Nucleus Torn
Nucleus Torn
Interview
Mit "Nihil" haben NUCLEUS TORN ein wahres Juwel veröffentlicht, mit "Knell" wird bald die Fortsetzung folgen. Anlass genug für ein hochspannendes Gespräch mit dem Bandkopf Fredy Schnyder, der dort Einsichten zur Band, zu Kunst im Allgemeinen und zu "völlig überforderten Rezensenten" preisgibt!
Guten Tag, Olvido. Wir arbeiten intensiv an unserem kommenden Album „Knell“. Die Instrumentalaufnahmen sind, mit Ausnahme von kleinen Overdubs, die im Laufe der Fertigstellung noch nötig werden, abgeschlossen. Ein großer Teil der Gesangsparts ist fertig arrangiert, die Texte geschrieben. Wir hoffen nach wie vor, das Album im Herbst abschließen zu können.
Kommen wir zu Beginn zum ewig leidigen Thema der Bandgeschichte. 1997 hast Du NUCLEUS TORN als Soloprojekt ins Leben gerufen, auf dem aktuellen Album allerdings wirkten sieben weitere Musiker mit. Wie vollzog sich die Entwicklung vom Schaffen eines Einzelnen zu einer solch großen Band?
„Krähenkönigin“ entstand in einer Zeit, in welcher ich gezwungen war, mit dem absoluten Minimum an Instrumentation zu arbeiten. Meine Projekte mit zwei Bands waren kläglich gescheitert, es blieb mir mangels Musikern nichts anderes übrig, als Werke für ein Soloinstrument zu komponieren.
Nach „Krähenkönigin“ ergab sich aber die Möglichkeit, im Studio größere Instrumentierungen umzusetzen, deshalb schrieb ich bewusst Stücke für eine „Band“, in welcher ich den grössten Teil der Instrumente einspielen würde. Der Sänger Patrick Schaad und dann der Schlagzeuger Christoph Steiner gesellten sich zu mir, und als Resultat dieser Zusammenarbeit entstand im Sommer 2000 die zweite EP „Silver“. Das Werk widerspiegelt klar meine Progressive Rock-Vorliebe dieser Zeit, die sich sowohl in der Kompositions- wie auch der Arrangierweise erkennbar machte.
In den folgenden Jahren beschäftigte ich mich so intensiv mit Musik wie nie zuvor und erlernte mehrere, vor allem folkloristische, Instrumente. Zudem wurde eine neue Begeisterung für extremen Metal in mir geweckt. Es war für mich selbstverständlich, diese Einflüsse in mein Songwriting einzubeziehen, denn ich konnte es mir nicht mehr vorstellen, mit stets den gleichen Klängen zu arbeiten. Das führte dann auch dazu, dass ich weitere Musiker bat, NUCLEUS TORN ihre Talente zur Verfügung zu stellen. Ich hatte den Wunsch, eine fast schon symphonische Palette an Sounds zur Verfügung zu haben, deshalb sind wir mittlerweile sieben Musiker im Ensemble.
Auf “Krähenkönigin“ spieltest Du, sofern ich da richtig liege, alles selbst auf der Akustikgitarre ein. Wo siehst Du die größere Möglichkeit zur künstlerischen Entfaltung, liegt sie im alleinigen Schaffen oder im Zusammenwirken vieler?
Spannende Frage! Da NUCLEUS TORN trotz aller Zusammenarbeit vor allem mir als Ausdrucksmedium dient, hat meine künstlerische Entfaltung sicher nicht unter der erweiterten Besetzung gelitten – eher im Gegenteil, schließlich ermöglichen es mir die anderen Musiker, Dinge umzusetzen, die ich alleine nie machen könnte. Alleine schon die Tatsache, dass sich andere Musiker so mit den Werken auseinandersetzen, bis sie dazu spielen können, ist eine gewaltige Befriedigung für mich – sei es, mit unseren Sängern ihre Gesangslinien auszuarbeiten oder zuzuhören, wenn Christine (unsere Geigerin) ein wunderbares Solo improvisiert.
Um aber einen zweiten Aspekt zu thematisieren: Allerdings glaube ich, dass ich mittlerweile kaum mehr fähig wäre, im Team zu komponieren, besser gesagt war ich das gar nie, schließlich führten meine Versuche mit „demokratischen“ Bands zu keinen Erfolgen.
