Opeth
"Das neue Album ist rastlos und intensiv"
Interview
Wer OPETH-Gitarrist Fredrik Åkesson das erste Mal sieht, ist in der Regel erst einmal etwas eingeschüchtert. Der Hühne aus dem Norden wirkt auf dem ersten Blick nämlich nicht wie ein Mensch, mit dem gut Kirschen essen ist. Dieser Eindruck verflüchtigt sich allerdings im Gespräch relativ schnell. Wie ihr unseren Antworten entnehmen könnt, handelt es sich bei ihm um einen sehr klugen und sensiblen Musiker. Wir haben den Gitarrero getroffen um uns über Kunst, OPETH und das neue Album „The Last Will And Testament“ zu unterhalten.
Viel Spaß.
Hey Fred!
Fredrik: Ich bin zwei Minuten zu spät. Entschuldigung!
Musst dich nicht entschuldigen. Danke für deine Zeit.
Fredrik: Bitte.
Lass uns direkt mit der Reaktion auf die erste Single „§1“ anfangen. Ich fand es ein wenig seltsam, dass die Leute nicht so sehr an der Musik interessiert waren. Das einzige worüber sie reden, ist, dass es wieder Growls gibt. Stört dich diese Art von Feedback?
Fredrik: Ich habe mir gedacht, dass es eine gute Idee war, „§1“ als Single zu veröffentlichen. Viele würden bei den ersten Tönen annehmen, dass es so wie gehabt ist. Es fängt proggy an und die ersten Vocal-Lines sind Clean Vocals. Aber eher Falsett (äfft die Melodie nach) und sogar fast KING DIAMOND mäßig. Doch dann kommen die Growls rein. Das ist spaßig, vor allem, weil ich eines dieser Reaction Videos auf YouTube gesehen habe.
Da ist man ausgeflippt, was?
Fredrik: Ja, ich liebe es. (lacht) Natürlich ist es doof wenn die Leute NUR darauf achten – ich kann aber verstehen, dass es für viele eine große Sache ist. Wir haben es jetzt schon auf vier Alben nicht mehr gemacht. Die Leute wollen und schätzen es, weil es ein großer Teil des OPETH-Sounds ist. Es ist cool, dass wir es zurückgebracht haben. Denn es geht nicht bloß um Aufmerksamkeit, sondern es hat Sinn und Zweck, weil es mit dem Konzept des Albums einhergeht. Mikael verkörpert nämlich… (überlegt)
Verschiedene Charaktere?
Fredrik: Nein, er verkörpert den Vater. Es ist sein Wille und Testament. Aber es sind verschiedene Stimmen, mit denen er quasi aus dem Jenseits spricht.
Manche werfen auch nun eine komplette Kehrtwende vor. Wie antwortest du diesen Leuten?
Fredrik: Die Leute können denken was sie wollen. Wir sind nämlich glücklich mit der Idee. Wir haben aktiv darüber gesprochen, ein härteres Album zu liefern. Das ist gut. Ich mag es heavy.
Es ist wirklich eins eurer garstigsten Alben und das sage ich nicht als Klischee. Es ist wahr.
Fredrik: Es ist wahrscheinlich das intensivste Album. „Heavy“ kann aber auch was anderes bedeuten. Ich denke, dass vieles was wir auf den letzten vier Alben gemacht haben, ebenfalls sehr heavy ist. Doch dieses hier ist rastloser und kompakter. Es vereinigt die alten OPETH und das, was wir auf den letzten vier proggigeren gemacht haben. Ich glaube, dass es ein Schritt vorwärts ist. Es ist komprimierter, weil es nicht einen 10-Minüter darauf gibt. Trotzdem gibt es in den Songs nicht weniger Zutaten. Es ist mehr von allem – was irgendwie auch unsere heutige Gesellschaft repräsentiert.
Der Vibe den ich von der Platte kriege, ist ein grausamer und betrügerischer. War das etwas, was ihr bewusst angestrebt habt?
Fredrik: Ich glaube sogar, dass es eins der am bösesten klingende Alben von uns ist. Doch nach den finsteren Parts, gibt es auch oftmals Momente der Schönheit. Obwohl „Schönheit“ nicht das richtige Wort ist… Eher Melancholie.
Ich weiß, dass IAN ANDERSON einst den Grammy für „Best Metal Performance“ gewonnen hat. Trotzdem ist er nicht gerade als großer Metal-Typ bekannt, um es milde auszudrücken. Wie habt ihr ihn dazu überredet, als Gast auf eurem neuen Album aufzutreten?
