Noise Records
Interview mit Karl-Ulrich Walterbach
Interview
Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Noise Records in den Achtzigern und frühen Neunzigern zu den führenden Heavy-Metal-Plattenfirmen zählten, die insbesondere europäische Metalbands etablierten. Einflussreiche Bands wie HELLOWEEN, KREATOR, RUNNING WILD, TANKARD, CORONER, RUNNING WILD, VOIVOD, STRATOVARIUS, GRAVE DIGGER, RAGE, GAMMA RAY, OOMPH!, WATCHTOWER, KAMELOT, SKYCLAD, VIRGIN STEELE, sie alle und noch zig andere standen unter Vertrag beim Berliner Label und sind zum großen Teil auch heute noch aktiv. Nachdem Noise 2001 an Sanctuary Records verkauft wurden, bringen BMG, welche Sanctuary wiederum übernommen haben, das Kult-Label Noise Records wieder auf den Markt. Den Anfang werden 2CD-Best-Ofs der Noise-Bands HELLOWEEN, RUNNING WILD, TANKARD, SINNER, SKYCLAD, KREATOR, GRAVE DIGGER und KAMELOT machen, ehe einige der klassischen Alben wiederveröffentlicht werden. Unzertrennbar verbunden mit Noise Records ist der Name Karl-Ulrich Walterbach, Label-Gründer und so etwas wie der Ziehvater vieler Bands. Wir nutzten die Gelegenheit, um uns mit Karl-Ulrich Walterbach auf eine Zeitreise zu begeben.
TANKARD
Hallo Karl-Ulrich! Zumindest unseren älteren Lesern dürftest du als Label-Chef von Noise Records bekannt sein. Aber es gab natürlich auch eine spannende Zeit vor der Gründung dieser Plattenfirma. Bitte erzähle uns doch zunächst deinen eigenen musikalischen Werdegang, welche Bands dich in deiner Kindheit/Jugend fasziniert hatten!
Also in meiner Jugendzeit, ich lebte bis zum 18. Lebensjahr bei meinen Eltern in der katholischen Provinzstadt Rheine, hatte ich eigentlich in meiner Freizeit nur gelesen, ich war ein klassischer Bücherwurm. Musik kam bei uns nicht vor. Auch während der Studienzeit bis 22 Jahre hatte sich das nicht geändert. Ich hatte mich dann während meines Architektur-Studiums in Münster und Dortmund politisiert, da spielte Musik auch keine große Rolle. Das war die Zeit unter dem Einfluss einer starken Studentenbewegung und der RAF/Bewegung 2. Juni. Ich hatte das Studium genutzt, mich politisch zu bilden, hatte die einschlägige linke Lektüre der APO-Bewegung in Nachtschichten gelesen und viel Philosophie. Das war’s, was mich interessierte.
Erst mit dem Wechsel 1972 nach Berlin änderte sich alles. Ich wollte in Berlin meine Polit-Theorie praktisch umzusetzen. Tja, ich war ein richtiger Kopfmensch damals und lebte ziemlich asketisch. Vom ersten Tag meines Umzugs nach Berlin an landete ich in einer Kommune-WG. Eine 1-Zimmer-Wohnung mit Matratzenlager und fünf Leutchen. Autodieb, Goa-Austeigerin, Drogen-Chemiker, Direkte-Aktion Anarchist – so in etwa war die Zusammensetzung meines ersten Wohnerlebnisses. Man lachte mich aus, als ich mit einem VW Bus voller Politliteratur dort aufschlug. Tja, und kurze Zeit später hab ich den Kram, der ja in meinem Kopf abgespeichert war, vor der TU-Mensa verscherbelt. Und dann ging das ganze wilde Leben der 70er richtig los.
Musik war überall, wo ich wohnte, der Kitt, der die Freaks zusammenkommen ließ. Krautrock, Hard Rock, Zappa, Prog Rock, Post Woodstock. Den ganzen Tag über lief über unsere großen Speaker in den besetzten Fabriketagen die musikalische Volldröhnung. Und damit bekam ich dann verspätet meine musikalische Grunderziehung. Ganz toll fand ich Bands wie IHRE KINDER, ASHRA TEMPEL, TANGERINE DREAM, KIV STINGL, PATTY SMITH, THE DOORS, JEFFERSON AIRPLANE. Und die Götter waren natürlich TON STEINE SCHERBEN.
Und nach reichlich politischer Ernüchterung Mitte der 70er (15 Monate Knast für ein Molotov-Cocktail in der Jacke) und den linken Freunden, die mich und meinen Freund mehr oder weniger im Knast vergessen hatten, kam die Erkenntnis, dass das Leben mehr ist als Politik mit messianischer Selbstaufgabe. Punk zog mich aus dem Politik-Sumpf: SEX PISTOLS, THE CLASH, THE VIBRATORS, THE RUTS und in der zweiten Welle die metallischeren US Bands wie BLACK FLAG, DEAD KENNEDYS, MISFITS, WIPERS, TSOL, RED ROCKERS, da zündete was bei mir. Die langen Hippie-Haare mussten runter, ich wandelte mich zum Anarcho-Punk und veranstaltete Konzerte. Erst im Team in der TU Mensa mit politischen AntiFa-Slogan und HANSAPLAST als Headliner und dann im selbstbesetzten Kreuzberger KZ 36 in der Waldemarstraße 33. Achtzehn Monate lang lief der Laden. Und dann machten die Maoisten und MLer aus der Nachbarshaft Stress, für die Punk ja einen faschistischen Touch hatte. Und auch die Links-Nachbarn wollten uns loswerden. Unser Kollektiv schloss dann letztlich den Laden und ich machte alleine weiter im SO36 – allerdings nur für eine Saison und zog gleichzeitig mein Punk Label Aggressive Rock Produktionen auf. SLIME, TOXOPLASMA, DAILY TERROR, MISFITS, BLACK FLAG, GBH, PETER AND THE TEST TUBE BABIES etc. Ich etablierte das führende deutsche Punklabel, war damit erfolgreich. Aber der Neue Deutsche Welle-Hype der Majors killte dann den Punk… was mich zwang mich musikalisch umzuorientieren und was letztlich in 1983 zur Gründung von Noise führte.
In deiner Jugend wurdest du Teil der linken Szene, insbesondere nach deinem Umzug nach Berlin. Nach einer Solidaritätsaktion im Zusammenhang mit dem Tod von Ulrike Meinhof kamst du sogar für 15 Monate in Haft. Bitte erzähle uns von dieser sicherlich sehr prägenden Zeit deines Lebens und der Stimmung, die damals in Berlin vorherrschte!
