Obscura
Interview mit Steffen Kummerer
Interview
Rechtzeitig zum Release des vierten OBSCURA-Albums „Akróasis“ hatten wir die Möglichkeit, ein ausführliches Interview mit Bandleader Steffen Kummerer zu führen. Behandelt wird darin die aktuelle Besetzung und die Streitigkeiten mit Tom Geldschläger, das lyrische Konzept hinter den Alben, musikalische Identität und was es heißt, von Musik leben zu wollen. Außerdem kamen wir darauf zu sprechen und ob sich Bands mit akademischen Hintergrund von anderen Gruppen unterscheiden und wie lange es OBSCURA noch geben wird.
Kurz zusammengefasst beschäftigen sich eure Texte mit astrophysischen und bisher mäßig erklärbaren Phänomenen, kommt das ungefähr hin?
Jein – ich muss da etwas weiter ausholen. Als wir damals die Band gestartet haben, war uns der ganze Death-Metal-Überbau etwas zu langweilig. Wir waren der hunderttausendsten Massenmörder-Geschichte oder wie in der zweiten Person irgendwer irgendwem die Gedärme aus dem Bauch reißt, überdrüssig. Das war uns einfach zu fad. Als ich die ersten Texte schrieb war ich etwa 18, 19 Jahre alt und dem Englischen nicht ganz so mächtig. Ich bin in die Texte mehr oder weniger „reingewachsen“. Verfestigt hat sich das, als wir unser zweites Album („Cosmogenesis“ (Anm. d. Red.)) aufnahmen. Das war auch das erste richtige Label-Release. Da haben wir allerdings gleich losgelegt und ein Vier-Alben-Konzept aufgestellt. Das heißt, „Akróasis“ ist Album Nummer drei aus diesem Zyklus.
Ein mehrschichtiger Zyklus bestehend aus dem astrophysischen Aspekt, Ansicht aus diversen Religionen, was auf „Akróasis“ nochmal deutlicher zum Tragen kommt und natürlich der eigenen Interpretation des philosophischen Überbaus, den ich mir aus verschiedenen Büchern unterschiedlicher Naturalisten gezogen habe. Das versuche ich zusammenzumengen und interessant zu halten, damit die Texte der Musik in nichts nachstehen, Sodass man sich, wie in die Musik, fallen lassen und auf verschiedene Ansichten aus fünftausend Jahren Zeitgeschichte blicken kann.
„Akróasis“ basiert auf einem Konzept, dass in sich verlinkt ist. Und alle vier Alben, angefangen bei der „Cosmogenesis“ bis zum nächsten sind auf visueller Basis, den Artworks, der behandelten Thematik, den Farben und Fotos sowie der Musik ineinander verwoben. Es ist ziemlich schräg und ich kenne wenig Bands, die sowas gemacht haben. Wir ziehen unsere Inspiration dafür nicht nur aus dem Tech Death. Wir haben beispielsweise auf der „Cosmogenesis“ versucht, für die einzelnen Mitglieder Symbole zu entwickeln, was letztendlich nicht so gut geklappt hat – was wir von LED ZEPPELIN haben.
Symbole im Sinne von grafischen Motiven?
Ja genau, aber das kam durch den Grafiker nicht so gut zum Tragen, weshalb wir die Idee wieder fallengelassen haben. Wir arbeiten immer mit demselben Team: mit Orion Landau, einem Künstler aus den USA, der sehr viel für Relapse-Bands arbeitet (u. a. DYING FETUS, NILE). Er blickt auch gern über den Tellerrand und hat unter anderem für Apple Installationen auf dem Times Square gemacht und steckt nicht nur in der Death-Metal-Szene drin. Ich finde es interessant, wenn man einerseits sieht, wo man herkommt, die Basis dabei belässt und als Metalband eine Metalband bleibt aber trotzdem andere Einflüsse zulässt. Bei IN FLAMES zum Beispiel war es mir persönlich etwas zu viel. Die haben den Blick für das Wesentliche verloren. Die letzten zwei, drei Platten finde ich in Ordnung, haben jedoch wenig mit der Band zu tun und mir ist wichtig, dass man auf verschiedenen Ebenen die Band noch raushört. Bei KREATOR, BELPHEGOR oder SODOM schmeißt du eine CD in den Player und du weißt nach zehn Sekunden, welche Band da spielt und diese eigene Identität wollten wir schaffen – musikalisch, lyrisch und visuell.
