Obscura
Interview mit Steffen Kummerer zu "Omnivium"

Interview

Obscura

Ihr vor zwei Jahren erschienenes Album „Cosmogenesis“ etablierte die deutsch-niederländische Band OBSCURA in der ersten Riege des Frickel-Death – und „Omnivium“, Album Nummer drei, kann dieses Niveau leicht halten. Höchste Zeit, bei Sänger und Gitarrist Steffen Kummerer durchzuklingeln. Und der findet ein Zeitfenster, um mit metal.de zu sprechen, obwohl er derzeit schon wieder über beide Ohren in Arbeit steckt. Warum, wieso, weshalb, erklärt er im Folgenden selbst.

Hi Steffen, grüß Dich! Wie läuft’s?

Ich bin derzeit in den Woodshed-Studios. Wir sind mit THULCANDRA im Studio und nehmen für die neue Platte „Under A Frozen Sun“ die letzten Gitarrenspuren auf.

Dann bist Du ja vollzeit beschäftigt – „Omnivium“ ist noch nicht veröffentlicht, und Du nimmst schon die nächste Scheibe auf…

Ja, es ist gerade ein bisschen hektisch. Die letzte OBSCURA-Platte war schon ein enormer Zeitaufwand, wir waren mehr oder weniger geschlagene fünf Monate im Studio.

Oha…

Irgendwann bekommst du einen Studiokoller. Andererseits ist es in den Woodshed-Studios ganz angenehm, und die Musiker kommen gerne immer wieder. Jeroen (Paul Thesseling, Bass) war jetzt mit PESTILENCE hier, Christian (Münzner, Gitarre) hat seine Soloplatte hier aufgenommen, zwischendurch war Hannes (Grossmann, Schlagzeug) ebenfalls hier und hat für BLOTTED SCIENCE Drumspuren aufgenommen. Es sind mehr oder weniger immer dieselben Leute im Studio.

Du nimmst ja alles schon vorweg. Letztesmal hattest Du verraten, dass Ihr drei Monate im Studio wart und recht viel experimentiert habt, weil das Studio gerade neu war. Diesmal seid Ihr sogar fünf Monate im Studio…

Effektiv waren es nur vier Monate, da Victor (V.Santura, Produzent – Anm. Verf.) zwischendurch für einen Monat mit TRYPTIKON eine US-Tour einschieben musste. In der Zeit mussten wir aussetzen, was aber auch ganz gut war um etwas Abstand zum recht komplexen Material zu erhalten.

Wir hatten diesmal insgesamt rund acht Minuten mehr Songmaterial – das macht sich durchaus bemerkbar. So gesehen haben wir uns diesmal selbst in die Bredouille gebracht, konnten andererseits aber auch verschiedene neue Ideen einrbingen und an Sounds tüfteln. Speziell an den Gesangsspuren haben wir alle erdenklichen Lagen, Sounds und Effekte eingearbeitet, um mehr Abwechslung auch auf dieser Ebene zu generieren.

Mal zur neuen CD: Auf Eurer Facebook-Seite habe ich gesehen, dass sich die Kritiken vor Lob überschlagen. Wie zufrieden bist Du bislang mit dem Feedback auf das Album?

Ich bin ehrlich gesagt ein wenig überrascht, da die Aufnahmen zum Album eine harte Geburt waren. Abgesehen vom Songwriting selbst haben sich die Aufnahmesessions wie angesprochen lange hingezogen. Es waren so viele Layer, und irgendwann war ich der Meinung, alles löschen zu müssen, und habe mit sämtlichen Parts, die von mir ausgehen, nochmals von vorn begonnen. Alle Gesangsspuren wurden dann ein weiteres Mal und wieder und wieder aufgenommen, bis das Resultat zufriedenstellend war. Zwei, drei Songs haben wir in dem Zuge noch umarrangiert, und einige Gitarrenparts mussten daraufhin neu eingespielt werden, was letztendlich auch wieder etwas Zeit gekostet hat.

Hattet Ihr alle Songs schon Note für Note auskomponiert, oder warst Du eher mit den Einspielungen unzufrieden?

Hmm, eigentlich sind die Songs schon Note für Note auskomponiert. Aber bei den Aufnahmen haben wir gemerkt, dass ein, zwei Songs einfach nicht so funktionieren, wie es den Anschein in Guitar Pro (Mehrspur-Notensatzprogramm – Anm. Autor) zunächst hatte, da war der Fluss einfach nicht vorhanden, ein paar Übergänge haben nicht gepasst und die Vibes waren noch nicht zu 100% nach unseren Vorstellungen im Songmaterial. Wenn man die Kompositionen zum ersten Mal mit richtigen Instrumenten aufnimmt, klingt es immer ein wenig anders, und durch die Recordings bekommen die Stücke eine gewisse Eigendynamik. Es wurde allerdings kein Song komplett neu arrangiert, die angesprochenen Änderungen beziehen sich nur auf Teilaspekte und ein paar Details.