Am Tag, als die Morde [sic] (metal.de sowie der Redakteur folgen der offiziellen Geschichtsschreibung, welche von Selbstmorden der RAF-Häftlinge ausgeht, Anmerk. d. Verf.) an den RAF-Mitgliedern in Stammheim bekannt wurden, haben sich mehrere Direkte-Aktion Kollektive bei uns in der WG getroffen, um über Protestaktionen zu beraten. Mit Attacken auf die Parteibüros wollten wir dann ein Fanal setzen. Das ging gründlich schief, weil wir von Spitzeln unterwandert waren. Nur ein Tipp konnte uns auffliegen lassen. Und dann haben die Bullen ganz gezielt mich und meinen Kumpel – wir waren die Gruppen-Leader, zumindest verbal, rausgepickt. Und am 10. Mai wachte ich an einem herrlichen Frühsommertag in einer Moabiter Zelle auf. Strenge Einzelhaft. Hand zu Hand. Besuch nur von engen Verwandten. Dauernde Verlegung im Knast um Kommunikation zu unterbinden und eine ganze weitere Liste von Schikanen. In den ersten drei Monaten war’s extrem krass: nichts zu lesen. Selten Besuch. 30 Minuten Hofgang täglich. Kahle Wände zum Anstarren. Vor meinem Einfahren waren ich und viele andere bereit zu Guerilla-Aktionen. Der Knast änderte das. Wir kapierten, dass das ganze Spiel gesteuert ist. Überall V-Männer. Du konntest keinem mehr trauen. Terrorismus als Spielwiese des Verfassungsschutzes und ihrer amerikanischen Oberherren; der BND und Verfassungsschutz sind Produkte der Amis. Der Schmücker Prozess steht stellvertretend für das, was ich hier sage. Und heute geht das Spiel weiter mit Al Queida, ISIS.
Noch zwei Jahre später, als ich wieder draußen war, schob man unserer 3-er Männer WG einen Spitzel unter. Ich kam 1979 frühzeitig nach 6 Wochen von einem Baustellen Job in Syrien zurück und mein Platz in unserer WG war zwischenzeitlich von einem Neuling besetzt. Meine Mitbewohner fanden es witzig, das er ihnen gleich einen Waffenkoffer zeigte und anbot, alles zu besorgen was gebraucht würde. Ich fand das nicht lustig und schmiss ihn raus. 1981 tauchte der Typ mit einer Gruppe linker Spinner auf und besetzte anlässlich eines meiner SO36 Konzerte die Bühne. Ein Flugblatt wurde Verlesen, das gegen die Kommerzialisierung des Kiez protestierte. Ein Punk Freund brachte seinen Baseball-Schläger zum Einsatz und der Typ, den ich aus der WG geschmissen hatte, musste per Rettungswagen abtransportiert werden. 2 Monate später konnte man dann auf Seite drei der TAZ einen Artikel über diesen Spitzel lesen.
Und auch in der zweiten Hälfte der 90er ging der Eiertanz weiter. Da gab’s dann einen neuen Ansatz über’s Finanzamt. Nach einer sogenannten Konzernprüfung gab’s einen Abschlussbericht des Prüfers mit einer Steuerforderung über sagenhafte 7 Millionen. Dann kamen Durchsuchungen in den Büros und bei mir privat. Alleine 9 Leute durchsuchten meine Wohnung, natürlich in meiner Abwesenheit. Ich kam erst einen Tag danach mit dem Flieger aus LA in Berlin an. Gutes Timing! Wie beim HELLOWEEN Prozess ging dann zwei Jahre der Stress mit Anwälten und Wirtschaftsprüfern auf meiner Seite und den Steuerbehörden auf der anderen Seite los. Letztlich wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt und die Steuerforderung schrumpfte auf ¼ Millionen. Da wir schon erhebliche Vorauszahlungen geleistet hatten, war die Zahllast zuletzt lediglich 35.ooo. Aber der Stress! Und die Behörden hatten mal wieder ihre Daten über mich abgeglichen. Fortsetzungen dieser Geschichten gibt’s bis in die heutigen Tage.
Du hattest dann angefangen, erste Konzerte zu organisieren, warst an der Eröffnung des Punk-Clubs KZ36 beteiligt und hast mit „Soundtracks zum Untergang“ zwei Sampler veröffentlicht, nachdem du Modern Music mit dem Unterlabel Aggressive Rockproduktionen gegründet hattest. Wie kam es zur immer stärkeren Professionalisierung deines Hobbys? Wie kamen die Plattenverträge mit SLIME, TOXOPLASMA und DAILY TERROR zustande?
Die Punk Bands kannte ich ja alle aus der KZ36 Zeit. Da bestanden Beziehungen. Ich hab die Bands, die mir gefielen, während meiner Promoter Zeit im SO36 eingeladen, dort zu spielen und am gleichen Wochenende je 2 Songs für die Soundtrack Compilation im MusicLab des Harris Johns aufgenommen. SLIME und die Soundtracks wurden dann richtige Hits in der Underground Scene und Aggressive Rock Produktionen das mit Abstand bekannteste deutsche Punk Label.
Du hast dann dein Label für US-Punk geöffnet für Bands wie BLACK FLAG und THE MISFITS. Wie kam es dazu, wie kamen all die Kontakte zustande?
Ab 1979 habe ich systematisch Punk Singles gesammelt und da die erste Welle des Punk, der UK Punk, den Höhepunkt überschritten hatte, hatte ich mich auf US Punk, insbesondere West Coast Punk konzentriert. Ich war total in diese Musik verliebt. Durch die Singles hatte ich dann auch gelernt, wie wichtig für den Aufbau und Erfolg einer Band ein guter, griffiger Song ist. Ein Problem an dem viele Metalbands scheitern, da die technischen Fähigkeiten und Produktion im Vordergrund stehen. Bands wie DREAM THEATER oder QUEENSRYCHE werden dann immer als Rechtfertigung herangezogen. Mein US Noise-Partner Bruce Kirkland, ein Marketing Genie, hatte in den frühen 90ern DREAM THEATER zu betreuen und die taten sich schwer, überhaupt Gold, d. h. 500.000 Einheiten zu verkaufen, wo gleichzeitig die Hairbands 3-8 Millionen schafften, von METALLICA und GUNS N‘ ROSES nicht zu reden. Solche Bands wie DREAM THEATER hatten in dem teuren US Markt selbst bei 500 Tausend verkauften Platten den Plattenfirmen kaum Gewinne gebracht. Eigentlich waren die in ihrer Hauptzeit ein Flop. Bei mir auf dem Label gab’s nur 2 Bands die im Songwriting richtig glänzten: HELLOWEEN und RUNNING WILD und später Kai Hansens GAMMA RAY, und die Verkaufszahlen hatten das dann bestätigt. Alle anderen Bands waren weit abgeschlagen und selbst Bands wie KREATOR oder CELTIC FROST hatten nicht die 100.000er Marke geknackt.
