Ja dafür ist ja Warner da! Wir haben bald ein fantastisches Album am Start („Motor“, VÖ 01.09. – Anm. d. Verfassers), dass in allen Läden stehen wird und von allen Medien beworben werden wird. Wir haben endlos viele Medienpartner und hoffen jetzt, dass alle auf den OSTKREUTZ-Zug aufspringen und an einem Strang ziehen.

Apropos: Ich habe am Anfang total verpennt euch zu fragen, woher der Name OSTKREUTZ stammt – also ich als Ostberliner kann es mir denken, aber klärt doch bitte die Wessis/Nicht-Berliner auf!

Das ist eine persönliche Geschichte – ich komme ursprünglich aus dem Westen und bin vor acht Jahren nach Berlin zugezogen und habe in relativ kurzer Zeit gemerkt, dass ich mich in Karlshorst am wohlsten fühle. Ich habe in Kreuzberg gearbeitet und bin demnach jeden Morgen und jeden Abend über Ostkreuz gefahren. Dieser Bahnhof war für mich ein magischer Ort, hier gab es alles: Transport, Osten, Westen, alles etwas vergammelt – hier geht der Osten ja erst richtig los! Man hat das Gefühl, dass wenn man losläuft, man in einem Tag in Moskau ist. Daher passte es einfach!

Und das „T“?

Mit dem „T“ rockt das einfach viel mehr!

Also ist euer „T“ das zweite „M“ in RAMMSTEIN?!

Haha! Ja, das könnte man so sagen.

Bist du eigentlich mittlerweile stolz darauf Ossi zu sein?

Ich fühle mich im Osten wohler als im Westen, weil der Osten ist aufregender, neuer, unentdeckter ist – hier passiert einfach mehr auch Unangenehmes ganz klar, aber der Osten hat mich immer mehr begeistert. Der Westen ist satt und langweilig, aber der Osten ist spannend und schmutzig.

Und inwieweit hat euch der Osten in kreativer Hinsicht geprägt?

Mich hat von Anfang an das große Vakuum beeinflusst, das in Ostberlin herrschte, nach dem die Mauer weg war. Ich kenne Westberlin noch, als die Mauer stand und jetzt gibt es einen gewissen Luftzug, der nach Osten geht. Das ist zwar sehr abstrakt aber auf alle Fälle eine großer Einfluss auf unsere Musik.

Auf eurer MySpace-Präsenz bezeichnet ihr euren Stil als DDR Rock…

Stimmt nicht, da steht nur, dass wir aus der DDR kommen…

Ich nahm an, dass ihr in die Fußstapfen von solchen Bands wie K…! (früher KARAT – Anm. d. Verf.) treten wollt!

Klar verbeuge ich mich vor solchen Songs wie „Über Sieben Brücken Musst Du Gehen“ – das ist ein großer Titel, aber damit haben wir eigentlich nix zu tun. Auch die DDR hat nichts primär mit OSTKREUTZ zu tun.

Aber ihr legt einen großen Schwerpunkt auf den Osten – wie passen da solche Anglizismen wie „GangBang“ in eure Lyrics?

Also ich stelle es mir so vor: Der Russe bzw. der Pole hat diese gewisse Unschuldigkeit. Ich habe lange mit Russen und Polen zusammen gearbeitet und kann sagen, sie haben manchmal etwas angenehm Einfältiges an sich. Das bedeutet, dass wenn sie einen Song wie „GangBang“ hören, man ihnen weismachen kann, dass es gemeinsames Kopfschütteln auf einem Rock Konzert ist. Dieses Spiel mit pornografischen Schlagwörtern wie Vibrator, Gangbang usw. ist natürlich ein wahnsinniger Spaß. Die Begriffe werden dadurch aus ihrer Schmuddelecke rausgelöst und in einen völlig neuen Kontext gestellt. Wenn du auf einem Rockkonzert laut „Vibrator“ oder „GangBang“ rufen kannst und durch die Schule mit einen entsprechenden T-Shirt läufst, werden Leute sagen, du bist total versaut, doch du kannst sagen: Wieso?

Im Booklet von eurer Single steht, die Sprache die ihr benutzt, heißt „Ui, Ui, Ui, Ui“.

Moment, du hast es falsch ausgesprochen! Es heißt Uiuiui!

Mist! Aber was ich wissen möchte, ist, ob ihr euch bei den Live-Auftritten überhaupt an die Originalstexte erinnern könnt.

Ich versuch schon einigermaßen texttreu zu sein, doch bestimmte Elemente mache ich immer neu – generell muss man sagen, jede Show ist neu! Ich baue immer Wörter ein, die mir spontan einfallen. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich heute spontan Sachen wie „DIR EN GREY“ mit in unsere Texte genommen habe.

Auf eurer Single („GangBang“ – Anm. d. Verf.) höre ich beim Song „Massage“ oder so immer wieder „Kasatschok“ raus – witzig!

Ja, den Ausruf findet man auf „Massage“. Zum Beispiel saßen wir bei den Aufnahmen zu unserem Album im Studio und neben mir stand da so ein Gerät, was Autolocator heißt, also hab ich das in einen Text miteingebaut. So entstehen bei uns die Texte.

Und wenn du dich hinsetzt und dir einen Text überlegst, hast du da irgendwelche Kriterien…?

Nein, nein, ich mache das während ich singe. Die Texte entstehen alle während des Singens – ich überlege mir gar nix vorher!

Dann probieren wir das mal! Wie bestellt man sich ein Bier auf deiner „Fantasiesprache“?

Sderesch dan breresch dan bjer! (oder so – Anm. d. Verf.)

Alles klar! Fast am Schluss angelangt, würde ich gerne wissen, was Rock für euch bedeutet!

Eine gewisse … (überlegt ganz genau – Anm. d. Verf.) … Hemmungslosigkeit oder Maßlosigkeit. Rock ist frei von jeder Ideologie. Rock ist nicht automatisch gegen etwas. Rock bedeutet für mich, es richtig krachen zu lassen, nach vorne zu gehen, viele Dinge im positiven Sinne zu bewegen. Es ist ein Lebensgefühl. Bei Rock ist es wichtig, dass man sich immer neu erfindet. Der Rock ist eingeschlafen und über Jahre irgendwie erstarrt. Der Rock muss jetzt einfach mit neuen Inhalten neu aufgeladen werden. Protest und ähnliches findet an anderer Stelle statt, Politik findet an anderer Stelle statt. Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll geht aber schon in die richtige Richtung. Rock ist der pure Energie-Transport!!

So, dann danke ich euch für das Interview. Und nun kommt die Frage, vor der sich die meisten Musiker fürchten: „Die letzten Worte gehören euch!“

Ähhhh … Das war’s! Uiuiui!!

11.09.2006
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