Obscura
"Ich bin Musiker und kein Gitarrenlehrer"
Interview
Steffen Kummerer ist gut gelaunt. Berechtigterweise, denn er hat soeben mit seinen Bands THULCANDRA und OBSCURA starke Alben veröffentlicht, die bei Fans und Presse auf großes Wohlwollen stoßen. Wir sprachen den redseligen und analytischen Sänger und Gitarristen im Oktober und nutzten die Gelegenheit, uns tiefgründig über das neue OBSCURA-Album “A Valediction” zu unterhalten. Lest hier das Gespräch, das Kollegin Angela mit Steffen zu THULCANDRAs “A Dying Wish” geführt hat.
Grüß dich Steffen! Wie geht’s dir?
Gut, danke. Gibt viel zu tun mit den beiden anstehenden Veröffentlichungen von OBSCURA und THULCANDRA.
Das glaub ich dir. War es Absicht oder dem Zufall geschuldet, dass du jetzt mit OBSCURA und THULCANDRA so dicht aufeinander zwei Alben mit zwei Bands in der Pipeline hast?
Mhh, das war schon eher dem Zufall geschuldet. Die OBSCURA-Platte hätte genauso gut ein halbes Jahr früher erscheinen können, aber die Pandemie hat uns da ein bisschen ’nen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir mussten den ursprünglich geplanten Studiotermin verlegen, weil die Mitmusiker aus Österreich und den Niederlanden nicht einreisen durften. So mussten wir im Prinzip den ganzen Studioaufenthalt neu planen und das hat alles einfach verzögert. Dem Resultat hat es jetzt nicht geschadet, aber dadurch hat es sich dann einfach so ergeben, dass beide Platten relativ zeitgleich erscheinen. Auf der anderen Seite – mein Gott, gibt’s mehr zu erzählen, haha.
Über THULCANDRA können wir heute leider nicht sprechen, da mir die Platte leider noch nicht vorliegt, aber umso mehr freue ich mich, dass wir über ein neues OBSCURA-Album sprechen können.
Ihr habt gerade mit “Diluvium” einen Vier-Alben-Zyklus beendet, dem ein durchgängiges Konzept zugrunde lag. Wie seid ihr bzw. bist du jetzt die neue Platte angegangen? Ist das wieder der Auftakt zu einer größer angelegten Serie oder steht “A Valediction” jetzt erst mal so für sich?
Ja also mit Abschluss des Vier-Alben-Konzepts haben wir nicht nur das Kapitel beendet, sondern noch viel mehr erneuert. Wir haben einen neuen Produzenten. Wir haben bisher 18 Jahre mit dem gleichen Produzenten (Victor “Santura” Bullok; DARK FORTRESS, TRIPTYKON und NONEUCLID) gearbeitet, wir haben die Plattenfirma gewechselt, wir haben das Line-up gewechselt. Ein großes Kapitel wurde beendet und jetzt war es möglich, befreit etwas Neues zu starten. Das heißt, “A Valediction” ist wieder Teil einer Konzeptreihe, aber ein bisschen freier als die vorherigen Alben.
Bei den vergangenen Alben war ich nicht unbedingt eingeschränkt, aber der Rahmen war einfach sehr eng. Weil von vornherein klar war, welche Alben wie klingen sollen, was den textlichen Inhalt betrifft. Jetzt mit “A Valediction” geht das ein bisschen einfacher, weil ich mir die Rahmen oder die Konzeptlinien nicht so eng stecke. Ganz grob heißt das, “A Valediction” ist auch wieder ein Konzeptalbum, aber nicht so starr. Ich habe ein übergeordnetes Thema und schreibe dazu freie Interpretationen zu einem Titel. Wie zum Beispiel “A Valediction” – farewell, Abschied, Sachen hinter sich lassen. Das ist relativ frei zu interpretieren und lässt mir mehr Spielraum für unterschiedliche Facetten, weniger abstraktes Schreiben. Das hat auch dazu geführt, dass das neue Album im Gesamteindruck viel mehr “menschlich” ist. Nicht nur die Aufnahmen, auch das Artwork, die Lyrics und so weiter wurden absichtlich viel nahbarer konzipiert.
Das fängt bei der Musik an. Die Musik wurde von Grund auf für die Bühne geschrieben. Alles, was wir auf der Platte führen ist live auf der Bühne eins zu eins aufführbar. Das fand ich sehr wichtig. Wir machen Musik nicht für Musiker, sondern einfach für jeden, der die Musik hört. Ich geb’ abends keine Clinic auf der Bühne, ich muss auch nix beweisen. Dafür bin ich viel zu lang dabei. Daher wollte ich die Songs nachvollziehbarer und verdaubarer gestalten. Die Produktion wurde ein bisschen offener, ein bisschen rauer. Es gibt natürlich keinen Fehler auf dem Album, aber … es ist nicht so poliert. Es wirkt nicht so durcheditiert.