Aber zurück zum Punk. Ich stand total auf Ami Punk und bin irgendwann 1981 in den Flieger gestiegen und hab die Bands gezielt gesucht. Da gibt’s schon interessante Geschichten bzgl. BAD BRAINS, MISFITS und SOCIAL DISTORTION. Aber die sind im kommenden Noise Buch, das im Oktober bei Iron Pages rauskommt.
Weiter hattest du Veröffentlichungen von DDR-Bands wie ZWITSCHERMASCHINE und SCHLEIM-KEIM und dadurch einigen Ärger mit den ostdeutschen Behörden sowie der Besatzungsmacht Sowjetunion. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit diesen Bands und wie wirkte sich das auf dein Leben aus?
Ich hatte einen Kumpel, der später die Techno Szene aus der Taufe gehoben hat und den Tresor gründete, mit dem hatte ich 1983/1984 zwei Avantgarde Festivals namens Atonal im SO36 gemacht, die vom Kultur Senat gesponsert wurden. Dimitri Hegemann, der spätere Techno Papst, kam also eines Tages zu mir und fragte nach meinem Interesse an einer Veröffentlichung. Klar war ich gleich dabei: das klang exotisch und spannend. Wir haben dann eine Lederjacken/Jeans-Schmuggel-Operation mit dem Besuch der Ost-Punker kombiniert. In einer der Bands war, wie sich nach der Wende raustellte, ein Superspitzel namens Sascha Anderson, der wohl verschiedenste Kultur-Organisationen dort unterwandert hatte. Nichts Neues also, das kannte ich ja schon aus dem Westen. Und auch die Paranoia die damit einherging. Niemand in den Gruppen traute dem anderen. Da war, wie sich dann auch später offenbarte, noch mehr Spitzel Ungeziefer involviert als nur dieser Sascha. Tja, nach zwei Meetings flog alles auf, die Hälfte der Bandmitglieder landete beim Stasi-Verhör und im Knast und ich wurde am Check Point Charly sondergefilzt und meine Schmuggeloperation flog auf. Konsequenz: ich kam nicht mehr in die DDR rein und selbst die Transitwege wurden wegen der Sonderkontrollen quasi unpassierbar für mich. Allerdings klappte es letztlich doch, die Aufnahmebänder rauszuschmuggeln über einen diplomatischen Dienst. Auch hierzu gibt’s mehr interessante Details im kommenden Noise Buch. Selbst bis heute nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums wirkt das noch nach. Als ich in 2001 ein Visa für Russland beantragte, wurde mir das verweigert. Ohne Begründung aber mit dem dezenten Hinweis vom Konsulat selber, dass ich mir wohl während meiner Lebenszeit weitere Visa-Anträge sparen könnte.
CELTIC FROST
Wie hast du das Nachlassen der Punk-Welle erlebt und wie kam dann der Wandel zum Metal?
Anfang 1982 begannen die Verkaufszahlen zu verflachen. Klar, die Majors hatten die Neue Deutsche Welle entdeckt und aus allen Kanälen wurde gehypt. Zudem war irgendwie keine kreative Luft mehr in der Punk Scene nach 5 Jahren. Der US Punk hatte die sozusagen letzte Kreativwelle, von den DEAD KENNEDY’S und BLACK FLAG angeführt, gebracht. Da kam nicht mehr viel Spannendes. Greg Ginn, der Gitarrist von BLACK FLAG, hatte mich immer bei seinen Touren versucht, in Sachen Metal anzufixen und mich auch zu kombinierten Punk/Metal/Hardcore Shows in LA eingeladen. Ich erinnere mich immer noch an eine ST. VITUS Show, eine Band für die sich damals niemand interessierte. Wie auch immer: im US Punk steckte schon einiges an Metal und ich mochte das. Hört einfach mal bei den Speed Punkern von TRUE SOUNDS OF LIBERTY rein, dann wird klar was ich hier meine. Und dann, beim wühlen in Tower Records, stolperte ich über Metal Blades tolle „Metal Massacre“-Compilations, der Titel! Die Debütalben von SLAYER und METALLICA. Großartig das alles. Diese Feelings. Pure Adrenalin-Mucke. Ich wollte das unbedingt auch machen und machte mich dann in Deutschland auf die sehr schwierige Suche nach Vergleichbarem. Hier gab’s keine Szene – alles Wüste.
Wie kam es dann zur Gründung des Unterlabels Noise Records und der Zusammenstellung der legendären „Death Metal“ Compilation von 1984? Und wie muss man sich die frühen Jahre deiner Labels und die Zusammenarbeit mit Bands als auch Leuten aus dem Business vorstellen?
Ich hatte zurück in unserer deutschen Provinz dann Fanzines kontaktet und versucht, an Demos zu kommen. Und dann trudelten wirklich sehr schlecht gemachte Tapes von diversen Hamburger und Ruhrgebietsbands bei mir ein. Ich konnte da nicht sehr wählerisch sein. Im Schnitt nahm ich sozusagen jede 2. Band unter Vertrag. 10 Jahre später hab ich nicht mal aus 250 Demos 1 Band gefunden, soweit waren dann die Ansprüche gestiegen, haha. Das war schon alles verrückt. Und ich hatte den Laden die ersten drei Jahre nur mit einer Halbzeit-Buchhalterin, die auch als Sekretärin arbeitete, einem Sales & Productmanager und einer Promo Frau geschmissen.
Am Anfang hattest du dich hauptsächlich auf deutsche Bands wie KREATOR, HELLOWEEN, RUNNING WILD, GRAVE DIGGER, TANKARD bzw. aus der Schweiz HELLHAMMER, später CELTIC FROST, konzentriert. Was hat dich an diesen Bands und diesem Sound fasziniert und wie muss man sich die Metalszene damals in Deutschland vorstellen?