Fredrik: Mikael kannte seinen Sohn, der auch sein Tourmanager ist. Wir haben schon versucht, ihn bei dem „Heritage“ Album zu erreichen. Wir wollten damals schon, dass er uns ein Flötensolo aufnimmt. Doch in der Zwischenzeit hatte Mikael auch noch ein Interview gesehen, in dem ihm auffiel, was für eine schöne Erzählstimme er hat. Er hat genau den Charakter, nach dem wir in dieser Hinsicht gesucht haben. Etwas, was das Thema des Albums unterstreicht. Mit seinem britischen Akzent stellt er einen echten Patriarchen dar. Sein Sohn sah eines Tages ein Interview, in dem Mikael seinen Frust darüber äußerte, ihn nicht bekommen zu haben. Also entschloss er sich uns zu kontaktieren. „Ian ist interessiert“ meinte er. Und wir so „Das ist perfekt!“ Weil unser Album auch einen Erzähler braucht. Wer könnte diese Aufgabe denn besser machen als er? Das war ein echter Segen. Dass er Flöte spielt, war sogar seine Idee: „Braucht ihr auch noch ein bisschen Flöte?“ „Ja, natürlich!“ Zum Glück hat es auf „§4“ wunderbar funktioniert.
Kannst du uns das Konzept etwas erläutern? Ich habe gehört, dass es um einen Erbstreit geht. Ist es etwas, was ihr selbst erlebt habt? Leider weiß ich viel über dieses Thema.
Fredrik: Wirklich? Das ist interessant, weil wir einen anderen Journalisten getroffen haben, der dasselbe erwähnt hat. Er hatte damit viel um die Ohren… Also, es geht um drei Kinder. Der Vater ist tot und sie bekommen das Testament vorgelesen. Es geht jedoch nicht nur darum was sie erben, sondern auch um viele Überraschungen und Wendungen. Und um Geheimnisse, die sie bisher noch nicht kannten. Darunter auch ein weiteres Kind, von dem sie nichts wussten.
Also, diese Geheimnisse werden dann Song für Song offenbart…
Fredrik: Exakt. Da gibt es auch noch viele Side Stories.
Ich habe das Album zum Zeitpunkt des Interviews erst 2-3 Mal hören können, deswegen frage ich.
Fredrik: Es lohnt sich auf jeden Fall die Lyrics zu lesen. Manche denken, dass ich nun die ganze Handlung revealen sollte… Doch der letzte Song auf dem Album hat einen Titel. „A Story Never Told“. Dieser spielt Jahre nach der Haupthandlung. Dort gibt es einen Brief, der eine riesengroße Überraschung in sich birgt… Ich glaube, dass ich diese nicht verraten sollte, weil es noch etwas zur V.Ö. hin ist. Manche Fans würden sich aufregen, weil sie keine Spoiler wollen. Ich weiß, dass Mikael schon einige Details zur Story verraten hat, aber… Ehh…
Belassen wir es dabei. Wie würdest das neue Album mit „In Cauda Venenum“ vergleichen?
Fredrik: Ich denke, dass einige ähnliche Momente hat. Es aber nicht das Gleiche. Es ist natürlich härter und dramatischer. Und die Growls sind zurück.
Okay! (Lacht)
Fredrik: Das neue Album ist komplexer. „In Cauda…“ war schon komplex, aber diesmal wurde es sogar noch getoppt. Wenn du dir z.B „§6“ anhörst, ist es wie eine Achterbahn, die immer schneller wird. Es ist so voll mit Zeug und Riffs. Es ist ein sehr actiongeladenes Album. Ich habe den Begriff „Rastlos“ bereits erwähnt. Es ist rastloser und intensiver.
Ich finde es wirkt wie ein Mörder, der um die Ecke lauert.
Fredrik: Haha, das ist cool… Obwohl, nicht „cool“, sondern spannend, auf einer fiktionalen Ebene.
Das letzte Album wurde auch auf Schwedisch herausgebracht. Das ist sehr respektabel, vor allem weil wir in einer globalisierten Welt leben. Was ist deine Beziehung zu deiner Muttersprache?
Fredrik: Es ist natürlich die Sprache, mit der ich aufgewachsen bin. Es ist für mich dasselbe, was Deutsch für dich ist.