Na ja, provokant gesagt ist Anders Fridén eher die identitätsstiftende Konstante bei IN FLAMES als die Melodic-Death-Wurzeln.
Ich hab‘ mir gerade den Backkatalog von IN FLAMES gekauft und man sieht auf jeden Fall zwei verschiedene Abschnitte.
Absolut. Das finde ich allerdings auch gut. Zwar konnte ich mit „Siren Charms“ nicht mehr viel anfangen, der Wandel allerdings ist sehr spannend und Musiker mögen es doch als allerletztes, wenn sie sich permanent wiederholen.
Klar, das stimmt. Es bleibt die Frage, inwiefern man sich, wie man so schön sagt, weiterentwickeln kann ohne die Wurzeln zu verlieren. Ich meine, dass ist eine schmale Gratwanderung. Es gibt eigentlich kaum eine Band, die immer nach der gleichen Formel Alben schreibt. Das wird ja auch langweilig. Nicht nur den Fans, sondern auch den Musikern.
Hilfreich ist es da, wenn man von vornherein ein breites Spektrum auffährt, was bestimmte Tendenzen ermöglicht, nach denen man sich entwickeln kann – dass eine mehr ausbauen auf Kosten eines anderen. So wie beispielsweise DIABLO SWING ORCHESTRA, wo man weiß, dass das nächste Album oder nächste Song auf jeden Fall anders klingen wird.
Von denen kenne ich nur zwei Alben. Das klang alles ziemlich schräg. Ob man alles in einem in einem Song verbraten muss, weiß ich nicht. In diesem Sinne ist mehr hier einfach mehr. Wie gesagt, jede Band schreibt was sie für richtig hält und es ist generell schwer, von Musik zu überleben und das macht die Musiker oft kreativer und etwas unabhängiger. Da man damit rechnen muss, regulär zu arbeiten oder andere Tätigkeitsfelder aufzutun, um seine Rechnungen zu bezahlen, sind, glaube ich, in letzter Zeit Konventionen weiter unter den Tisch gefallen – und das finde ich gut! Da kann man sich freier ausleben. Es gibt diese alten Geschichten aus den Achtziger-, Neunziger-Jahren mit irgendwelchen Knebelverträgen von den großen Major-Plattenfirmen, die zusätzlich in die Musik reingequatscht haben, und das hab‘ ich seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr gehört.
Mittlerweile könnt ihr doch bestimmt von der Musik leben, oder?
Die Frage ist, wie man leben möchte. Wir haben uns die Frage in den vergangenen drei, vier Jahren oft gestellt, denn wir wären auf dem Niveau, von OBSCURA leben zu können aber wir müssten da einige Kompromisse eingehen, die wir nicht eingehen möchten. Wir müssten beispielsweise mehr touren. Wir haben jetzt pro Album etwa 160 Konzerte gespielt – da müsste man am Rad drehen. Das Merchandise müsste teurer verkauft werden, wir müssten mit anderen Plattenfirmen, anderen Booking-Agenturen arbeiten, um mehr Leute zu erreichen, Konzerte spielen, die man nicht spielen möchte, mit Bands, hinter denen man nicht steht oder die man für fragwürdig hält. Wollten wir von der Band leben, müssten wir alle etwa auf Studenten-Niveau runter – jeder würde in einer Einzimmerwohnung irgendwo am Stadtrand leben und machte nur Musik. Wir sind alle 30 und älter. Ich habe Familie, habe studiert und möchte das mit der Musik vereinen. Ich habe lieber die Freiheit, tun und lassen zu können was ich möchte, Alben rauszubringen wann ich möchte und nicht alle zwei Jahre ein neues Produkt auf den Markt zu schmeißen, nur um einen Grund zu haben wieder auf Tour gehen zu können und 30, 40 Euro für ein T-Shirt zu verlangen. Das würde ich selber als Fan nicht bezahlen wollen. Da sind wir uns selber gegenüber lieber treu.