Wie wurde Dein Werk “Krähenkönigin“, welches damals offen gestanden etwas an mir vorüber ging, von den Hörern und der Presse aufgenommen und wie zufrieden warst Du selbst mit dem Ergebnis.
Das spezielle an der Angelegenheit war, dass “Krähenkönigin“ etwa sechs Jahre nach den Aufnahmen von Kunsthall auf 10“ Vinyl veröffentlicht wurde. Dieses Werk verschwand in der Zwischenzeit lange in meiner Schublade, bis ich es 2001 wieder entdeckte und dank neuen Editiertechniken fertig stellen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hat mich die Qualität der Musik ziemlich überrascht, es war ein tolles Gefühl, so ein Projekt abschließen zu können. Mittlerweile spiele ich aber mit dem Gedanken, für den Prophecy-Rerelease ein neues Mastering zu machen, schließlich habe ich in den letzten 6 Jahren einiges dazu gelernt.
Zu den Reaktionen: Es war Bestätigung und Befriedigung genug, als Kunsthall mir das Veröffentlichungsangebot machten, denn das Label gehört zu jenen, die in ästhetischer Hinsicht Maßstäbe setzen. Über die Reaktionen der Presse weiß ich nichts (mit Ausnahme eines begeisterten Reviews im Legacy), doch kenne ich einige “Krähenkönigin“-Fans, die dieses Werk immer noch für mein bestes halten. Das ist legitim, schließlich folgte danach ein Kurswechsel.
Da Du im Besitze der Vergleichsmöglichkeiten gibt, interessierte mich, was Du als erfüllender betrachtest: Ist es das alleinige Schaffen oder die Arbeit in einem “Team“ vieler Musiker?
Siehe oben!
Kommen wir zu “Nihil“. Im Frühling letzten Jahres wurde sie von Dir in Eigenregie veröffentlicht und war innerhalb kurzer Zeit ausverkauft. Sahst Du daran in gewissem Maße eine Bestätigung Eures musikalischen Schaffens?
Ganz bestimmt! Es war definitiv ein Ziel, mit “Nihil“ in verschiedenen Hörerschichten Interesse zu wecken, und das ist uns gelungen. Das Gefühl war wunderbar, dass die Progressive Rock-Szene, in der ich zu dieser Zeit vor allem die CD verkaufen konnte, so positiv auf ein Album reagiert hat, obwohl das Werk die engen Grenzen dieser Stilrichtung doch mit einer gewissen Brutalität niederwüten wollte. Gleichzeitig führte die Zusammenarbeit mit Nachtgnosis für den LP-Release dazu, dass wir im extremen Metal-Untergrund zum Thema wurden – wenn wir dies dank Kunsthall nicht schon erreicht hatten.
Dass die CD Anklang fand, wird schnell klar, wenn man bedenkt, dass sie schließlich über Prophecy wieder veröffentlicht wurde. Was waren Deine ersten Gefühle, als Du das Angebot von Prophecy Productions reinbekamst? Wie fühlt man sich als Künstler außerhalb vorgefertigter Genrerahmen, wenn ein so doch sehr großes Label anklopft?
Das wird einige Leute überraschen: Irgendwie erachtete ich es als selbstverständlich, dass es klappen würde. Für mich war “Nihil“ ein derartig überzeugendes Statement, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass Prophecy sich nicht dafür interessieren würden. Daher habe ich auch an kein anderes Label eine Demo-CD verschickt. Mein Gefühl hat mich nicht betrogen.
Besteht der Dialog mit dem Label in einem befriedigenden Maß und bist Du mit der Zusammenarbeit zufrieden?
101%, beliebig nach oben erweiterbar. Was könnten wir mehr wollen? Wir haben professionelle Promotion, fantastische Labelkollegen, die mit ihrem guten Ruf auch NUCLEUS TORN fördern, Unterstützung z.B. bei ausgefallenen Designwünschen, einen hervorragenden persönlichen Draht… an Idealismus mangelt es sowieso nicht.
Wie verlief die Arbeit an dem Album für Dich? Was war das für eine Erfahrung, mit einer Vielzahl wirklich guter Musiker zusammenzuarbeiten?
