Obituary
"Man kann mittlerweile ja nicht einmal mehr vor die Tür treten, ohne irgendetwas einzuatmen, das uns umbringt!"
Interview
Als 1992 „The End Complete“ veröffentlich wurde, machte in der Fachpresse jene These die Runde, dass der Albumtitel sich auf ein mögliches Ende der Band beziehen könnte. „Dying Of Everything“ kann unter Umständen eine ähnliche Assoziation hervorrufen, was Tardy so allerdings nicht bestätigen möchte. „Ach, ich glaube, dass das einfach nur ein guter Albumtitel ist. Es geht ja darum, was alle geraden erfahren. Nicht nur OBITUARY oder die Musikszene, sondern wirklich jeder. Alle Menschen auf der Welt haben zwei Jahre voller schlechter Nachrichten hinter sich. Corona hier, Social Distancing dort, Maske tragen, keine Maske tragen, Booster und der ganze Scheiß. Man kann mittlerweile ja nicht einmal mehr vor die Tür treten, ohne irgendetwas einzuatmen, das uns umbringt. Insofern stirbt irgendwie alles. Der Titel passt aus meiner Sicht also perfekt zu unserer Zeit.“
Das Frontcover zu „Dying Of Everything“ ziert ein Ölgemälde mit Pastellfarben, das auf den ersten Blick eine relativ grobschlächtig dargestellte Burg zeigt. Erst beim genaueren Betrachten offenbaren sich Details wie ein Fackelzug und eine gleißende Sonne im Zentrum. Denkt man an die üblichen Death-Metal-Covers aus dem Hause Dan Seagrave (u. a. „Left Hand Path“, „Like An Ever Flowing Stream“), lässt dieses Werk zunächst keine Zuordnung in eine bestimmte Ablage zu. Donald Tardy berichtet, dass das Bild von einem polnischen Künstler namens Mariusz (Lewandowski, Anm. d. Red.) stammt, dessen Nachname allerdings für ihn selbst unaussprechlich ist. „Ich hielt den Kontakt per E-Mail mit ihm. Er kannte OBITUARY und hatte richtig Lust, mit uns zu arbeiten. Er bat uns darum, das Album vorab hören zu dürfen, und wir waren mehr als überwältigt, dass er darin die Grundlage für seine Arbeit sah. Er wollte die Songs hören und die Lyrics lesen und daraus eine Idee schöpfen. Als wir ihm dann sagten, dass das Album „Dying Of Everything“ heißen würde, war er sofort begeistert. Wir wussten, er würde etwas cooles umsetzen und ich könnte nicht glücklicher über das Ergebnis sein.“ Schlagartig scheint eine dunkle Wolke über Donald Tardy hinweg zu ziehen, als er weiter erzählt: „Tragischer Weise ist Mariusz unerwartet verstorben, kurz nachdem er das Cover an uns übergeben hat.“ Man glaubt Donald Tardy sofort, dass er wirklich geschockt ist über den Tod des Künstlers und dass er ihn gerne persönlich getroffen hätte. „Zumindest konnten wir ihm zeigen, wie begeistert wir von seiner Arbeit waren. Wir waren geradezu wie weggeblasen. Wenigstens wusste er das.“
Auf „Dying Of Everything“ setzen OBITUARY sicherlich keine neuen Maßstäbe in Sachen Kreativität. Aber das muss bei einer Band, die einen schon zu Jugendzeiten begleitet hat, auch gar nicht sein. Und trotzdem findet sich das ein oder andere Sahnestückchen und Novum. Der Opener „Barely Alive“ legt beispielweise ein Tempo vor, das man von dem Quintett bisher nicht unbedingt gewohnt war. Ein Statement wollten OBITUARY damit nach Aussage des Drummers aber nicht setzen. „Wir hatten bestimmt nicht vor, einen bestimmten Song zu schreiben um jedermanns Aufmerksamkeit zu wecken.“ Dennoch sei es tatsächlich nie eine Frage gewesen, mit welchem Song das Album beginnen würde. „Ich weiß auch nicht warum, aber das sind die wirklich schnellsten Double-Bass die ich bisher gespielt habe. Ich musste 52 Jahre alte werden, um diese Geschwindigkeit zu erreichen (lacht). Aber klar, der Song geht schon ab und dann ist da ja noch dieser slayereske Mittelteil. Auch wenn das nicht so gedacht war, aber der Track ist damit irgendwie schon ein Statement (lacht).“ Tardy berichtet darüber, dass sich die Band sofort einig darüber war und die sonst üblichen Streitereien, welcher Song an welcher Stelle des Albums platziert werden sollte, kamen gar nicht erst auf.
Auf die Frage, ob es musikalische Grenzen gäbe, erklärt Tardy, dass sich die Band keineswegs in eine Schublade stecken lassen werde. „Es wäre lächerlich „Sag niemals nie“ zu sagen.“ Außerdem sei es schon immer klar gewesen, dass die Band nicht zu viel nachdenkt, wenn es ums Songwriting geht. „Wir betreten das Studio oder den Proberaum jeden Tag mit einem frischen Geist und sind offen für alles. Trevor und ich machen uns ein kühles Bier auf und was dann passiert, passiert eben. Vielleicht entsteht ein Riff oder eine Idee am Schlagzeug und wir fokussieren uns darauf, aber wenn nicht… Kein Ding, es gibt ja immer noch ein morgen. Wie ich schon sagte: Druck hilft niemandem.“
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