Der Thrash Trend war so gewaltig, die Szene explodierte dermaßen schnell – das überraschte alle. Insbesondere mich und Manfred Schütz, den Chef von SPV, der ja auch Steamhammer machte und parallel zu meinen Signings KREATOR und TANKARD, DESTRUCTION und SODOM verpflichtete. Ich glaube drei Monate nach dem Noise Start gab’s dann zu unser aller Erleichterung den Metal Hammer und damit ein zentrales Werbe-Medium, was die Szene weiter ausdehnte. Das alles war wie ein reißender Strom und meine Tage waren lang, sehr lang. Aber es machte irren Spaß. Dass dabei viel Geld verdient wurde bemerkte man eigentlich nur so nebenbei.
Ich hab am Anfang nicht gleich, wie du unterstellst, auf deutsche Bands zugreifen können. Da war ja nicht viel. Also habe ich Tausch-Lizenzdeals gemacht. Von Metal Blade, dem Label von SLAYER, kam die Band BITCH und eine Massacre Compilation, von Megaforce, dem METALLICA Label, OVERKILL, und ich gab denen HELLHAMMER und GRAVE DIGGER. Auch die „Death Metal“ Compilation und „Rock From Hell“ Compilation waren Talentfindungs- und Überbrückungsmaßnahmen. Ich musste ja warten, bis meine deutschen Signings Album Material zusammen hatten. Von Anfang an war mir klar, dass ich kein Label mit Lizenzprodukten aufbauen konnte. In Großbritannien gab’s das recht erfolgreiche Label Music For Nations, das nur Lizenzdeals machte – Ende der 90er ging denen dann die Luft aus. Ne, ich wollte hiesiges Talent. Und ich wollte keine US Kopien. Das ist immer das große Problem hier: fast alle Bands orientieren sich an US-Vorbildern und verstellen sich damit ihre Zukunft. Mut zur eigenen musikalischen Identität, wie z. B. bei CELTIC FROST oder HELLOWEEN fehlt in Deutschland in der Regel. Tja, die Besatzer haben nach dem 2. Weltkrieg mit ihren BBC’s und AFN’s viel Schaden angerichtet und den deutschen Markt für sich geöffnet und deutsche Bands ins dritte Glied, nach den britischen Bands, verwiesen. Da wollte ich Gegensteuern und habe meine Bands immer ermutigt, einen europäischem Metal zu spielen.
RUNNING WILD
In den Anfangstagen gab es auch eine Zusammenarbeit mit Megaforce Records aus den USA, von welchen Noise Records OVERKILL lizensierte. Von Metal Blade hattet ihr auch BITCH, von SST Records SAINT VITUS und von Combat VOIVOD, die dann letztendlich bei euch gelandet sind. Wie kamen all diese Verbindungen?
Da es damals kein Internet gab, ging das per Post oder nach viel Recherche auch mal telefonisch. Das war alles sehr zeitaufwendig. Da mein Englisch ganz leidlich war – ich war ja ein Bücherwurm in meinen Teens und habe auch regelmäßig die UK und US Originale gelesen, war die Kommunikation kein Problem. Und die Amis waren immer ganz offen für Europa. Die Leute standen nicht unbedingt Schlange für Lizenz-Deals.
Einige dieser Bands, insbesondere KREATOR, HELLOWEEN, RUNNING WILD, RAGE und CELTIC FROST nahmen schnell Vorreiterstellungen in der Szene ein. Inwieweit konntest du bzw. Noise Records auf diese Entwicklung Einfluss nehmen?
Einfluss nehmen? Hey, das war unser Erfolg durch gutes Marketing und einen guten Vertrieb. Wir haben alles angeschoben. Das ging bis zu den Managern. Z. B. Boogie Kopec (Bogdan Kopec, Geschäftsführer von Drakkar Entertainment GmbH, Anmerk. d. Verf.). Der hatte zuerst in meinem Berliner Büro als Promoter für mich gearbeitet. Das ging aber nicht. Er war kein Verkaufstyp. Also habe ich ihm vorgeschlagen, einige meiner Bands zu managen. Er hatte ja schon früher als Roadmanager gearbeitet. Also habe ich ihm KREATOR, RUNNING WILD und RAGE vermittelt. So ging das laufend. Viele Touren kamen über uns. Alle internationalen Kontakte. Wir waren die Achse um die sich alles drehte.
Zu welchen deiner Bands auf Noise Records hattest du ein besonders enges Verhältnis, bitte beschreibe es uns!
Ein Label ist wie eine Maschinerie. Je größer es wird, umso geringer ist dein Anteil an der kreativen Seite. Schon 2 Jahre nach Labelgründung bin ich an Arbeit erstickt: internationale Vertriebsdeals, Noise wurde in 43 Ländern vertrieben mit Büros in London, New York und diversen Promotern zusätzlich in wichtigen EU Ländern, Anwälten, wir arbeiteten mit drei Anwaltskanzleien in Berlin, London und New York, Steuerberatern, Bookern, Produktionsabläufen etc. Ich hab das später gehasst. Du entfernst dich mit zunehmendem Erfolg immer weiter von der Musik und der Szene. Diese ewige Fliegerei durch Zeitzonen, diese Reiserei zu Messen, Präsentationen, Konzerten. Nie genug Zeit. Darunter leidet jeglicher kreative Kontakt. Vielleicht 10% meiner Arbeitszeit eines 12-14 Stunden Tages ging in die Bandkommunikation. Da ist es schwierig Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Du wirst letztlich zum getriebenen deines Jobs. Du mutierst, ob du willst oder nicht, zum Plattenboss.
Insbesondere CELTIC FROST machten mit ihrem dritten Album „Cold Lake“ eine stilistische Weiterentwicklung, die nicht allen Fans schmeckte. Wie war damals deine Meinung dazu?
Ich würde das nicht als stilistische Weiterentwicklung sondern als Bruch bezeichnen. Ich denke die Fans haben denen das deutlich gezeigt, was sie von diesem Mist hielten: das Album floppte und die Band verschwand für ein Jahrzehnt in der Versenkung. Eine traurige Entwicklung. Nach einer US Tour, wo kaum Groupies aufliefen, entschied sich die Band für toupierte Haare, Brusthaar, offene Hosen. Angesichts solcher Klassiker wie „Into The Pandemonium“ und „To Mega Therion“ musste das die Band umbringen. Mir war das kristallklar. Thomas Gabriel Fischer offensichtlich nicht. Wie blind muss man sein?