Ich frage, weil wir alle so viel Englisch sprechen. Rockmusik ist auf Englisch, Medien sind auf Englisch und dieses Interview ist auf Englisch…
Fredrik: Klar. Doch je mehr Interviews man macht, desto besser wird man. Bei meinem ersten Auftritt mit JEFF SCOTT SOTO, war ich supernervös. Da war ich nur 19 Jahre alt und hatte Angst zu sprechen. Es geht nur aufwärts. Das „In Cauda…“ war sogar zuerst auf Schwedisch geschrieben. Natürlich hat jede Sprache ihre Tonalität, weswegen es schwer war, das Album noch mal auf Englisch umzuschreiben. Die Phrasierung ist komplett anders. Am Ende funktionierte es dann doch. Laut Mikael fiel es ihm ein wenig leichter, als er gedacht hat. Das Interessante ist, dass viele allerdings lieber die schwedische Version hören, obwohl sie die Sprache nicht verstehen.
Als Musiker, musst du natürlich viel reisen. Du bist mit verschiedenen Kulturen und Sichtweisen konfrontiert. Woran merkst du, dass du Schwede bist? Gab es schon mal einen Kulturschock?
Fredrik: In Schweden gibt es etwas was sich „Jantelagen“ nennt. Es besagt, dass du dich nicht besser als andere darstellen und dich nicht auf ein Podest stellen darfst. Du darfst dich nicht zu sehr selbst promoten. Natürlich kann man nicht sagen, dass sich jeder Schwede daran hält. (Lacht) Bei ihnen gibt es kein „Jantelagen“. Für mich bedeutet das Reisen, dass ich die Sitten eines Landes so nehme wie sie sind. Und vielleicht etwas davon zu absorbieren.
Andere Frage: Ihr Jungs seid für die Liebe bekannt, die ihr für die 70er und Vinyl habt. Glaubst du, dass Leute, die diese Musik nicht kennen, ein Problem damit haben, die Richtung zu verstehen, die ihr nach „Watershed“ eingeschlagen habt?
Fredrik: Vielleicht. So einige. Trotzdem haben wir immer größere Shows gespielt. Es schien so, dass viele Fans nicht glücklich mit der Richtung auf „Heritage“ gewesen sind. Aber viele von ihnen sind mittlerweile älter geworden und denken anders. Wir sehen allerdings auch viele junge Fans. Die Altersspanne ist ziemlich groß. Das jüngste ist 8-9 und das älteste ist ca. 75.
Also ich mochte was ihr bis zur „Watershed“ gemacht habt – doch als ihr „Heritage“ veröffentlicht habt, war ich mit der Richtung okay, weil ich dieses Genre schon immer mochte.
Fredrik: Oh, danke. Doch ich denke, dass die Alben die wir ab dann gemacht haben, auch noch viel von dem alten hatten. Es hatte halt nur eine andere Form. Beispielsweise eine Passage, in der wir zuvor eine harte, verzerrtes Gitarre genutzt haben. Wir spielten so eine Passage dann halt mit einem ganz anderem Instrument. Die dunklen und „gloomy“ Vibes sind allerdings immer noch da. Das Material hat immer noch den roten Faden, den es mit den alten Alben verbindet.
Finde ich auch. Ich weiß nicht warum, aber die Leute im Internet meinen, dass sie Künstlern vorschreiben dürfen was sie zu machen haben. Woher kommt deiner Meinung nach dieses Anspruchsdenken?
Fredrik: Ich war vorher bei ARCH ENEMY. Und als ich OPETH beitrat, merkte ich, dass die Fans pingeliger sind. Sie haben sehr starke Meinungen. Das ist aber großartig. Mikael schreibt natürlich das meiste Material. Er ignoriert aber alles von außen und ist sogar dazu geneigt, das Gegenteil von dem zu machen, was andere wollen. „Hey Mikael, lass uns die Growls zurückholen!“ Wenn ich ihm so gekommen wäre, hätte er aus Prinzip das Gegenteil gemacht. Wenn er Growls machen will, muss er es von sich aus wollen. Als er die älteren, krasseren Songs auf der Bühne gespielt hat, habe ich es ihm angesehen. Seine heutigen Growls sind brutaler als jemals zuvor. Ich merkte, dass es ihm wieder richtig Spaß machte. Was wichtig ist, wenn man es wieder tun möchte. Eine Meinung von außen reicht da nicht.
Da es um Kreativität geht, bringt mich das perfekt zu meiner nächsten Frage. Der Filmemacher George Lucas hat mal gesagt, dass die Leute hinter der Unterhaltungsindustrie Angst vor echter Kreativität haben. Würdest du dich seinem Urteil anschließen?