Es gibt viele Bands die gut davon leben können und das auch gut machen. Im Death-Metal-Bereich gibt’s aber nicht sehr viele. CANNIBAL CORPSE oder BLACK DAHLIA MURDER spielen zwischen zwei- und dreihundert Konzerte im Jahr, wir suchen uns lieber die Sachen raus, die wir tun möchten: Südamerika und Asien zum Beispiel. Irgendwann übersättigt man auch den Markt. Ich erinnere mich, vor acht, neun Jahren, da waren auf den Festivals immer dieselben Bands und CANNIBAL CORPSE haben an jeder Steckdose gespielt. Seit den vergangenen vier Jahren kannst du die Festival-Headliner an nicht mal zwei Händen abzählen. Ich möchte die Leute nicht übersättigen. Wenn wir eine Headliner-Tour spielen, dann suchen wir die Bands selber aus und stellen ein schönes Paket zusammen und wollen das etwa alle zwei Jahre machen, damit es für die Leute auch etwas Besondere ist, zu den Konzerten zu gehen. Der ganze Markt ist sowieso völlig übersättigt. In München kannst du in den harten Monaten, von Oktober bis März zu bestimmt siebenundzwanzig bis dreißig Konzerten im Monat gehen, mit irgendeinem Metalbezug. Das ist schon krass.
Übersättigung ist meiner Meinung nach ein Thema, was insbesondere im Tech Death musikalisch stattfindet, da auf enorm hohem Tempo musiziert wird. In erster Linie ist es einfach viel, was der Hörer „verdauen“ muss. Wie, würdest du sagen, kann man dem entgegnen, dass man nicht von der schieren Masse an Tönen erschlagen wird?
Ich finde, man kann einfach mal vom Gaspedal runtergehen und nicht nur „ins Gesicht produzieren“, die Dynamik des Mixens ausreizen. Viele Tech-Death-Bands arbeiten nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“, aber man muss den Leuten nicht beweisen, dass man spielen kann. Daher finde ich es viel interessanter, beispielsweise Akustikgitarren miteinzubringen. Dazu haben wir uns bewusst ab dem zweiten Album entschieden, um musikalisch weitere Farbe ins Spiel zu bringen. Wenn man sich im Tech Death auf zwei Gitarren, Bass, einen eintönig dahinplärrenden Sänger und Blast-Beats limitiert, wird es schnell langweilig. Dann ermüdet auch der Hörer nach dem zweiten oder dritten Song. Ich versuche, das Ganze durch ruhige Teile oder andere Instrumente aufzufrischen. Auf der vorangegangenen Platte hatten wir ein Monochord oder eine Oud. Aber die meisten Tech-Death-Bands haben einfach kein Budget, um in ein ordentliches Studio zu gehen. Das endet dann schnell in den gleichen Drum-Trigger-Pads, denselben Samples und klingt dementsprechend schnell eintönig. Was wir gemacht haben, um den Sound natürlich zu halten, ist, dass wir nur analoges Equipment verwendet haben. Wir haben nur unser Live-Equipment verwendet und keine tot klingenden Digital-Amps, die eine ganz andere dynamische Ansprache haben. Wir haben es möglichst natürlich angehen lassen und uns an den großen Rockproduktionen von Ende der Neunziger, wie beispielsweise SOUNDGARDEN, orientiert, um eine größere Tiefe zu erzeugen. Bei den meisten Underground-Produktionen werden die Spuren im Panorama nur nach links und rechts gelegt. Wir haben mit Delay-Lines gearbeitet, also zum Beispiel die Drums „nach hinten“ verlagert. Hört man sich die Platte mit herkömmlichen Kopfhörern an, kann man jeden Musiker rauspicken und sozusagen draufzeigen wo jemand steht. Deshalb ergeben sich auch im Mix noch Möglichkeiten für die Arrangements eines Albums.
Also produziert ihr selber?