Das fußt natürlich auf der Musik. Wenn du hochkomplexe Musik mit 5000 Polyrhythmen schreibst, dann muss es natürlich auch entsprechend clean, poliert und steril klingen, weil du sonst die ganzen Details gar nicht mehr wahrnehmen würdest. Das heißt, der Grundgedanke war, die Musik so zu gestalten, dass wir mit dem Album in eine entspanntere oder nahbarere Richtung gehen wollten.
Das ist auf alle Fälle sehr schlüssig, wenn man das Album hört. Du hast es gerade schon angesprochen und damit die nächsten drei, vier Punkte auf meiner Liste vorweggenommen. Ziemlich viel ist neu bei euch. So ein bisschen drängt sich die Frage auf, inwiefern das intentional war. Die Line-up-Wechsel vielleicht nicht; aber neues Studio, neuer Artwork-Designer, neuer Produzent, neues Label.
Grundsätzlich wollte ich einfach was neues machen. Wir haben mit dem Abschluss der Quadrilogie einen großen Cut gezogen. Durch die neue Plattenfirma ergeben sich zum Beispiel andere Möglichkeiten, andere Budgets. Dadurch konnten wir im Studio Fredman mit Fredrik Nordström arbeiten, wobei ich schon überlegt habe, mit ihm das letzte Album mischen und mastern zu lassen. Das heißt, das ist keine spontane Idee gewesen, sondern der Gedanke war schon länger in der Luft.
Dass wir einen anderen Cover-Artwork-Künstler brauchen, war aus meiner Sicht zumindest recht logisch. Wenn wir etwas Neues starten, dann muss das visuell irgendwie anders sein. Und die Arbeit mit Eliran Kantor war erstens sehr angenehm, sehr nett. Mir war einfach wichtig, dass wir sowohl im Studio mit Fredrik Nordström als auch bei den Artworks mit Eliran festlegen, in welche Richtung wir gehen können und was nicht funktioniert. Gleichzeitig sollte das, was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben – der Signature-Sound, der Look, die Farbkonzepte – übernommen, aber auch in sich geschlossen einen Meter weiter nach rechts oder links verrückt werden.
Schön an der ganzen Sache ist, dass es trotz der ganzen Neuerungen viele Brücken zur Vergangenheit gibt. Es hat zum Beispiel kaum drei Sekunden gedauert, bis man mit Jeroen Paul Thesseling (Bass) einen alten Bekannten schon am Sound wiedererkennt. Und kurze Zeit später hört man auch sofort Christian Münzner heraus. Beide bringen sehr viel Wiedererkennungswert mit sich zurück – wie kam es dazu?
Als ich ein neues Line-up zusammengestellt habe, waren diejenigen einfach die ersten, die ich kontaktiert habe. Es hat mich keine zwei Wochen gekostet, die Band so zusammenzustellen, wie sie jetzt spielt. Das hängt einfach damit zusammen, dass wir uns gegenseitig kennen und schätzen und im ganzen Prozess von Songwriting über Aufnahmen hin zum Mixen und Mastern beziehungsweise jetzt den Vorbereitungen für die nächsten Tourneen ist es einfach angenehm, wenn du weißt, mit wem du zusammen arbeitest. Das war auf jeden Fall der richtige Schritt.
“Der Grundgedanke war, die Musik so zu gestalten, dass wir mit dem Album in eine entspanntere oder nahbarere Richtung gehen wollten.”
Jeder Musiker, der bisher in der Band war, hat einen gewissen Wiedererkennungswert. Ich suche auch genau solche Leute. Ich brauche keinen Studiogitarristen, der alles spielen kann, aber selbst keine eigene Identität hat. Ja, Jeroen hat einen speziellen Bass-Sound und auch die Soli von Christian einen starken Wiedererkennungswert. Das Gleiche gilt auch für David Diepold (Drums – Anm.). Speziell an seinen Blastbeats mit seiner Push-Pull-Technik hört man auch sofort raus, wer es ist.
Ich finde es auch gut, wenn man diese musikalischen Charaktereigenschaften direkt unterstreicht. Wenn ich zum Beispiel mit David Diepold einen absoluten Highspeed-Drummer habe, dann brauche ich keine Midtempo-Songs. Ich versuche jedem, die Stärken auf dem Silbertablett zu servieren, damit sie sich dann besser einbringen können. Auf diesem Album war es entspannt, es hat einfach wahnsinnig viel Spaß gemacht zu schreiben und – sofern das möglich war – zusammen im Studio zu arbeiten. Also alles richtig gemacht, würde ich sagen.
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Stile | Progressive Death Metal, Technical Death Metal |
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