Es ist immer toll, wenn etwas funktioniert. So ein Projekt führt aber die Menschen, die daran arbeiten, durch einen Haufen Hochs und Tiefs, das war bei “Nihil“ nicht anders. Nicht umsonst dauerte es drei Jahre, bis die Aufnahmen fertig waren, und die dauernden Unterbrüche durch Auslandsstudien von mehreren Mitgliedern, nicht zuletzt von mir, haben meine Geduld arg strapaziert. Es braucht einiges an Energie, um ein Projekt über derart lange Zeit hindurch konsequent zu verfolgen und so viele Leute zu koordinieren. Um es in anderen Worten auszudrücken: wären diese Musiker nicht so gut, dann wäre es gar nicht möglich gewesen. Am schönsten ist es immer dann, wenn eine Passage zum emotionalen Höhepunkt wird, die zuvor ein „Schattendasein“ geführt hat und erst durch die richtige Note z.B. auf dem Cello ihr Potential entfaltet.
Meiner Ansicht nach jedenfalls spricht das Ergebnis ganz klar für sich, auch wenn – wie ich das beobachtete – das Album auf sehr geteilte Reaktionen traf. Einige Magazine konstatieren in wenigen Sätzen, dass “Nihil“ unzugänglich und daher schlecht sei, andere befassten sich in langen Rezensionen hinlänglich mit der Musik und waren zu weiten Teilen sehr angetan. Wie wichtig sind Dir die Reaktionen der Presse und wo ziehst Du die Trennlinie zwischen jemandem, dem wohl der Zugang zu dem Album fehlt und der daher keine relevante Kritik schreibt und einem solchen, der als konstruktiver Kritiker in gewissem Maße eine Bereicherung darstellt?
Ich liebe diese unreflektierten Kommentare von völlig überforderten Rezensenten. Auch sie bestätigen mich und meinen doch eher radikalen Approach.
Entschuldigung, aber wenn jemand meint, dass unser Sänger Gesangsunterricht nehmen soll (was er seit Jahren tut), weil er keine Töne treffen würde, dann kann ich diesen Kommentar nicht ernst nehmen. Jeder Profi, dem ich solche Statements gezeigt habe, hat erst einmal laut gelacht! Wenn wir atonale Harmonik, Clusterakkorde und Ganztonskalen verwenden – so auf „Summer Bled“ geschehen – dann kann man dazu nicht eine gewöhnliche Dur-/Moll-Tonleiter singen. Entweder bringt man als Hörer dann die nötige Offenheit für im Rockbereich ungewöhnliche Klänge mit, oder man ist bei NUCLEUS TORN am falschen Ort.
Ein weiterer Kritikpunkt ist auch immer wieder, dass Patrick clean singt. Wir wollen halt keinen grunzschreienden Ork am Mikrophon, obwohl (fast) jede andere Band eine solche Lösung wählen würde. Ich bin überzeugt, dass sich unsere Konsequenz in dieser Hinsicht früher oder später auszahlen wird.
Genug zu der negativen Hälfte. Die positiven Kritiken werden besonders dann zum Erlebnis, wenn man durch die Musik persönliche Kontakte zu faszinierenden Menschen rund um den Globus knüpfen kann. Das sind Privilegien, für die sich alle Strapazen des Musizierens lohnen.
Du hast mich noch nach der Trennlinie zwischen für mich nützlichen und überflüssigen Kritiken gefragt. Ehrlich gesagt lasse ich mich durch fast keine Rückmeldungen vom eingeschlagenen Kurs abbringen, höchstens, außer sie kommen von Bandmitgliedern oder anderen engen Freunden. Ich lebe lieber in der Illusion, die Kritiker mit meiner Musik „schaffen“ zu können, indem ich gewisse Reaktionen provoziere.
Ich ginge so weit, das Album schon als Kunst zu bezeichnen, da es daraus schöpft, aus sich selbst heraus zu fesseln, ohne sich dabei vorgefertigter Schemata zu bedienen. Wie wichtig ist es Dir selbst, etwas zu schaffen, dass grenzüberschreitend für sich selbst stehen kann, ganz gleich wie es rezipiert wird? Könntest Du Dir vorstellen, jemals Musik zu schreiben, die auf Grundlage von “Verse – Chorus – Verse“ und altbekannten Akkordreihen basiert?