Zusammen mit V. Santura, dem Gitarristen von DARK FORTRESS, einer meiner engsten Freunde. Er hat schon unser allererstes Demo produziert und war immer in unsere Aufnahmen involviert. Wir halfen uns immer gegenseitig. Das Woodshed Studio kam damals eigentlich erst zustande, weil wir „Cosmogenesis“ als erste mit einem ordentlichen Budget ausgestatte Platte aufnehmen konnten und da hat sich in den vergangenen Jahren jeder gemausert: OBSCURA sind gewachsen, die Woodshed Studios sind gewachsen, er hat jetzt auch PESTILENCE aufgenommen, TRYPTIKON- und DARK FORTRESS-Produktionen gemacht und macht sich einen guten Namen. Wir arbeiten jetzt seit über zehn Jahren zusammen und wissen, was wir voneinander haben und versuchen, auch Dinge besser zu machen. Grundsätzlich produzieren wir gemeinsam. Ich bin dann zusammen mit dem Produzenten im Studio und wir arbeiten an den Sounds. Bei den Aufnahmen ist allerdings jeder Musiker alleine im Studio. Das heißt, wir nehmen nicht gemeinsam als Band auf. Ich will das nicht. Das ist mir zu ineffizient und da würde zu viel gequatscht werden. Da muss gearbeitet werden und die Platte bestmöglich eingespielt werden. Ich bin da sehr strickt, dass im Studio keine Party gemacht wird.
Bei euch passiert generell doch außer Aufnehmen nichts mehr im Studio. Ihr geht mit auskomponierten Stücken ins Studio, was doch auch eher eine Seltenheit ist.
Das hat sich auch erst über die Jahre entwickelt. Bei den letzten beiden Platten hatten wir die Songs mit Guitar Pro geschrieben und sind damit ins Studio gegangen, was aber noch zu kleineren Problemen geführt hat und wir manche Teile umarrangiert haben. Dinge klingen über MIDI einfach anders und das wollte ich diesmal anderes angehen. Diesmal haben wir sämtliche Songs vorproduziert und ausnotiert. Da hat sich, wenn überhaupt, an manchen Stellen noch minimal etwas geändert, Phrasierung und Ähnliches. Aber im Prinzip konnten wir uns auf die Performance konzentrieren und auf Record drücken. Man konzentriert sich in der Vorbereitung auf die Experimente wie Vocalpatterns und Arrangements, und im Studio kann man sich voll auf die Aufnahme konzentrieren.
Dass ihr zu viert probt, kommt dann erst beim Üben für die Live-Konzerte vor?
Unsere Musik wird leider nicht im Proberaum geschrieben. Ganz früher in den ersten fünf, sechs Jahren haben wir uns schon circa ein- bis zweimal die Wochen getroffen und zusammen Musik geschrieben und geprobt. Das ging aber irgendwann, der räumlichen Distanz wegen, nicht mehr: Bassist aus Amsterdam, Schlagzeuger aus Nürnberg, Gitarrist aus fast bei Frankfurt – das ging einfach nicht mehr. Mittlerweile proben wir in Blöcken. Das heißt wir proben zwei, drei Tage am Stück und exerzieren unser Live-Set durch. Macht auch Spaß und ist effizienter.
Wie war es, mit der neuen Besetzung zu arbeiten? Sebastian Lanser kenne ich bisher von PANZERBALLETT, das müsste, was die technischen Fähigkeiten angeht, doch schnell harmoniert haben.