Wie waren die anfänglichen Erfolge von Noise Records und ab wann konntest du davon leben?
Also ich lebte schon gut von den Aggressive Rock Produktionen Platten. SLIME verkauften ja weit mehr als 50000 pro LP und keine der Soundtrack Compilations lag unter 20000.Und der Metal hat das Verkaufsniveau weiter hochgeschraubt. Innerhalb von 5 Jahren Noise lagen unsere Umsätze bei über 10 Millionen jährlich.
Du wurdest in den Veröffentlichungen als Executive Producer genannt. Was bedeutete das?
Das war mehr was fürs Ego und steht für die logistische und finanzielle Abwicklung. Analog wie beim Film.
Im Laufe der Jahre hattet ihr neben Berlin auch in weiteren Städten Büros eröffnet. Wie wuchs Noise Records?
Wie vorher schon gesagt sind wir innerhalb weniger Jahre in allen westlichen Ländern präsent gewesen und mit Büros in den Schlüsselmärkten UK und New York. Metal ist einfach international und da kannst du nicht zurückstecken. Du musst mit der Konkurrenz mithalten.
HELLOWEEN
Den größten Erfolg hattet ihr sicherlich mit den beiden „Keeper Of The Seven Keys“-Alben von HELLOWEEN. Bitte beschreibe uns, was damals passiert ist! Gerade mit HELLOWEEN gab es dann aber auch ein dunkles Kapitel – den Rechtsstreit bzgl. ihrem Wechsel zur EMI, woran insbesondere deren Management Anteil hatte. Wie lief die Geschichte aus deiner Sicht genau ab, was ging damals genau schief, wie konntet ihr den Rechtsstreit, in dem auch das Management von IRON MAIDEN mitwirkte, dann letztendlich für euch gewinnen und wie beurteilst du die Entwicklung von HELLOWEEN in den folgenden Jahren?
Das ist allerdings eine sehr umfangreiche Geschichte, die im Detail den Rahmen dieses Interviews sprengt. Naturgemäß ist das im kommenden Noise Buch detailliert beschrieben. Hier muss eine extreme Kurzfassung reichen. Mein Verlagspartner Wintrup Musik, der früher auch KROKUS gemacht hat und viele Hitbands aus dem Indie Lager, vor allem UK, hatte mich immer gewarnt vor den Haien und nach dem Erfolg von „Keeper Of The Seven Keys Part 2“ ganz besonders. Seine Warnung bezog sich auf die großen Firmen und Manager. Es ist offensichtlich ein beliebtes und einfaches Spiel Verträge zu knacken. Insbesondere solche von Independent Labels. Johnny Z. Von Megaforce, der ja METALLICA rausgebracht hatte, kann davon ein Lied singen. Er hatte die Band ja sehr schnell an die AC/DC Manager verloren. Die Sharks.
In meinem Fall waren die Band Räuber das IRON MAIDEN Management. Der Fahrplan ist fast immer der Gleiche: Sex, Drogen, Geld und Versprechen und die Band knickt ein. Der Manager kann dann das Bandumfeld aufrollen: zuerst muss der langjährige persönliche Manager raus. Als nächstes steht dann der Angriff auf das Label, den Rechteinhaber an. Das Standardinstrument ist hier meistens das Abrechnungswesen. Eine außerordentlich komplexe Angelegenheit, immer im Fluss, da gestrige Vertragsregelungen heute schon nicht mehr eindeutig sind wegen der technischen Innovationen und neuen Formate. Da gibt’s immer Interpretationsspielräume. Dann engagierst du englische Audit-Pitbulls, die auf Erfolgsbasis bezahlst und beißt dich durch die Zahlen. Da kommt immer irgendwas raus ist die Maxime. Im HELLOWEEN Fall eine behauptete Fehlabrechnung von mehr als 750.000 DM zu Ungunsten von HELLOWEEN. Und als zweiten Angriffsschritt versuchst du, den Gerichtsstand nach Großbritannien zu verlagern, wo das prozessieren mindestens 5mal so teuer ist wie in Deutschland. Und so wurde die Rechtsschlacht eröffnet. Meine Anwälte waren glücklicherweise in der Lage, den Gerichtsstand Berlin zu verteidigen und die englischen Wirtschaftsprüfer kaltzustellen – das deutsche Gericht akzeptierte diese nicht, da sie nach anderen Methoden als deutsche Prüfer arbeiten. Und dann kam in der Prozessfrühphase der gerichtliche Paukenschlag: der Band wurden Live Gigs und Aufnahmen untersagt. Als dann die vom Gericht bestellten deutschen Wirtschaftsprüfer auch noch im 1. Prozessjahr feststellten, dass wir 350.000 DM zu viel an HELLOWEEN ausgezahlt hatten war klar, dass HELLOWEEN sich auf der Verliererseite befanden. Das nicht mehr anfechtbare Urteil des Berliner Landgerichts 2 Jahre später brachte HELLOWEEN und ihre Pitbull-Manager von MAIDEN dann wieder an den Verhandlungstisch. Der Scherbenhaufen war angerichtet und die Band nur noch ein Schatten.
Ich glaub die Band hat zum Ende hin überhaupt nicht mehr verstanden, was da ablief und sich blind den Managern und Anwälten ausgeliefert. Dann kommt da immer die Schutzbehauptung von Michael Weikath aber auch von Michael Kiske, ich hätte denen nur einen faireren Vertrag anbieten müssen und alles wäre gut gewesen. Bullshit. Während der „Keeper Of The Seven Keys Part 1“-Phase ist der ursprüngliche Vertrag von HELLOWEEN mit dem ersten Manager, Limb Schnoor, komplett neu verhandelt worden. Allein für „Keeper Of The Seven Keys Part 2“ habe ich um die 500.000 DM Vorschüsse bezahlt! Am Ende drehten die alle durch und waren im Popstar Himmel. Kai Hansen alleine hatte den Bodenkontakt gehalten.
Welche Auswirkungen hatte dieser jahrelange Rechtsstreit für dich?
Ich verlor alle Illusionen über die Musikindustrie und hatte kaum noch Zeit, mich um kreative Belange und meine Bands zu kümmern. Eigentlich war ich den größten Teil des Tages damit beschäftigt, mich um Anwälte, Gerichtstermine und Finanzleute zu kümmern. Diese zwei Jahre Rechtsstreit hatte mich viel Energie gekostet.