Danke für das Kompliment! Niemand in NUCLEUS TORN möchte einfach „nur“ Musik machen in diesem Projekt. Wenigstens aus meiner Sicht hat „Kunst“ schon auch den Auftrag, bis zu einem gewissen Grad Schmerz auszulösen. Das Polarisieren gehört dazu. Indem man die Erwartungen seines potentiellen Publikums nicht erfüllt, strapaziert man die Sinne der Menschen und kann damit gar nicht nur auf Begeisterung stoßen. Mehr noch: wenn man gewisse Menschen wirklich berühren will – was unser erklärtes Ziel ist – dann reagieren andere umso ablehnender, fast wie bei einem starken Magneten.
Ich habe es erwähnt, es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn Folk-Anhänger “Nihil“ genauso schätzen wie Fans von Film-Soundtracks, Progressive-Rock-Hörer oder Blackmetaller. In diesem Fall macht die stilistische Grenzüberschreitung Sinn, denn sie eröffnet ein paar Menschen neue Horizonte.
Das heißt aber nicht, dass ich nicht Popsongs schreiben möchte, darauf läuft ja Deine Frage hinaus. Ich denke, man sollte da weniger werten, als es manche unserer Zeitgenossen tun. Die Art des kompositorischen Approachs sagt wenig über die Qualität des Endergebnisses aus. Wieso sollte ein toller Song weniger „Wert“ haben als eine Klaviersonate? Die Form entscheidet nicht über Qualität.
Da wir eh schon die ganze Zeit über Kunst sprechen, hier nun eine allgemeinere Frage dazu. Welche Rolle spielt Kunst ganz allgemein in Deinem Leben? Wie stehst zu der Kunst im Sinne von Bildern, welcher Literatur und welchen Autoren zollst Du Aufmerksamkeit und Respekt und zu guter Letzt, welche Bands hörst Du privat, wo bekommst Du vielleicht sogar Inspiration?
Kunst steht im Mittelpunkt meines Lebens, neben meiner professionellen Beschäftigung mit Geschichte. In dieser Hinsicht wird sich bei NUCLEUS TORN (fast) ein allgemeiner Konsens ergeben. Die meisten von uns haben Kunst studiert, sei es Jazz, klassische Musik, Kunstgeschichte oder Literatur.
Zur persönlichen Frage: Ich bin beschäftige mich intensiv mit indischer Literatur, Salman Rushdie gehört zu meinen großen Favoriten, aber auch Amitav Ghosh. Im Bereich Poesie werde ich weniger ausgefallene Namen nennen: T.S. Eliot, Robert Frost und William Blake. Unter den deutschsprachigen Autoren fasziniert mich Dürrenmatt am meisten.
Zu der Musik. Eines vorneweg, ich bin klassischer Musiker, der Rock macht und sich dabei dennoch stets mit einem „klassisches Ohr“ der Sache widmet. Ohne die Einflüsse von Bartok, Schnittke, Ravel oder Mahler könnte NUCLEUS TORN nicht in dieser Form existieren. In den letzten Jahren hat mich auch die Barockmusik in ihren Bann gezogen, und wie könnte man von Bach oder Telemann nicht inspiriert sein?
Außerhalb der klassischen Musik lösen bei mir Künstler wie KATATONIA oder L’HAm DE FOC, SINÉAD O’CONNER oder PAYSAGE D’HIVER (und Dutzende andere) immer wieder Begeisterung aus.
Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern – gerade im aktuellen Musikgeschehen – kann ich bei Dir keinen zwanghaften Hang zur Selbstdarstellung und Beweihräucherung darstellen. Im Einklang zu dem Thema Kunst stellt sich mir da die Frage nach Deiner Meinung zu folgender Aussage, übertragen auf das Schaffen von NUCLEUS TORN. „Das Werk muss für sich selbst sprechen.“
Manche Leute werden, mehr oder weniger berechtigt, unter anderem aufgrund dieses Interviews das Gegenteil von mir denken. Wenn ich überlege, welche Plattform zur Selbstdarstellung mir NUCLEUS TORN bietet, und wie konsequent ich dies ausnutze, dann habe ich den Eindruck, alles andere als bescheiden im Umgang mit meinen Ressourcen zu sein und bis zu einem gewissen Grad auch Respekt für meine Arbeit zu verlangen.