Nicht nur die technischen Fähigkeiten. Sebastian ist ein Vollprofi. Das habe ich in der Form noch nie gesehen. Er kam mit komplett ausnotierten Schlagzeugnoten an und hat im Studio dann vom Blatt gespielt. Das war für mich auch neu. Er hat wirklich vorher sämtliche Drum-Patterns ausgearbeitet und arrangiert. Sebastian arbeitet sehr viel mit „Odd-Times“, mehrschichtigen Rhythmen, und er hat es geschafft, es so klingen zu lassen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Dazu hat er einen unglaublichen Tom-Sound – Wahnsinn! ?Macht wirklich Spaß und die Vibes in der Band sind klasse. Ich bin sehr dankbar dafür, wie er sich einbringt. Der rhythmische Aspekt der neuen Besetzung ist gänzlich anders als in der Vergangenheit. Wir arbeiteten mit ganz anderen Ansätzen. Wir haben die Geschwindigkeit minimal verringert, um einfach mehr Groove reinzubringen. In der Live-Situation haben wir festgestellt, dass die extrem schnellen Songs nur einmal kurz wirken, aber im Prinzip kommt, egal wie gut der Tontechniker ist, im Publikum nur Soundbrei an. Einfach weil zu viel tonale Information durch die PA verwaschen wird. Daran haben wir gefeilt und uns in den Mid-Tempo-Songs eben mehr auf interessante Grooves fokussiert. In Verbindung mit Sebastian und Linus macht das einfach Spaß und ich freu mich tierisch auf die Proben und die anstehenden Konzerte.
Und was war mit Tom Geldschläger?
Da muss ich sagen, dass es einfach nicht geklappt hat und ich habe leider erst im Studio feststellen können, dass die Zusammenarbeit nicht funktioniert – weder menschlich noch von der Performance her.
Möchtest du das begründen?
Sagen wir so: Ich habe sieben von acht Songs eingespielt und es hat nicht geklappt, die Fretless-Gitarre in den Sound zu integrieren. Das hat noch nie funktioniert. Man kann sich das so vorstellen: Ursprünglich war angedacht, dieses Instrument gleichberechtigt mit der regulären Rhythmus-Gitarre zu behalten und über ein hartes Links-Rechts-Panning aufzunehmen. Die Tonfindung auf der Fretless-Gitarre ist einfach nur näherungsweise und es klingt, als würde links eine amtliche Gitarre Songs einspielen und rechts eine verstimmte Telecaster versuchen, mitzuhalten. Das ging einfach hinten und vorne nicht. Man muss dazu sagen, dass die Skala eines Fretless-Basses viel größer ist, und dort einen Ton zu finden viel leichter ist als auf einer kurzen E-Gitarre. Ergo hat sich alles verstimmt angehört. Ich habe Zahnschmerzen bekommen, damit einen Akkord greifen zu wollen. Um den Vibe aber beibehalten zu können, wie bei „Fractal Dimension“, haben wir die Slides beibehalten.
Es hat einfach im Studio nicht funktioniert, beziehungsweise war Geldschläger nie im Studio in Landshut. Er hat sine Sachen zu Hause eingespielt und ich musste leider feststellen, dass er kein Toningenieur ist. Weshalb wir mit seinen Spuren auch nicht arbeiten konnten – falsches Tempo, falsche Tonhöhen und so weiter. ?Auf die anderen Sachen will ich nicht eingehen. Es hat einfach nicht funktioniert, dann habe ich ihn angerufen und gesagt, dass ich nicht mehr mit ihm arbeiten möchte. Daraufhin haben wir uns noch im Studio von ihm getrennt und die Platte zu dritt fertig ausgearbeitet. Der Großteil wurde dann neu eingespielt, was die Band letztendlich weitere zwei Wochen Studiozeit gekostet hat, was natürlich wir tragen mussten. Da kamen viele Sachen zusammen. Ich habe auch meinen 30. Geburtstag im Studio verbracht und habe vierzehn Stunden lang Gitarren neu aufgenommen – das schlägt schon auf die Stimmung.
Egal – es hat nicht geklappt und mit Raffael Trujillo haben wir jetzt einen erfahrenen Gitarristen, der am Münchner MGI studiert und seit diesem Semester am Amsterdamer Konservatorium ein Jazz-Studium angefangen hat. Da stimmt es auch auf der menschlichen Ebene. Der akademische Standard auf dem er arbeitet, ist gigantisch. Er ist einfach eine Bank. Er ist noch relativ jung, aber wenn man einen Blick auf seine Credit-Liste wirft, sieht man, er hat schon vor fünf Jahren in TV-Shows mitgemacht, unglaublich viele Session-Jobs für Rock- und Pop-Acts mitgemacht und daher sehr viel Erfahrung. Er ist ein Shredder. Wir haben ihn abgeklopft auf alles, weil wir einfach sichergehen wollten, nicht nochmal eine Niete zu ziehen und er hat bewiesen, dass es passt.