Fredrik: Ich denke, dass er recht hat. Laut ihnen, muss alles immer in eine Schublade gepackt werden können. Es ist wunderbar das zu wissen und trotzdem seine Ziele zu verfolgen.
Nun ja, wenn du den Druck ertragen kannst. Manche sind leider nicht so stark. Sie klappen zusammen, wenn der Druck zu viel ist.
Fredrik: Unsere Band ist aber so, dass sie einfach ihr Ding macht. Doch vielleicht sollte nicht jede Band so stur sein. Wenn ACCEPT ihren Sound komplett ändern würden, wäre es für mich sehr seltsam. Weil ich ihr Fan bin.
Es wäre vielleicht komisch… Aber vielleicht wäre es ja trotzdem gut.
Fredrik: Das weiß man nicht, bis man es tatsächlich versucht hat. Es könnte theoretisch fantastisch sein.
Welches Album liegt dir eigentlich näher am Herzen? „Heritage oder „Pale Communion?“
Fredrik: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin sehr mit meinen Leads auf „Pale Communion“ zufrieden. Also würde ich „Pale Communion“ sagen. Besonders „Moon Above, Sun Below“ gefällt mir. Dazu noch der Mix von STEVEN WILSON…
Ich liebe, dass es so stromlinienförmig und poliert ist.
Fredrik: Danke. Bei den vier progiggeren Alben, ist es definitiv weit oben bei mir.
Was ist bis jetzt eigentlich für dich bis jetzt der Standout auf „The Last Will And Testament“ ?
Fredrik: Bis jetzt „§4“.
Habe ich mir gedacht.
Fredrik: IAN ANDERSON spielt sein Flötensolo und ich darf direkt danach solieren. Ich mag auch diesen stillen Harfenpart, er ist sehr schön geschrieben. Es hat viele harte Riffs und das Ende ist typisch Death Metal.
Es ist sehr kurios, IAN ANDERSON auf einem Song mit Growls zu hören, findest du nicht?
Fredrik: Es hat so viele Schichten. Da wo er spielt, ist es fast schon ein bluesy Riff. Ich denke, dass es eine unsere Stärken ist. Wir haben Parts, die sehr hart sind und dann gibt es Passagen, die das Ganze ein wenig atmen lassen. Wenn die Heavyness zurückkehrt, fühlt sie sich dadurch viel kraftvoller an. Eins stützt das andere.
Gibt es vielleicht einen schwedischen Künstler, den du uns empfehlen kannst?
Fredrik: Wenn wir außerhalb der Metal-Schublade schauen, gibt es den Jazzpianisten JAN JOHANSSON. Er war sehr einflussreich für die folkigen Töne, die OPETH schon von Anfang an mit im Sound hatten. Er ist der Vater von JENS JOHANSSON und ANDERS JOHANSSON, wobei Ersterer bei STRATOVARIUS spielt. Beide waren bei YNGWIE MALMSTEEN. Anders spielte jahrelang bei HAMMERFALL Und neuerlich bei ULI JON ROTH. JAN JOHANSSON hat auch das Thema von Pippi Langstrumpf komponiert.
Das ist natürlich etwas, was jeder Deutsche kennt.
Fredrik: Das ist natürlich ein guter Startpunkt. Doch er hat viele Alben gemacht. Eins davon ist „Jazz på Svenska“. Seine Söhne performen es mittlerweile live. Anders am Kontrabass und Jens am großen Piano. Check es aus, es ist ein sehr melancholisches und gut ausgeführtes Spiel. Es ist nicht überhypt, sondern subtil und traurig. Es drückt sehr viel Schmerz aus. Doch auch schwedische Folklore drückt oft Schmerz aus. Er nimmt natürlich auch viele Volkslieder und verleiht ihnen seinen Take.
Er nimmt Folk-Songs und verjazzt sie?
Fredrik: So ziemlich. Doch er „overjazzt“ sie nicht. Die alten Melodien werden von ihm immer noch respektiert. Es ist sehr musikalisch und es macht Spaß, es sich anzuhören. Es sind die ganze Zeit nur Klavier und Piano. Nur zwei Instrumente.
So Fredrik, das war es schon. Die letzten Worte gehören dir!
Fredrik: Danke, dass du dich mit mir unterhalten hast. Vor zwei Tagen, war ich übrigens auf der Guitar + Bass Musikmesse in Deutschland. In Mannheim. Es war spaßig. Viele Gitarren. Ein guter Ort für Gitarrennerds.
Was will man mehr.
Fredrik: Genau. Vielen Dank, pass auf dich auf!