Ich habe jetzt seit knapp zwei Wochen Euer neues Album vorliegen, und ich bin noch ein wenig in der Erarbeitungsphase. Für einen Nichtmusiker ist die Platte streckenweise schon recht hart zu knacken.

Das kann ich ein wenig nachvollziehen. „Omnivium“ ist relativ komplex. Bei „Cosmogenesis“ waren einige Songs schon verhältnismäßig alt, beispielsweise wurden „Anticosmic Overload“ oder „Incarnated“ um 2005 geschrieben. Diese wurden mit unserem neuen Lineup vor den Aufnahmen ein wenig umarrangiert und an Details gearbeitet, um die Stücke stringenter zu gestalten. Die neueren Songs sind relativ komplex, speziell im Gitarrenbereich arbeiten wir mit deutlich mehr verschiedenen Layern.

Beispielsweise „Velocity“, das von EMPERORs „Prometheus“ Album stark beeinflusst wurde, ist ein schönes Beispiel mit seinem Grundthema auf sechs verschiedenen Gitarren. Allein vier Grundthemen und die Leadspuren ergeben ein sehr interessantes Gesamtbild, nimmt man noch die Drum- und Bassarbeit und die vielen Vocalspuren hinzu, erhält man eine Wall of Sound, die harmonisch weitestgehend Sinn macht, aber nur als Ganzes funktioniert. An sich müsste man sechs Gitarristen auf der Bühne haben, um den Song live umsetzen zu können. Speziell bei zwei Stücken haben wir uns vom Grundsatz des live spielbaren Songs gelöst und konnten einige Grenzen übertreten und mehrstimmige Ideen einweben. Dadurch ist „Omnivium“ vielleicht ein wenig komplexer geworden.

Beim vorletzten Song, „A Transcendental Serenade“, habt Ihr dafür ein „Alison Hell“-Gedächtnisriff mit reingepackt…

[lacht] Du bist binnen wenigen Tagen der zweite Redakteur, dem das aufgefallen ist. Leider muss ich Dich entäuschen, ich habe die besagte „Alison Hell“-Platte nicht zu Hause. Manchmal entstehen seltsame Zufälle…

Ich dachte, das sei ein Tribut an ANNIHILATOR…

Eher unterbewusst, Hannes und Christian hören in der Richtung sehr viel, aber mir ist es bislang nicht aufgefallen. Erst ein Interviewer des Legacy Magazins hat es angesprochen und sofort die passende CD gezückt. Da musste ich ihm recht geben.

Andererseits habt Ihr das Riffing dann ja noch weiter fortgeführt…

Ja, wir haben den Teil soweit in unseren Sound und speziell in den Song bewusst integriert. Allerdings nicht zwanghaft als Tribute.

Ich finde, das klingt aber richtig gut. Euer dritter Song „Ocean Gateways“ klingt ein wenig wie eine Huldigung an MORBID ANGEL…

Ja, wir hatten auf unserem ersten Album „Retribution“ den Song „Nothing“, der ebenfalls langsam und im gleichen Schema gehalten ist. Bei Shows über 45 Minuten sind die Leute dankbar für ein langsameres Stück, um den Kopf für die komplexeren Nummern frei zu bekommen.

Bei „Septuagint“ klingen leichte DISSECTION-Einflüsse durch, wenn Du mich fragst…

Jein. Bei den Akustikpassagen die ich für das Ende geschrieben habe spricht der Neoklassiker in mir. Ganz im Sinne von DISSECTION da diese sehr viele harmonisch interessante Ideen in „Storm of the Light’s Bane“ verarbeitet haben. Aber das ist auch nicht weiter verwerflich: Wir haben bei OBSCURA durch drei Die-Hard-DISSECTION-Fans sicherlich den ein oder anderen Einfluss der Band verarbeitet.

Du schreibst ja Songs für OBSCURA und THULCANDRA. Kannst Du das eigentlich trennen, welches Riff Du jetzt für welche Band schreibst?

Damit habe ich kein Problem. Songs für OBSCURA sind eher am Reißbrett geplant und durchstrukturiert. Hinter jeder Note steckt ein Gedanke, weswegen das Songwriting sehr viel Zeit beansprucht. Bei THULCANDRA steht eine gute Zeit mit nahen Freunden im Proberaum im Vordergrund, und die Songs entstehen mehr aus dem Bauch heraus. Der Aspekt des Feelings ist stärker gewichtet als Technik oder harmonische Sauberkeit. Wenn ein Riff gut klingt, verwenden wir es, wenn nicht, fliegt es.