Apropos akademischer Zugang: Würdest du behaupten, dass sich nicht-studierte Bands irgendwie von studierten Gruppen unterscheiden?
Gute Frage – wenn man das herunterbricht, gibt es nur Musik, die einem gefällt und welche, die einem nicht gefällt. Das Einzige, was ich nicht mag, sind Musiker, die studiert haben und denken, sie seien etwas Besseres als die, die es nicht getan haben. Ein gutes Riff ist ein gutes Riff und wenn ich mir Bands wie MOTÖRHEAD oder KREATOR anschaue, da hat auch keiner studiert, aber es macht Spaß und ist gute Musik. Free-Jazz, so sagt man zumindest, sei nur etwas für akademische Hörer und ich find es nicht unbedingt gut. Ich glaube nicht, dass es da einen Unterschied gibt hinsichtlich eines guten oder besseren Resultats eines Studiums wegen. Natürlich gibt es einem mehr Möglichkeiten, weil man mehr über Harmonielehre weiß, mehr über Arrangements, mehr über die musikalischen Hintergründe des Instruments das man spielt, aber deshalb ist man noch kein besserer Musiker.
In der Kunst, behaupte ich, geht es darum, ohne Zufall und Willkür das Resultat zu schaffen, was das zum Ausdruck bringt, was man darstellen möchte. Ich würde studierten Bands einfach schneller zuschreiben, dass sie wissen, was sie tun und die Songs keinem „Zufallstreffer“ gleichkommen.
Schwer zu sagen, da möchte ich mich nicht festlegen. Klar kann man analytisch hören – man kann sich aber auch einfach fallen lassen.
Natürlich, allerdings offenbart doch oft erst das analytische Hören die Details, die mitaufgenommen und produziert werden. Insbesondere das Nachvollziehen außergewöhnlicher Rhythmen und Taktarten oder den Songaufbau – das sind doch auch Dinge, auf die OBSCURA angewiesen ist.
Jein, ich verstehe den Punkt. Was wir aber versuchen, ist, den Mittelweg zu finden. Mich hat „Focus“ von CYNIC vor bestimmt 15 Jahren total von den Socken gehauen, weil das Album einfach sehr flüssig wirkt. Wenn man gleichzeitig versucht, ein oder zwei der Songs zu covern, stößt man als Anfänger schnell an seine Grenzen. Ich fand es interessant, Musik zu haben, die sowohl Nicht-Musikern, als auch den totalen Musik-Nerds unter der Oberfläche etwas bietet, was ihnen gefällt. Es gibt ja auch bei großen Bands, sagen wir mal DREAM THEATER, Leute, die in der ersten Reihe stehen, mit einem Taschenrechner und sehen „oh, das ist ja ein 15/16 Takt“ und die, die sich einfach reinstellen und eine wirklich gute Band beim Performen genießen. Ich finde es gut, beiden Fraktionen etwas zu geben.
In erster Linie macht man Musik für sich selbst. Und das, was uns Spaß macht, sind einerseits Songs mit Hooklines, die live Spaß machen und andererseits Musik, die interessant gehalten ist, dass man bei jedem Song etwas „dazulernen“ kann: Technik, Akkordverschiebungen, Harmonielehre und so weiter. Wir versuchen, es an allen Ecken interessant zu halten. Wir haben jetzt seit langer Zeit mal wieder mit Streichern gearbeitet oder ein Monochord eingebaut. Die Vocoder-Passagen sind komplett auskomponiert, wie man in der klassischen Musik Chöre auskomponieren würde – wir haben nur eine andere Klangfarbe verwendet. Das auszuarbeiten und gleichzeitig hörbar zu gestalten, dass jemand der kein studierter Musiker ist, der einfach nur Bock auf eine Death-Metal-Band hat, etwas darin findet, was ihm gefällt.