Allerdings mag ich es nicht, wenn Musiker ihre CD-Booklets mit ellenlangen Credit-Auflistungen vollstopfen. Wenn ich dafür sorge, dass das bei NUCLEUS TORN nicht geschieht, dann aufgrund ästhetischer Überlegungen. Eine Album ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem es darum geht, die Musik in einem optimalen Licht zu präsentieren. Wieso sollte man ein Artwork dann mit lächerlichen Fotos oder überflüssigen Thankslisten verschandeln?
Ich denke, wir haben nun genug über “Nihil“ gesprochen. Ich entnahm einer Newsmeldung, dass die Arbeiten an dem neuen Album vorangehen. Kannst Du uns verraten, was man von der neuen Scheibe erwarten darf?
“Knell“ wird ein dunkles Album, ein zerrissenes Werk sein, zwischen radikal lauten und schweigenden Moment hin und her gepeitscht. Die Einflüsse aus dem extremen Metal sind verstärkt hörbar geworden, ebenso meine Inspirationen aus der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts. Die Kombination davon, und der gänzliche Verzicht auf herkömmliche Songstrukturen hat dazu geführt, dass vier Stücke entstanden sind, die dennoch eine Spielzeit von 56 Minuten erreichen. Sie gehen kontinuierlich in einander über und tragen die Nummern I bis IV.
Konzeptionell habe ich “Nihil“ mittlerweile einigermaßen interpretieren können und werde nun den einen Charakter auf eine Reise schicken, welche mit Musik von sehr filmischen Zügen dargestellt wird. Ein Freund von mir hat seinen Höreindruck wie folgt umschrieben: „wie mit bloßen Händen tastend im Dunkeln an einer hohen Felswand entlang laufen“. Da muss ich nichts mehr hinzufügen.
Wie verlaufen die aktuellen Arbeiten an “Knell“ für Dich; wie bewertest Du sie, verglichen mit vorigen, die ja sicher unter anderem Umständen vonstatten gingen?
Ich bin froh, dass ich hier das Forum bekomme, schon vor der Veröffentlichung des Albums dies bemerken zu können. “Knell“ entstand zum großen Teil lange vor der Veröffentlichung von “Nihil“. Zum Zeitpunkt des Prophecy-Releases waren die Instrumentalaufnahmen fast fertig. Daher war der Unterschied zu “Nihil“ eigentlich marginal. Ich benutzte im ersten Jahr auch das identische Equipment.
Manche Leser werden erwarten, dass ein Druck auf uns lastet. Dem ist nicht so. Für mich stellte sich bereits vor zwei Jahren das Problem, ein Album schreiben zu müssen, das es mit “Nihil“ aufnehmen kann. Ich sah die Möglichkeit nicht darin, noch einmal die gleiche Herangehensweise zu verwenden, sondern versuchte bewusst, viele Dinge anders zu machen – in kompositorischer Hinsicht, wie ich vorhin beschrieben habe.
“In erster Linie geht es um die Trennung inmitten widrigster Umstände, in ständiger Erwartung des letzten Lebenstages“, so wirst Du auf dem mir vorliegen Promozettel zum Album “Nihil“ bezüglich des Konzeptes zitiert; dieses Konzept entfaltet sich auf jener CD schon auf interessante Weise und soll auf den zwei folgenden Alben – eine konzeptionelle Trilogie also – ihre Fortsetzung finden. Kannst Du unseren Lesern einen tieferen Einblick zu dem Konzept verschaffen, eventuell sogar ganz persönliche Assoziationen dazu verraten?
“Nihil“ ist für mich der Aufbruch zu einer Reise ins Ungewisse und Unterbewusste. Ich hatte keine Ahnung, dass sich das aus meinen frühen Songwriting-Sessions so ergeben würde, doch ist es passiert, und nun will ich diese neue Welt gründlich erforschen. Wenn es persönliche Elemente darin hat, dann solche, die ich selber interpretieren muss. Bewusst verpacke ich keine „Botschaften“ in meinen Texten, denn in erster Linie will ich etwas über mich und mein Schaffen herausfinden, und nicht meine Ansichten nach außen transportieren.