„Omnivium“ klingt ein wenig anders als „Cosmogenesis“ – weniger eingängig, dafür etwas technischer, wenn Du mich fragst. Wolltet Ihr bei den Songstrukturen ein paar Sachen bewusst ändern?

Hm, das ist schwierig zu beantworten. Was wir diesmal geändert haben, ist die Aufteilung beim Songwriting. Bei „Cosmogenesis“ hatten wir viele ältere Parts und sogar Songs verwendet, die wir nur noch leicht modifiziert hatten. Diesmal sind aber alle Songs quasi durch die Finger der anderen beiden Songwriter gegangen. Jeder hat bei jedem Stück noch etwas beigetragen, seien es eigene Parts oder Arrangements. Das geht so weit, dass man eigentlich nicht mehr nachvollziehen kann, wer welchen Teil geschrieben hat. Wir versuchen, uns in den anderen hineinzuversetzen, um zu ergründen, was den Sound der Band eigentlich ausmacht. Und deswegen ist mein Bauchgefühl, dass „Omnivium“ noch homogener ist als „Cosmogenesis“. Ob es nun technischer ist, kann ich nicht genau sagen.

Eine andere größere Veränderung in der Produktion war die Verwendung unseres Live Equipments im Studio und dass wir beispielsweise am Schlagzeug so gut wie nichts editiert haben. Wir haben nichts nachbearbeitet und lediglich bei den Bassdrums zum Originalsound ein leiseres Triggersignal untergemischt, damit bei den schnellen Parts der Sound etwas homogener ist und die Lautheit im Mix leichter angeglichen werden kann.

Welche Ziele wolltet Ihr musikalisch mit dem Album erreichen?

Wir haben uns in der Hinsicht selber unter Druck gesetzt, „Cosmogenesis“ toppen zu wollen. Das war der Hauptanspruch an uns selber. Als wir das jetzige Line-Up zusammenstellen konnten, haben wir eine Vorproduktion von „Cosmogenesis“ an Labels verschickt, um zu sehen, ob überhaupt Interesse an unserem Sound besteht. Letztendlich konnten wir fünf Europa-Touren, zwei US-Touren und eine Japan-Tour realisieren. Allein diese erreichten Zwischenziele sind mehr, als wir uns jemals vorgenommen haben.

Was stand am Anfang von „Omnivium“?

Wir haben ein Konzept nach dem wir uns richten. Es umfasst nicht nur Musik, sondern auch alle visuellen Aspekte. In diesem Rahmen bewegen wir uns. Für „Omnivium“ besteht der Inhalt im Wesentlichen die Fortführung des Vorgängers, diesmal im abstrakt gesehenen Evolutionszyklus auf philosophischer Ebene.

Das mit dem Konzept musst Du näher erläutern…

Wir haben ein Albumkonzept über vier Platten, das mit „Cosmogenesis“ begann. Das Album handelt von der Entstehung der Existenz, des Seins und des Ursprungs des großen Ganzen. Das zweite Album, „Omnivium“, beschäftigt sich mit der Evolution, wenngleich sehr abstrakt dargestellt. Das dritte Album wird relativ philosophisch angehaucht sein. Die vierte und letzte Platte des Gesamtkonzeptes wird im weitesten Sinne ein Requiem und verschiedene Auffassungen der Apokalypse behandeln.

Das Artwork der drei bisherigen Alben folgt einem Farbkonzept: „Retribution“ war unsere rote, „Cosmogenesis“ unsere blaue und „Omnivium“ eben unsere grüne Platte. Und das Konzept bezieht sich auf Fotos, die mit dem Artwork bis hin zum exakten Colorkey abgestimmt sind. Jedes Shirt, jedes Poster und jede Anzeige wird von dem selben Künstler gestaltet, und die Designs müssen von mir abgesegnet werden, um ein stringentes Konzept beibehalten zu können. Das mag ein wenig bizarr oder nerdig sein, ist aber essentiell wichtig. CANNIBAL CORPSE arbeiten bspw. auch seit 20 Jahren mit demselben Künstler zusammen, was ebenfalls zu einem kostanten Bild der Band beigetragen hat.

Du hast vorhin kurz die Texte auf „Omnivium“ angesprochen. Kannst Du das ein wenig ausführen?