Kay Hansen, einer der damals führenden Songwriter, hatte da schon HELLOWEEN verlassen und kam mit seiner neuen Band GAMMA RAY zu Noise Records. Wie war euer Verhältnis angesichts der Auseinandersetzung mit seiner Ex-Band?
Ich fand seinen Ausstiegs-Schritt nachvollziehbar und richtig. Er kam einfach nicht mit Weikath klar, der Pop-Metal machen und Superstar werden wollte. Der war schlicht größenwahnsinnig geworden. Die ewigen Streitereien darum, wessen Song nun letztlich auf eine HELLOWEEN Platte kommen sollte, hatten deren Beziehung so ziemlich zerstört. Das konnte so einfach nicht weitergehen.
Modern Music bzw. Noise Records gründeten im Laufe der Jahre weitere Sublabel. Machinery Records brachten EBM raus (bspw. AND ONE), Dynamica Industrial (bspw. OOMPH!). Wie kam es dazu?
Die 90er waren recht schwierig für Metal, insbesondere für uns, da wir mit Death und Black Metal nicht viel anzufangen wussten. Nach dem Metal Boom der 80er ging’s nun in einen Abwärtszyklus und die starken Trends waren woanders. Grunge und alternativer Rock dominierten insbesondere die zweite Hälfte der 90er. Ich wollte die Firma breiter aufstellen. Mit T+T hatten wir dann ein ausschließlich Melodic Metal Label, so eine Art Mini-Noise. Mit Hellhound kam der Doom und Stoner Rock zu uns. Und Machinery/Dynamica brachte uns EBM und Industrial. Aber das war alles zu viel in kurzer Zeit. Die einzigen Bands die gut liefen waren STRATOVARIUS, OOMPH! und AND ONE. In 1994, dem Jahr als ich nach Los Angeles umsiedelte, hatten wir dann auch alles konsolidiert und uns von diesen Labels wieder verabschiedet. Das waren nur kurze, dreijährige Intermezzo’s.
Mit T & T Records als Sublabel kamen im melodiösen Bereich viele neue Bands wie VIRGIN STEELE und STRATOVARIUS dazu. Zuerst war hier eine Kooperation geplant, aber schlussendlich habt ihr die Firma übernommen, richtig? Und wie wichtig war damals die melodischere Ausrichtung sowie der wachsende Erfolg insbesondere von STRATOVARIUS?
Also STRATOVARIUS repräsentiert musikalisch das, wofür Noise stand. Und unsere erfolgreichsten Bands – von den Verkaufszahlen her – waren immer melodiös. Egal wie sehr die Kritiker einige unserer eckigeren Bands wie CELTIC FROST, CORONER und VOIVOD auch lobten, das Geschäft lief mit Melodic Power Metal.
Dann gab es noch ab 1994 die Zusammenarbeit mit Hellhound Records. Was kannst du uns darüber erzählen?
Die zwei Macher von Hellhound kamen mit dem Label einfach nicht vorwärts. Es war musikalisch ein tolles Label mit einem klaren musikalischem Konzept: Doom und Stoner. COUNT RAVEN und THE OBSESSED aber auch ST. VITUS gefielen mir sehr. Offensichtlich waren die Jungs aber mit dieser Stilistik zu früh dran. Der Fanzuspruch war sehr lau. Die kamen zu uns, weil sie zusätzlich sehr viele Vertriebsprobleme hatten. Aber leider mussten wir feststellen, dass wir hier auch nicht viel helfen konnten. Es war einfach kein ausreichendes Interesse dar.
Soweit ich mich erinnere hattet ihr keine Black-Metal-Bands gesignt, obwohl das Mitte der Neunziger ein großer Trend war?
Tja, als A+R Chef hat man ja Geschmäcker. Und mit Black Metal konnte ich aus vielerlei Gründen nichts anfangen. Einmal ideologisch – ich halte das Zeug für faschistisch – aber auch gesanglich. Diese gequälten Stimmen – unerträglich. Schon CELTIC FROST ließ sich mir der Magen umdrehen, wenn Thomas Fischer das Mikro quälte. Und dann etabliert sich ein ganzes Metal Subgenre mit diesen unfähigen „Sängern“! Das war einfach nicht mein Ding.
Ebenfalls 1994 wechselte das Noise Records Büro von Berlin nach Los Angeles. Wie kam es dazu?
Ich hatte Noise für zwei Jahre an Mechanic Records USA lizensiert. Der Chef, Jim Sinclair, hatte einen Deal über MCA/Warner, also Major Vertrieb. Es wurden gute Umsätze gemacht, aber die Zusammenarbeit mit MCA war wohl schwierig und er bekam den Laden nicht in den Griff. Folglich entschloss ich mich, selbst in den USA aktiv zu werden und nahm mit dem Umzug nach LA einen Tapetenwechsel vor. Der HELLOWEEN Prozess und die Veränderungen in Berlin nach dem Mauerfall waren zusätzliche treibende Faktoren.
Inwiefern war die Musikszene in Kalifornien unterschiedlich zu Deutschland, wie unterschied sich das Label-Geschäft?
In den Staaten ist die Musikszene sehr viel dynamischer. A&R ist sehr aggressiv. Wenn eine Band im Untergrund auffällt, dann stürzen sich gleich zahlreiche Interessenten darauf und die Zahlen werden astronomisch. Mir ist das so bei SYSTEM OF A DOWN passiert, an welchen ich frühzeitig dran war, aber dann kam Rick Rubin (Def Jam America) und der Zug war nicht mehr zu stoppen. Als Label arbeitest du in den USA mit sehr kleinen Margen, es ist halt ein Massenmarkt. Da musst du messerscharf kalkulieren. Und das Touring ist sehr aufwändig. Ich muss immer mit dem Kopf schütteln wenn deutsche Bands mal auf US Tour gehen für 4-6 Wochen. Das bringt überhaupt nichts und in der Regel musst du ja noch Geld in Form von Toursupports mitbringen. Du finanzierst also die Illusion eines US Erfolgs aus Europa heraus. Das ist extrem gefährlich weil du schnell alle Finanzquellen austrocknen kannst.