“Nihil“ ist gewissermaßen der Einstieg in diese Welt, wenigstens ist das ganz klar bei “Glass Spirit“ der Fall, das ein Rückblick in eine idyllische Zeit darstellt und dann den Blick auf eine traurigere Gegenwart richtet. Die folgenden Stücke haben bildhaften Charakter, stellen Impressionen verschiedener Gefühlszustände dar zweier Charaktere dar. “Peregrina Sublime“ schließlich ist sowohl Klimax, Ende und Anfang von “Nihil“. Das Stück führt zurück zum Anfang des Albums und weiter zu “Knell“. In einem früheren Interview habe ich die folgenden Worte verwendet, die ich lieber nicht übersetzen möchte, weil sie den textlichen Inhalt gut wiedergeben. “Peregrina Sublime” portrays a wasteland, its walls of rock closing in on one of the two characters, who loses her life in the struggle against the forces her presence had awaken around her. Bei “Knell“ wird sich der zweite Charakter auf eine Reise begeben, sich quasi auf die Suche nach der ersten Seele machen.
Ich hoffe, damit genug Informationen gegeben zu haben, um die Inhalte aus den Texten extrahieren zu können.
Mit Liveauftritten scheinen die Liebhaber Eurer Musik nicht beglückt zu werden, jedenfalls ist davon noch nichts zu mir durchgedrungen. Wird man Euch jemals auf der Bühne sehen, glaubst Du überhaupt, das Schaffen von NUCLEUS TORN eignet sich als Livemusik?
Da ich persönlich große Schwierigkeiten mit großen Menschenmengen habe, vor allem wenn es sich um betrunkene, grölende „Musikfans“ handelt, kann ich mir NUCLEUS TORN nicht im Rockzirkus vorstellen. Da passen unsere Charaktere überhaupt nicht rein.
Was aber ganz sicher funktionieren könnte, wäre eine (fast) akustische Präsentation unserer Musik. Die Reduktion auf das Essentielle würde es sicher einfacher machen, unsere Werke live zu spielen, dann wären auch nicht unzählige Gastmusiker nötig. Falls wir es rein zeitlich schaffen, könnte es durchaus zu Konzertauftritten führen. Wir warten im Moment noch mit konkreten Plänen, da die Alben “Knell“ und der Nachfolger “Andromeda Awaiting 1“ derart komplex sein werden, dass man sie unmöglich aufführen könnte. Wer weiß, vielleicht sieht es nach dem vierten Album anders aus – wenn wir jemals so weit kommen.
Bevor wir das Interview nun beenden, wäre ich über einen kurzen Blick in die Zukunft erfreut; wie wird es mit Euch weitergehen, was darf man in Zukunft – möglicherweise Unerwartetes – erwarten?
Ich habe noch nicht über das dritte Album “Andromeda Awaiting 1“ gesprochen. Es ist mittlerweile fast fertig komponiert. Im Gegensatz zu “Knell“ wird dieses Werk still und ruhig, sphärisch, sogar friedlich klingen. Darüber habe ich jeweils keinen Einfluss, beziehungsweise lasse ich es einfach geschehen.
Dennoch vollendet es auch die bisherige kompositorische Entwicklung von NUCLEUS TORN, da es zum größten Teil am Klavier entstand und in Noten aufgeschrieben wurde. Songstrukturen erkennt man definitiv keine mehr, das ganze Album wird ein durchgehendes Stück ohne wesentliche Zäsuren sein.
Was danach kommt, weiß ich selber nicht, obwohl ich durchaus Ideen habe. Das Einzige, was ich mit einiger Sicherheit sagen kann, ist, dass ich mir für das vierte Album zum Ziel setzen will, bewusst die instrumentale Dichte zu reduzieren. Ich selber möchte nicht mehr als zwei oder drei verschiedene Parts parallel spielen. Nach dem „Mehr-ist-Mehr-Approach“ von “Knell“ und “Andromeda Awaiting 1“ würde es Sinn machen, eine gesunde Art von Selbstzensur auszuüben, dies würde es uns auch eher ermöglichen, bühnentaugliche Stücke zu schaffen.
Ich bedanke mich für das Interview – für den endgültigen Abschluss bist nun Du zuständig!
Besten Dank für das Interesse, die außerordentlich spannenden Fragen, die mich einige Male zum Überlegen gezwungen haben, und Eure Unterstützung überhaupt – wir wissen es sehr zu schätzen!