Nochmal zurück zum Text-Konzept: Anfangs hast du gesagt es gibt den astrophysischen Teil, den naturphilosophischen sowie den religiösen. „Septuagint“ beschreibt beispielsweise den Tanach. Wie behandelt ihr Religiosität in euren Texten? Ich habe versucht, mich dem Text zu „Septuagint“ etwas anzunähern und ihr beschreibt eine Dualität und kombiniert diese mit der Weltseele, einer These, die dem Kosmos eine Seele zuspricht. Separat davon besitzt der Mensch eine Seele, so gesehen werden Mensch und Kosmos voneinander abgetrennt oder als zwei Dinge betrachtet. Versucht ihr das auch musikalisch aufzugreifen?
Da muss ich jetzt sehr weit ausholen. Die komplette „Omnivium“-Platte basiert auf einem Buch des Naturalisten Friedrich Schelling, mit dem Titel „Clara“. Es behandelt eine Diskussion auf drei Ebenen: Realität, Religiosität und Rationalität. Da sehe ich die Idee des Dualismus von Himmel und Hölle. Dualität ist nicht nur im Christentum abgebildet. Die Verbindung zu „Akróasis“ ist folgende: Schelling hat ein Buch geschrieben, „Von der Weltseele“, was sehr philosophisch ist und worüber jeder Physiker die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und schreiend wegrennen würde. Die Idee jedoch fand ich sehr interessant. Man muss dazusagen, dass man im 18. Jahrhundert nicht das Wissen hatte, auf dem man heute aufbauen kann. Aber ich finde diese Interpretation der Weltseele sehr spannend. Diese Idee habe ich versucht, gleichzusetzten und zu verbinden mit dem Buch „Akróasis“ des schweizer Professors Hans Kaiser. Darin geht es um den pythagoreischen Gedanken einer Harmoniestruktur unserer Existenz und unseres Universums. Es besagt, dass der Planetenaufbau, unsere DNA, wie Pflanzen wachsen und so weiter, auf einer harmonischen Struktur basiert – diese Zwei-Zu-Drei-Verschiebungen.
Keppler hat gesagt, die verschiedenen Planeten laufen in ihren Umlaufbahnen harmonisch zueinander und stellte daraus die These auf, bevor ein sechster Planet gefunden wurde, wo ein weiterer Planet demnach sein müsste, was sich bewahrheitete. Diese Idee der Harmoniestruktur, des Kosmos und der Weltseele versuche ich miteinander zu kombinieren und auf die dritte Ebene die Religiosität zu stellen. Diese versuche ich aus verschiedensten Blickwinkeln zum Ausdruck zu bringen. Auf der neuen Platte wäre da „Ten Sepiroth“, da wären wir wieder beim Judentum, oder „The Monist“, der das ganze negiert und als Monismus darstellt – Gut und Böse sind eins, wie Yin und Yang im Hinduismus. Das Christentum wird in „Ode To The Sun“ behandelt und aus all dem versuche ich eine Geschichte zu formen. Das ist auch mit „Cosmogenesis“ und „Omnivium“ verlinkt, hinsichtlich der verwendeten Autoren Schelling und Goethe, der ein Gedicht verfasste, was da heißt „Weltseele“. Die beiden kannten sich und damals war die Weltseele etwas, worüber man sich Gedanken gemacht hat. Gleichzeitig habe ich ein Gedicht von Milton gefunden, dass ich dann mit THULCANDRA abgearbeitet habe. Dabei entstanden so viele Zufälle, dass ich das einfach verarbeiten musste.
Interessanter Ansatz.
Ich bin Realist und weiß, dass etwa 95 Prozent der Leute, die eine Platte von uns kaufen, nichts auf die Texte geben. Dessen bin ich mir bewusst. Vielleicht wissen sie die Musik zu schätzen, aber die Texte interessieren vielleicht eine Handvoll Leute.
Und endet im Zweifelsfall als YouTube-Kommentar mit den Worten „Hey, die haben sogar philosophische Texte“.
Genau – „mit Planeten und Zeug“, alles schon gelesen (lacht). Aber das ist in Ordnung.