Mit MANHOLE, einem der US-Signings, hattet ihr sowohl Glück als auch Pech…
Die Band lief gut. Vor allem in den USA und UK. 3 Titelseiten Kerrang (UK) in 18 Monaten war sensationell und etablierte die Band als Club-Headliner mit ihrem Metal-Rap Crossover. Auch in den USA ging das gut los: Supports bei TYPE O NEGATIVE und DANZIG brachten die Band gut an den Start. Aber die Sängerin war sehr instabil. Ihre zweite Scheibe brachte sie dann unter dem Namen TURA SATANA raus und nachdem wir uns trennten eine dritte Scheibe bei Century Media unter dem Namen „My Ruin“.
Ihr hattet versucht, eure europäischen Bands dann im amerikanischen Markt zu etablieren. Inwieweit ist euch das geglückt und welche Erfahrungen hast du da gemacht?
Ich hatte nie die Vorstellung, dass wir unsere deutschen Bands in den USA etablieren könnten. Ich wollte unsere Szene Verkäufe dort lediglich nutzen, um US Bands zu signen und die US Firma damit etablieren. Der Noise Katalog lief in den USA gut und das Geld finanzierte mir den Laden dort. Aber als mir dann meine Lebensgefährtin davonlief, hatte ich nicht mehr die Power und Lust, in den USA weiterzumachen. Und auf einmal stand ein Verkaufsangebot im Raum das eine grundsätzliche Entscheidung verlangte.
2001 kam dann schließlich der Verkauf von Modern Music und damit auch von Noise Records an die englische Sanctuary Group. Was waren damals deine Gründe?
Also der Hauptgrund lag sicherlich in der aufkommenden Digitalisierung. MP3 war in aller Munde. Und ich philosophierte. Konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass man gegen umsonst konkurrieren kann. Zusätzlich hatte ich ein Motivationstief. Da kam irgendwie alles zusammen, dass mich in Richtung Verkauf puschte.
Was hast du anschließend alles gemacht? Du betreibst noch immer den Maldoror Musikverlag, richtig?
Nach dem Verkauf von Noise in 2001 habe ich mir ein einjähriges Aus genehmigt. Bin auf Reisen gegangen und habe dann ein Musikstudio gebaut, die Musicflash GmbH, das ich im Tandem mit dem Musikverlag betreibe. Ein Ausfug in die Bauträgerbranche, ich bin ja beruflich Architekt, hat mich viel Geld gekostet, da ich mich mit einem professionellen Betrüger einließ. Im Großen und Ganzen habe ich mich im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends bemüht, mein Geld unter die Leute zu bringen 🙂
Letztlich bin ich 2010 wieder aktiv im Musikbusiness gelandet: Sonic Attack Management heißt die Firma. Seit 2010 und zur Zeit betreue ich 7 Bands, wobei ich aktiv WUCAN (Retro), ALPHA TIGER (Melodic Metal) und HAMMERCULT (Neo Thrash) betreue. Ist was ganz anderes als Label zu machen. Kein Rechtsdschungel – Service halt. Du bist viel näher an den Bands und hast nicht einen bürokratischen Überbau. Du bist Herr über deine Zeit.
2007 wurden Sanctuary Records durch Universal übernommen und damit als eigenständiges Label geschlossen, was ebenfalls das Ende von Noise Records bedeutete. Inzwischen wurden Sanctuary Records von BMG erworben, welche Noise Records wieder auf den Markt bringen. Wie kam es dazu und welchen Anteil hast du daran bzw. wie ist dein Status dort?
Du hast hier Universal vergessen, die zuerst die Rechte an Sanctuary und deren Katalogen hielten. Erst später kam dann BMG. Ich hab da wenig mit zu tun. BMG hat mich lediglich gefragt, ob ich bereit wäre, die Re-Issues mit Interviews zu unterstützen. Noise war ja mal mein Baby und hat mich 2 Jahrzehne in Atem gehalten. Leider war ich nicht in der Planung der Re-Issues beteiligt. Ich hätte da einiges anders gemacht.
Den Anfang machen 2CD Best-Ofs von HELLOWEEN, KREATOR, KAMELOT, SINNER, RUNNING WILD, TANKARD, SKYKLAD und GRAVE DIGGER. Sind noch weitere Best-Ofs geplant?
Ich hoffe nicht ! 🙂
Weiter soll es Re-Releases einiger klassischer Alben geben. Kannst du uns hier schon was verraten?
Die gehen in die Tiefe des Katalogs und veröffentlichen alle Schlüssel-Acts. Mir ist allerdings rätselhaft, warum die SINNER Scheiben darunter sind und auch die Veröffentlichung der EMI-HELLOWEEN Scheiben unter dem Noise Banner versteh ich nicht ganz.
Wie ist eigentlich die Lage, wer hat die Rechte an der Musik der Noise Records Veröffentlichungen?
Natürlich BMG. Ich bin da ganz raus.
Inwieweit haben/werden sich die jeweiligen Bands an den Best-Ofs und Wiederveröffentlichungen beteiligen?
CELTIC FROST, RUNNING WILD, HELLOWEEN, KREATOR z. B. haben sich da stark involviert, aber SKYCLADs Martin Walkyier oder GRAVE DIGGERs Chris Boltendahl überhaupt nicht. Deren Antihaltung mir gegenüber ist wohl immer noch stark.
Was waren während der „klassischen“ Noise-Records-Jahre die größten Fehler, die gemacht wurden, oder anders gefragt, gibt es Dinge, die du im Nachhinein gerne anders gemacht hättest?
Ich hätte eine Mailorder Operation aufbauen sollen, Jahre bevor Nuclear Blast Records ihr Blast aufzogen und vor allem habe ich es versäumt, ein A&R Team um mich herum aufzubauen. Letzteres lag wohl daran, dass es in Berlin keine Metalszene gab und keine Leute die den Riecher hatten.
Werden Noise Records auch Bands wieder unter Vertrag nehmen und neue Alben veröffentlichen?
Ich glaube dafür ist BMG nicht aufgestellt. Das bleibt wohl bei den Re-Issues.
Wie siehst du die heutige Musikszene im Zeitalter der digitalen Revolution?
Die Szene ist sehr atomisiert. Durch das Internet treten Bands aus allen Ecken dieses Planeten miteinander in Konkurrenz. Da erfordert es seitens der Bands eines großen Einsatzes in den digitalen Medien und der Live Szene, um überhaupt von den Profis wahrgenommen zu werden. Do It Yourself ist nur hilfreich in der Startphase. Danach musst du delegieren. Irgendwann stellt sich diese Entscheidung für jede Band oder du erstickst deine Kreativität in den logistisch-organisatorischen Anforderungen. Die verbleibenden Labels haben zusätzlich an Bedeutung verloren. Man darf sich da von den Großen wie Nuclear Blast, Century Media, Napalm Records, Steamhammer nicht täuschen lassen. Durch deren Nadelöhr passen einfach nur ganz wenige Bands und Newcomer so gut wie überhaupt nicht. Und die wenigen Newcomer, die dort landen, bedaure ich eigentlich, da alle Rechte dann weg sind.