Die Basics von „Omnivium“ sind die Evolution. Ganz simpel ausgedrückt: Vom Affen zum Menschen und wieder zurück. Ich sehe das aber etwas differenzierter: Ich wollte immer Texte schreiben, die wie die Musik angelegt sind. Es gibt ein Grundthema, und darauf setze ich Layer um Layer: Eine Harmonie, Leads, Streicher. Und sehr ähnlich funktioniert es mit den Texten: Es gibt ein Grundthema – die Evolution selbst –, und die verschiedenen andersartigen Deutungen werden hier mittels Synonymen eingearbeitet, sei es Religion , Biogenese, ordinäre Biochemie auf einem technischen Standpunkt. Alternativ philosophische Themen, wie z.B. die Thesen frei nach Friedrich Wilhelm Schelling. Eine ganze Evolutionsthese wurde von einem philosophischen Standpunkt aus auf eine einfache Erzählung übertragen. Darin unterhalten sich die drei Elemente als gleichwertige Diskussionspartner in einem niemals endenen Streitgespräch über die Entstehung und das Für und Wider aus humanistischer, naturalistischer oder hedonistischer Sichtweise. Du findest immer einen roten Faden, der sich von der ersten bis zur letzten Textzeile durchzieht.

Der Titel des Albums ist auf den Religionsaspekt bezogen. „Omnivium“ ist für mich ein Vortex, ein schwarzes Loch, das alles Lebende und Existente in sich saugt und zerstört, um an anderer Stelle wieder etwas Neues zu erschaffen. Diesen Gedanken findet man in fast allen Weltreligionen wieder – in diesem Sinne könnte man das Ganze auch Gott nennen.

Auf jeden Fall interessant – denkst Du denn, dass sich die Fans genauso intensiv mit den Texten beschäftigen werden wie mit der Musik?

Im Metal sind Texte weitestgehend sekundär und niemand interessiert sich großartig für Konzepte, Ideen oder Lyrics im allgemeinen. Die Leute hören sich lieber minderqualitative Streams auf den berüchtigten Plattformen an oder laden sich eine mehrfach verpackte Datei aus dem Netz und diskutieren, wie schlecht die Produktion sei.

Du würdest aber nicht sagen, dass zum Tech Death Metal unbedingt hintergründige Texte dazugehören?

Nein. Ich kenne ehrlich gesagt kaum Bands, die sich weiterführend damit auseinandersetzen. Zombies, tote Zombies, lebende Zombies, Gore-Zombies sind meist interessanter. Die einzigen Bands, die mir als Gegenbeispiel einfallen würden, sind DECREPIT BIRTH aus den Staaten oder AUGERY aus Kanada.

Okay, das Cover ist bei Euch natürlich nicht sekundär. Für mich sieht das Gebilde aus wie ein Spermium, das gerade in eine Eizelle eindringt, wobei die Eizelle recht zupackend aussieht.

Das ist Deine Interpretation. Meine Grundintention war es, urzeitliche Quallen, die heute noch existieren, abzubilden. Diese ganze Interpreation mit Spermium und Vagina ist natürlich auch nicht schlecht, weil es durch Sex ja auch Evolution gibt und wohl etwas besser auf Metal-Klischees passt.

Du hast ja gesagt, dass Ihr nach dem letzten Album einige Touren runtergerissen habt, unter anderem mit CANNIBAL CORPSE in den USA. Was ist Dir davon in Erinnerung geblieben?

Spontan gesagt war das ein Ereignis noch vor den großen Tourneen. 2009 haben wir auf dem Brutal Assault Festival in Tschechien gespielt. Dort habe ich mit ATHEIST, CYNIC, der verbliebenen DEATH-Crew und PESTILENCE meine Helden von Anno Dazumal getroffen und großteils persönlich kennengelernt. Und als Steve DiGiorgio uns zum Festivalgelände gefahren und unser Bass-Equipment aufgebaut hat, war der Tag mehr oder minder perfekt. Es war wunderbar, die alten Helden zu treffen und festzustellen, dass jeder mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben ist.

Eine großartige Erfahrung war unsere Tour mit NILE & Triptykon in Japan. Es war eine einmalige Sache – ich wollte seit Jahren nach Japan reisen, konnte mir das als Student allerdingse einfach nicht leisten.

Jetzt tourt Ihr im Mai zusammen mit HATE ETERNAL durch halb Europa, auch wenn Ihr einige Teile aussparen müsst. Worauf freust Du Dich da am meisten?

Hauptsächlich darauf, neue Songs spielen zu können. Für die letzte Platte haben wir ca. 160 Konzerte gegeben und immer die selben Songs performt. Irgendwann wird es langweilig, immer das gleiche Set zu spielen. Auch die Tatsache, mit einer eigenen Crew reisen zu können, wird diese Tour sehr angenehm und etwas stressfreier gestalten.

Wie sieht das denn mit Euren Terminkalendern aus: Jeroen spielt jetzt wieder bei PESTILENCE – gibt es diesbezüglich Konflikte?

Ehrlich gesagt gibt es deswegen permanent Konflikte – es ist insgesamt keine zufriedenstellende Situation. Dafür wird sich allerdings eine Lösung finden.

30.03.2011

- Dreaming in Red -

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