Wenn du sagst, die Musik schreibst du für dich, wirst du die Texte vermutlich auch in erster Linie für dich selbst schreiben. Sich dabei solchen Themen anzunähern, kann letztlich für einen selbst nur „nahrhaft“ sein.
Definitiv, macht auch Spaß, sonst würde ich mich nicht so einlesen. Klar, man versucht es immer besser zu machen. Wie als Instrumentalist, der auch übt, lese ich mehr und mehr und versuche dadurch die Texte besser zu machen. Ob dann jemand die Aussage dahinter mitkriegt oder nicht, ist dann eher einerlei. Wie du schon sagtest, die meisten Texte schreibe ich für mich selbst.
Ich würde sogar behaupten, so etwas wie eine Message gibt es in dem Fall nicht. Vielmehr stellst du etwas zur Verfügung, worüber nachgedacht werden kann.
Wenn man sich einliest, gibt es durchaus eine Botschaft. Alle religiösen Aspekte, die ich anspreche werden negiert. Wie erkläre ich das am besten?
Du musst es gar nicht erklären. Es ist doch schön, wenn etwas Nebel erhalten bleibt.
(lacht) Ach so? Ich fand‘ die Interviews immer leicht fad wenn es hieß: „Die Texte sprechen für sich selbst, lest sie selber durch“.
Man geht davon aus, dass mehr als zwei Drittel unseres Kosmos aus Dunkler Materie bestehen und von dem her die Dunkelheit der Status Quo ist, in dem das Licht vielmehr ein Eindringling ist. Wenn man das beispielsweise aufs Christentum umwälzt, dass man aufs Licht zugeht, zur Erlösung, ist das das eigentliche Verderben. Oder „Ode To The Sun“, eine Preisung der Sonne, ist vielmehr eine Totenmesse. „Sermon of the Seven Suns“ schildert die Apokalypse durch Sonnenstrahlung aus buddhistischer Sicht. Genau betrachtet ist „Akróasis“ die dunkelste und zerstörerischste Platte, die ich je geschrieben habe. Da kann jede Black-Metal-Band heimgehen (lacht).
Übersetzt bedeutet „Akróasis“ „hören“. Dazu fällt mir das Nadabrahma Yoga ein, was darauf basiert, dass alles auf Frequenzen fußt. Der Ursprung wird in den Schwingungen gesucht.
Gut, dass du das ansprichst. Von der Uni, an der ich arbeite, kenne ich die Psychotherapie mit Tönen. ?Wir haben ein Monochord aufgenommen, der genau diesen Ursprungsgedanken der Frequenzen überträgt. Ein altes pythagoreisches Instrument mit sechsunddreißig Saiten, alle auf denselben Ton gestimmt, und etwa zwei auf einen Meter groß. Beispielweise mit Kindern lässt sich damit arbeiten. Man legt sich auf das Instrument oder lehnt seinen Kopf daran an und spürt die Schwingungen. Dieser Gedanke ist schon Tausende von Jahren alt. Dieser Ursprung bezieht sich auf den Monismus und die Weltseele, da man die Welt und den Kosmos hören kann, da diese harmonisch aufgebaut sind. In den Siebzigern oder Achtzigern gab es auch ein Experiment, die Mondumlaufbahn in Töne umzuwandeln. Und das mit dem Monochord – seinen Körper den Schwingungen preiszugeben – ist allemal eine Erfahrung wert, ganz gleich ob man es schlussendlich gut oder schlecht findet.
Abschließend: Was wolltest du denn in einem Interview mal gefragt werden?
Die meisten Fragen habe ich über die vergangenen Jahre beantworten dürfen. Wie lange wird es OBSCURA noch geben?
Wie lange wird es OBSCURA noch geben?
So lang, bis uns die Ideen ausgehen und das wird hoffentlich nicht so bald passieren. Oder wann geht ihr mit Madonna auf Tour? Hoffentlich morgen. (lacht)
Machen würdet ihr es eh.
Na klar – nicht umsonst, aber klar.
Dann bedanke ich mich für deine Zeit und die aufschlussreichen Worte.