Was sind deine 10 persönlichen Lieblingsbands auf Noise Records und was hat dich an diesen besonders fasziniert?
Also das Wort Lieblingsband würde ich bei der folgenden Liste nicht anwenden. Mit einigen der Musiker in diesen Bands gab’s schon ziemlich heftige Konflikte. Aber diese Bands sind trotzdem für das Label sehr prägend gewesen und darum benenne ich sie hier. Die Reihenfolge in dieser Listung hat allerdings keinerlei Bedeutung. Ich hätte auch mit WATCHTOWER anfangen können.
MANHOLE „All Is Not Well“ produziert von Ross Robinson und mein erstes LA Signing während meines 8jährigen LA Aufenthaltes in den 90ern. Die Frontfrau Taerrie B. War ein Tornado und auch ziemlich emotional.
RUNNING WILD „Under Jolly Roger“ etabliert die Band mit dem Piraten Image, einem Synonym für Rebellion und außerhalb der Gesellschaft stehen. Rolf hat immer Metalkurs gehalten und ein paar richtige Metalklassiker geschrieben. Meine Hochachtung.
SABBAT „Dreamweaver“ Andy Sneap, heute Europas Top-Metal-Produzent, und Sänger Martin Walkyier lieferten einen Thrash Klassiker mit diesem Album ab. Leider stimmte die Chemie zwischen Sänger und Songwriter nicht.
VOIVOD „Dimension Hatröss“ war „Liebe auf den ersten Blick“. Diese urwüchsige Energie der Band zog mich in den Bann. Klar, meine Punk Vergangenheit spielte hier eine wichtige Rolle.
RAGE „Reign of Fear“ Das Gitarren-Riffing der Band war der Grund für Noise hier einzusteigen. Leider wurden meine hohen Erwartungen nicht erfüllt.
HELLOWEEN „Keeper Of The Seven Keys Part II“ der deutsche Metalklassiker schlechthin und mit über 1 Million verkaufter Exemplare auch wohl eines der erfolgreichsten europäischen Metalalben aller Zeiten. Hier stimmt alles: hervorragende Songs, Image und ein Welt-Klasse Sänger. Aber großer Erfolg produziert Gier und das war dann der Downfall vom europäischen Metal Thron.
CELTIC FROST „To Mega Therion“ Da die Band technisch sehr limitiert war, musste ein kreatives Konzept her und das wird auf diesem Klassiker umgesetzt. Ein Beispiel auch dafür, dass Kreativität und Metal durchaus zusammengehen können. Die Engländer und Amerikaner haben das sofort erkannt. Dort war die Band dann immer viel bedeutsamer als hier bei uns.
KREATOR weil Mille einfach ein sympathischer Frontmann ist und durch viele Auf und Ab’s der Metalszene seine Fans nie enttäuscht hat, ganz im Gegensatz zu seinen Bandkollegen Chris Boltendahl mit dem DIGGER Album, CELTIC FROST mit „Cold Lake“ und HELLOWEEN mit „Pink Bubbles Goes Ape“.
SKYKLAD: die Innovatoren des Folkmetal mit einem sehr sehr schwierigen Sänger namens Martin Walkyier. Texte und Cover sind erstklassig. Schade, dass der Typ einen Tick hat…
WATCHTOWER „Control And Resistance“ – was für ein Album Titel! Zeitgemäßer denn je und dann dieser jazzige High Speed Wahnsinn! Technisch auf höchstem Niveau. Eine Ausnahmeband, die leider extrem unstabil war und sich schon kurz nach der Veröffentlichung dieses Klassikers auflöste.
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Sehr gutes und äußerst informatives Interview. Danke für den „Rückblick“ im de alte Zeit
Ein wirklich gelungener Rückblick über das erste (wichtige) deutsche Metal-Label NOISE-Records. Da kamen Erinnerungen auf… aufgrund meines Alters hatte ich das Glück, das alles in den Achtzigern mitzuerleben – viele der Noise-Alben/Bands gehören auch heute noch zu meinen absoluten Favoriten und werden regelmässig gehört: CELTIC FROST, VOIVOD, WATCHTOWER, KREATOR und CORONER sind die ersten, die mir da einfallen. Alleine für die Erinnerung an meine eigene Jugend und dem „goldenen Jahrzehnt des Metals“… vielen Dank dafür!
Danke für das Feedback! Das war mir selbst eine große Ehre – Karl-Ulrich Walterbach und Noise haben mich mit ihren Bands durch die gesamte Jugend begleitet.
…..super Interview. einige „Déja-vu’s“, welche dieses mal seitens K.U. Walterbacherklärt und kommentiert werden. Das Buch muss her 🙂
Ganz kurz dazu, weil der Walterbach ja mal seine Sicht der Dinge darstellt. Ich fände es eh gut, dass, wenn eine Band übel über ihr Ex-Label herzieht, dann man dem Label evtl. mal die Chance zur Gegendarstellung gibt -per Mail zB.. Oftmals wird selbiges halt nur von den Bands so unreflektiert übernommen. Jede Medaille hat bekanntlich ihre 2 Seiten. Wäre halt nur fair.
Der Mann war nicht nur eine Ikone in Sachen Metal, sondern auch ein fester Bestandteil der damaligen Punkszene (Aggressive Rockproduktionen).
Auf der anderen Seite gab es ja auch viele Rechtsstreits.
NEUROTIC ARSEHOLES sprachen damals im Plastic Bomb ganz klar: Er war ein Abzocker.
Okay, er hat seine Bands evtl. zum eigenem Vorteil benutzt, aber welches Label macht das nicht? Das Interview aus der Bombe kenne ich, allerdings schildert er auch seine Position im OX-Interview. Ich nehme mal an, dass, weil du die Bombe schon erwähnst, du das auch gelesen hast? Da gibt´s z.B. auch interessante Sachen über Celtic Frost zu lesen (die wurden da vorher per Interview befragt). Das Interview steht auch Online auf deren Seite, ist aber wirklich laaaang.